Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Thomas Kielinger, Publizist und Journalist in London. Er hat mehrere Bücher über Großbritannien geschrieben. Guten Abend, Herr Kielinger!
Thomas Kielinger: Guten Abend!
Dobovisek: Da stehen sie Seit an Seit zusammen, Emmanuel Macron aus Frankreich, Donald Trump aus den USA, Theresa May und Queen Elisabeth aus Großbritannien, mit dabei auch die Bundeskanzlerin, vereint in Erinnerung. Wie wichtig ist so ein Tag wie heute für das Miteinander, das in letzter Zeit eher zu einem Gegeneinander geworden ist?
Kielinger: Symbolpolitik ist sehr wichtig. Dass es solche Gedenktage gibt und dass man sie ernst nimmt, ist ein Zeichen, dass wir noch immer investieren in ein Klima der Freundschaft, von Allianzen und des Zusammenwirkens, auch wenn in der Politik manches heute dagegen spricht und die Protagonisten nicht das tun, was sie hier so feierlich beschwören. Aber man soll es nicht unterschätzen. Die Erinnerung bleibt, es war ein bewegendes Schauspiel, so will ich es fast nennen, ein bewegendes Treffen, und man kann es nicht vom Tisch wischen.
Dobovisek: Bewegt war auch die Queen. Das haben wir ganz stark heute vernommen. Wieviel Brexit-Sorge schwingt da denn mit, wenn die Queen heute so deutlich, so emotional für ihre Verhältnisse, muss man sagen, das Miteinander lobt?
Kielinger: Sehr viel Sorge, denn das Miteinander ist ja in der britischen Politik im Moment überhaupt nicht vorhanden. Dieses Land ist furchtbar gespalten, furchtbar in Unordnung, fast im Abstieg mit seiner politischen Kultur und der Qualität, die wir einmal berühmterweise an England hervorhoben. Das macht ihr große Sorgen. Nicht so sehr der Ausgang, wie das geht, die Beziehung zur EU, als vielmehr dieser tiefe Zwist, dieses unvereinigte Königreich, das sie sieht. Das ist ein großes Problem für sie.
"Frau May ist die gestrige Erscheinung"
Dobovisek: Und versöhnliche Töne wie heute können nichts daran ändern?
Kielinger: Nein, denn England ist im Übergang. Unter all diesen Staatsoberhäuptern und Regierungschefs, die dort versammelt waren, ist ja Frau May sozusagen die gestrige Erscheinung. In ein paar Tagen tritt sie zurück und ab von der Bühne und da weiß man gar nicht, was kommt. Um Himmels willen! Die Gespräche, die da geführt wurden, haben einen offenen Ausgang, weil man nicht weiß, wen wir nächstens in London als Premierminister oder Premierministerin vor uns haben werden.
Dobovisek: Sie sprechen die Gespräche an, Herr Kielinger. Es ging ja vor dem Gedenken auch um den Staatsbesuch des US-Präsidenten in London. Mit Pauken und Trompeten wurde er empfangen, roter Teppich, Staatsbankett mit Frack und Queen. Könnte man all das auch als ein Werben der Briten um gute Beziehungen zu den USA nach dem Brexit verstehen?
Kielinger: Ja, gewiss! Obwohl ich sagen muss: Dieses, was Sie Werben nennen um gute Beziehungen, das können die Briten fabelhaft. Staatsempfänge und Bankette im Buckingham-Palast sind ihre große Trumpfkarte. Die spielen sie aus, wann immer sie können, und man kann es sehen als eine Investition in die gute Zusammenarbeit. Aber ich glaube schon, auch wenn das Rutine ist. Staatsbesuche sind Rutine und die Briten sind Meister der Zeremonie. Das wissen wir seit langem. Gegenüber einem Mann, der in der Öffentlichkeit so bezweifelt, wenn nicht verhasst wird, ist es natürlich ein Signal – durchaus! Es ist ein Versuch, Trump im Ansehen auch der eigenen Bevölkerung ein bisschen zu erheben und zu verbessern. Das soll man nicht unterschätzen.
"Jedes zweite Wort bei Trump und seinen Beratern ist Deal Making"
Dobovisek: Jetzt spricht Trump ja von guten Deals, sobald die Briten ihre europäischen Fesseln los seien. So sagt er es. Kann sich London auf diesen Partner in Washington verlassen?
Kielinger: Ja, das ist die große Frage, die man hier stellen muss. Wie soll man auf einen Mann sich verlassen können, der heute dies, morgen das sagt und ständig seine Meinung ändert, auch was Deals angeht. Jedes zweite Wort bei Trump und seinen Beratern ist Deal Making. Einen Deal kann er nicht aus dem Zylinder zaubern. Der Kongress hat ein entscheidendes Wort darüber, was immer da rauskommt, abgesehen davon, dass Deals unendlich lange dauern, wie wir wissen. Das sind Versprechungen, auf die man nicht allzu viel geben sollte.
Dobovisek: Und trotzdem: Die Beziehungen, vor allem die wirtschaftlichen zu den USA ein wichtiger Strohhalm für die Brexitiers in Großbritannien, weil es der einzige Strohhalm ist. Denn es gibt ja bisher nichts Vorweisbares, was ausgehandelt wäre mit anderen Nationen. Was, wenn dieser Strohhalm bricht?
Kielinger: Ja, das ist richtig. Aber man darf nicht vergessen: Es wird ein bisschen Weltuntergangsstimmung über diese nicht vorhandenen Deals mit anderen verbreitet. Zum Beispiel die Beziehungen zu den USA wirtschaftlich blühen in England. Amerika ist der größte Exportrezipient der britischen Wirtschaft und vieles läuft auch ohne Vertrag. Man hängt diesen Vertrag und wie er aussehen wird ein bisschen zu hoch. Deshalb brechen nicht die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Insel und Amerika zusammen, wenn es erst mal nach dem Brexit keinen neuen Vertrag gibt.
"Das ist ein großes Vabanque-Spiel"
Dobovisek: Aber sie würden komplizierter?
Kielinger: Sie würden komplizierter, gar kein Zweifel, und England spielt mit dem Feuer. Das ist ein großes Vabanque-Spiel, wie wir wissen, und wir wissen übrigens noch gar nicht, wie es ausgeht, denn bis zum 31. Oktober kann noch viel Wasser die Themse runterlaufen. Also warten wir mal ab.
Dobovisek: Jetzt kennen wir den einen Verhandlungspartner, wenn wir bei den Beziehungen zwischen den USA und Großbritannien bleiben. Wir kennen Donald Trump auf der einen Seite.
Kielinger: Wir glauben ihn zu kennen, ja!
"Jetzt im Moment ist hoch im Kurs Boris Johnson"
Dobovisek: Wir glauben ihn zu kennen. Aber wir kennen auf jeden Fall den anderen Verhandlungspartner, den möglichen, nicht, der ab Montag oder auch später dann von London aus die Geschäfte führen wird, denn Theresa May packt ihre Koffer, ist ab Montag offiziell verschwunden, auch wenn sie erst mal noch bleiben wird, bis die Nachfolge geregelt ist. Wer wird denn folgen?
Kielinger: Ja, sie ist so was wie eine Hausmeisterin der Downing Street zwischen jetzt und der endgültigen Entscheidung der Tory-Basis, wer es wird. Jetzt im Moment ist hoch im Kurs Boris Johnson, der vor einiger Zeit noch gar nicht richtig wirksam war, weil wir wussten, dass die Mehrheit der Fraktion der Tories ihn eigentlich nicht mag. Aber der Zustand der konservativen Partei in England ist so dramatisch und so desperat, dass sie inzwischen auch den Boris Johnson schluckt, der bekanntlich nicht unbedingt den Ausweis von großer staatsmännischer Kunst an den Tag gelegt hat.
Aber er hat eines, womit er herausragt überall: Er ist ein Populist, er ist ein Magnet, er hat Charisma und er weiß sich auszudrücken und einzubringen und wird als derjenige gehandelt, der einen Farage und einen Corbyn auf die Plätze verweisen kann. Das heißt, die Tories wollen im Moment gar nicht den Mann suchen, der am besten regieren wird. Das wissen wir alle gar nicht, wie so ein Mann regieren wird. Aber sie glauben, er ist der geborene Gewinner, der die Partei wieder nach vorne bringt. Das spielt jetzt die erste Rolle und insofern ist es wirklich Boris Johnson, mit dem wir, ich glaube, rechnen müssen.
Dobovisek: Und was würde das für den Brexit bedeuten, wenn wir einen Strich darunterziehen unter unser Gespräch?
Kielinger: Sie fragen lauter unbeantwortete Fragen.
Dobovisek: Deshalb frage ich sie ja!
Kielinger: Die sind deshalb unbeantwortbar, weil Johnson, was beim Brexit eine Rolle spielt, sagt, ich würde auch rausgehen ohne einen Vertrag. Das aber ist für das Parlament natürlich nicht akzeptabel. Wir kriegen dann eine Verfassungskrise, wenn der neugewählte Premierminister gleich auf einen Ausgang ohne Vertrag zugeht. Wie soll das ausgehen? Das ist der Stolperpunkt, über den wir heute noch gar nichts sagen können. Johnson, glaube ich, dem traue ich zu, dass er seine Haltung ein bisschen verändern wird und umgänglicher wird. Aber fragen Sie mich nicht: Niemand kann Ihnen heute sagen, wie das ausgeht, dieser Konflikt mit dem Parlament über einen Ausgang ohne einen Deal.
Dobovisek: Das werden wir sehen, morgen, übermorgen, vielleicht auch erst in weiter Zukunft.
Kielinger: Ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.