Chinas Staatsfernsehen berichtet hoch und runter am vergangenen Dienstag. Kein Versuch, irgendetwas zu verbergen, sondern eine offensive Linie in den kontrollierten Medien. Die Moderatoren beschreiben, wie der US-Zerstörer "Lassen" durch angeblich chinesische Hoheitsgewässer vor den Spratly-Inseln gefahren sei und zitieren empörte Reaktionen von Regierungsvertretern, etwa des chinesischen Botschafters in den USA, Cui Tiankai:
"Das ist ein ernster Angriff der Vereinigten Staaten auf Chinas Sicherheit und Souveränität. Seit 1979 haben die USA unter dem Vorwand der sogenannten Freiheit der Schifffahrt die Rechte von 30 Nationen verletzt. Sie dringen in die Gewässer anderer Länder ein und stellen deren Hoheitsrechte infrage."
In ähnlichem Ton geht es seither weiter. Manchmal auch aggressiver:
"Das chinesische Militär hat die Aufgabe, die nationale Sicherheit und Gebietshoheit zu verteidigen", so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. "Wir sind entschlossen, sind in der Lage und haben genügend Optionen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um mit jeglicher Sicherheitsbedrohung umzugehen."
Chinas oberster Marineadmiral warnte zuletzt ganz direkt vor dem Ausbruch eines Krieges. Die heftige verbale Reaktion steht allerdings im Gegensatz zur militärischen. Man habe den US-Zerstörer verfolgt und gewarnt, heißt es aus Peking. Gestoppt haben die Chinesen ihn aber nicht.
Peking beansprucht fast das gesamte Südchinesische Meer
Peking steht vor einem Dilemma. Einerseits ist da der eigene Anspruch, wonach fast das gesamte Südchinesische Meer chinesisch ist. Das lernt in China seit Jahrzehnten jedes Schulkind und gilt als nicht verhandelbar. Jede in China veröffentlichte Landkarte der Volksrepublik muss in einem Extrakasten das weite Meeresgebiet bis vor die Küsten Borneos abbilden mit der gestrichelten Linie, die Chinas Grenze andeutet. Es gibt eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung, dass Peking durchgreift und die Ansprüche verteidigt. Ein Ergebnis jahrelanger nationalistischer Propaganda:
"Der Anstieg des chinesischen Nationalismus in den vergangenen 20 Jahren ist komplett auf den Staat zurückzuführen. Er wurde von diesem gepflegt, beworben, unterstützt und sogar bezahlt", sagt der kritische Militärexperte Zhao Chu. "Die nationalistischsten Medien haben alle enge Beziehungen zur Regierung oder werden von ihr finanziert."
Schwäche kann sich die Regierung vor dieser Bevölkerung, die nach nationaler Größe dürstet, nicht erlauben. Peking könnte dem nächsten US-Zerstörer, der vor Chinas aufgeschütteten Inseln auftaucht, mit eigenen Schiffen den Weg blockieren oder ihn einkreisen.
Doch wie weit will Peking gehen? Ein militärischer Konflikt mit den USA wäre für alle Seiten desaströs. Nicht zuletzt für China, das noch Ruhe und Zeit braucht, um seinen Aufstieg zur Weltmacht zu vollenden.
"Es ist klar, dass die Amerikaner nicht in der Lage zu einer großen Militäroperation oder gar einem Krieg in der Region sind. China hat nicht den Willen und die USA nicht die Kapazitäten dafür. Ich sehe deshalb keinen Grund, warum es jetzt zu einem militärischen Konflikt zwischen den beiden Nationen kommen sollte."
Sagt Zhao Chu. Er glaubt sogar, dass die Aktion der Amerikaner vorher mit Peking abgesprochen gewesen sein könnte – als eine Art kontrollierte öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheit. Denn tatsächlich läuft die Kommunikation und Kooperation zwischen den beiden Giganten professionell und eingespielt. Xi Jinping war vor einem Monat auch erst zu Besuch bei Barack Obama.
Gerangel birgt Risiken
Doch was, wenn doch mehr dahinter steckt? Wenn die Amerikaner nun regelmäßig Schiffe schicken? Sebastian Heilmann, der Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien in Berlin:
"Problematisch wird es dann, wenn Zufallsereignisse geschehen, zufällige militärische Konfrontationen: Zwei Boote stoßen zusammen oder Militärflugzeuge haben eine Kollision. Das hatten wir in der Vergangenheit schon in Ansätzen. Das ist der eine Risikofall. Und der andere Risikofall ist natürlich eine politische Krise in China, die zu härteren außenpolitischen Reaktionen führen kann."
Nach beidem sieht es im Moment noch nicht aus. Doch das Gerangel im Südchinesischen Meer könnte ein Vorbote für einen sich anbahnenden Großkonflikt in der Zukunft sein. Es geht um die Vorherrschaft in Ostasien. Die Amerikaner sehen sich auch als asiatisch-pazifische Macht, haben enge Verbündete vor Chinas Haustür: Japan, Südkorea, Taiwan.
China wiederum will die Amerikaner zurückdrängen und selbst zur regionalen Ordnungsmacht aufsteigen. Die Rivalität dürfte immer weiter zunehmen. Wichtig wird dabei sein, wer die Anrainerstaaten in der Region auf seine Seite bringen kann. Chinas Staatschef Xi Jinping reist kommende Woche nach Vietnam. Ein heikler Besuch, denn auch mit Hanoi steht Peking im Konflikt wegen der Inseln im Südchinesischen Meer.