Wir mussten nicht heiraten, Kinder bekommen und eine Reihe von Verpflichtungen übernehmen. Wir wohnten in Wohngemeinschaften und praktizierten die sexuelle Revolution oder das, was wir dafür hielten. Wir hatten eine Freiheit, die viele andere Generationen nicht hatten ... . Für jene, die verheiratet waren und Kinder hatten, war es schwer, wenn sie es uns gleichtun wollten. Diese Intensität des Rund-um-die Uhr-politisch-tätig-Seins war mit Familie, Partnerschaft und Kindern nicht vereinbar. Mir war damals nur am Rande bewusst, wie viele Frauen zu Hause bleiben mussten, die gerne mitgemacht hätten. Ihre Männer waren schon eher dabei.
Erinnerungen von Sigrid Fronius. Sie war 1968 AStA-Vorsitzende an der Freien Universität Berlin und die erste Frau, die dieses Amt an einer Universität der BRD, wie es im damaligen Sprachgebrauch hieß, innehatte. Sigrid Fronius wollte Lehrerin werden. Nicht allerdings an einem Gymnasium, sondern an einer Hauptschule - dort, wo man auf die Basis treffen konnte: auf die Kinder der Arbeiterklasse. Allerdings musste sie schnell feststellen, dass Theorie und Praxis zwei ganz verschiedene Schuhe sind. Vom Klassenkampf an den Hauptschulen, wie man ihn sich in ihren politischen Zirkeln vorstellte, konnte im Schulalltag kaum die Rede sein. Die Hauptschüler, mit denen sie zu tun bekam, hatten ganz andere Sorgen. Als in ganz Berlin dann 1973 keine einzige freie Referendarstelle mehr zu bekommen war (um diese Zeit begann die große Lehrerarbeitslosigkeit), hängte die inzwischen 31jährige ihr ursprüngliches Berufsziel an den Nagel. Motiviert durch einen Freund, der sich in Dritte-Welt-Projekten engagierte, ging sie nach Chile. Kurz vor dem Putsch General Pinochets kam sie in Santiago an. Drei Monate blieb sie dort, um für internationale Solidaritäts-Komitees über die faschistische Diktatur zu berichten.
Welche Erfahrungen Sigrid Fronius während der Jahre der Studentenrevolte sammelte und wie sie heute in Bolivien mit ökologischem Gemüseanbau auf einer Landkommune ihren Lebensunterhalt verdient - diese Geschichte bildet den Auftakt der 14 Frauenporträts, die die Journalistin Ute Kätzel in ihrem Buch vorstellt. Die methodische Grundlage bilden biografische Interviews nach dem Schema: Elternhaus und Schule; Zeitpunkt und Motiv der Politisierung; Resümee der Frauen aus ihrer heutigen Sicht. Abgesehen davon, dass einem beim Lesen die sprachlichen Mängel des abgetippten, unbearbeiteten Interviews schnell auf die Nerven fallen, gibt es auch inhaltliche Schwächen.
Um es vorwegzunehmen: Im Resultat bleiben die meisten Geschichten durch diese enge methodische Vorgabe eher blass. Denn völlig unpassend zu jenen Tagen des politischen Aufbruchs, der zugleich für Einzelne mit oft dramatischen psychischen Verunsicherungen verbunden war, zwängt die Autorin ihrer Leserschaft eine konstruierte Einförmigkeit auf - nämlich ihren eigenen im Umgang mit der Geschichte der Frauen in der Protestbewegung. Deutlich wird das bereits im Vorwort, etwa im Abschnitt über die "sexuelle Revolution". Denn indem Ute Kätzel diesen Mythos (und nichts anderes ist es) unhinterfragt übernimmt, um dann zu behaupten, dass die Frauen von den Männern nun auf eine neue Weise bevormundet wurden, gerät ihr völlig aus dem Blick, dass das Suchen nach der so genannten Selbstverwirklichung abseits der festgefahrenen bürgerlichen Normen die Männer sehr wohl mit einschloss. Mit anderen Worten: Der gern zitierte Slogan: "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", war lange nicht so für bare Münze zu nehmen wie Ute Kätzel das tut. Denn für viele männliche Aktivisten in den Reihen der politischen Diskussionszirkel spielte sich im eigenen Bett weitaus weniger Sensationelles ab, als die wilden, revolutionären Parolen glauben machen wollten.
Trotzdem: Interessant ist allemal zu lesen, wie sich nach über 30 Jahren zum Beispiel eine Frigga Haug, Soziologin, Mitbegründerin des SED-nahen Sozialistischen Frauenbundes West-Berlin, heute darstellt. Als orthodox-marxistische Intellektuelle im "Aktionsrat zur Befreiung der Frau" einst geschätzt und gefürchtet, scheint sie - wenn man dem Text glauben darf - den Anschluss ans 21. Jahrhundert auf erschreckende Weise verpasst zu haben. "Ziemlich frustriert" beklagt sie sich:
Ich kann nicht wirklich gut mit unseren Freunden, den Ossis, sprechen, obwohl ich es versucht habe. Sie verstehen mich nicht, und ich kann für sie nichts Nützliches sagen.
Ute Kätzel verliert über diesen sonderbaren Mangel an Selbstreflexion kein Wort. Stattdessen präsentiert sie ihre 68erinnen (darunter Sarah Haffner und Helke Sander, Susanne Schunter Kleemann und Gretchen Dutschke-Klotz) vor dem Hintergrund bunter Anekdoten über Wohngemeinschaften, Kinderläden und schnelllebige Beziehungen. Eine Haltung zu den aktuellen "polit-ökonomischen Verhältnissen", wie es damals in jedem Oberseminar wie selbstverständlich hieß, sucht man in dem Buch vergeblich. Kein Wort zu heutigem politischen Engagement, kein Wort zur Globalisierungsdebatte oder zu anderen wichtigen politischen Fragen der Zeit.
Und so bleibt denn am Schluss der fatale Eindruck, dass "die rebellische Frauengeneration" der 68erinnen kaum mehr als eine Fußnote in der jüngeren deutschen Geschichte darstellt - konzentriert obendrein nur auf Berlin. Das ist mehr als nur ärgerlich. Zumal die historische Frauenforschung, die bekanntlich um 1985 einsetzte, sich längst jenes Kapitels in diversen Darstellungen und Analysen angenommen hat.
Kristine v. Soden besprach: Die 68erinnen von Ute Kätzel, erschienen bei Rowohlt Berlin. Das Buch hat 319 Seiten und kostet 22,90Euro.
Erinnerungen von Sigrid Fronius. Sie war 1968 AStA-Vorsitzende an der Freien Universität Berlin und die erste Frau, die dieses Amt an einer Universität der BRD, wie es im damaligen Sprachgebrauch hieß, innehatte. Sigrid Fronius wollte Lehrerin werden. Nicht allerdings an einem Gymnasium, sondern an einer Hauptschule - dort, wo man auf die Basis treffen konnte: auf die Kinder der Arbeiterklasse. Allerdings musste sie schnell feststellen, dass Theorie und Praxis zwei ganz verschiedene Schuhe sind. Vom Klassenkampf an den Hauptschulen, wie man ihn sich in ihren politischen Zirkeln vorstellte, konnte im Schulalltag kaum die Rede sein. Die Hauptschüler, mit denen sie zu tun bekam, hatten ganz andere Sorgen. Als in ganz Berlin dann 1973 keine einzige freie Referendarstelle mehr zu bekommen war (um diese Zeit begann die große Lehrerarbeitslosigkeit), hängte die inzwischen 31jährige ihr ursprüngliches Berufsziel an den Nagel. Motiviert durch einen Freund, der sich in Dritte-Welt-Projekten engagierte, ging sie nach Chile. Kurz vor dem Putsch General Pinochets kam sie in Santiago an. Drei Monate blieb sie dort, um für internationale Solidaritäts-Komitees über die faschistische Diktatur zu berichten.
Welche Erfahrungen Sigrid Fronius während der Jahre der Studentenrevolte sammelte und wie sie heute in Bolivien mit ökologischem Gemüseanbau auf einer Landkommune ihren Lebensunterhalt verdient - diese Geschichte bildet den Auftakt der 14 Frauenporträts, die die Journalistin Ute Kätzel in ihrem Buch vorstellt. Die methodische Grundlage bilden biografische Interviews nach dem Schema: Elternhaus und Schule; Zeitpunkt und Motiv der Politisierung; Resümee der Frauen aus ihrer heutigen Sicht. Abgesehen davon, dass einem beim Lesen die sprachlichen Mängel des abgetippten, unbearbeiteten Interviews schnell auf die Nerven fallen, gibt es auch inhaltliche Schwächen.
Um es vorwegzunehmen: Im Resultat bleiben die meisten Geschichten durch diese enge methodische Vorgabe eher blass. Denn völlig unpassend zu jenen Tagen des politischen Aufbruchs, der zugleich für Einzelne mit oft dramatischen psychischen Verunsicherungen verbunden war, zwängt die Autorin ihrer Leserschaft eine konstruierte Einförmigkeit auf - nämlich ihren eigenen im Umgang mit der Geschichte der Frauen in der Protestbewegung. Deutlich wird das bereits im Vorwort, etwa im Abschnitt über die "sexuelle Revolution". Denn indem Ute Kätzel diesen Mythos (und nichts anderes ist es) unhinterfragt übernimmt, um dann zu behaupten, dass die Frauen von den Männern nun auf eine neue Weise bevormundet wurden, gerät ihr völlig aus dem Blick, dass das Suchen nach der so genannten Selbstverwirklichung abseits der festgefahrenen bürgerlichen Normen die Männer sehr wohl mit einschloss. Mit anderen Worten: Der gern zitierte Slogan: "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", war lange nicht so für bare Münze zu nehmen wie Ute Kätzel das tut. Denn für viele männliche Aktivisten in den Reihen der politischen Diskussionszirkel spielte sich im eigenen Bett weitaus weniger Sensationelles ab, als die wilden, revolutionären Parolen glauben machen wollten.
Trotzdem: Interessant ist allemal zu lesen, wie sich nach über 30 Jahren zum Beispiel eine Frigga Haug, Soziologin, Mitbegründerin des SED-nahen Sozialistischen Frauenbundes West-Berlin, heute darstellt. Als orthodox-marxistische Intellektuelle im "Aktionsrat zur Befreiung der Frau" einst geschätzt und gefürchtet, scheint sie - wenn man dem Text glauben darf - den Anschluss ans 21. Jahrhundert auf erschreckende Weise verpasst zu haben. "Ziemlich frustriert" beklagt sie sich:
Ich kann nicht wirklich gut mit unseren Freunden, den Ossis, sprechen, obwohl ich es versucht habe. Sie verstehen mich nicht, und ich kann für sie nichts Nützliches sagen.
Ute Kätzel verliert über diesen sonderbaren Mangel an Selbstreflexion kein Wort. Stattdessen präsentiert sie ihre 68erinnen (darunter Sarah Haffner und Helke Sander, Susanne Schunter Kleemann und Gretchen Dutschke-Klotz) vor dem Hintergrund bunter Anekdoten über Wohngemeinschaften, Kinderläden und schnelllebige Beziehungen. Eine Haltung zu den aktuellen "polit-ökonomischen Verhältnissen", wie es damals in jedem Oberseminar wie selbstverständlich hieß, sucht man in dem Buch vergeblich. Kein Wort zu heutigem politischen Engagement, kein Wort zur Globalisierungsdebatte oder zu anderen wichtigen politischen Fragen der Zeit.
Und so bleibt denn am Schluss der fatale Eindruck, dass "die rebellische Frauengeneration" der 68erinnen kaum mehr als eine Fußnote in der jüngeren deutschen Geschichte darstellt - konzentriert obendrein nur auf Berlin. Das ist mehr als nur ärgerlich. Zumal die historische Frauenforschung, die bekanntlich um 1985 einsetzte, sich längst jenes Kapitels in diversen Darstellungen und Analysen angenommen hat.
Kristine v. Soden besprach: Die 68erinnen von Ute Kätzel, erschienen bei Rowohlt Berlin. Das Buch hat 319 Seiten und kostet 22,90Euro.