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Václav Havel. Biographie eines tragischen Helden

Václav Havels Leben sei einem Kunstwerk ähnlich, hat sein Weggefährte und Rivale Milan Kundera einmal behauptet, und zwar deshalb, weil Havel seinem Leben "bedächtig und wohlüberlegt" Sinn und Gestalt gegeben habe, ganz so, wie ein Bildhauer mit dem Stein verfährt. Wenn aber Künstler ihrem Leben ein Denkmal errichten, dann, so Kundera weiter, kann es geschehen, dass ihre Werke vom Schatten der hell erleuchteten Gestalt verschluckt werden. Das war boshaft, aber hellsichtig gesprochen. Langst überstrahlt der Ruhm des Dissidenten und Staatsmannes Havel den des Dramatikers und Intellektuellen. Fast schon zu Unrecht zählen Havels dramatische Werke heute wenig, seine moralischen Schriften und sein politisches Wirken aber immer noch sehr viel. Dabei ist Havels politische Laufbahn seit seiner ersten Wahl zum Präsidenten der Tschechoslowakischen Föderation am 29. Dezember 1989 nicht glücklich verlaufen. John Keanes Havel-Biographie macht aus ihrer Unzufriedenheit mit der politischen Bilanz des Präsidenten keinen Hehl: einen "tragischen Helden" nennt sie ihn bereits im Untertitel. Auch Keane lässt Havels Leben einem Kunstwerk gleichen. "Sein Leben", meint er, "erinnert an eine klassische Tragödie: Episoden des Glücks und der Zufriedenheit wurden durch Traurigkeit zerstört; Mut paarte sich mit Unschlüssigkeit; Aufrichtigkeit wurde verdorben durch Schurkerei; Triumph ruiniert durch Niederlage." Oder weniger shakespearisch ausgedrückt: Havel hat den rechten Zeitpunkt zum Abgang verpasst. Krankheiten, private Ungeschicklichkeiten und politische Fehltritte haben ihn geschwächt und würden ihn noch mehr .schwächen, wenn nicht auch ein schwacher Havel noch stärker wäre als sein Gegenspieler. Ihnen empfiehlt Keane seine Biographie zur Lektüre; sie mögen ihr entnehmen, dass ihr Widersacher bei allen Schwächen mit großer Zähigkeit und angeborenem politischen Charisma ausgestattet ist.

Christoph Bartmann | 08.01.2001
    Dass Keane mit dem Politiker Havel bei allem Respekt eher ungnädig verfährt, erhöht den Nutzen seiner Biographie. Oft genug hat man Havels politische Ideen und Tagträume von getreuen Exegeten erläutert bekommen; den hagiographischen Höhepunkt setzte dabei Eda Kríseová in ihrer von Havel selbst in Auftrag gegebenen Biographie. Sie beschwor das Bild eines Helden ganz ohne Tragik, der in bukolischen Sommerferien im Kreise der Boheme leichthändig seine Vision der Zivilgesellschaft entwarf, um sie sodann, mit einer Handvoll von Getreuen, auf der Burg in die politische Tat umzusetzen. Man konnte bei Kríseová - und ebenso wieder bei Keane - manches über Havels Freude am Kochen lesen. Havel kocht, wie es heißt, niemals nach Rezept, sondern stets nach Eingebung. Er will Gerichte herstellen, wie es vor ihm noch keine gab, denn er ist ein Nonkonformist. Die vielfältigen Etikette und Zwänge des bürgerlichen Lebens sind ihm ebenso ein Greuel wie das einfältige Reglement des Kasernensozialismus. Ein Drittes schwebt ihm, scheint es, vor: er will die Kräfte des zivilen Ungehorsams zu einer Bürgerbewegung bündeln, deren Ziel das gute, wenn auch einfache Leben ist, oder in Havels Begriff, das "Leben in der Wahrheit". Wenn jemand beim Kochen auf Rezepte verzichtet, dann, so könnte man annehmen, auch beim Regieren. Anders bei Havel: seine Präsidentschaft und ihre moralisch-philosophische Grundierung haben, wenn schon kein Rezept, so doch ein Vorbild. Niemals wollte Havel ein Präsident werden, wie es vor ihm noch keinen gegeben hatte. Vielmehr war er darauf aus, nach fünfzig Jahren Unterbrechung, das Präsidentenamt in Geist und Gesten Tomas G. Masaryks zu restituieren.

    Wenn man Keanes eingehende Erläuterungen zu Havels politischen Schriften, besonders zu denen der Gefängnisjahre 1979-83 liest/drängt sich der Eindruck auf, daß hier, gegen alle Wahrscheinlichkeit, ein isolierter Häftling seine bevorstehende Präsidentschaft einstudiert. Dazu gehört, dass sich der Inhaftierte ohne Selbstzweifel für einen originellen Denker hält, auf Augenhöhe mit seinen Lehrmeistern, mit Masaryk, mit Husserl und Patocka. Man muß diese unbedingte . Annahme der eigenen Erwähltheit nicht sympathisch finden - wie überhaupt die Person Havel in Keanes Beschreibung an Liebenswürdigkeit nicht gewinnt aber Sympathiewerte haben nicht einmal bei Havels Wahl den Ausschlag gegeben.

    War es also seine moralische Integrität, die den Schriftsteller und Bohemien Václav Havel ins Präsidentenamt befördert hat? Ja, gewiß, aber was wäre diese Tugend wert ohne den Mut und die Ausdauer, mit der Havel die Repräsentantenrolle beanspruchte, ehe sie ihm schließlich auch vom Volk verliehen wurde. Havels Lebensroman ist, mag auch sein Ende nicht das _, Glücklichste sein, eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. "Der junge Prinz" heißt das erste Kapitel von Keanes Biographie. In ihm ist zu lesen von einer behüteten Kindheit in einem Prager Milieu, das republikanischer und exquisiter nicht hätte sein können: die Familie Havel, mit ihren Unternehmern und Intellektuellen, zahlte zum geistigen Hochadel der Ersten Republik. Das mag erstens erklären, warum der junge Prinz so früh und erfolgreich eine Gefolgschaft um sich versammelte, und zweitens, warum die Kommunisten in ihm so früh und richtig den Staatsfeind Nummer Eins identifizierten. Havel ist in fast allen Lebensrollen der Primus gewesen: als Sohn, als jugendlicher Stimmführer seiner Generation, der "Sechsunddreißiger", später dann als Dramatiker und später noch als Dissident. Seine Sendung wirkte deshalb so überzeugend, weil sie auf wenig mehr beruhte als auf dem gelebten Exempel moralischer Integrität. Und selbst die Schwächen des Mannes Havel, die Keane gestreng auflistet, steuerten zum Nimbus des guten Menschen noch die humane Note bei. Havels politischer Stil zehrt von den Gesten und Beispielen des widerständigen Individuums. Deshalb ist er wohl nie faszinierender und für seine Feinde gefährlicher gewesen als in den Jahren, da seine Politik, um György Konráds Wort zu verwenden, noch "Antipolitik" war. Dann aber folgte die richtige Politik und mit ihr, was Keane mit einigem Groll als Havels "Niedergang" beschreibt.

    Auf den Fotos dieser Biographie sieht der Präsident jedesmal abgekämpfter aus, kein bißchen frischer jedenfalls als Keith Richards, der ihm, wie andere ältere Rockstars, auf der Burg die Aufwartung macht. Ein Bürgerpräsident wollte Havel sein, und tatsächlich begriff er, wenigstens in den frühen Jahren, sein Amt als eine, so Keane "parapolitische, von den Bürgern direkt unterhaltene Struktur". Weil Havel der Held der samtenen Revolution gewesen war, sah man es ihm im Ausland gern nach, dass er die Burg wie einen Klub rührte, mit Gastspielen von Frank Zappa, einem Heer von Türstehem und unangekündigten Visiten beim Mann auf der Straße. Der "republikanische Monarch", wie Keane ihn nennt, verachtete das politische Geschäft, vor allem das Parlamentär war an Opposition nicht gewöhnt. Er selbst war ja ein Leben lang die Opposition gewesen. So häuften sich in Havels Amtszeit die politischen Fehler. Am Fall des umstrittenen Lustrationsgesetzes, in dem der Umgang mit den Akten der Staatssicherheit geregelt werden sollte, zeigt Keane, wie handwerkliche Fehler allmählich die besondere moralische Legitimität von Havels Präsidentschaft in Zweifel zogen. Die Havelsche Leitdifferenz von Wahrheit und Lüge hätte sich in den Wirren des Postkommunismus nur um den Preis politischer Wirkungslosigkeit bewahren lassen. Havel freilich mochte weder von seinem Amt noch von seinen Überzeugungen lassen, und dies auch dann nicht, als ihm mit dem Ökonomen Václav Klaus erstmals eine ebenbürtige Konkurrenz erwuchs. Den Kräften des Marktes, wie Klaus sie propagierte, und der Verheißung plötzlichen Reichtums hatte der Anti-Materialist Havel nichts entgegenzusetzen. Der moralische Impetus seiner Präsidentschaft hat sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre endgültig verbraucht, und daran ändert auch der Umstand nichts, daß sein Erzrivale Klaus ebenso auf die Verliererstraße geriet.

    Keanes Buch endet, wie es enden muß, wenn es Havels Leben getreulich erzählen will, mit schweren Krankheiten und einer späten Ehe, die den Präsidenten beim Volk nicht beliebter machte. Hätte sich Havel damit begnügen sollen, ein Präsident des Übergangs zu sein, hätte er besser darauf verzichtet, eine Institution zu werden? Eines freilich zeigt John Keanes engagierte, kritisch mitleidende Biographie ganz deutlich: Dieser Mann brauchte eine Institution nicht erst zu werden, er ist es zeit seines Lebens gewesen.