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Value Map zu Corona-Tracing-App
"Akzeptanz der App wird vom Vertrauen der Menschen abhängen"

Bei der Entwicklung der Corona-App gehe es nicht nur um Datenschutz oder Technik, sagte die Medienforscherin Petra Grimm im Dlf. Um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, müssten auch ethische Fragen geklärt werden, etwa die Unterstützung Betroffener im Falle eines positiven Alarms.

Petra Grimm im Gespräch mit Manfred Kloiber |
Eine junge Frau mit Mund-Nasen-Behelfs-Schutz schaut in einer Fußgängerzone auf ihr Handy.
Ob auch Ältere, Minderjährige oder Behinderte mit der App umgehen können, müsse noch geklärt werden, sagte Petra Grimm vom Institut für Digitale Ethik im Dlf (imago)
Manfred Kloiber: Studierende und Lehrende der Hochschule der Medien in Stuttgart haben gemeinsam eine sogenannte Value Map für die Corona-Tracing-App erarbeitet. Petra Grimm, Leiterin des Instituts für Digitale Ethik, hat das Projekt geleitet. Frau Grimm, was ist eine Value Map?
Petra Grimm: Nun, die Value Map erfasst sozusagen deskriptiv, analytisch kann man sagen, welche Werte, aber auch Wertekonflikte eigentlich zu berücksichtigen sind, wenn man so eine Corona-Tracing-App einführen möchte. Und im öffentlichen Diskurs wurden bislang vor allem immer nur die technischen oder auch datenschutzrechtlichen Gesichtspunkte verhandelt.
Eine junge Frau mit Schutzmaske blickt auf ihr Smartphone. (Symbolbild)
Warum Deutschland noch keine Corona-App hat
Deutschland hat noch immer keine Corona-Warn-App, mit der unwissentliche Kontakte zu Infizierten nachverfolgt werden könnten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte ein solches Instrument längst angekündigt. Doch es gibt viele Hindernisse.
Uns ging es aber um eine ethische Folgenabschätzung, die eben vom Menschen ausgeht. Und was ganz wichtig ist, den Gesamtprozess holistisch aus der Perspektive aller Betroffenen analysiert. Und das ist bislang noch nicht passiert.
Eine Akzeptanz der App in der Bevölkerung wird aber maßgeblich davon abhängen, ob die Menschen wirklich auch Vertrauen in diese haben. Also ob sie der App dann auch Sinnhaftigkeit und Funktionalität zuschreiben. Aber auch, ob der Staat, beziehungsweise die öffentliche Hand ihre Verantwortung über die Folgen übernehmen.
Nun stellen Sie sich mal vor, was passiert, wenn Sie einen Alarm eben auf Ihrer App erhalten. Was geht Ihnen durch den Kopf? Oh je, ich hatte Kontakt mit einer infizierten Person, was jetzt? Muss ich mir vielleicht Sorgen machen? Wo finde ich überhaupt Informationen, wie ich mich verhalten soll? Soll ich beim Gesundheitsamt anrufen? Bekomme ich überhaupt einen Test oder auch eine psychologische Hilfe? Muss ich vielleicht auch meinen Arbeitgeber informieren? Möglicherweise muss dann das Geschäft geschlossen werden oder das Restaurant. Sie sehen: ganz viele Fragen. Und ich glaube, es geht hier vor allen Dingen um die Fürsorge, die gewährleistet sein sollte, wenn ich als Betroffener in eben eine solche Situation komme.
Es geht um Transparenz und Inklusion
Kloiber: Grundlage für die Value Map waren Fragen, die sich eben nicht nur Ihre Studenten gestellt haben, sondern mit denen man unweigerlich konfrontiert wird, sollte die Corona-App eben beim Nutzer aktiv werden, also eine Gefahr anzeigen. Sie haben eben schon ein paar Beispiele genannt. Welche Fragen kommen da noch auf?
Grimm: Also, wir haben uns eben konzentriert darüber Gedanken gemacht, was sind die zentralen Fragestellungen? Und ich glaube, die zentralen sind, inwieweit eben diese Prozesse im Gesamt-System, und ich meine eben nicht nur auf technischer Ebene, so gestaltet sind, dass sie Vertrauen, Wertschätzung und Verantwortungsgefühl implizieren.
Ein Jugendlicher steht mit Mundschutzmaske auf einem S-Bahnsteig in Berlin und blickt auf sein Handy.
Corona-App - Wie eine Corona-Tracing-App funktioniert
Eine Corona-App könnte dabei helfen, die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Man spricht dabei von Tracking- oder Tracing-Apps. Was ist der Unterschied, wie funktioniert diese Verfolgung Infizierter und deren Kontaktpersonen und wie sicher sind dabei die Daten der Nutzer? Ein Überblick.
Es geht auch um die Frage der Transparenz und Offenheit. Ganz wichtig aber ist letztendlich auch, inwieweit überhaupt genügend Ressourcen vorhanden sind, um vor allem bei einem positiven Alarm medizinische und psychosoziale Unterstützung für die Betroffenen zu leisten. Und ich denke da vor allen Dingen auch an die Ausstattung der Gesundheitsämter, was ja schon an mehreren Seiten auch in der Öffentlichkeit angesprochen worden ist.
Aber auch die Frage wie gelingt denn eigentlich die Inklusion möglichst vieler Gesellschaftsgruppen und auch eine Barrierefreiheit im Gesamtsystem? Also, zum Beispiel, dass man fremdsprachige Hotlines einrichtet? Wie geht man um mit älteren Personen, die vielleicht technisch ein bisschen unerfahren sind oder bei denen einfach auch gar nicht die Technik vorhanden ist? Weil sonst schließe ich ja eine ganze Reihe von Personen aus. Und wir wissen ja, dass wir eigentlich ein Minimum von 60 Prozent der Bevölkerung im Boot dabei haben müssten. Und eine Frage, die ich noch nirgendwo gestellt gesehen habe, ist: Wie sollen oder können Minderjährige mit der App umgehen? Das sind alles Fragen, die müssten eigentlich im Vorfeld geklärt werden.
App sollte nicht nur als technisches Werkzeug betrachtet werden
Kloiber: Fragen lösen ja auch Handlungsbedarf aus. Wie würden Sie den beschreiben?
Grimm: Ich glaube zentral ist dieser Vertrauens-Aspekt. Und eben um Vertrauen in eine solche App zu schaffen, sollte die App nicht nur als ein technisches Werkzeug betrachtet werden, sondern sie ist ja im Grunde genommen schon ein ziemlicher Eingriff in das Leben jedes Individuums. Und deshalb, glaube ich, ist ein Blick durch die ethische Brille unabdingbar. Und da hilft eben dieser 'Ethics-by-Design‘-Ansatz. Das bedeutet, dass man bereits bei der Konzeption und Entwicklung eines Produkts eben genau diese Werte und ethischen Fragen stellen muss - und aber auch darüber hinaus die gesamten Anwendungen im Blick haben muss, um eventuelle Fehlentwicklungen dann auch wieder steuern oder korrigieren zu können.
Blick durch die ethische Brille ist unabdingbar
Kloiber: Wir sind jetzt mit der Corona-Tracing-App so weit, dass der erste Quellcode schon veröffentlicht ist. Die Corona-App soll bald kommen, denn viele Menschen warten darauf. Hinkt da die gesellschaftliche und ethische Diskussion, die Sie gerade beschrieben haben, nicht ein bisschen hinterher?
Grimm: Meines Erachtens hätte diese Diskussion schon früher starten müssen. Darum haben wir uns auch eben überlegt, dass jetzt, also bevor die App dann letztendlich auf dem Markt kommt, man sich wesentliche Dinge noch überlegt und zumindest im Bereich dieser Ressourcen vielleicht auch nachbessern kann. Und wir wissen ja gerade, dass eben diese Super-Spreading-Events, also diese Superverbreitungs-Ereignisse, besonders problematisch sind. Und genau da glaube ich, dass die Corona-App auch hilfreich wäre. Und das funktioniert halt nur, wenn man diese ethischen Aspekte nicht außen vor lässt.
Kloiber: Da haben wir also Nachholbedarf. Das muss unbedingt noch gemacht werden ...
Grimm: Würde ich so sagen.
Kloiber: Angesichts der bislang ziemlich hitzigen und im weltweiten Kontext ziemlich heterogen geführten Diskussion glauben Sie, dass die Corona-App ethisch noch zu retten ist?
Grimm: Ich hoffe es, denn sie sensibilisiert uns ja auch ein bisschen dafür, ob wir eher eigennützig sind oder dann doch auch ein Gemeinschaftssinn haben und an die Menschen denken, die es zu schützen gilt. Also ich glaube, das ist ein wesentlicher Aspekt bei der App, dass es hier nicht nur um den eigenen Schutz geht, sondern auch um den Schutz der anderen. Und da ist so ein bisschen meine Befürchtung, dass man das noch nicht so ganz verstanden oder reflektiert hat.
Politik und öffentliche Hand sind in der Verantwortung
Kloiber: Wer muss da jetzt was tun?
Grimm: Ich sehe da auch die Politik und die öffentliche Hand ein Stück weit in der Verantwortung, um auch diesen Prozess noch einmal anzuschieben und sich auf jeden Fall mit diesen Fragestellungen, die wir gestellt haben, schon noch mal ein bisschen intensiver auseinanderzusetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.