Rita lebt im Paradies: direkt am hübschen Pichelssee, im Berliner Klein-Venedig. Dort leitet ihre Mutter Julia eine Bootsschule, die "Frische Brise". Auch Rita ist mit ihren knapp zehn Jahren schon eine fähige Kapitänin – ihr Leben besteht aus Booten und Baumhäusern, der besten Freundin Leonie und dem alten Georg, der ein Café auf einem Schiff betreibt und sie zuverlässig mit Kakao und Fischbrötchen versorgt. Ein deutsches Bullerbü. Nur Papa fehlt ein bisschen: Er lebt wieder in seiner Heimat Spanien. Aber so tragisch, wie alle immer meinen, findet Rita das gar nicht:
"Wenn Rita das erzählt, sehen die Leute sie immer mitleidig an. Wieso sie das tun, versteht Rita nicht. Seitdem Papa wieder in Spanien ist, reden sie noch mehr miteinander als vorher. Eigentlich telefonieren sie andauernd. Auch wegen Kleinigkeiten, oder wenn einer von beiden einen neuen Witz aufgeschnappt hat. Aber sie schreiben auch Nachrichten. Rita schreibt am liebsten über Snapchat. Papa schreibt auch gerne Postkarten. Genau genommen schreibt er sie nicht, er schickt sie bloß. Der Text ist nämlich immer der gleiche: Saludos von Papa. Und daneben malt er ein Herzchen. Saludos ist spanisch und heißt: liebe Grüße."
Ein "Bekannter"
Alles im Lot also im Leben von Rita und Julia. Doch plötzlich passieren merkwürdige Dinge: Mama schleppt einen "Bekannten" an. Er heißt Stefan und ist irgendwie auffällig nett zu Rita. Und Julia benimmt sich sehr "un-mama-mäßig" - trägt Blümchenkleid statt Latzhose und kichert ständig so komisch. Mit Hilfe von Freundin Leonie, Expertin in Sachen Romantik, hat Rita schnell verstanden, was da los ist: Ihre Mutter hat sich verliebt.
"Rita prüft voller Entsetzen Leonies Liste. Krötenverhalten, Kichern, tollpatschig sein – Mama und Stefan erfüllen auf einen Schlag alle Punkte auf der Liste. Rita ist mulmig zumute. (…) Laut Leonies Liste sind die beiden verliebt, und zwar so richtig! (…) Jetzt bloß nicht küssen, nicht küssen!, denkt Rita."
Aber es kommt noch schlimmer. Stefan zieht bei Julia und Rita ein – einfach so, von heute auf morgen, ohne Vorwarnung. Und das Allerschlimmste: Er bringt seine Söhne mit. Drei nervige Jungs – mit denen Rita jetzt auch noch Bootsausflüge machen soll. Der Albtraum beginnt.
",Weißt Du, was du da verlangst? Mama, die sind zu dritt! DREI Söhne hat der! Ich hab gerade erst entschieden, Stefan eine richtige Chance zu geben, und jetzt bringt der diese, diese drei...', sie holt tief Luft, ,diese drei Jungs mit.' ,Und was ist daran so schlimm?' ,Jungs sind doof, Mama. Ist halt so.' ,Och Rita, jetzt vergiss doch mal dieses blöde Jungen-sind-doof-Ding. Leonie ist doch sowieso noch im Urlaub.' Rita schnaubt: ,Das ändert gar nichts! Im Gegenteil.'"
Patchwork-Chaos
Und so nimmt das Patchwork-Chaos seinen Lauf: Rita fühlt sich von ihrer Mutter übergangen und schmiedet Pläne, wie sie die drei "Nervbolzen" wieder loswerden kann. Spätestens bis zu ihrem Geburtstag müssen die neuen Geschwister wieder weg sein, den plant sie nämlich schon seit langem, und die Jungs sollen ihn ihr auf keinen Fall kaputt machen. Doch auch die besten Streiche helfen nicht, sie loszuwerden. Kurzerhand packt Rita ihre Sachen und haut ab. Mit dem Boot zu Papa nach Spanien.
"Rita lenkt ihr Boot geradewegs auf die Havelmündung zu. Die Bootsschule und der heimische Steg hinter ihr werden immer kleiner und kleiner. Der Wind weht Rita um die Nase. ,Spanien, ich komme', ruft sie und zieht das Großsegel noch ein bisschen straffer. Auf dem spiegelglatten Wasser des Pichelssees ist keine Menschenseele zu sehen. Der Nebel hat sich gelichtet. Rita hat freie Fahrt."
Die Autorin Valentina Brüning schafft es, sich in die verschiedenen Gemütszustände, die ein solches Patchwork-Leben bei Kindern auslösen kann, hineinzufühlen: Ungläubigkeit, Wut, Verzweiflung, Einsamkeit – Kapitänin Rita muss in diesem Buch nicht nur gegen die eine oder andere Welle auf dem Pichelssee ankämpfen, sondern auch mit den Gefühlsstürmen in ihrem Inneren klar kommen.
"Sie kann es immer noch nicht fassen, dass wirklich alle ihre Versuche, einen Keil zwischen Mama und die Jungs zu treiben, so kolossal schiefgegangen sind. Wie kann Mama nur so blind sein? Sieht sie nicht, dass die Jungen hier alles kaputt machen? Es war so schön, als Mama und Rita noch zu zweit waren. Sie haben fast die ganze Zeit gelacht und sich super verstanden und hatten gemeinsame Pläne. Jetzt fühlt sich Rita nur noch allein."
Absolut altersgerecht
Das Buch behandelt das Thema dabei absolut altersgerecht. Es nimmt Kindersorgen ernst, aber auch nicht zu ernst. Die Autorin beweist ein gutes Gespür für Alltagskomik – und zeigt, dass das Patchwork-Leben auch absurde und witzige Momente bietet. Die ganz unangenehmen Aspekte spart Valentina Brüning aus – zu Recht: Es geht hier nicht um Schlammschlachten zwischen den Eltern oder den Sorgerechtsstreit vor Gericht, sondern um eine Vorzeige-Patchwork-Familie, mit Eltern, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. "Patchwork light" sozusagen. Was nicht heißt, dass nicht auch diese Eltern so einiges falsch machen – zumindest aus Kindersicht.
Zudem ist das Buch sehr kurzweilig geschrieben – viele Dialoge, dazu bildhafte Beschreibungen, aber nie mehr als nötig. Gut möglich, dass Valentina Brüning diesen präzisen Stil ihrer Erfahrung als Drehbuchautorin verdankt. Und in der Tat ließe sich wohl auch dieser Text sehr gut verfilmen. Und warum auch nicht – denn "Kakao und Fischbrötchen" ist die geeignete Geschichte, um Kindern die Patchwork-Familie schmackhaft zu machen. Außerdem auch ein guter Ratgeber für Eltern, die typische Fehler vermeiden wollen. Wenn sich alle Mühe geben, so das Fazit nach der Lektüre, dann ist das Patchwork-Leben womöglich gar nicht so übel.
Valentina Brüning: "Kakao und Fischbrötchen"
Mit Illustrationen von Maja Bohn
Tulipan Verlag, München. 160 Seiten, 13 Euro. Ab 9 Jahren.
Mit Illustrationen von Maja Bohn
Tulipan Verlag, München. 160 Seiten, 13 Euro. Ab 9 Jahren.