Waffenrecht in den USA
Die Freiheit, eine Waffe zu tragen

Die USA halten an ihrem individuellen Waffenrecht fest – trotz 50.000 Toten durch Schusswaffen im Jahr. Doch ist es wirklich in der Verfassung verankert? Die Geschichte zeigt: Das US-Waffenrecht basiert vor allem auf einem Mythos.

    Ein Befürworter der US-Waffenlobby trägt eine Schusswaffe am Gürtel.
    Mehr als 40 Prozent der US-Amerikaner besitzen nach eigenen Angaben mindestens eine Schusswaffe. (picture alliance / imageBROKER / Jim West)
    Das Recht, eine Waffe zu besitzen, hat in den USA viele Anhänger. Dahinter steckt auch die Erzählung, die ersten weißen Siedler in Nordamerika hätten das Land mit der Waffe in der Hand der Natur und den Indigenen abgetrotzt. Auch der Kampf gegen die britische Kolonialmacht spielt eine Rolle – Land und Freiheit gab es demnach nur durch Waffen.
    Doch ist der individuelle Waffenbesitz wirklich in der Verfassung garantiert? Oder handelt es sich um einen Mythos?

    Inhalt

    Was besagen die Statistiken zum Waffenbesitz in den USA?

    Mehr als 40 Prozent der US-Amerikaner besitzen nach eigenen Angaben mindestens eine Schusswaffe. Statistisch gibt es in den USA sogar mehr Waffen in Privatbesitz als Einwohner. Rund 50.000 Menschen sterben jedes Jahr durch Schusswaffen.
    Immer wieder schrecken Amokläufe an Schulen die Öffentlichkeit auf. Danach beginnt eine Diskussion über die Verschärfung des Waffenrechts, ohne einschneidende Konsequenzen. Schusswaffenverletzungen waren im Jahr 2022 die häufigste Todesursache für Kinder und Jugendliche in den USA. Das geht aus Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC hervor.
    Die Grafik zeigt die Zahl der Todesopfer bei Amokläufen an Schulen in den USA seit 1989
    Schusswaffen sind eine häufige Todesursache für Kinder und Jugendliche in den USA. (Statista)

    Auf welchen historischen Ereignissen gründet das Waffenrecht in den USA?

    Waffen garantieren Freiheit: Diese Haltung geht auf die Siedlungsgeschichte der USA im 17. und 18. Jahrhundert zurück, als weiße Europäer immer größere Teile des nordamerikanischen Kontinents besiedelten. Bei ihrer Suche nach fruchtbarem Land, Wohlstand und neuen Chancen im Westen nehmen die Siedler kaum Rücksicht auf Indigene. Es gilt das Recht des Stärkeren. Waffen werden gegen Einheimische, andere Siedler und wilde Tiere eingesetzt.
    Ein "kolonialer und auch genozidaler Prozess" sei die Westwanderung gewesen, betont der Historiker Jürgen Martschukat. Im Nachhinein sei diese Geschichte aber zunehmend als ein "amerikanischer Mythos" beschworen worden.
    Das hängt auch mit dem Kampf gegen die Kolonialherren zusammen: Am 4. Juli 1776 erklären die britischen Kolonien ihre Unabhängigkeit. Den anschließenden Krieg gegen die britische Kolonialmacht gewinnen die Amerikaner. So entsteht ein Teil des Mythos vom gerechten Kampf gegen einen übermächtigen Feind, verbunden mit Freiheitsrechten und Demokratie. Das Ganze, wie Martschukat hervorhebt, "immer in göttlichem Auftrag".

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    Bis heute werde dieser Mythos zelebriert: "Aus dem speist sich auch sehr stark die Vorstellung, dass das Recht, Waffen zu besitzen, eins sei, was historisch eingeschrieben sei, in die DNA der Amerikanerinnen und Amerikaner."

    Garantiert das Second Amendment der US-Verfassung das individuelle Waffenrecht?

    Die amerikanische Verfassung, die Bill of Rights, tritt 1789 in Kraft. Die Waffenfans in den USA berufen sich stets auf den Zweiten Verfassungszusatz (Second Amendment), der 1791 verabschiedet wurde. Dort heißt es: "A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed." Auf Deutsch: "Da eine gut regulierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht verletzt werden."
    Der von der Kolonialmacht England unabhängige, freie Staat sei "das Zentrum, das Ziel" dieses zweiten Zusatzartikels gewesen, erklärt die Historikerin Dagmar Ellerbrock. "Es ist ein kollektives Recht. Es geht um kollektives Waffentragen in Bürgerwehren, in Milizen. Das hat mit individuellen Waffenrechten überhaupt gar nichts zu tun."
    Auch in anderen Ländern sei das ähnlich festgehalten worden: "Das war die Pflicht der Vaterlandsverteidigung", so Ellerbrock. Die "Uminterpretation in Richtung auf ein individuelles Waffenrecht" habe erst später stattgefunden.
    Darüber, ob sich aus dem zweiten Verfassungszusatz ein Recht des einzelnen Bürgers auf das Tragen von Waffen ableiten lasse, wurde in den USA lange gestritten. Der Supreme Court entschied das 2008 – im Präzedenzfall District of Columbia v. Heller. Demnach schützt der Zusatzartikel das individuelle Recht auf Waffenbesitz. "Damit wird durch Richterrecht quasi etwas Neues in diese Waffenkultur eingespeist. Und das ist natürlich etwas, was ganz schwer dann nur noch zurückzudrehen ist", sagt Ellerbrock.

    Was hat weiße Männlichkeit mit dem Waffenrecht zu tun?

    Verfechter des individuellen Waffenrechts führen gern eine angebliche Bedrohung an, gegen die es sich zu wehren gilt. Die Bewegung "Make America great again" stehe auch für ein "Make America white again", sagt der Historiker Jürgen Martschukat.
    Amerika wieder zu alter Größe zu verhelfen – das sei bereits ein Wahlspruch Ronald Reagans gewesen. Damals, in den 70er- und 80er-Jahren, habe ein "White Backlash", ein weißer Gegenschlag, gegen die Veränderung der Gesellschaft in den USA stattgefunden: eine Reaktion auf die Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, auf Rechte für Schwarze Menschen und eine linksliberalere Politik: "Dieser White Backlash hatte dann noch ganz viel mit Selbstbewaffnung und Waffenbesitz zu tun, also wehrhaft sein und Rechte für sich in Anspruch nehmen, die die Bundesregierung dem ‚rechtschaffenen, guten amerikanischen Bürger‘ zunehmend verweigerte, indem sie versuchte, Waffenkontrollgesetze in stärkerem Maße auf den Weg zu bringen."
    Es sei kein Zufall gewesen, dass eine der "großen Ikonen" dieser Gegenbewegung Ronald Reagan gewesen sei, so der Historiker. Erstmals sei damals ein "großer Westernheld" – Reagan war Schauspieler – zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden.
    Auch den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ordnet Martschukat in diese Erzählung ein: "Er versucht jedenfalls eine Form von widerständiger, weißer, gewaltbereiter Männlichkeit zu kultivieren, die auch mit der Siedlungsgeschichte verbunden wird."

    Welchen Einfluss hat die National Rifle Association (NRA)?

    Die NRA – National Rifle Association – ist eine nach eigenen Angaben über fünf Millionen Mitglieder starke und von der Waffenindustrie finanziell geförderte Lobby-Organisation. Sie brandmarkt jeden Versuch, das Waffenrecht einzuschränken, als Verstoß gegen die verfassungsmäßigen Freiheitsgrundsätze.
    Im Jahr 1968 unterstützte sie noch eines der großen US-Waffengesetze infolge der Attentate auf die Kennedy-Brüder und auf Martin Luther King, so die Historikerin Dagmar Ellerbrock. Später hätten sich radikale Kräfte in der Organisation durchgesetzt: "Das sind eben die, die traditionellere Weltbilder haben, die sehr verunsichert sind durch diese Reform-Epoche der 60er-Jahre."
    Der Einfluss der NRA sei über Jahrzehnte gewachsen, sagt Ellerbrock. Als "Zaubermittel" habe sich ihr Ratingsystem erwiesen – Noten für Politiker je nach deren Haltung zum Waffenrecht. Die NRA sammle erfolgreich Geld ein und sei sehr gut darin, sich an andere Netzwerke anzuschließen, so die Historikerin. In den 1960er-Jahren habe die NRA auch Verbindungen zum Ku-Klux-Klan unterhalten, dem rassistischen Geheimbund, auf dessen Konto zahlreiche Verbrechen gehen.
    Der erste US-Präsident, dessen Wahlkampf die NRA unterstützte und finanzierte, war Ronald Reagan. Er war 1981 bis 1989 im Amt. Bis heute beeinflusst die Lobbyorganisation die Politik und unterstützt im Wahlkampf Donald Trump.

    Wie stehen die Chancen, dass die Waffengesetze geändert werden?

    Nicht nur konservative Republikaner unterstützen das Recht auf Waffenbesitz, sondern auch der Demokraten. Wie zum Beispiel Tim Walz, Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten unter Kamala Harris. Der bekennende Jäger, der früher auch die NRA unterstützte, hat seine Haltung zur Waffenpolitik geändert. "Er geht immer noch zum Jagen und er hat immer noch eine Sympathie für die Armee", sagt die Historikerin Dagmar Ellerbrock. "Aber er sagt, die Waffen, die wir zum Jagen brauchen, die haben in Schulen nichts zu suchen."
    Harris' Entscheidung für Walz sei eine "strategisch sehr kluge Entscheidung" gewesen, ist Ellerbrock überzeugt: Walz könnte den "Waffendiskurs wieder an seine Ursprünge vor dieser Radikalisierungsphase der 60er-Jahre" zurückführen. Ihm gehe es darum, Schnellfeuergewehre zu regulieren und die sogenannten "Red-Flag-Gesetze" zu installieren. Damit könnten zum Beispiel einem psychisch auffälligen Menschen zeitweise die Waffen entzogen werden.
    "Es gibt so einen leisen Hoffnungsschimmer am Horizont, dass wir eine Phase jetzt erleben könnten, in dem sich die Entwicklung wieder beruhigt und wieder dem Mainstream annähert, also wir auch in den USA Waffenregulierungen sehen", meint Ellerbrock. Entscheidend sei die Präsidentschafts- und Kongresswahl – und inwieweit sich nicht nur Demokraten, sondern auch Republikaner trauen, Position gegen die NRA zu beziehen.

    bth