Christoph Heinemann: In offener Feldschlacht waren sie unbesiegbar, aber als die rund 15.000 Soldaten ziemlich genau vor 2000 Jahren auf den engen Waldwegen des heutigen südwestlichen Niedersachsens angegriffen wurden, hatten sie keine Chance.
Vermutlich in der zweiten Septemberhälfte des Jahres neun nach Christus erlitten die Römer eine der schwersten Niederlagen ihrer Geschichte. Drei römische Legionen - über 28 verfügte das Weltreich insgesamt - wurden bis auf kleine Reste niedergekämpft, und das bedeutete in dieser Zeit eben auch niedergemetzelt: von, wie "Der Spiegel" es formulierte, einer Horde schwertschwingender Zauselbärte unter der Führung des Arminius, der später zu Hermann der Cherusker verklärt wurde, mit steinernen und literarischen Hermannsdenkmalen. Wobei man sich schon fragen muss, was die Römer in der Gegend überhaupt zu suchen hatten, die Tacitus als landschaftlich reizlos, klimatisch rau und überhaupt trostlos beschrieb. Da hatte das antike Italien Schöneres zu bieten.
Wie dem auch sei: Arminius' Guerillakampf zog sich über mehrere Tage hin. Vermutlich fand die sogenannte Schlacht im Teutoburger Wald am Kalkrieser Berg in der Gegend von Osnabrück statt. Die Auseinandersetzung über den genauen Tatort ist allerdings noch nicht beendet.
Der römische Feldherr Quintilius Varus stürzte sich angesichts des Debakels in sein Schwert. Er hätte Kaiser Augustus in Rom auch kaum unter die Augen treten können mit der Bemerkung "dumm gelaufen". "Der Tag, an dem Deutschland entstand" hat der Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski sein Buch über die Varusschlacht überschrieben. Guten Morgen!
Tillmann Bendikowski: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Bendikowski, Arminius war römischer Bürger. War der Mann ein Verräter?
Bendikowski: Das Etikett des Verräters ist eine Frage der Perspektive, aber aus römischer Perspektive ganz klar zu beantworten: Der Mann war in der Tat ein Verräter, römischer Bürger, Befehlshaber einer sogenannten Hilfstruppe, einer Auxiliareinheit, an den Seiten der römischen Legion, und der fällt nun den eigenen Waffenbrüdern in den Rücken. Doch, das muss man sagen: Das war Verrat.
Heinemann: Warum hat er seine Kameraden angegriffen?
Bendikowski: Das ist schon eine schwierigere Frage, weil wir ein ganzes Bündel an Motiven heute vermuten. Die klassische Erklärung, die nicht mehr weit trägt, heißt, der Mann wollte Germanien befreien. Das bewegt sich weit weg von den historischen Realitäten. Ganz sicher gehen wir davon aus, dass der Arminius auch sogenannte innenpolitische Gründe hatte. Das heißt, es war ein guter Moment, er sah eine gute Gelegenheit, sich auch innenpolitisch innerhalb der germanischen Stämme zu profilieren. Das war eine günstige Gelegenheit, und lassen Sie mich hinzufügen: Das war auch Raubgier. Der Mann wusste, dass er bei einem Sieg einfach auch eine prall gefüllte Kriegskasse besitzen würde. Das war hinterher auch so.
Heinemann: Und Germanien in dem Sinne gab es noch gar nicht, die eben zitierten Zauselbärte hatten noch gar kein Wirgefühl.
Bendikowski: Nein. Wenn Sie einen Germanen vor 2000 Jahren getroffen hätten, der hätte sich nie als Germane bezeichnet, auch nicht so verstanden. Germanien ist eine Fremdbezeichnung der Römer, gerade von Cäsar populär gemacht. Die Germanen haben sich selber anders bezeichnet. Es waren Stämme, die sich mehr oder weniger voneinander unterschieden.
Heinemann: Herr Bendikowski, war die Varusschlacht Roms Vietnam?
Bendikowski: Diese Vergleiche sind schwierig. Dann kann man auch sagen, dann ist Arminius der Che Guevara des Teutoburger Waldes gewesen. Sie hatten eben die Guerillataktik genannt und beim Marketing der beteiligten Museen werden auch solche T-Shirts verkauft.
Der Vergleich hinkt natürlich stark, aber es ist etwas dran, wenn Sie diese Niederlage als mentale Katastrophe verstehen. Rom hatte an dieser Niederlage wirklich schwer zu tragen und die Verzweiflung in Rom war groß. Auch konkret: Es gab auch dann Schwierigkeiten, neue Legionen aufzustellen. Aber so weit ich weiß, sind die Vereinigten Staaten an Vietnam ja nicht zugrunde gegangen, und wir dürfen auch davon ausgehen, dass Rom nicht untergegangen ist, weil es die Varusschlacht gab.
Heinemann: Aber wir haben gelernt, dass die Römer anschließend das Gebiet zwischen Rhein und Elbe nie wieder unter Kontrolle gebracht haben.
Bendikowski: So ist das mit den Sachen, die man in der Schule lernt. Einiges stimmt, einiges nicht so ganz. Der Rückzug der Römer an den Rhein ist verbrieft, einige Jahre nach der Varusschlacht.
Heinemann: Unter Tiberius?
Bendikowski: Unter Tiberius. Tiberius, der selber mal Stadthalter in Germanien war, der wusste, um was es dort ging. Dieser Rückzug, dazu hat die Varusschlacht beigetragen. Der alleinige Grund war sie ganz sicher nicht, sondern es war von Tiberius vor allen Dingen eine Kostenfrage, eine Frage des Aufwandes und des Nutzens und die Rückbesinnung auf den eigentlichen Kern der Germanienpolitik: Man wollte Gallien schützen.
Heinemann: Tacitus hat sich über Germanien nicht besonders euphorisch geäußert. Was hatten die Römer überhaupt in den Sümpfen Germaniens zu suchen?
Bendikowski: Was sie dort auf jeden Fall nicht mit gutem Grund suchen konnten, waren Reichtümer, wie sie das in Gallien vorfanden. Die Besetzung Galliens, ganz Galliens, wie wir wissen, war eine attraktive Angelegenheit. Germanien hatte aus römischer Perspektive nicht viel zu bieten, wenig erschlossen, wenig Bodenschätze, wenig Händler, mit denen man wirklich lukrativ Handel treiben konnte.
Das heißt, die Römer waren in Germanien erstens als Grenzsicherung für Gallien, zweitens waren es natürlich Feldzüge, wo einzelne Feldherren sich ihre Lorbeeren verdienen konnten, und man musste natürlich ausprobieren, wie weit konnte man in diesem Land jenseits des Rheines gehen. Eine römische Provinz - das ist noch umstritten in der Wissenschaft - war dieses Germanien wohl dann niemals.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk; wir sprechen mit dem Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski und wir kommen jetzt auf den Titel Ihres Buches zu sprechen. Warum entstand Deutschland an einem Tag?
Bendikowski: Der Titel zielt weniger auf die historischen Ereignisse als auf das, was dann 1500 Jahre später begann, nämlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Da wird nämlich dieser historische Arminius durch die mythische Gestalt Hermann der Cherusker ersetzt und es entsteht dieser Nationalmythos der nationalen Befreiungstat des Hermanns. Und fortan bis ins 20. Jahrhundert hinein trugen die Deutschen immer, wenn Sie wollen, einen mentalen Rucksack mit sich herum. Und immer, wenn es um die deutsche Nation ging, dann zogen sie ihren Hermann den Cherusker und ihre Varusschlacht aus dem Rucksack und sagten, das ist der Moment, an dem wir entstanden. Historisch nicht haltbar, aber der Mythos war immer bis ins 20. Jahrhundert hinein eben politisch wirksam.
Heinemann: Das heißt, ideologisch war die Varusschlacht vielleicht doch ein Meilenstein auf dem Weg zur Gründung des Deutschen Reiches? - Ideologisch!
Bendikowski: Als Mythos auf jeden Fall. Der Mythos ist nicht zu unterschätzen. Der diente den Reformatoren in der Auseinandersetzung mit der römischen Kurie, mit Italien schon, er diente in den Türkenkriegen, er diente gegen Napoleon. Und 1870/71, Gründung des Deutschen Reiches, natürlich spielte da Hermann der Cherusker als Siegesfigur gegen die ausländischen Feinde, in diesem Fall den Erbfeind Frankreich, eine ganz zentrale Rolle.
Heinemann: Die Nazis haben aus Rücksicht auf den Achsenpartner Italien Arminius nicht allzu hoch auf den Sockel gestellt. Wie ist denn die DDR mit Arminius umgegangen?
Bendikowski: Das hat mich bei den Recherchen am meisten überrascht. Nach 1945 dachte man, diese Figur Hermann der Cherusker sei nun endgültig tot. Aber nur wenige Jahre später zaubert in der Tat Ostberlin diese Figur wieder hervor, diesmal als sozialistischen Kämpfer für eine deutsche Einheit.
Wir befinden uns noch vor dem Mauerbau, vor 1961. Hier dient diese historische Figur auf Grundlage der Schriften von Friedrich Engels vor allem als Figur, die deutsche Einheit erneut zu fordern unter sozialistischen Vorzeichen, als Figur, als Vorbild für einen Befreier, und innerhalb der sozialistischen Geschichtsinterpretation als revolutionärer Überwinder der römischen Sklavenhaltergesellschaft. Das heißt, er hatte einen festen Platz in der Heldengalerie der sozialistischen Geschichtshelden.
Heinemann: Sonst zusammen nur mit Thomas Müntzer?
Bendikowski: Thomas Müntzer und Hermann der Cherusker - das ist meine Erfahrung, wenn man mit Menschen spricht, die in der DDR Geschichtsunterricht genossen haben, ganz im Gegensatz zu den Altersgenossen in Westdeutschland - sind die beiden großen Ikonen. Das werden Sie bei Gesprächen feststellen: Das ist bei Westdeutschen längst nicht so verankert.
Heinemann: Herr Bendikowski, Sie haben Arminius als historischen Scheinriesen bezeichnet. Was bedeutet das?
Bendikowski: Die Wirkung des Mythos wurde immer größer. Je weiter man wegkommt von der realen Figur, desto größer war der Schatten, den diese Gestalt warf. Der eigentlich historische Arminius lässt sich gut beschreiben, ein kluger Junge aus gutem Hause, gut ausgebildet mit reichlich Geld und guter Gelegenheit, gewinnt eine wenngleich große Schlacht.
Das ist eine historische Leistung, wenn Sie so wollen, aber auch nichts Außergewöhnliches. Aber über die Jahrhunderte wird diese Figur größer und größer und je weiter sie sich vom eigentlichen Leben entfernt, desto größer wird sie. Das ist der historische Scheinriese.
Heinemann: War Arminius unter Umständen auch ein Zivilisationsverhinderer? Oder anders gefragt: Wie sähe Deutschland aus, wenn sein Angriff ins Leere gelaufen wäre?
Bendikowski: Das ist immer ein beliebtes Spiel, diese spekulative Geschichtsschreibung. Das macht Spaß, das mache ich manchmal mit, in diesem Falle nicht, weil es so hoch spekulativ ist, dass es uns nicht weiterhilft, und ich bin auch immer skeptisch, weil hinter diesen Fragen - natürlich nicht in Ihrem Falle - auch immer die Überlegung steht: Sind wir auf einen Weg geraten, auf dem wir nicht anders handeln konnten.
Diese Entschuldungsstrategie ist mir suspekt und es gibt sie in der Literatur häufig. Das heißt, die Deutschen sind für die Geschichte, die sie anschließend veranstaltet haben, selber Schuld und kein Arminius hat ihnen irgendwas in den Weg gelegt oder irgendeine Weggabelung eröffnet. Nein, die Geschichte, die wir hinterher beschritten haben, die haben wir selber gemacht.
Heinemann: Das heißt, in keinem Fall würden jetzt in Niedersachsen Olivenbäume und Weinreben blühen?
Bendikowski: Na ja, das kann man spekulieren. Auf der anderen Seite kann es auch so sein, dass es Niedersachsen gar nicht gegeben hätte. Das wäre natürlich eine Frage, ob man das wirklich gewollt hätte.
Heinemann: Die Niedersachsen sicher nicht! Der Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski, Autor des Buches "Der Tag, an dem Deutschland entstand", über die Varusschlacht, die vermutlich ziemlich genau vor 2000 Jahren im heutigen Niedersachsen stattfand. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Bendikowski: Gern geschehen.
Vermutlich in der zweiten Septemberhälfte des Jahres neun nach Christus erlitten die Römer eine der schwersten Niederlagen ihrer Geschichte. Drei römische Legionen - über 28 verfügte das Weltreich insgesamt - wurden bis auf kleine Reste niedergekämpft, und das bedeutete in dieser Zeit eben auch niedergemetzelt: von, wie "Der Spiegel" es formulierte, einer Horde schwertschwingender Zauselbärte unter der Führung des Arminius, der später zu Hermann der Cherusker verklärt wurde, mit steinernen und literarischen Hermannsdenkmalen. Wobei man sich schon fragen muss, was die Römer in der Gegend überhaupt zu suchen hatten, die Tacitus als landschaftlich reizlos, klimatisch rau und überhaupt trostlos beschrieb. Da hatte das antike Italien Schöneres zu bieten.
Wie dem auch sei: Arminius' Guerillakampf zog sich über mehrere Tage hin. Vermutlich fand die sogenannte Schlacht im Teutoburger Wald am Kalkrieser Berg in der Gegend von Osnabrück statt. Die Auseinandersetzung über den genauen Tatort ist allerdings noch nicht beendet.
Der römische Feldherr Quintilius Varus stürzte sich angesichts des Debakels in sein Schwert. Er hätte Kaiser Augustus in Rom auch kaum unter die Augen treten können mit der Bemerkung "dumm gelaufen". "Der Tag, an dem Deutschland entstand" hat der Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski sein Buch über die Varusschlacht überschrieben. Guten Morgen!
Tillmann Bendikowski: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Bendikowski, Arminius war römischer Bürger. War der Mann ein Verräter?
Bendikowski: Das Etikett des Verräters ist eine Frage der Perspektive, aber aus römischer Perspektive ganz klar zu beantworten: Der Mann war in der Tat ein Verräter, römischer Bürger, Befehlshaber einer sogenannten Hilfstruppe, einer Auxiliareinheit, an den Seiten der römischen Legion, und der fällt nun den eigenen Waffenbrüdern in den Rücken. Doch, das muss man sagen: Das war Verrat.
Heinemann: Warum hat er seine Kameraden angegriffen?
Bendikowski: Das ist schon eine schwierigere Frage, weil wir ein ganzes Bündel an Motiven heute vermuten. Die klassische Erklärung, die nicht mehr weit trägt, heißt, der Mann wollte Germanien befreien. Das bewegt sich weit weg von den historischen Realitäten. Ganz sicher gehen wir davon aus, dass der Arminius auch sogenannte innenpolitische Gründe hatte. Das heißt, es war ein guter Moment, er sah eine gute Gelegenheit, sich auch innenpolitisch innerhalb der germanischen Stämme zu profilieren. Das war eine günstige Gelegenheit, und lassen Sie mich hinzufügen: Das war auch Raubgier. Der Mann wusste, dass er bei einem Sieg einfach auch eine prall gefüllte Kriegskasse besitzen würde. Das war hinterher auch so.
Heinemann: Und Germanien in dem Sinne gab es noch gar nicht, die eben zitierten Zauselbärte hatten noch gar kein Wirgefühl.
Bendikowski: Nein. Wenn Sie einen Germanen vor 2000 Jahren getroffen hätten, der hätte sich nie als Germane bezeichnet, auch nicht so verstanden. Germanien ist eine Fremdbezeichnung der Römer, gerade von Cäsar populär gemacht. Die Germanen haben sich selber anders bezeichnet. Es waren Stämme, die sich mehr oder weniger voneinander unterschieden.
Heinemann: Herr Bendikowski, war die Varusschlacht Roms Vietnam?
Bendikowski: Diese Vergleiche sind schwierig. Dann kann man auch sagen, dann ist Arminius der Che Guevara des Teutoburger Waldes gewesen. Sie hatten eben die Guerillataktik genannt und beim Marketing der beteiligten Museen werden auch solche T-Shirts verkauft.
Der Vergleich hinkt natürlich stark, aber es ist etwas dran, wenn Sie diese Niederlage als mentale Katastrophe verstehen. Rom hatte an dieser Niederlage wirklich schwer zu tragen und die Verzweiflung in Rom war groß. Auch konkret: Es gab auch dann Schwierigkeiten, neue Legionen aufzustellen. Aber so weit ich weiß, sind die Vereinigten Staaten an Vietnam ja nicht zugrunde gegangen, und wir dürfen auch davon ausgehen, dass Rom nicht untergegangen ist, weil es die Varusschlacht gab.
Heinemann: Aber wir haben gelernt, dass die Römer anschließend das Gebiet zwischen Rhein und Elbe nie wieder unter Kontrolle gebracht haben.
Bendikowski: So ist das mit den Sachen, die man in der Schule lernt. Einiges stimmt, einiges nicht so ganz. Der Rückzug der Römer an den Rhein ist verbrieft, einige Jahre nach der Varusschlacht.
Heinemann: Unter Tiberius?
Bendikowski: Unter Tiberius. Tiberius, der selber mal Stadthalter in Germanien war, der wusste, um was es dort ging. Dieser Rückzug, dazu hat die Varusschlacht beigetragen. Der alleinige Grund war sie ganz sicher nicht, sondern es war von Tiberius vor allen Dingen eine Kostenfrage, eine Frage des Aufwandes und des Nutzens und die Rückbesinnung auf den eigentlichen Kern der Germanienpolitik: Man wollte Gallien schützen.
Heinemann: Tacitus hat sich über Germanien nicht besonders euphorisch geäußert. Was hatten die Römer überhaupt in den Sümpfen Germaniens zu suchen?
Bendikowski: Was sie dort auf jeden Fall nicht mit gutem Grund suchen konnten, waren Reichtümer, wie sie das in Gallien vorfanden. Die Besetzung Galliens, ganz Galliens, wie wir wissen, war eine attraktive Angelegenheit. Germanien hatte aus römischer Perspektive nicht viel zu bieten, wenig erschlossen, wenig Bodenschätze, wenig Händler, mit denen man wirklich lukrativ Handel treiben konnte.
Das heißt, die Römer waren in Germanien erstens als Grenzsicherung für Gallien, zweitens waren es natürlich Feldzüge, wo einzelne Feldherren sich ihre Lorbeeren verdienen konnten, und man musste natürlich ausprobieren, wie weit konnte man in diesem Land jenseits des Rheines gehen. Eine römische Provinz - das ist noch umstritten in der Wissenschaft - war dieses Germanien wohl dann niemals.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk; wir sprechen mit dem Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski und wir kommen jetzt auf den Titel Ihres Buches zu sprechen. Warum entstand Deutschland an einem Tag?
Bendikowski: Der Titel zielt weniger auf die historischen Ereignisse als auf das, was dann 1500 Jahre später begann, nämlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Da wird nämlich dieser historische Arminius durch die mythische Gestalt Hermann der Cherusker ersetzt und es entsteht dieser Nationalmythos der nationalen Befreiungstat des Hermanns. Und fortan bis ins 20. Jahrhundert hinein trugen die Deutschen immer, wenn Sie wollen, einen mentalen Rucksack mit sich herum. Und immer, wenn es um die deutsche Nation ging, dann zogen sie ihren Hermann den Cherusker und ihre Varusschlacht aus dem Rucksack und sagten, das ist der Moment, an dem wir entstanden. Historisch nicht haltbar, aber der Mythos war immer bis ins 20. Jahrhundert hinein eben politisch wirksam.
Heinemann: Das heißt, ideologisch war die Varusschlacht vielleicht doch ein Meilenstein auf dem Weg zur Gründung des Deutschen Reiches? - Ideologisch!
Bendikowski: Als Mythos auf jeden Fall. Der Mythos ist nicht zu unterschätzen. Der diente den Reformatoren in der Auseinandersetzung mit der römischen Kurie, mit Italien schon, er diente in den Türkenkriegen, er diente gegen Napoleon. Und 1870/71, Gründung des Deutschen Reiches, natürlich spielte da Hermann der Cherusker als Siegesfigur gegen die ausländischen Feinde, in diesem Fall den Erbfeind Frankreich, eine ganz zentrale Rolle.
Heinemann: Die Nazis haben aus Rücksicht auf den Achsenpartner Italien Arminius nicht allzu hoch auf den Sockel gestellt. Wie ist denn die DDR mit Arminius umgegangen?
Bendikowski: Das hat mich bei den Recherchen am meisten überrascht. Nach 1945 dachte man, diese Figur Hermann der Cherusker sei nun endgültig tot. Aber nur wenige Jahre später zaubert in der Tat Ostberlin diese Figur wieder hervor, diesmal als sozialistischen Kämpfer für eine deutsche Einheit.
Wir befinden uns noch vor dem Mauerbau, vor 1961. Hier dient diese historische Figur auf Grundlage der Schriften von Friedrich Engels vor allem als Figur, die deutsche Einheit erneut zu fordern unter sozialistischen Vorzeichen, als Figur, als Vorbild für einen Befreier, und innerhalb der sozialistischen Geschichtsinterpretation als revolutionärer Überwinder der römischen Sklavenhaltergesellschaft. Das heißt, er hatte einen festen Platz in der Heldengalerie der sozialistischen Geschichtshelden.
Heinemann: Sonst zusammen nur mit Thomas Müntzer?
Bendikowski: Thomas Müntzer und Hermann der Cherusker - das ist meine Erfahrung, wenn man mit Menschen spricht, die in der DDR Geschichtsunterricht genossen haben, ganz im Gegensatz zu den Altersgenossen in Westdeutschland - sind die beiden großen Ikonen. Das werden Sie bei Gesprächen feststellen: Das ist bei Westdeutschen längst nicht so verankert.
Heinemann: Herr Bendikowski, Sie haben Arminius als historischen Scheinriesen bezeichnet. Was bedeutet das?
Bendikowski: Die Wirkung des Mythos wurde immer größer. Je weiter man wegkommt von der realen Figur, desto größer war der Schatten, den diese Gestalt warf. Der eigentlich historische Arminius lässt sich gut beschreiben, ein kluger Junge aus gutem Hause, gut ausgebildet mit reichlich Geld und guter Gelegenheit, gewinnt eine wenngleich große Schlacht.
Das ist eine historische Leistung, wenn Sie so wollen, aber auch nichts Außergewöhnliches. Aber über die Jahrhunderte wird diese Figur größer und größer und je weiter sie sich vom eigentlichen Leben entfernt, desto größer wird sie. Das ist der historische Scheinriese.
Heinemann: War Arminius unter Umständen auch ein Zivilisationsverhinderer? Oder anders gefragt: Wie sähe Deutschland aus, wenn sein Angriff ins Leere gelaufen wäre?
Bendikowski: Das ist immer ein beliebtes Spiel, diese spekulative Geschichtsschreibung. Das macht Spaß, das mache ich manchmal mit, in diesem Falle nicht, weil es so hoch spekulativ ist, dass es uns nicht weiterhilft, und ich bin auch immer skeptisch, weil hinter diesen Fragen - natürlich nicht in Ihrem Falle - auch immer die Überlegung steht: Sind wir auf einen Weg geraten, auf dem wir nicht anders handeln konnten.
Diese Entschuldungsstrategie ist mir suspekt und es gibt sie in der Literatur häufig. Das heißt, die Deutschen sind für die Geschichte, die sie anschließend veranstaltet haben, selber Schuld und kein Arminius hat ihnen irgendwas in den Weg gelegt oder irgendeine Weggabelung eröffnet. Nein, die Geschichte, die wir hinterher beschritten haben, die haben wir selber gemacht.
Heinemann: Das heißt, in keinem Fall würden jetzt in Niedersachsen Olivenbäume und Weinreben blühen?
Bendikowski: Na ja, das kann man spekulieren. Auf der anderen Seite kann es auch so sein, dass es Niedersachsen gar nicht gegeben hätte. Das wäre natürlich eine Frage, ob man das wirklich gewollt hätte.
Heinemann: Die Niedersachsen sicher nicht! Der Hamburger Historiker Tillmann Bendikowski, Autor des Buches "Der Tag, an dem Deutschland entstand", über die Varusschlacht, die vermutlich ziemlich genau vor 2000 Jahren im heutigen Niedersachsen stattfand. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Bendikowski: Gern geschehen.