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"The Wire" und die Realität von Baltimore

Die US-amerikanische Serie "The Wire" zeichnet ein niederschmetterendes Porträt von Baltimore. Seitdem ist die Hafenstadt für viele ein Sinnbild einer scheiternden US-Stadt, die im Drogenkrieg versinkt. Doch tatsächlich hat die mittelgroße Stadt an der Ostküste der USA mehr zu bieten.

Von Hendrik Efert |
    Spritze, Löffel, Feuerzeug - Utensilien, die zum Heroinkonsum genutzt werden.
    In "The Wire" geht es unter anderem um Drogenhandel in der Stadt. (picture alliance / dpa / Marcus Simaitis)
    Unterwegs in der The-Wire-Stadt Baltimore. Zugegeben: Mir ist etwas mulmig zumute - ich verbinde mit der Stadt Drogen, Kriminalität und Korruption - das hat mir David Simon in fünf Staffeln "The Wire" intensiv gezeigt. Doch bei Ankunft überrascht mich Baltimore: Es gibt ein nettes Hafenviertel voller amerikanischer Touristen, es ist relativ aufgeräumt und kostenlose Hybridbusse fahren mich durch die Innenstadt. Keine Spur von "The Wire".
    "Ob es dir gefällt oder nicht, Baltimore ist wie eine Familie mit sechs oder acht Kindern und einem Problemkind namens 'The Wire'."
    Die anderen Kinder, das sind für Stadtführerin Zippy Larson all die schönen Ecken und Gegenden der Stadt, die man in "The Wire" nur leider nicht sieht. Tatsächlich hat Baltimore mehr zu bieten, deswegen gefällt den Offiziellen der Stadt die ständige Verbindung zum Fernsehepos so gar nicht. Für die Tourismusbehörde ist David Simon und seine Arbeit über Baltimore, allen voran "The Wire", ein rotes Tuch. Meine Interviewanfragen dazu werden abgelehnt. Oder wie Zippy es ausdrückt:
    "Für die kann das Radiergummi gar nicht groß genug sein, um 'The Wire' auszuradieren."
    Die 81-jährige Dame, die seit den frühen 80er-Jahren Führungen durch ihre Heimatstadt anbietet, versteht diese Haltung nicht:
    "'The Wire' ist eben sehr interessant für Menschen aus der ganzen Welt. Leute schreiben mir oder rufen an: Wir kommen nach Baltimore, können Sie uns die Drehorte zeigen? Mache ich gerne. Ich nutze das dann, um ihnen gleichzeitig ein bisschen was über Baltimore zu erzählen. Es gibt doch kein Gesetz, dass mir verbietet ihnen noch etwas mehr beizubringen."
    David Simon und Baltimore
    David Simon, der Erfinder der Serie, ist im benachbarten Washington D.C. geboren, zieht aber mit 22 nach Baltimore und wird Journalist bei der hiesigen Tageszeitung "The Baltimore Sun". Ziemlich schnell beschäftigt er sich mit den derben Realitäten der Stadt: Als Polizeireporter hat er täglich in den nicht so schönen Vierteln der Stadt zu tun, Baltimore versinkt an manchen Ecken im Drogenkrieg. Er selbst erinnert sich:
    "Detective Bill Lansey sagte mir damals: Alter, einer müsste mal nur für ein Jahr bei uns in der Mordkommission alles aufschreiben. Als wir dann ein paar Jahre später bei der Zeitung streiken mussten, und ich danach keine Lust mehr auf den Newsroom hatte, erinnerte ich mich an die Worte des Detectives. Der damalige Police Commissioner ließ mich dann tatsächlich in die Mordkommission - und daraus wurde das Buch."
    Aus David Simons Buch "Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Straßen" entsteht in den 90ern die viel beachtete NBC-Polizeiserie "Homicide: Life on the Street". Bereits diese Serie zeigte den mörderischen Alltag in bestimmten Gegenden Baltimores, wurde hier geschrieben und gedreht. Dieses Prinzip behält Simon bei "The Wire" bei: Baltimore, wo hin man schaut.
    "Das ist so eine Art Liebesbrief, zwar von einem zweifelnden und frustrierten Liebhaber, dennoch ist es eine Liebeserklärung. Ich muss keine Werbung für die Stadt machen, das ist nicht mein Job, das wollte ich nie. Aber die Stadt ist mir und anderen wichtig."
    David Simon lebt noch immer hier. Und obwohl er andauernd betont, dass er Baltimore nur als Metapher für die postindustrielle US-Stadt im Allgemeinen betrachtet, gilt er als Nestbeschmutzer.
    "Als würde jemand deine dreckige Wäsche in die Öffentlichkeit hängen, niemand will seine Dreckflecken auf so einer großen Bühne sehen. Deswegen diese Reaktion."
    Tom Rowe ist auch aus Baltimore und Marketingexperte. Auch er versteht das Verhalten der Stadt nicht.
    "Das ist zunächst einmal eine brillante Serie. Sie hat Baltimore bekannt gemacht, das eröffnet die Möglichkeit, den Rest der Geschichte zu erzählen, das andere Baltimore zu zeigen. David Simon und sein Team haben einen Ausschnitt gezeigt, jetzt ist es der Job von uns, von passionierten Einheimischen, den Rest zu erzählen."
    "Die Serie zeigt eine Seite der Stadt, es gibt aber noch so viel mehr"
    Rowe hat selbst fünf Jahre lang im Tourismusbüro der Stadt gearbeitet. Er war und ist ein Fan von "The Wire". Für ihn war schon damals klar: Wir sollten nicht gegen die Serie kämpfen, sondern sie nutzen.
    "Das war die Möglichkeit in einen Austausch zu gehen: Die Serie zeigt eine Seite der Stadt, es gibt aber noch so viel mehr! Diese andere Seite, die wir hier alle so lieben, passte eben nicht in 'The Wire'. Das wäre der Serie auch nicht gerecht geworden."
    Viele glauben hier, dass die Stadt eine ganz große Chance verpasst. Andere Städte machen vor, wie man erfolgreich vor Ort gedrehte Serien touristisch nutzen kann: etwa Albuquerque mit "Breaking Bad". Sicher: Baltimore hat große Probleme: Es gibt No-Go-Viertel, in die ich während meines Aufenthaltes nicht fahre. Wie in so vielen anderen amerikanischen Städten wird auch dort der War on Drugs weiterhin ausgefochten. An anderen Ecken zeigt sich mir Baltimore ganz anders: Viertel mit kleinen Läden, Cafés und Bars. Auch David Simon selbst findet, dass sich Baltimore nicht verstecken muss:
    "Unser Essen ist besser, unser Bier ist kälter und unsere Viertel sind es wert, darin zu wohnen. Unsere Stadt ist eben viel echter als andere! Wer offen dafür ist, den begrüßen wir gerne."