Marcel Anders: Frau Lemper, wie kommen Sie auf Pablo Neruda, der ja ein unglaublich spannender Typ war?
Ute Lemper: Ja, wirklich. Ein Mann der Welt, ein Mann der Politik, der Diplomatie, der Poesie, ein Literat, ein Künstlermensch und doch einer, der versucht hat, die Welt zu ändern. Und das war natürlich im Zeitalter des Faschismus gewesen, das ihn als Künstler geprägt hat, als Mensch geprägt hat, durch die Diktatur in Chile, wo er aufgewachsen ist, der Faschismus in Europa, in Deutschland auch in Spanien. Er hat also durch die Jahrzehnte eine Erfahrung mit einer realistischen Welt, mit einem realistischen Faschismus gehabt, die ihn dann auch seine Ideen entwickelt haben. Sodass er als alternative Welt eine demokratische Welt, eine kommunistische Welt sich gedacht hat als Antwort zum Faschismus.
Marcel Anders: Wobei Sie sich nicht so sehr mit dem Politiker Neruda befassen ...
Ute Lemper: Was mich einfach auch vom Abschnitt meines Lebens am meisten interessiert hat, das waren seine Liebesgedichte, die auch sehr dialektisch sind. Das sind jetzt nicht romantische Gedichte - Ich lieb dich, du liebst mich -, sondern im Gegenteil sehr schmerzvolle Gedichte, in der eben Liebe als dieses unmögliche Monstrum, als dieses unmögliche Geheimnis im Leben beschrieben ist.
Marcel Anders: "Die Liebe ist kurz, aber das Vergessen dauert umso länger”?
Ute Lemper: Ja, genau. Furchtbar. Es ist einfach der Wahnsinn. Das tut richtig weh.
Marcel Anders: Ansonsten passt Neruda wunderbar in die Reihe Ihrer Helden und Lieblingskünstler: Brecht, Weill, Bukowski. Alles faszinierende Charaktere ...
Ute Lemper: Die sich auch sozialkritisch geäußert haben. Menschen mit politischen Ideen, die ihre Geschichte hatten von Exil. Brecht wurde rausgeschmissen aus Deutschland. Weill musste gehen 1933, Neruda wurde aus Chile herausgeschmissen, war im Exil in Europa, Jahrzehnte in Mexiko, in Argentinien. Das sind halt so Lebensgeschichten, wo Menschen durch Exil gezwungen werden, einfach Weltmenschen zu werden. Weg von allen Traditionen, von ihrem Heimatland und sich einfach auch in dieser Situation "Exil" finden müssen.
Marcel Anders: Gilt das auch für Ute Lemper, die Münsteranerin mit Wohnsitz New York City?
Ute Lemper: Ja, obwohl es nicht Exil ist. In den 80er-Jahren war ich Europäerin. Und da hatte ich noch meine fünf Portemonnaies in den Taschen mit Lire, mit Pesos mit französischen Franken, Pounds und Deutschmark. Und da war ich so die richtige Europäerin. Immer ein halbes Jahr in Paris gelebt, ein halbes Jahr in London, ein viertel Jahr in Rom, ein halbes Jahr in Berlin. Und doch kam mir dieses ganze Gefüge Europa immer sehr provinziell vor. Die Briten waren mir zu britisch mit ihren kleinen verschrumpelten Lippen, so britisch und sarkastisch. Die Franzosen waren einfach durch und durch französisch arrogant mit ihrer "arrogance francais", mit ihrem Stil und ihrer Mode und ihrer couture. In Deutschland fand ich dann, natürlich, die deutsche Mentalität war ja noch sehr anders in den 80er-Jahren.
Marcel Anders: Weil es da noch diesen Schuldkomplex des Zweiten Weltkriegs gab, der ja mittlerweile völlig verflogen ist?
Ute Lemper: Ja, völlig verflogen. Heute werden wir dann schuldig gemacht für Angela Merkel. Die Spanier sind ja sehr böse auf die Deutschen. Die denken wirklich, dass die europäische Krise hervorgerufen ist von den Deutschen. Die Leute sind dort sehr missinformiert, und nur weil es eben hier läuft, weil es eben hier klappt mit dem Staat und mit der Ökonomie – die Leute sind halt sehr neidisch auf die deutsche Situation. Und der Neid gibt ihnen böse Worte in den Mund. Ich habe mich da schon oft gestritten. Also, mein spanischer Promoter sagt: Ihr habt unser Spanien kaputtgemacht. Dann sagt er noch "ihr" zu mir. Ich habe es kaputtgemacht.
Marcel Anders: Sie sehen sich als Weltbürgerin. Gibt es trotzdem noch etwas typisch Deutsches an Ute Lemper?
Ute Lemper: Da müssen Sie meine Familie fragen. Die machen sich ständig über mich lustig, dass ich so deutsch bin. Der Akzent und die Art und Weise, Dinge auszudrücken. Sparsamkeit, kein Geld rausschmeißen für unnötige Dinge. Ein bisschen Disziplin mit Schulaufgaben und so weiter. Ein bisschen Druck machen. Aber sonst bin ich eine sehr liberale Mutter. Also meine Kinder dürfen alles machen. Die haben keine Gründe, sich aufzulehnen als Teenager gegen mich. Na gut, das macht denen natürlich auch Spaß, mich so zu stereotypisieren als Deutsche.
Marcel Anders: Das wird also nur hervorgeholt, um Sie in Ihre Schranken zu weisen?
Ute Lemper: Genau. Mal eben eine reindonnern. Gib Mama mal eben einen kleinen Fußtritt.
Marcel Anders: Wobei ihre Kinder kein Deutsch sprechen. Wieso haben Sie Ihnen das nicht von klein auf beigebracht?
Ute Lemper: Ich habe mich ja selbst nicht so deutsch gefühlt. Ich habe mich ja zu Hause gefühlt in der englischen Sprache. Und das war für mich unnatürlich, das Deutsche so durchzudrücken. Vor 20 Jahren, also mein Sohn ist ja schon 19, wollte ich das nicht. Ich habe es geliebt, im Ausland zu leben, eine andere Sprache zu sprechen. Es war für mich Geistesfreiheit, mich da etwas zu entfernen.
Marcel Anders: Streben die vier eine ähnliche Karriere an, wie ihre Mutter?
Ute Lemper: Nein, die wollen Geld verdienen. Und die wissen, dass man da unheimlich Glück haben muss als Künstler und Musiker. Aber das wollen sie erst gar nicht anfangen. Mein Sohn studiert Wirtschaft und Französisch, meine Tochter möchte Politwissenschaften machen und sie ist ganz clever. Sie wird wahrscheinlich dann danach, das ist ja ein etwas anderes Uni-System in den Staaten, erst vier Jahre College und dann die Graduate School. Also die Kontinuität ist die Uni, wo du dich dann wirklich spezialisierst. Und dann wird sie wohl Jura machen.
Marcel Anders: Das klingt nach einer teuren Ausbildung.
Ute Lemper: Furchtbar teuer. Katastrophe. Deswegen wollte ich wirklich nach Europa zurückziehen und die Kinder haben wirklich Staatsausbildung, staatsfinanzierte Ausbildung. Ist doch völliger Quatsch, was das da kostet. It's really bullshit. Unmöglich.
Marcel Anders: Können Sie sich ernsthaft vorstellen, zurückzukehren? Nach 14 Jahren USA?
Ute Lemper: Ich kann mir das gut vorstellen. Also wenn ich jetzt nicht die Kinder hätte, die da so eingenistet sind mit ihren Schulen, ihren Aktivitäten, ihren Freunden, würde ich auf jeden Fall – sagen wir, wenn ich jetzt alleinstehend wäre - würde ich nach Paris ziehen. Oder nach Berlin. Aber Paris ist doch etwas anonymer für mich. Also ich mag das nicht so gern, erkannt zu werden in den Straßen. Ich würde sagen, in Paris ist das einfacher. Oder Barcelona. Oder einen Wohnsitz in New York, einen in Europa haben, ist ja auch nicht schlecht.
Marcel Anders: Sie sind jetzt 50. Trotzdem – so haben Sie vor Kurzem gesagt – sei ihr "innerer Dämon immer noch lebendig". Was meinen Sie damit?
Ute Lemper: Tja, so vernünftig bin ich immer noch nicht geworden. Also ich habe immer noch einen Knall im Kopf, Schrauben locker – und das ist auch gut so. Also ich habe immer noch tolle Fantasien und Träume, also jetzt nicht Erfolgsträume, sondern im Gegenteil: Einfach rumfantasieren und genießen und mal trinken und einfach ausflippen und so. Solche Sachen.
Marcel Anders: Das heißt: Wie definieren Sie Glück? Was ist Glück für Ute Lemper?
Ute Lemper: Glück ist einmal natürlich, Glück haben. Das heißt also so etwas wie Schicksal, dass man Schwein gehabt hat. Und da würde ich schon sagen, da habe ich Glück gehabt in meinem Leben. Obwohl es oft so aussah, als macht man einen Schritt nach vorne, einen Schritt zurück. Einen Schritt nach vorne, einen Schritt zurück. Es ist schon ein schwieriger Weg gewesen, wo man oft auch hart arbeiten musste, um weiterzukommen, einfach viel geben musste, sich erschöpfen musste bis zur totalen Erschöpfung, um das zu tun, was man geliebt hat. Auf der anderen Seite ist Glück für mich Liebe, Kinder, freier Kopf, geistige Freiheit, künstlerische Freiheit, Schaffensfreiheit, finanzielle Unabhängigkeit, eine Stadt, die man liebt und den Beruf, den ich liebe.
Marcel Anders: Vielen Dank für das Gespräch.
Ute Lemper: Dankeschön – wie spät ist es jetzt.
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