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USA
Von Evangelikalen und Ex-Vangelikalen

Donald Trump stellt Amerikas Evangelikale auf eine harte Probe: Er soll seine Frau mit einem Porno-Star betrogen haben. Ehebruch gilt zwar als schwere Sünde, aber die Mehrheit der konservativen Christen hält zu ihm. Eine Minderheit distanziert sich und fragt sich, wo die Bibeltreue bleibt.

Von Jürgen Kalwa |
    Nach der Begrüßung von Donald Trump verässt Tony Perkins, Vorsitzender des evangelikalen "Family Research Council", die Bühne
    Tony Perkins und Donald Trump auf der "Values Voters Summit" 2017 von der evangelikalen Organisation FRC. (AFP / Brendan Smialowski)
    Neulich in einem Strip-Club in Las Vegas: Der Ansager kündigt die Attraktion des Abends an. Der Laden ist voll.
    "Stormy Daniels brings her 'Making America Horny Again' tour to the trophy club for a one-night performance this Saturday."
    Sie heißt Stormy Daniels und war mal eine der populärsten Porno-Darstellerinnen Amerikas. Inzwischen arbeitet die 38-Jährige als Regisseurin in der Branche. Doch wirklich berühmt ist sie erst seit Kurzem. Weniger für die eine Nacht im Sommer 2006 mit Donald Trump in einem Hotel in Nevada. Sondern dafür, dass sie - im Präsidentschaftswahlkampf 2016 - einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge – für ihr Schweigen von Trumps Anwalt 130.000 Dollar erhielt.
    Ein "Mulligan" für Ehebrecher
    Die Transaktion wurde so gut wie möglich verschleiert. So ist bis heute nicht bekannt, aus welchen Quellen das Geld stammt. Aber es gibt einen Verdacht, weshalb der Vorgang so intensiv kaschiert wurde – mit Pseudonymen und Briefkastenfirmen. Sollte der Betrag aus einem Wahlkampffonds gekommen sein, wäre das illegal gewesen.
    Umso klarer ist, was die prominentesten Meinungsführer unter Amerikas evangelikalen Christen von der Affäre halten. Sie, die Trump die Steigbügel hielten und für Millionen von Stimmen sorgten. Dass Trump damals seine Frau betrogen haben könnte, die mit einem vier Monate alten Baby zu Hause saß, ist für sie kein Problem.
    Tony Perkins, Chef einer Organisation namens "Family Research Council", deren Mission es ist, Werte wie Glaube, Familie und Freiheit im politischen Raum zu propagieren, halten viel von Vergebung und vorauseilender Absolution. Man gebe Trump einen "Mulligan" – ein Wort aus dem Golfsport, wo man – unter Freunden – gerne mal die Regeln verbiegt und einem Mitspieler erlaubt, einen misslungenen Schlag straffrei zu wiederholen. Mit anderen Worten: Das sechste Gebot hat seine Schuldigkeit getan. Ehebruch - bisher eine schwere Sünde - ist nur noch ein Kavaliersdelikt.
    "We kind of gave him – Alright, you get a mulligan. You get a do-over here."
    Franklin Graham, der die Billy Graham Evangelistic Association seines berühmten Vaters fortführt, würde sich am liebsten gar nicht erst mit derart substanziellen theologischen Problemen beschäftigen.
    "This happened 11, 12, 13, 14 years ago. And so, I think there is a big difference and not that we give anybody a pass, but we have to look at the timeline and that was before he was in office."
    Der Seitensprung sei viele Jahre her, sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN. "Das war, ehe er Präsident wurde." Und nicht nur das: Graham glaubt zu wissen, wie Donald Trump die Wahl gewinnen konnte, obwohl er bekanntlich Millionen weniger Stimmen als seine Gegenkandidatin erhielt.
    "Ich glaube, er ist Präsident aus einem Grund: Gott stellte ihn dorthin."
    Dann müsste Gott logischerweise allerdings auch hinter einem anderen Programm stehen: der Absetzbewegung einer wachsenden Zahl von amerikanischen Protestanten. Im Herbst etwa strich eine Kirchengemeinde in der Universitätsstadt Princeton das Wort "evangelikal" aus ihrem Namen, weil "Studenten mit dem Begriff nichts anfangen können oder ihn missverstehen."
    Ministerämter statt Moralkeulen
    Kein Wunder. Auf der politischen Bühne suchen die führenden Figuren, die früher gerne von der "Moral Majority" fabulierten und von traditionellen Wertvorstellungen, längst nicht mehr nach einer Rechtfertigung in der Bibel für ihre Positionen. Weil ihnen Trump genau das gewährt, wonach sich sehnen: Ministerämter, rechtskonservative Richter in einflussreichen Positionen und eine heftige Dosis Kulturkampf mit dem Ziel Abschaffung des Rechts auf Abtreibung und der Gleichberechtigung von Homosexuellen.
    "Conservatives and even some without strong ideology are tired, they were tired of being kicked around by Barack Obama and his leftists. And I think they are finally glad that there's somebody on the playground that is willing to punch the bully."
    Konservative seien es "leid gewesen, von Barack Obama und seinen Linken herumgeschubst zu werden", sagte Tony Perkins vor ein paar Tagen. "Und die sind froh, dass endlich mal jemand kommt und diesem Raufbold", wie er Obama nennt, "eine verpasst".
    Solch Agitprop-Attacken irritieren viele junge Amerikaner, die in strenggläubigen Familien aufgewachsen sind. Viele steigen aus dem Milieu aus. Einige üben lautstark Kritik und haben einen sinnigen Begriff geprägt: Sie nennen sich 'Exvangelical'. Es sind keine Häretiker, die eine andere Auslegung der Bibel verlangen, sagt Christopher Stroop, einer der Köpfe der Bewegung gegenüber dem Deutschlandfunk. Es geht um das Bloßstellen eines politischen Kalküls.
    Stroop sagt: "Wir reden hier hauptsächlich von weißen Evangelikalen, von denen die große Mehrheit extrem konservativ sind. Sie wollen oft gar nicht zugeben, dass sie Rassisten sind. Aber sie geben ständig ihre Stimme für Leute ab, die die alten, weißen, patriarchalischen Machtstrukturen bewahren wollen. Für Probleme von dunkelhäutigen Menschen haben sie beim besten Willen kein Ohr."
    "So etwas würde der Jesus nicht tun"
    Sich aus solchen Strukturen zu lösen, ist leichter gesagt als getan und oft mit großen persönlichen Verlusten verbunden, weiß Blake Chastain, der ursprünglich mal Pastor werden wollte, aber den Plan während des Studiums aufgab. Heute betreibt er von Chicago aus den "Exvangelical Podcast" und dokumentiert hier in Interviews die Erfahrungen vieler anderer, die aus ähnlichen Motiven konsequent ihre religiösen Bindungen aufgaben. Er gehört zu einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit mehr als 1.600 gleichgesinnten Mitgliedern, die sich gegenseitig unterstützen:
    "Es gibt Gemeinsamkeiten", sagt Chastain. "Manche akzeptieren nicht länger, was in der Bibel steht. Oder dass die Evolution in Frage gestellt wird. Was mich frustriert, ist, dass sich die Institutionen, die in meiner persönlichen Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt haben, in was verwandelt haben, was so zerstörerisch und abscheulich für die Gesellschaft ist. Diese kontinuierliche Koalition mit einer Partei, die nicht das Beste für ihre Wähler im Sinn hat, sondern offensichtlich nur die Mächtigen stützt. So etwas würde der Jesus, der im Tempel die Tische umgeworfen hat, nicht tun. Und dann noch diese stillschweigende oder auch offene Zustimmung zu den Alt-Right-Ideen von weißer Vorherrschaft. Das macht mich extrem traurig und extrem wütend."
    Ein Gefühl, das die wenigsten – weißen – Evangelikalen teilen. Eine Umfrage der "Washington Post" ergab im Dezember, dass 68 Prozent die Arbeit von Donald Trump im Weißen Haus gutheißen. Das sind doppelt so viele wie der Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung. Und auch mehr auch als bei den Angehörigen aller anderen Glaubensgemeinschaften.