Es wird – mal wieder – gegraben im Museumspark Kalkriese. Oder besser gesagt – es wird geschabt. Mit einer kleinen Maurerkelle entfernt Christoph Lindner vorsichtig eine dünne Schicht Sand und Erde. Der Grabungshelfer krabbelt schon seit Stunden auf allen Vieren in dem sogenannten Suchschnitt, einer gut vier Meter breiten und 150 Meter langen Schneise, herum.
"Wir putzen jetzt das Planum, das heißt, wir reinigen das quasi von trockenem Sand, damit wir Erdverfärbungen besser sehen. Wir machen das sauber, um dann weitere Schritte einzuleiten, – wie zum Beispiel Dokumentation oder sonstiges. Es geht darum, dass wir halt die Erdverfärbungen besser sehen jetzt gerade."
In den vergangenen Wochen ist der Graben erst mit einem Bagger, dann mit Schaufeln grob ausgehoben worden – jetzt geht es um die Feinarbeit, Christoph Lindner darf jetzt nichts mehr übersehen, schon bei Kleinigkeiten ruft er Unterstützung.
"Wenn ich merke, okay, der Boden verändert sich, die Farbe verändert sich, das Material verändert sich eventuell auch – es ist dann aber auch wenn man dann zum Beispiel Funde hat oder sonstiges, dann würde man auch den Grabungsleiter dazu ziehen."
In Kalkriese keine römische Kapitulation
Die Archäologen sind diesmal in einem Bereich des Museumsparks aktiv, der bei früheren Untersuchungen kaum berücksichtigt wurde. Sie wollen so die bisherigen Ergebnisse intensiver archäologischer Forschung ergänzen – das Bild über die Details der Ereignisse an diesem Ort vervollständigen. Bisher weist alles auf einen germanischen Hinterhalt hin – gelegen in einem Engpass zwischen dem Kalkrieser Berg, einem Ausläufer des Wiehengebirges, und einem Moor im Norden. Die Legionen des Varus wurden hier angegriffen, auf diesem Flurstück mit dem Namen Oberesch – das steht fest, betont Projektleiter Salvatore Ortisi von der Universität Osnabrück.
"Was wir sicher wissen, ist, dass hier ein größeres Kampfereignis, eine Schlacht, stattgefunden hat, dass es eine Wallanlage gibt im oberen Bereich hier. Wir wissen, dass die Kämpfe sich über einen größeren Raum erstreckt haben müssen – also einige Kilometer weiter östlich gibt es schon Waffen und römische Ausrüstungsgegenstände in den germanischen Siedlungen. Wir wissen, dass hier in Kalkriese sicherlich die Armee nicht komplett untergegangen ist – zumindest Teile der Römer müssen sich nach Norden noch zum Großen Moor hin abgesetzt haben können, weil wir da entsprechende Funde haben."
Genau dieses Wissen hat in den vergangenen Jahren immer wieder neue Fragen aufgeworfen – vor allem eine stellt sich inzwischen so drängend, dass die Archäologen noch einmal ganz genau nachschauen wollten.
"Die Frage ist, ob es neben dieser einen Wallanlage im oberen Bereich des Oberesch noch weitere Verschanzungen, Wallanlagen gibt, die eventuell auch zu diesem Hinterhalt gehören, oder ob die Römer versucht haben, hier irgendwelche Anlagen, irgendwelche Wälle, Gräben anzulegen, um sich zu verteidigen – also das sind so die Fragestellungen, die wir letztlich überprüfen wollen."
Bei dieser Überprüfung ist bisher nicht allzu viel heraus gekommen – so erscheint es dem Laien auf den ersten Blick. Die Grabungsstelle präsentiert sich als sauber ausgehobener Graben – viel ist nicht zu erkennen, außer ein paar größeren Steinen, die an zwei Stellen freigelegt wurden. Nix Besonderes, sollte man meinen, eben einfach Steine. Aber da widerspricht Grabungsleiter Mark Rabbe.
"Ja – es sind im ersten Moment einfach Steine, tatsächlich. Allerdings bei dieser einen Steinformation oder Steinanhäufung kann man erkennen, dass um die Steine herum eine nahezu rechteckige Verfärbung ist. Und da muss man sich schon fragen, wie diese Steine in diese Verfärbung gekommen sind. Und wie man hier vor uns erkennt – diese Steine liegen noch etwas höher, einfach vom Niveau her, und da erhoffe ich mir einfach – wenn wir das per Hand vorsichtig abtragen – vielleicht noch so eine zweite Steinsetzung oder Steinanhäufung zu bekommen, um einfach auch zu verstehen, was die erste zu bedeuten hat."
Hinweise auf Schanz- oder Wallanlagen
Offenbar hat Mark Rabbe eine ziemlich konkrete Vorstellung, was diese Steinformationen sein könnten – so recht will er damit aber nicht rausrücken. Nur zögernd erläutert er die mögliche Bedeutung des Fundes.
"Es ist Flussgeröll, und es ist in einer Verfärbung, die rechteckig ist – ich kenne es von anderen Orten tatsächlich Pfostengründungen, die sind auch rechteckig und man legt in die Pfostenlöcher unten Steine rein, um die Pfostenspitze tatsächlich vom nassen Boden abzuheben."
Es könnte sich also um Reste einer Schanz- oder Wallanlage handeln – genau das, wonach die Archäologen hier gesucht haben. Mark Rabbe selbst würde das natürlich nie so formulieren, solange er keine konkreten Beweise hat – aber der Fund von Überresten weiterer Wallanlagen könnte natürlich das Bild vom Verlauf der Schlacht am Kalkrieser Berg in entscheidenden Aspekten erweitern und ergänzen. Deshalb soll es auch nicht bei den aktuellen Ausgrabungen bleiben – in der näheren Umgebung sind noch weitere Suchschnitte geplant, kündigt Projektleiter Salvatore Ortisi an.
"Also – wir haben einen ersten Hinweis darauf, dass es hier Verschanzungen gegeben haben könnte, und jetzt ist es an uns, nachzuprüfen, ob es wirklich so ist, also ob diese Verfärbung nach zehn Metern aufhört, oder ob sie sich hier linear weiter über das Gelände zieht. Und das können wir nur dadurch klären, indem wir in einigem Abstand neue Suchschnitte anlegen und schauen: Taucht der Befund da wieder auf?"
Die Vorarbeiten dafür sind schon erledigt – und zwar mithilfe eines sogenannten Magnetometers. Der ist auf dem zweiten Grabungsgelände zum Einsatz gekommen, das sich nur ein paar Schritte von dem aktuellen Areal entfernt befindet. Im Moment ist das nur eine mit Büschen und Gras überwucherte Fläche, einige Bereiche sind mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Aber Andreas Stele von der Universität Osnabrück ist sicher, dass hier im Boden noch die eine oder andere Überraschung wartet – er hat das Gelände magnetometrisch untersucht.
"Man kann sich das so vorstellen: Man kann mit einer Messung des lokalen Erdmagnetfeldes Störungen im Untergrund detektieren. Wir können mit diesem Verfahren natürlich nicht datieren und sagen, so – das ist etwas archäologisches, aber wir können schon ziemlich gut detektieren, dass da was ist. Und vor allem können wir sogenannte magnetische Karten, also Magnetogramme herstellen, und die Archäologen können dann tatsächlich an die interessanten Bereiche heran und die dann ergraben."
Archäologie kennt keine finale Antwort
Genau das soll in den nächsten Wochen noch geschehen. Anschließend werde man zwar vermutlich die eine große Frage, ob Varus seine vernichtende Niederlage nun in Kalkriese oder doch im Teutoburger Wald bei Detmold erlitten hat, noch immer nicht abschließend beantworten können, glaubt Projektleiter Salvatore Ortisi – aber man werde sicher um einiges schlauer sein.
"In der Archäologie gibt es nie die abschließende Gesamtantwort – es ist immer so: Man löst – wenn man Glück hat – ein oder zwei Fragen und hat dann fünf neue. Also am Ende dieser Grabungskampagne erhoffen wir uns schon, dass wir konkretere Aussagen darüber treffen können, wie hier der untere Bereich des Oberesch zum Zeitpunkt der Schlacht ausgesehen hat, und was da stattgefunden hat um einfach auch die Abläufe hier besser zu verstehen – also, wo waren die Römer gefangen, warum sind sie, zumindest Teile, nach Norden ausgewichen, wie ging das – also das sind so die Fragen, die wir hoffentlich Ende Juli beantworten können."