Supreme Court zur Immunität Trumps
Was bedeutet das Urteil für die Demokratie in den USA?

Das höchste US-Gericht spricht dem US-Präsidenten sehr weitgehende Immunität zu. Außerdem bekräftigt das Urteil die Kontrolle des Präsidenten über das Justizministerium. Kritiker sind alarmiert und sehen einen Angriff auf die Demokratie.

03.07.2024
    Ein Mitarbeiter der US-Regierung bringt das Siegel des US-Präsidenten an dessen Rednerpult an.
    Amt mit großer Machtfülle: das Siegel des US-Präsidenten wird an dessen Rednerpult angebracht (IMAGO / MediaPunch / Chris Kleponis )
    "Trump gegen die Vereinigten Staaten" – unter diesem Titel stand das Verfahren vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der USA. Geklagt hatte Ex-Präsident Donald Trump, dem seinerseits Anklagen wegen versuchten Wahlbetrugs und seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 drohen. Seine Anwälte sehen ihn durch Immunität vor diesen Vorwürfen geschützt und hatten deshalb das Oberste Gericht angerufen.
    Das Urteil, dass die neun Richter gefällt haben, ist umstritten. Wie wird deren Entscheidung diskutiert, und welche langfristigen Folgen könnte diese haben? Ein Überblick:

    Inhalt

    Das Urteil des Supreme Court

    Trifft der US-Präsident in seiner offiziellen Rolle Entscheidungen, die strafrechtlich relevant sein könnten, kann er dafür nicht belangt werden. Diese sehr weitgehende Immunität sprechen die Obersten Richter dem Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten - in diesem Fall dem klagenden Ex-Präsidenten Trump - zu. Gleichzeitig steht in dem Urteil, dass der „Präsident nicht über dem Recht steht“.
    Wichtig ist dabei, zu unterscheiden, was als Amtshandlung gilt und was aus privaten Motiven geschieht. Diese Aufgabe haben die Obersten Richter an die untere Instanz zurückverwiesen, ein US-Bezirksgericht in Washington D.C..
    Das Urteil des Supreme Courts fiel mit sechs zu drei Stimmen. Die drei als liberal geltenden Richterinnen hatten sich nicht der rechtskonservativen Mehrheit des Supreme Courts angeschlossen, die Trump durch drei Neubesetzungen während seiner Zeit als Präsident zementiert hatte.

    Die unmittelbaren Folgen des Supreme-Court-Urteils

    Trump feiert die Entscheidung des Supreme Court und wertet sie als Urteil zu seinen Gunsten. Durch den Spruch der obersten Richter verzögert sich der Beginn des Wahlbetrugsprozesses gegen den 78-Jährigen in der US-Hauptstadt Washington. Es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass er noch vor der Präsidentenwahl im November beginnen wird. Bei einer möglichen Verurteilung könnte sich Trump im Falle seiner Wahl selbst begnadigen.
    Trumps Anwälte bemühen sich Berichten zufolge auch um die Aufhebung von dessen Verurteilung im Schweigegeldprozess in New York. In dem historischen Verfahren war Trump von den Geschworenen in allen 34 Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Das Strafmaß soll am 11. Juli verkündet werden. Der Versuch, den Schuldspruch rückgängig zu machen dürfte wohl aussichtslos sein, wegen der folgenden juristischen Schritte dürfte er aber zumindest die Verkündung des Strafmaßes hinauszögern.
    Zum Zeitpunkt der Schweigegeldzahlung an die Pronodarstellerin Stormy Daniels war Trump noch Präsidentschaftskandidat, genoss demnach noch keine Immunität. Im Prozess waren jedoch Beweismittel aus seiner Zeit als Präsident verwendet worden. In einem Berufungsverfahren könnten sie nun nach dem Urteil des Supreme Court unter dem Gebot der Immunität ausgeschlossen werden. Außerdem könnte Trump als Präsident das Justizministerium anweisen, jegliche Ermittlungen einzustellen - auch diese Befugnis hat das Urteil gestärkt.

    Szenario I – Aushöhlung der Demokratie

    Über die unmittelbaren Folgen hinaus sehen Beobachter langfristige Konsequenzen des Urteils und üben heftige Kritik. US-Präsident Joe Biden sagte, der Supreme Court habe ein „grundlegend neues Prinzip“ geschaffen. Die Macht des Präsidentenamtes werde künftig nicht mehr durch Gesetze eingeschränkt, auch nicht durch das Oberste Gericht, warnte Biden. „Die einzigen Grenzen werden vom Präsidenten selbst gesetzt.“
    Das befürchten auch Sonia Sotomayor, Elena Kagan und Ketanji Brown Jackson, die drei liberalen Supreme-Court-Richterinnen, die gegen das Urteil gestimmt hatten. „Aus Angst um unsere Demokratie widerspreche ich dieser Entscheidung“, sagte Sotomayor in einer persönlichen Erklärung. Ob der Präsident einer Eliteeinheit die Ermordung eines Rivalen befehle, einen Militärputsch organisiere oder sich für eine Begnadigung bestechen lasse - er sei "immun, immun, immun".
    Richterin Jackson verwies in einem separaten Statement darauf, dass das Urteil „neues und gefährliches Terrain beschreitet“ indem es das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz aufweiche. „Dieses Grundprinzip hat unsere Nation lange davor bewahrt, in Despotismus zu verfallen“, sagte sie.
    Zwar steht in dem Urteil explizit, dass der Präsident nicht über dem Gesetz stehe. Doch juristisch ist die mögliche Strafverfolgung sehr schwierig geworden, da in jedem Einzelfall zwischen "offiziellen" und "inoffiziellen" Handlungen unterschieden werden muss. Dies könnte von künftigen Amtsinhabern ausgenutzt werden, warnen Experten. Sie könnten einer Strafverfolgung vorbeugen, indem sie potenziell rechtswidriges Verhalten "mit offiziellem Regierungshandeln verflechten", sagt etwa der Rechtsprofessor Steven Schwinn von der University of Illinois in Chicago.

    Szenario II – Stärkung der US-Präsidentschaft

    „Großer Erfolg für unsere Verfassung und die Demokratie. Ich bin stolz, ein Amerikaner zu sein!“ Mit dieser Nachricht auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social feierte Donald Trump das Urteil, das ihm im laufenden Wahlkampf Rückenwind gibt – aber auch die Befugnisse aller künftigen US-Präsidenten stärkt.
    John G. Roberts, der Vorsitzende Richter des Supreme Courts, argumentierte im Namen der Mehrheit der Richter, dass Präsidenten sich von normalen Menschen abheben und sie daher vor Strafverfolgung geschützt werden müssten. „Im Gegensatz zu allen anderen“, schrieb Roberts, „ist der Präsident ein Organ der Regierung, und die Verfassung verleiht ihm weitreichende Befugnisse und Pflichten.“ Das stelle ihn nicht über das Gesetz, sondern „bewahre die Grundstruktur der Verfassung, aus der dieses Gesetz hervorgeht“.
    Die Bedenken der liberalen Richterinnen, die ihrerseits die Möglichkeit der Straffreiheit selbst bei angeordneten politischen Morden an die Wand malten, wischte Roberts beiseite. Er bezeichnete das als „Angstmacherei auf der Grundlage extremer Hypothesen“. Viel wahrscheinlicher sei die Aussicht „auf eine Exekutive, die sich selbst kannibalisieren kann, wobei jeder nachfolgende Präsident die Freiheit hat, seine Vorgänger strafrechtlich zu verfolgen, aber nicht in der Lage ist, seine Pflichten mutig und furchtlos zu erfüllen, aus Angst, er könnte der nächste sein.“