USA
Warum Religion in der amerikanischen Politik wichtig ist

Die christliche Religion ist in den USA so wichtig wie in keinem anderen westlichen Land. Das hat historische Gründe. Besonders Evangelikale bestimmen den Wahlkampf um die Präsidentschaft.

    Donald Trump mit Bibel vor der St. John's Episcopal Church (am 1. Juni 2020)
    Donald Trump will angeblich Amerika seinen Glauben wieder zurückgeben. Deshalb vermarktet er eine Sonderausgabe der Bibel, sein erklärtes Lieblingsbuch. (IMAGO / Newscom World / Shawn Thew)
    Die USA haben keine Staatsreligion, die Verfassung sieht die Trennung von Staat und Kirche vor genauso wie die Religionsfreiheit und trotzdem lautet der Wahlspruch, der auch auf dem Geld steht: „In God We Trust“. Religion ist wichtig im US-Wahlkampf, sie spielt seit Jahrzehnten eine immer stärkere Rolle in der US-Politik. Von Anfang an haben religiöse Gruppen die Geschichte der USA geprägt - und tun es bis heute, wie sich im Präsidentschaftswahlkampf zeigt.

    Inhalt

    Wie hat Religion die Frühgeschichte der USA geprägt?

    Die Religionsgeschichte der USA beginnt in Europa. Puritanische Glaubensflüchtlinge - ein radikaler Flügel der anglikanischen Kirche, der aus der anglikanischen Reformation heraus erwachsen ist - sind über die Niederlande nach Nordamerika ausgewandert, um eine neue Heimat aufzubauen und ungestört ihren Glauben praktizieren zu können.
    Die Puritaner wollten sich auf die Beziehung zu Jesus Christus konzentrieren und den Glauben von allen Relikten des Katholizismus reinigen, vor allem von den jüdischen Traditionen, die noch im Katholizismus vorhanden sind, wie dem Opfer- und Priesterwesen. Man pflegte den Kongregationalismus, das heißt: Jede Gemeinde war unabhängig und erkannte keine übergeordnete kirchliche Autorität an, wie den Papst, den sie für den „Antichristen“ hielten.
    Die Puritaner waren äußerst diszipliniert und autoritär in der Umsetzung ihrer moralischen und religiösen Vorstellungen. Sie hielten sich für das neue auserwählte Volk und Amerika für das gelobte Land. Die von ihnen gegründete Stadt Boston sollte das neue Jerusalem sein.
    Im 18. Jahrhundert entsteht die Idee des American Exceptionalism, also die Vorstellung, auserwählt zu sein, um der Welt die Freiheit zu bringen. Dieser „missionarische Liberalismus“ entsteht aus dem puritanischen Denken, aber auch aus dem Versuch, sich von Europa abzugrenzen und eine eigene Identität zu finden.

    Welchen Einfluss hatten die Puritaner auf die US-Verfassung?

    Obwohl die Puritaner sich für Auserwählte hielten, waren sie partizipativ und antihierarchisch organisiert. In Townhall Meetings saßen alle Mitglieder zusammen, besprachen sich und fassten gemeinsame Beschlüsse unter der Autorität der Älteren. Dadurch stärkten sie die Idee der Demokratie.
    Weil daneben auch Anglikaner, Quäker und Katholiken in die britischen Kolonien einwandern, bestehen von Anfang an verschiedene Religionsgemeinschaften nebeneinander. Das bildet die Grundlage für die Religionsfreiheit der USA. Die werden 1776 zwar nicht als christlicher Staat gegründet. Der erste Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert die Religionsfreiheit und verbietet eine Staatsreligion. Dennoch, die USA sind eine christliche Nation, meint der Historiker Michael Hochgeschwender: Es sei ein christlicher Staat entstanden, aber ein Staat ohne Staatskirche. Christlich bedeutete aber nur protestantisch. Damit waren Katholiken und Mormonen ausgeschlossen.
    Die Mehrheit der US-Bürger ist immer noch protestantisch (40,7 Prozent im Jahr 2023), katholisch hingegen nur ein Fünftel (20,2 Prozent), während ein Viertel religiös ungebunden ist. Die Dominanz der religiösen Gruppe macht sich auch an den Staatsoberhäuptern bemerkbar: Bislang gab es nur zwei katholische US-Präsidenten. Der erste war John F. Kennedy, der zweite Joe Biden. In den 60ern galt Katholizismus noch als Makel, heute ist jedoch auch der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat JD Vance katholisch.

    Welche Rolle spielten die Erweckungsbewegungen?

    In den großen Erweckungsbewegungen spielte Religion zu bestimmten Zeiten für die Gesellschaft eine zentrale Rolle. Viele Menschen konvertierten, schlossen sich Religionsgemeinschaften an und beteiligten sich religiös motiviert an gesellschaftlichen Debatten. Bereits vor der Gründung der USA, in den 1730ern verbanden sich Anglikaner und Kongregationalisten, um aus einer unmittelbaren Begegnung mit Christus und aus dem Wort Gottes heraus zu leben. Die Kirchenstrukturen traten zurück vor dem Enthusiasmus der Erweckten. Aus diesem Geist heraus speiste sich auch die Revolution, bei der man sich nicht von geistlichen, sondern von weltlichen Autoritäten lossagte.
    In der zweiten Erweckungswelle im 19. Jahrhundert werden Armut und Reichtum neu bewertet. Hieß es im Neuen Testament noch „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Markus 10,25), ist Reichtum – begründet mit alttestamentlichen Segenssprüchen – nun kein Hindernis mehr auf dem Weg zum Heil. Der Wohlhabende steht in der Gnade Gottes, wenn der Wohlstand redlich erarbeitet ist. Das Christentum verbindet sich mit dem Kapitalismus.

    Was sind Evangelikale?

    Aus einer Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert sind die Evangelikalen entstanden, die vom Pietismus und Puritanismus beeinflusst sind. Aus dieser Bewegung hat sich auch der christliche Fundamentalismus entwickelt. Der Begriff ist Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. Meistens grenzt man Fundamentalisten und Evangelikale von Mainline-Protestanten ab, obwohl es christliche Fundamentalisten nicht nur bei Evangelikalen gibt, sondern auch bei Katholiken. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Fundamentalismus synonym mit Evangelikalen benutzt.
    Evangelikale sind keine homogene Gruppe. Trotzdem gibt es einige Gemeinsamkeiten: Sie nehmen das Wort der Bibel wörtlich, stehen der Wissenschaft feindlich gegenüber (sind also gegen die Evolutionslehre), haben ein konservatives Familienbild und zeigen sich nicht offen für soziale Aspekte der biblischen Lehre. Manche  streben an, die Trennung von Staat und Religion aufzuheben, und wollen, dass die Regierung religiöse Werte unterstützt und die Bibel Einfluss auf Gesetze hat.

    Wie versuchen christliche Fundamentalisten, die US-Politik zu beeinflussen?

    Christliche Fundamentalisten versuchen seit dem 20. Jahrhundert, Einfluss auf Politik zu nehmen, etwa beim Immigration Act von 1924. Mit dem Gesetz sollte die Einwanderung stark beschränkt werden. Man wollte nicht nur Menschen aus Asien die Einreise verbieten, sondern auch Katholiken, Juden und Muslime fernhalten, also auch Menschen aus Ost- und Südeuropa. Amerika sollte „weiß“ bleiben, was aber auch Iren ausschloss. Mit einer tatsächlichen „Hautfarbe“ hatte dieses Konstrukt nichts zu tun.
    Nachdem der Supreme Court 1954 die Rassentrennung an Schulen aufhob, wurden christliche Privatschulen gegründet, die Segregation Academies, um das Verbot der Rassentrennung zu umgehen. Erst 1976 hat das Oberste Gericht die Segregation auch dort verboten.
    Erst seit den 80ern ist für die Evangelikalen der Kampf gegen das Abtreibungsrecht („Pro-Life“) ein großes Thema.

    Wie wird Donald Trump vor den Religiösen rechtfertigt?

    Ex-Präsident und Präsidentschaftskandidat Donald Trump war und ist auf die Stimmen der Evangelikalen angewiesen und wirbt deshalb um sie. Die Bibel bezeichnet er als sein Lieblingsbuch. Seit März vermarktet er eine Sonderausgabe der Heiligen Schrift unter dem Slogan „Make America Pray Again“. Das gescheiterte Attentat auf ihn in Pennsylvania deutete er selbst als göttliche Intervention, wodurch er für Religiöse zu einer Art Märtyrer stilisiert wurde.
    Als Trump im Oktober nach Pennsylvania zurückkehrte, brachen bei einem Bürgerdialog („Townhall“) wegen der Hitze zwei Menschen im Publikum zusammen. Daraufhin ließ er zweimal das Lied „Ave Maria“ über die Lautsprecher spielen, während sich Sanitäter um die Menschen kümmerten.
    Trumps Verhalten und Privatleben, etwa dass er zum dritten Mal verheiratet ist und eine Affäre mit einer Pornodarstellerin hatte, passt nicht zu den Moralvorstellungen von konservativen Evangelikalen, denen die Ehe heilig ist. Doch um seine Unvollkommenheit zu rechtfertigen, wird der biblische König David als Vorbild bemüht. Der hatte laut Bibel nicht nur mehrere Frauen und Konkubinen, sondern beging auch Ehebruch mit Batseba und schickte ihren Mann, den Offizier Uria, an die vorderste Front, damit dieser fiel. Nach dem Tod Urias heiratete David Batseba (2. Samuel 11). Mit Davids Verhalten wird auch erklärt, wie auch ein schlechter Mensch ein Werkzeug Gottes sein kann: "König David war auch nicht perfekt. Aber er war der von Gott auserwählte Mann", sagte der ehemalige US-Energieminister Rick Perry im Jahr 2019. Daher ist auch von einem inoffiziellen „König-David-Pakt“ mit den Evangelikalen die Rede.

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