Den Nachrichtenredaktionen mehrerer Fernsehsender war es eine kurze Reportage wert: Zwischen Ende Januar und Mitte Februar wurden neun katholische Kirchen im Land mutwillig beschädigt. Die Kirchengemeinde in Houilles, südlich von Paris, traf es innerhalb weniger Tage gleich dreimal. Père Etienne Maroteaux zeigt dem Fernsehteam eine am Boden liegende Marien-Statue und sagt:
"Da sehen Sie die traurigen Überreste der Jungfrau Maria. Die Statue wurde völlig zertrümmert, da hat sich jemand ganz offensichtlich an ihr ausgetobt."
Von zerstörten Beichtstühlen bis zu Schmierereien mit Exkrementen
Im südfranzösischen Nîmes berichtet Kirchgängerin Aimée Thouvenot von einer Entdeckung, die sie zutiefst erschüttert hat:
"Im Inneren der Kirche wurde ein Kreuz an die Wand gemalt – mit Exkrementen! Und darauf Hostien geklebt. Für mich ist es einfach unvorstellbar, wie man sich an heiligen Symbolen vergreifen kann."
In einem Zeitraum von zehn Tagen wurde in der Kirche in Maisons-Laffitte nahe Paris der Altar verwüstet, in Straßburg ein Beichtstuhl kaputtgeschlagen, Statuen umgeworfen, das Altartuch zerrissen, in Notre-Dame im Burgund der Chorraum verwüstet. Auf die Häufung der Vandalismus-Fälle reagierte die französische Bischofskonferenz jedoch überaus verhalten. Deren Sprecher, Bischof Olivier Ribadeau-Dumas, erklärte:
"In der heutigen Gesellschaft ist das Misstrauen ganz allgemein sehr stark geworden. Ich bin nicht sicher, dass es nun mehr Vorbehalte gegenüber Katholiken gibt. Sicher ist hingegen: Es mangelt immer mehr an Respekt vor dem, was heilig ist, vor heiligen Orten."
Premierminister: "Die Angriffe schockieren mich"
Premierminister Edouard Philippe reagierte via Twitter:
"In unserer laizistischen Republik werden die Kultusorte respektiert. Die Angriffe auf sie schockieren mich und sie müssen einstimmig verurteilt werden. Das werde ich auch den Vertretern der Bischofskonferenz beim nächsten Treffen sagen."
Heftig kommentiert wurde die Häufung der Fälle vor allem auf Webseiten des rechtsextremen Lagers. Auch der Chef der konservativen Partei Les Républicains schlug einen scharfen Ton an: Laurent Wauquiez scheut sich nicht, von "Christenfeindlichkeit" zu sprechen:
"In unserem Land gibt es Christenphobie. Es gibt manche, die mit sehr aggressiven Sprüchen Christenfeindlichkeit verbreiten. Das müssen wir bekämpfen. Zusammenleben bedeutet: Zu respektieren, was einem anderen heilig ist. Egal, welcher Religion er angehört."
Ein neues Phänomen sind die Kirchenschändungen in Frankreich keinesfalls. Sie haben gewissermaßen Tradition, hält Religions-Soziologe Philippe Portier fest.
Anti-Sakrileg-Gesetz von 1825
Er sagt: "Nach der französischen Revolution war die Stimmung gegenüber der katholischen Kirche so aufgeheizt, dass die damalige reaktionäre Regierung 1825 ein Anti-Sakrileg-Gesetz verabschiedet hat."
Von 1960 an gingen die Übergriffe auf christliche Orte stark zurück. Doch seit Ende letzten Jahrhunderts nehmen sie wieder zu. Philippe Portier meint, die Gründe dafür seien bislang kaum durchleuchtet worden. Das Gros der Taten, so der Wissenschaftler, ließe sich heute zwei unterschiedlichen Gruppen zuordnen:
"Vandalismus wird betrieben zum einen von Teenagern, die damit eine Art Mutprobe ablegen, Dummheiten machen, die kaum von ideologischen Aspekten geprägt sind. Sie werfen Grabsteine auf dem Friedhof um, dringen in Kirchen ein und zerstören dort Bilder und sonstiges Inventar."
Satanisten als Täter
Heranwachsende, die nicht wissen, was sie tun. In den öffentlichen Schulen ist Religionsunterricht untersagt. Seit per Gesetz 1905 die strikte Trennung von Religion und Staat durchgesetzt wurde, gilt in Frankreich Religion als Privatsache. Mit der zunehmenden Säkularisierung schwindet der Respekt vor den Religionen, dem Religiösen, nehmen "Dumme-Jungen-Streiche" gegen katholische Kultusorte zu. Wesentlich schlimmer jedoch seien Kirchenschändungen, die auf eine andere Tätergruppe zurückgehen, sagt Philippe Portier.
"Da handelt es sich häufig um Milieus, die vom Satanismus geprägt sind. Von der Idee, das Christentum sei eine Religion, die das Individuum unterwirft, längst überfällige Regeln aufrechterhält, die die Gesellschaft in einer sogenannten 'Moral der Schwachen' festhält. Der heutige Satanismus basiert auf einer Idee: Speziell die christliche Religion sei der Feind des Volkes. Man müsse zurückfinden zu einer Ideologie der Stärke – die sich im Satan-Kult inkarniert."
Vor gut zehn Jahren hat die Miviludes, die staatliche Sektenbeobachtungsstelle, dem Satanismus-Phänomen in Frankreich eine Aufklärungsbroschüre gewidmet. In der Öffentlichkeit wird das Thema eher totgeschwiegen, obgleich man im Innenministerium auf Nachhaken zugibt, dass Schmierereien an Kirchen heutzutage hauptsächlich satanistische Botschaften verbreiten. Deren Urheber sind eine winzige Minderheit, doch sie scheint aktiver zu werden.
Verschämtes Schweigen der Katholiken
Das ist nur ein Grund, warum die katholische Kirche sich dazu nur ungern äußert, meint François Huguenin. Der Historiker hat schon vor einem Jahr in einem Essay Frankreichs Katholiken aufgerufen, eine andere Weltsicht zu entwickeln.
"Man geht davon aus, dass nur noch fünf Prozent der Franzosen regelmäßig die Sonntagsmesse besuchen. Dabei sind wir ein Land mit langer katholischer Tradition und Geschichte. Vor einem halben Jahrhundert noch bekannte sich die Mehrheit der Bürger zum Katholizismus. Und der prägte auch die Sitten – was heute nicht mehr der Fall ist. Man hat ein bisschen den Eindruck, als sei den Katholiken noch nicht wirklich bewusst, dass sie nunmehr eine kleine Minderheit stellen, die auch das Recht hat, wie es andere Minderheiten tun, Übergriffe auf sie öffentlich zu machen."
Angesichts des verschämten Schweigens der meisten Katholiken seien die Stimmen radikaler Minderheiten in der Kirche, die zum Beispiel von "Christenfeindlichkeit" sprechen, umso deutlicher zu hören, meint François Huguenin.
"Das lähmt die Stimme der Mehrheit der Katholiken, sogar bei den Bischöfen. Dabei sollten sie sich besser eine Spur lauter zu Wort melden und sagen: Achtung, die radikalen Stimmen repräsentieren nicht die Mehrheit der Christen, nicht die katholische Kirche. Wir können friedlich, aber eindringlich das Thema Kirchenschändungen ansprechen, ohne kriegerische Untertöne."
Schützenhilfe könnte eine politische Initiative leisten: kürzlich haben zwei konservative Abgeordnete in der Nationalversammlung angeregt, eine Arbeitsgruppe zum Thema Kirchenschändungen einzuberufen. Um das Phänomen auszuleuchten.