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USA-Wahl
FBI-Entscheidung "kommt vielleicht sehr spät"

Nach der jüngsten Erklärung des FBI zu Hillary Clintons E-Mail-Affäre wird gerätselt, ob die Entlastung der US-Präsidentschaftskandidatin noch hilft. Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer bezweifelt das. Über konservative US-Medien würden bereits Gerüchte gestreut, dass es doch noch eine Anklage geben werde, sagte er im Deutschlandfunk.

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Europäischen Grünen, spricht am 22.11.2015 in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen.
    Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Europäischen Grünen. (picture alliance/dpa - Sebastian Willnow)
    Wenige Stunden vor der Wahl komme die Entscheidung des FBI vielleicht sehr spät, sagte das Mitglied der USA-Delegation des Europäischen Parlaments im DLF. Zudem verbreiteten offensichtlich anonyme FBI-Quellen über konservative Fernsehsender bereits, es werde doch noch eine Anklage gegen Clinton geben.
    Die Bekanntgabe der erneuten FBI-Ermittlungen vor einigen Tagen habe Clinton schwer geschadet. Prognosen zufolge verlor sie in einer Woche ungefähr 60 Stimmen im Wahlmännergremium, führte Bütikofer aus. Insgesamt benötigt ein Kandidat landesweit 270 Wahlmännerstimmen, um die morgige Abstimmung für sich zu entscheiden. Bütikofer führte aus, er könne sich nicht erinnern, dass Behörden wie das FBI sich in früheren Wahlkämpfen schon einmal derart eingemischt hätten. Normalerweise hielten sie sich raus: "Mit diesem Ethos ist gebrochen worden".
    Große Spaltung des Landes
    Der Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei versuchte, die angespannte Situation in den USA zu verdeutlichen: "Wir in Europa unterschätzen oft, wie fundamental die Spaltung des Landes ist." Selbst wenn Clinton gewinne, sei es nicht sicher, dass die Anhänger des republikanischen Kandidaten Donald Trump und sogar dieser selbst das Ergebnis respektierten. Das habe es in den vergangenen hundert Jahren in den USA noch nie gegeben. Die Spaltung sei so tief, dass eine einzelne Person sie nicht überwinden könne: Trump schon gar nicht, und auch Clinton dürfte dies schwerfallen.
    Um eine Milliarde Dollar bereichert
    Bütikofer warf Trump vor, sich durch Schlupflöcher im Steuersystem bereichert zu haben. Ungefähr eine Milliarde Dollar seien so in dessen eigene Tasche geflossen.
    Der Chef der Bundespolizei, James Comey, hatte in einem Schreiben an den Kongress erklärt, auch die Prüfung von neu aufgetauchten E-Mails Clintons ergäben keine Anhaltspunkte für eine Anklage. Der FBI-Direktor hatte die neuerliche Untersuchung Ende vergangenen Monats bekanntgegeben - was ihm den Vorwurf einbrachte, den Wahlkampf zu beeinflussen. Trump äußerte bei einem Wahlkampfauftritt im Bundesstaat Michigan Zweifel an der Gründlichkeit der Untersuchung. Er sagte, die Ermittlungen müssten weiter gehen.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christiane Kaess: Reinhard Bütikofer ist für die Grünen im Europäischen Parlament. Er ist dort Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Guten Morgen, Herr Bütikofer.
    Reinhard Bütikofer: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Noch mal eine Wende im Endspurt zur Wahl. Wir haben es gerade gehört: Das FBI entlastet Hillary Clinton. Was ändert das noch?
    Bütikofer: Ich bezweifele, dass das jetzt in den letzten wenigen Stunden noch einen großen Effekt haben wird. Die Negativwirkung der Ankündigung des FBI-Chefs vor wenigen Tagen, vor zehn Tagen hat sich für Clinton sehr zum Nachteil ausgewirkt. Sie hat in einer Woche ungefähr 60 Stimmen verloren im Wahlmännergremium nach den Prognosen. Und dass jetzt auf den letzten Metern das noch mal ein bisschen konterkariert wird, kommt vielleicht sehr spät, und zudem gibt es jetzt auch aus den USA Meldungen, dass offensichtlich anonyme FBI-Quellen über konservative Fernsehsender verbreiten, Clinton werde doch angeklagt werden.
    Kaess: Wir haben vorhin von unserem Korrespondenten gehört, es solle Seilschaften im FBI für Trump geben. Ist das eine ganz normale Sache, oder ist das unerhört?
    Bütikofer: Das ist jedenfalls etwas, an das ich mich aus früheren Wahlkämpfen überhaupt nicht erinnern kann. Es galt immer als deren Regel, dass solche entscheidenden staatlichen Behörden sich aus der Politik herauszuhalten hätten. Mit dem Ethos ist offensichtlich gebrochen worden.
    Kaess: Wie erklären Sie sich das? Das würde ja heißen, dass nicht nur das Land polarisiert ist, sondern mittlerweile auch diese Polarisierung in den Behörden angekommen ist.
    Bütikofer: Ich glaube, dass wir von Europa aus vielleicht immer noch unterschätzen, wie fundamental diese politische Spaltung ist, dass es auch nicht nur eine politische Spaltung ist, sondern dass die ganz wesentliche identitäre und kulturelle Elemente hat. Es ist im Moment leider so, dass man befürchten muss, selbst, wenn Clinton gewinnt ist nicht sicher, dass die Trump-Anhänger das respektieren, dass sie das akzeptieren. Trump selber hat in Zweifel gezogen, ob er das Wahlergebnis anerkennen werde, falls er nicht selbst gewinnt. Das ist auch etwas, was es in den USA in den letzten 100 Jahren jedenfalls nicht gegeben hat.
    Kaess: Dahinter steht ja offenbar, dass man kein Vertrauen mehr hat in die Politiker und in die Politik. Woher kommt das?
    Bütikofer: Es hat in einer langen Reihe von Jahren eine Entfremdung gegeben im politischen System der USA, für die nicht nur Trump steht. Auch die sehr erfolgreiche, wenn auch am Schluss nicht durchschlagende Kandidatur von Bernie Sanders hat dafür einen Hinweis geliefert. Eine Entfremdung, die sich sowohl ökonomisch als auch politisch darstellt. In den USA haben in den letzten 20 Jahren sich die Lebensrealitäten der weniger begüterten Bürger nicht verbessert oder sogar verschlechtert. Gleichzeitig ist dieser Eindruck entstanden, dass die Politik gekauft werden kann. Es gab eine berühmte Entscheidung des amerikanischen obersten Gerichts, des Supreme Court, deren Name Citizens United heißt, in der festgehalten worden ist, große Firmen, reiche Privatpersonen können faktisch unbegrenzt mit Geld Wahlkämpfe beeinflussen. Das Gefühl, dass das System nicht mehr den Bürger repräsentiert, sondern reiche Interessen, starke Interessen in die erste Reihe stellt, das ist so stark geworden, dass es da eine fundamentale Erneuerung braucht. Sanders hat so eine fundamentale Erneuerung von einer progressiven Perspektive aus formuliert und Trump verbindet das Versprechen einer fundamentalen Erneuerung mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und Hetze.
    Kaess: Dass die Zustände so sind, wie Sie das jetzt gerade geschildert haben, Herr Bütikofer, wer hat da Schuld, auch die jetzige Regierung und Präsident Obama?
    Demokraten als Partei haben eine Mitverantwortung
    Bütikofer: Präsident Obama ist ins Amt gekommen vor acht Jahren mit dem ernsthaften Willen, glaube ich, über die politischen Gräben hinweg gemeinsam Politik zu machen. Er hat das in seinen ersten vier Jahren jedenfalls immer, immer wieder betont und ist von den Linken eher kritisiert worden, dass er zu sehr versuche, auf die Republikaner zuzugehen. In der zweiten Amtszeit hat er dann stärker auf Konfrontation umgeschaltet, hat sich zum Beispiel, obwohl die Mehrheit im Kongress das nicht wollte, für eine engagiertere Klimapolitik dann in Bewegung gesetzt, was ihm jetzt von dort vorgeworfen wird. Aber ich glaube, Obama kann man noch am wenigsten Verantwortung zuschreiben. Er hat in vielen konkreten Konfliktsituationen immer wieder mit sehr guten, auch Brücken bildenden Reden versucht, die Amerikaner zusammenzubringen. Ich glaube, das ist inzwischen so tief, dass eine einzelne Person das nicht überwinden kann. Aber dass die Demokraten als Partei eine Mitverantwortung haben für diesen Zustand, das kann man meines Erachtens schlechterdings nicht bestreiten. Es ist zum Beispiel jetzt hochgezogen worden im Wahlkampf, wie unverschämt Donald Trump sich selbst bereichert hat, indem er Schlupflöcher im amerikanischen Steuersystem ausgenutzt hat. Ungefähr eine Milliarde US-Dollar hat er sich auf die Art und Weise in die eigene Tasche geschafft. Man kann natürlich schon die Frage stellen, wie kann es sein, dass solche außerordentlich provokativen Schlupflöcher, die jedem Bürger, der normal seine Steuern zahlt, die Zornesröte ins Gesicht treiben müssen, dass die überleben auch in Zeiten, in denen die Demokraten die Mehrheit hatten.
    Kaess: Herr Bütikofer, noch kurz zum Schluss. Wem würden Sie denn jetzt zutrauen, an diesen Missständen was zu ändern? Clinton oder Trump oder überhaupt keinem der beiden?
    Bütikofer: Trump kann man das überhaupt nicht zutrauen. Trump ist ein Populist, ein extremer Narzisst, der unberechenbar ist. Dem geht es auch nicht um das Gemeinwesen, dem geht es nur um sich. Clinton kann man das nur begrenzt zutrauen. Ich glaube, eine Präsidentin Clinton, die von einer starken Strömung zur Reform in der amerikanischen Bevölkerung ein Stück weit getrieben würde, könnte vielleicht dazu beitragen.
    Kaess: Die Meinung von Reinhard Bütikofer, für die Grünen im Europäischen Parlament und dort Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Danke für das Gespräch, Herr Bütikofer.
    Bütikofer: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.