Dienstagmorgen dieser Woche: Ali Ferus ist zu Fuß unterwegs, wird von Polizisten gestoppt. Sie kontrollieren seine Papiere. Der Journalist hat keine gültigen, amtlichen Ausweise. Sie sind ihm, sagt er, vor fünf Jahren gestohlen worden. Doch an ihnen hängt nun praktisch alles.
"Hallo!", meldet sich Ferus wenig später online aus dem Polizeiauto. "Ich bin festgenommen worden, sie fahren mich zu einer Polizeistation im Bezirk Basmannyj. Leutnant Kalaschnikow hat mich festgenommen; die Nummer seiner Dienstplakette lautet 017889."
Wertvolle Arbeit: Schreibt über Migranten aus Zentralasien
Am Abend wird er einem Richter vorgeführt. Ali Ferus, unter diesem Namen hat der Journalist veröffentlicht. Eigentlich heißt er Hudobeidi Nurmatow. Der Richter entscheidet, dass er abgeschoben werden soll – in sein Geburtsland Usbekistan.
Beamte bringen ihn zur Abschiebehaft. "Wir sind hier!", rufen Aktivisten vor dem Gerichtsgebäude. Am nächsten Tag heißt es, Ferus habe versucht, sich umzubringen, um der Abschiebung nach Usbekistan zuvor zu kommen. Denn dort, versichern Freunde und Bekannte, drohe ihm, dem bekennenden Homosexuellen, Folter, jahrelange Haft, vielleicht sogar Mord. In welchem gesundheitlichen Zustand der Festgenommene inzwischen ist, lässt sich nicht zuverlässig in Erfahrung bringen.
Er hat als freier Journalist für die Kreml-kritische Zeitung Nowaja Gaseta geschrieben. Deren Chefredakteur Dmitrij Muratow sagt, Ferus spreche Sprachen seiner Heimatregion, weshalb er auch über Migranten aus Zentralasien schreiben könne. Diese Arbeit sei sehr wertvoll, weil diese Migranten zu Hunderttausenden in Russland arbeiteten. Man sehe sie täglich auf Baustellen – aber man wisse kaum etwas über sie.
"Ja, er hat seinen usbekischen Pass verloren. Daran hat er Schuld. Das stimmt alles, seit drei Jahren versucht er, neue Dokumente zu bekommen. Soll man ihn deshalb in Säure auflösen?"
Unterstützung aus Straßburg
Die Situation erscheint ausweglos. Das russische Innenministerium hat dem Journalisten Asyl versagt. Russland verlassen könnte er nur, wenn er Dokumente hätte. Die aber bekommt er nur in Usbekistan, wo er wohl statt Papieren umgehend eine Haftstrafe bekäme. Seine Unterstützer argumentieren, er habe in Russland Abitur gemacht, seine Mutter und Geschwister seien russische Staatsbürger – und er spreche gutes Russisch. Er müsse bleiben dürfen.
"Er hat das Recht des Bodens, das Recht des Blutes und das Recht der Sprache", meint Dmitrij Muratow, Chefredakteur der Nowaja Gaseta. Selbst der Kreml hat sich zu Wort gemeldet – was in solchen Fällen selten der Fall ist. Sprecher Dmitrij Peskow sagte, die Situation sei schwierig. Man habe die Behörden gebeten, ihre Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken. Unterstützung erfuhr der Journalist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Der entschied gestern, Russland dürfe den Journalisten bis auf Weiteres nicht nach Usbekistan ausliefern.
Nimmt Deutschland Farus auf?
"Das ist eine Standardentscheidung, was solche Fälle angeht. Der Russischen Föderation wird verordnet, auf Ferus’ Ausweisung zu verzichten, bis sein Fall beim Europäischen Gerichtshof verhandelt wird", sagt Anwalt Daniil Chaimowitsch. Und so hängt alles weiter an der Frage der Papiere. Der Chefredakteur der Nowaja Gaseta gab in einem Brief an Präsident Putin einen Hinweis, wie eine Lösung aussehen könnte. Er schrieb, Deutschland sei bereit, Farus aufzunehmen. Dazu gibt es von deutschen Behörden keinen Kommentar. Was kann, was will Anwalt Chaimowitsch sagen? "Das kann ich noch nicht kommentieren. – Gar nichts? – Nein, noch kann ich nicht."
In Moskau haben Unterstützer demonstriert. Einzeln. Mit je einem Plakat, denn mehr ist nicht erlaubt. Wer sein Plakat an andere Demonstranten weiter gab, wurde festgenommen.