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Varnhagens "Briefwechsel mit Jugendfreundinnen"
Die Kunst des Briefeschreibens

Vor 250 Jahren wurde Rahel Levin Varnhagen geboren. Als Berliner Salonnière und fleißige Briefschreiberin ist sie bis heute unvergessen. Zu ihrem runden Geburtstag veröffentlicht der Wallstein Verlag ihren Briefwechsel mit Jugendfreundinnen.

Von Shirin Sojitrawalla |
Rahel Levin Varnhagen auf einem historischen Porträt und das Buchcover Barbara Hahn (Hrsg.): „Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Jugendfreundinnen“
Rahel Levin Varnhagen auf einem historischen Porträt und das Buchcover zu Barbara Hahn (Hrsg.): „Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Jugendfreundinnen“ (Porträt: imago / imagebroker, Buchcover: Wallstein Verlag, Hintergrund: Gerda Bergs)
Eines ihrer berühmtesten Zitate ist zum Postkarten-Bestseller geworden: "Was machen Sie? Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen." Dazu springt eine Frau, die keinesfalls dem 18. oder 19. Jahrhundert entstammt, mit vom Wind zurückgeklappten Regenschirm an einem Strand entlang. Der Spruch ist einer jener Aphorismen, für die Rahel Varnhagen, geborene Levin, auch berühmt geworden ist. An anderer Stelle sagt sie: "Ich muss alles wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen lassen."
Als Salonnière ist Rahel Varnhagen, die regelmäßig namhafte Gäste in ihrer Berliner Dachstube empfängt, vielen ein Begriff sowie als fleißige Briefschreiberin. Ihr opus magnum sind die nach ihrem Tod erschienenen Aufzeichnungen "Ein Buch des Andenkens an meine Freunde", vor zehn Jahren in letzter Fassung herausgegeben von Barbara Hahn im Wallstein Verlag. Ebendort erscheint aus Anlass ihres 250. Geburtstages ein umfangreicher Band mit Briefen an Jugendfreundinnen.

"Aurore ist hübsch"

Den Auftakt bilden jene von Dorothea Schlegel, Ehefrau von Friedrich Schlegel. 46 ihrer Briefe und Billets an Rahel Varnhagen sind überliefert und leider kein einziger Gegenbrief. Das ist kein Einzelfall in diesem Band, auch weil sich viele der Freundinnen im Gegensatz zu Varnhagen selbst, nicht um ihren schriftlichen Nachlass kümmerten. Bedauerlich, aber im Falle von Dorothea Schlegel gut zu verschmerzen, strahlen ihre eigenen Briefe doch vor Witz, Geist und Furor. Etwa wenn sie sich über ihre Theater- und Opernbesuche auslässt. So schreibt sie am 13. September 1792 nach dem Besuch einer "Iphigenie"-Aufführung über die Sängerin:
"Sie kennen die Aurore sie ist hübsch. Aber mein Gott, hat denn das Weib nie gelernt daß Iphigenie doch einen etwas edlern, simplern Anstand haben muß, als eine Bachantin? sie ist mir ganz so vorgekommen wie die betrunkene Poissarde in der Königin von Frankreich ihren Kleidern, am 10 ten August. Sie hat nur zwei Ausdrüke im Gesicht; entweder sie fächelt so süß und schmachtend wie eine Zauberin aus dem 5 ten Stockwerk; [und dann wieder] oder sie verzieht ihr wirklich reizendes Gesicht in den gräßlichsten Falten, und dies Mienenspiel wechselt oft so schnell mit einander, daß einen Angst und Grauen befällt. sie hat nicht die mindeste Grazie, weder in ihren Mienen, noch Sprache noch Gang, noch Anzug; alles gemein und outrirt angezogen war sie wie eine jüdische Braut, auch ohne alle Grazie."

Kinder, Küche, Krankheiten

Zu diesem Zeitpunkt war und hieß die geborene Brendel Mendelssohn, spätere Dorothea Schlegel noch Brendel Veit. Erst nach ihrer Taufe und abermaligen Hochzeit wurde sie Dorothea Schlegel. Mehrmalige Namenswechsel aufgrund von Hochzeiten und Konversionen machen fast alle der Brieffreundinnen durch, das ist aber nur zu Beginn verwirrend.
Dorothea Schlegel berichtet im Folgenden nicht nur von ihren Theaterbesuchen, sondern wie die meisten der anderen auch vom täglichen Leben selbst: Kinder, Küche, Krankheiten. Die Damen leiden ausgiebig, tief empfundene und gern beklagte Kopfschmerzen und Migräne sind Standard.
Die Briefe stammen aus dem Nachlass von Karl August Varnhagen, dem Ehemann von Rahel Varnhagen, der sie akribisch verwaltete und kommentierte. Zahllose Briefwechsel sind bereits erschienen, dieser mit Jugendfreundinnen schließt eine Lücke. Der aufregendste in dieser Reihe, nämlich der mit ihrer engsten und extravagantesten Freundin Pauline Wiesel, ist bereits 1997 erschienen, und nicht Teil des neuen Bands.

Exempel für das Triviale

Der jetzt herausgekommene richtet sich eher an Spezialisten. Der reiche Anmerkungsteil und die vielen Zusatzinformationen machen ihn aber auch interessierten Lesern und Leserinnen zugänglich. Dasselbe gilt für die zu Anfang des Jubiläumsjahres ebenfalls im Wallstein Verlag erschienene kritische Ausgabe der Biographie "Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin" von Hannah Arendt. Sie untersucht das Phänomen Rahel Varnhagen ebenso gründlich wie gnadenlos:
"Rahel ist nicht ein Exempel für das Besondere, für das Außerordentliche oder in irgendeiner Merkwürdigkeit Bestimmte: sie ist Exempel für 'das Triviale', das Dunkle wie das Helle, für das, was alle Menschen trifft und betrifft, aber doch jeden so vereinzelt, daß er leicht versucht ist, es für etwas Besonderes zu halten, und wie ein Geheimnis hütet. Sie ist Exempel für Liebe in der banalsten Art, für Zufall in seiner beliebigsten Form. Alles, was 'triviale Sprichwörter' über das Leben im allgemeinen aussagen, davon ist sie ein lebendiges Beispiel."
Geboren wurde Rahel Levin am Pfingstsonntag 1771 in Berlin. Laut Hannah Arendt war sie ein zartes Kind in einer wenig zarten Umgebung. Als Jüdin steht sie von Beginn an außerhalb, und es ist kein Zufall, dass Arendt das erste Kapitel ihrer Biografie mit dem Wort "Benachteiligtsein" überschreibt. Das Benachteiligtsein bezieht sich auf Herkunft, Geschlecht und Stand. Rahel Varnhagen hadert ihr Leben lang mit diesen Benachteiligungen, die sie bis in den Schlaf hinein verfolgen. 1814 erst empfängt sie die evangelische Taufe und heiratet den 14 Jahre jüngeren Karl August Varnhagen.

Regelmäßiger Postverkehr

Die meisten ihrer Brieffreundinnen sind ebenfalls Jüdinnen, die ebenfalls konvertieren. In den Briefen spielt die jüdische Frage dennoch eine eher nebengeordnete Rolle, wiewohl Fragen der Assimilation das Leben der Frauen bestimmen und in ihre Liebesverhältnisse hineinspielen. Dennoch beschäftigen sie sich mehr mit ihrem alltäglichen Privatleben: Hochzeiten und Todesfälle, eheliche und außereheliche Schwangerschaften, Liebesschmerz und -wonnen, die Drangsal arrangierter Ehen und Ausbrüche aus diesen, Scheidungen und Seelenschmerzen. Dabei lesen sich die Briefe zuweilen nicht wie die von Freundinnen, sondern wie die von Geliebten, solch ein innerlicher Ton herrscht oft vor, ganz der Epoche der Romantik gehorchend.
Von kurzen Billetts bis zu seitenlangen Briefen reichen die Korrespondenzen. Ausgiebig beratschlagen die Frauen, wo und wie man sich persönlich über den Weg laufen könnte. Meist sind die Briefe nur eine Notlösung für das Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Regelmäßiger Postverkehr entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert, nicht selten wurden Briefe damals Reisenden mitgegeben, was die Schreiberinnen nicht alles sagen lässt.
In den vorliegenden Briefen erscheint Rahel Varnhagen als begehrte und umschwärmte Frau, nach deren Nachrichten sich ihre Freundinnen verzehren. Lebte sie heute, würde sie womöglich auf allen Social-Media-Kanälen tanzen. Zu unserem Glück lebte sie in der Epoche des Briefes, denn ob in 250 Jahren die Tweets von heute noch gelesen werden, ist eher unwahrscheinlich.
Die hier versammelten Briefe unterscheiden sich naturgemäß sehr, je nach Temperament und Alter der jeweiligen Schreiberin, aber auch hinsichtlich der Nähe beziehungsweise Distanz zur Adressatin. Manche siezen, manche duzen Rahel Varnhagen, manche hofieren sie kühl, andere scheinen ihr aufrichtig zugetan. Das gilt etwa für Fradchen Liepmann, spätere Friederike Liman, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verbindet. Am 4. Februar 1815 schreibt Rahel aus Wien:
"Wann schreibt man seinen Freunden? Wenn man etwas von ihnen will. Wer sind unsere Freunde? Die klügsten Menschen, die da wißen was Freundschaft ist. Was ist Freundschaft? Das was sie seyn kann. Die Gabe, anderer Persönlichkeit zu durchschauen, die Tugend sie zu respektiren und anzuerkennen wie die eigene; das Glük eine gefunden zu haben, deren Wesen und bloßes Daseyn uns gefällig ist, in jeder Äußerung, im Gewähren wie im Versagen, und die wieder die Eigenschaften besitzt, und verbindet, unsere in Freyheit, d:h: in den Möglichkeiten die ihr entsprechen, ihr Daseyn zu entwiklen. Du erlaubst mir also Schweigen wenn es mir schwehr würde zu sprechen – mit Zunge oder Feder – du erlaubst mir einen kurzen Brief, der nur eben das sagt was ich im Augenblik wünsche, und von dir möchte!"

"Ich war irre!"

Der Briefwechsel mit dieser Freundin besticht durch eine besondere Quirlig- und Lebendigkeit sowie Herzensfrische. Die beiden tauschen sich anregend über ihre Lektüren aus, spicken ihre Briefe mit Anspielungen auf dieses oder jenes Werk, der Hausheilige ist Goethe, der im gesamten Band einen Ehrenplatz erhält. Jede, die ihn trifft, sieht, spricht, erzählt das umgehend und gibt damit an wie mit einem besonders prächtig funkelnden Edelstein am Finger.
Fradchen Lipman betont wie andere auch die Einzigartigkeit der Rahel Varnhagen. Gewiss, alle Menschen sind einzigartig und doch scheinen manche einzigartiger als andere. Auf Rahel Varnhagen trifft das zu, auch Hannah Arendt attestiert ihr Originalität. Sicher ist, dass ihre Briefe als Währung auf dem gesellschaftlichen Parkett galten, man liest seinen Freunden daraus vor, ergötzt sich daran. Anderes gab es damals von ihr offiziell nicht zu lesen, eigene Texte publizierte sie zu Lebzeiten nur anonym.
Dreizehn unterschiedliche Stimmen vereint der vorliegende Band, wobei die Frauen auch untereinander bekannt waren, wodurch sich beim Lesen hübsche Querverbindungen ergeben. "Jüdinnen, Adlige, Künstlerinnen – und Freundinnen. Eine Konstellation von Menschen, die in der europäischen Tradition nicht vorgesehen war", schreibt Barbara Hahn im Nachwort und zitiert Rahel Varnhagen:
"Ich war irre, mit Vielen, bis jetzt über Freundschaft, oder vielmehr über Freunde. Nicht muß ein Freund dem andern so viel leisten, als dieser ihm. Solches handelsmäßige Verfahren mag in allen übrigen Verhältnissen Statt finden! Unsre Freunde sind die Gleichgesinnten, die wir, wie uns selbst, müssen ehren können: Freunde sind Menschen, die von einander überzeugt sind: aber bald muß der eine, bald der andere alles leisten, ohne Kalkül anzustellen, und je etwas dafür zu erhalten, noch zu erwarten, noch in sich zu fordern. Und so ist es auch in der Welt: wir haben Freunde, denen wir leisten, und Freunde, die uns leisten; und dies nach den verschiedenen Naturen der Menschen und ihrer Lage gewähren zu lassen, grade darin besteht die Freundschaft. In allen andern Verhältnissen herrscht ja ein offenbarer Handel. Ein Freund kann nur ein verehrtes Wesen sein, von dem wir, der Natur der Verehrung nach, nichts verlangen. Was wäre er sonst?"

Öffentliche Demütigung

Von der großen Epoche des Freundschaftskultes spricht Dieter Lamping in seiner im März erschienenen ebenso schmalen wie lesenswerten Rahel-Varnhagen-Biographie. Friedrich Schlegel sprach von Freundschaft gar als "Heiligstem".
Gar nicht genug zu loben an diesem minutiös edierten Briefwechsel ist sein umfangreicher Anmerkungsapparat, der zuweilen aufregender ist als die Briefe selbst.
Vor jedem Briefwechsel gibt es zudem ein Faksimile der jeweiligen Handschrift, ein Porträt, soweit vorhanden, und eine aufschlussreiche Kurzbiographie. Die oft sehr pointierten Anmerkungen von Karl August Varnhagen sind ebenfalls abgedruckt. So auch im Falle von Caroline von Humboldt, der Ehefrau von Wilhelm von Humboldt, die von einer engen Freundin zu einer losen Bekannten wurde.
Öffentlich demütigte sie Rahel Varnhagen, indem sie von Du auf Sie umstellte. Karl August Varnhagen attestiert ihr, mit dem Aufstieg ihres Mannes immer "hoffärtiger" geworden zu sein. Und Rahel selbst spricht davon, dass die einstige liebenswürdige Freundin zur preußischen Kadettenmutter herabgesunken sei. Im Briefwechsel der beiden spiegeln sich die Befreiungskriegswirren um das Jahr 1813. Rahel Varnhagen war damals aus dem besetzten Berlin nach Prag geflohen und kümmerte sich dort um verwundete Soldaten. Am 7. Dezember 1813 schreibt sie von Prag aus an Caroline von Humboldt:
"man liebt unbedingt: aber ich sehe niemand unbedingt: und da mein Leben, meine Tage wirklich eine Serie von Besorglichkeiten sind: so verlange ich, da sie sie so erfreut hinunterschlucken, fordern, gebrauchen, sich drauf verlassen; daß die Anderen nicht allein 'edel und gut', sondern auch 'hülfreich' seien. Wie es Goethe verlangt. 'Edel sei der Mensch, hülfreich und gut.' Was kann er mehr sein? und nichts ist er, wenn er weniger ist; ein zu gebrauchendes Ding, dann."

Am Rande der Korrespondenz

Immer wieder hilft Caroline von Humboldt mit Geld, das sie der Freundin nach Prag sendet. Ihr Kriegsbriefwechsel liest sich flehend, aufgeregt, aufgelöst. Beide teilen Todesängste um ihre Liebsten. Die politischen Verhältnisse, die man in den Briefen oft vermisst, geraten bei ihnen zumindest ins Blickfeld.
Mit ihren privaten Krankheitsgeschichten geraten sie in einen regelrechten Überbietungswettbewerb. Eine von beiden scheint immer malad. Zudem ist Caroline von Humboldt oft schwanger. Am Rande ihrer Korrespondenz erfährt man - gerade auch in pandemischen Zeiten - höchst Interessantes, etwa über die damalige Impfpraxis des Inokulierens.
Doppelt so viele Briefe von Caroline von Humboldt an Rahel Varnhagen wie umgekehrt sind erhalten. Mehr Selbstgespräch als Dialog. Ohne Antwort ist den Briefen der Resonanzboden entzogen. Das große Manko dieser Ausgabe. Den 352 Briefen der Freundinnen stehen 63 von Rahel Varnhagen gegenüber. Ein bedauernswertes Missverhältnis.

"Ewig Ihre Freundin"

Der kürzeste Briefwechsel ist der mit der umschwärmten Schauspielerin und Sängerin Friederike Unzelmann, spätere Bethman. Nur ein Brief und fünf Billets sind überliefert. Darunter einer der fröhlichsten des Bandes, von Friederike Unzelmann an Rahel Levin:
"Mein kleiner Engel
Aufgemuntert das es Ihnen einiges Vergnügen machen könte von einer recht guten Freundin eine kleine Nachricht zu erhalten, bin ich so frey Ihnen zu sagen das ich Ihnen von Hertzen Guth bin und allen Antheil an Ihrer Laune nehme die wie einige Leute versichern wollen nicht die beste sein soll. Ich bin heute sehr Lustig weil ich ein Neues Kleit anzihe, das recht guth gerathen ist und Sie wissen das dießes in stante ist Jedes Fraunzimmer aufzumuntern, dießes ist dann für Heute alles was ich Ihnen sagen kann ein andermal ein mehreres.
Ewig Ihre Freundin / Fridrike Unzelmann"

Know-how der Frauen

Ein andermal ein mehreres. Nur eine der herrlichen Abschiedsformeln, die man sich merken sollte. "Schreibe bald. Grüße alle" lautet eine andere. Oder: "Viel Vergnügen, viel Gesundheit und baldiges Wiedersehnchen". Auch entschwundene Worte bietet der Band feil: "fetzpöpel" für Lumpen, "knackschählig" für gebrechlich. "Maulfade" und "ziemlichermaßen" sprechen für sich.
Die Briefe geben nicht nur Einblick in unterschiedliche weibliche Lebenswelten, sondern auch in die damalige Zeit. Dabei geht es um immer gültige Beschwerden über private Befindlichkeiten wie um Mode, Nahrung, Klatsch. Man verspricht sich Mandelkuchen und Würste, schickt sich Puder und Modetipps aus Paris. Es geht um gefährliche Affären, Kabale und Liebe, und der Ton wechselt mit der jeweiligen Schreiberin, mal gespreizt, mal stilsicher. Kuraufenthalte ziehen sich durch die Briefe wie die Goethe-Vergötterung, Wiesbaden, Marienbad, Baden-Baden, Karlsbad. Wo es sich gut kuren lässt, gehört zum Know-how der Frauen.
Auch theatergeschichtlich sind die Briefwechsel interessant. So etwa der Hinweis auf das Stück "Unser Verkehr", das auf Betreiben der jüdischen Gemeinde vom preußischen Staatskanzler Karl August von Hardenberg verboten, dann aber aufgrund anhaltender Proteste des Publikums überarbeitet uraufgeführt wurde und zum großen Erfolg des Berliner Theaterherbstes 1815 wurde.

"Der Mensch handelt von Außen"

Eine Information, die das gesellschaftliche Klima der Zeit illustriert und die sich wiederum dem Anmerkungsapparat verdankt. Die Briefe anderer Leute zu lesen, ist nicht nur eine intime Angelegenheit, sondern bietet auch die Möglichkeit, sich in eine andere Zeit zu beamen. Briefe als ideales Vehikel für Zeitreisen. Bei allem, was sich seitdem geändert haben mag, gibt es Grundkonstanten des Menschseins, wie dieser schöne Briefanfang von Josephine von Pachta zeigt:
"Die Menschen denken nicht ernstlich an den Tod, sagte ich Einsiedel als er mich nach Hause führte, und findest du es nicht so? Wie könnten sie uns sonst Trennung gebiethen die einmal als vergängliche Wesen uns ohne dies bevorstehet. Ja ich glaube daß die größten Unfälle die uns von andern und von Uns selbst zukommen haben Ihre Ursache in der Vergessenheit des Tods: der Mensch handelt von Außen als wenn er ewig, [wäre] und arbeitet in seinen Innern eben so wenig als wenn er endlich wie die Blumen, wäre."
Ein Brief zum Lautlesen. Wie einen bei der Lektüre des Bandes ohnehin der Wunsch überkommt, sich diese Briefe vorlesen zu lassen. Darüber hinaus macht das Buch ungemein Lust, sich abermals oder erstmalig mit Rahel Levin Varnhagen eingängiger zu beschäftigen. Ihr 250. Geburtstag bietet den idealen Anlass dazu.
Barbara Hahn (Hrsg.): "Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Jugendfreundinnen"
Wallstein Verlag, Göttingen. 1092 Seiten, 98 Euro.