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Vatikan
"Franziskus regiert sympathisch – und absolutistisch"

Der Papst verschreckt seine Kleriker: Laien - und damit auch Frauen - bekommen in der Kurie mehr Einfluss, Bischöfe können künftig leichter des Amtes enthoben werden. Die neuen Regelungen sagten einiges über die Machtstellung von Franziskus aus, sagte der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller im DLF. Er nutze seine Amtsgewalt wie keiner seiner Vorgänger - und öffne der Denunziation damit Tür und Tor.

Thomas Schüller im Gespräch mit Monika Dittrich |
    Thomas Schüller, Theologe, ehemaliger Berater im Bistum Limburg, aufgenommen am 16.10.2013 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema: "Der Fall des Bischofs von Limburg - Will diese Kirche wirklich bescheidener werden?" in den Studios Berlin-Adlershof.
    Der Kirchenrechtler Thomas Schüller (dpa-Zentralbild)
    Monika Dittrich: Im Vatikan wird es Anfang September eine kleine Revolution geben. Dann nämlich nimmt eine neue Kurienbehörde ihre Arbeit auf, in der die Zuständigkeiten für Laien, Familie und Lebensschutz zusammengefasst werden. Und jetzt kommt es: Der zweithöchste Posten dieser Behörde kann von einem Laien besetzt werden, und auch die drei Untersekretäre können Laien sein. Das bedeutet, dass nichtordinierte Menschen im Vatikan zukünftig Weisungsbefugnis über Priester erhalten können.
    So etwas gab es noch nie. Und deshalb wollen wir darüber sprechen: Ich begrüße Thomas Schüller, Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster. Guten Morgen!
    Thomas Schüller: Guten Morgen!
    Dittrich: Herr Schüller, arbeitet Papst Franziskus lieber mit Laien zusammen als mit dem Klerus?
    Schüller: Er arbeitet mit beiden gern zusammen. Und vor allen Dingen hat er erkannt, dass die Laien einen wichtigen Beitrag leisten können für die Weitergabe des Evangeliums, aber auch für den Leitungsdienst. Und er macht Ernst mit seiner Ankündigung, Laien stärker in die Verantwortung zu übernehmen.
    Dittrich: Es klingt aber schon ein bisschen wie eine Ohrfeige für die Geistlichen, oder?
    Schüller: Ja. Der Klerus erlebt Papst Franziskus als sehr kritischen Begleiter. Er stützt sie zwar in ihrem Dienst, aber er sagt deutlich: Ihr dient den Gläubigen und ihr seid keine Herrscher über sie. Und dementsprechend weist er sie in die Schranken, wenn sie meinen, über die Menschen dominieren zu müssen. Und er schätzt den Glauben des Volkes. Das ist seine lateinamerikanische Kirchenerfahrung. Da sagt er, dass ist der eigentliche Ort, wo Glauben im Leben weitergegeben wird. Und wir müssen alle Gläubigen eben an den Vollzügen der Kirche beteiligen. Das ist sein Gedanke.
    Dittrich: Man könnte auch annehmen, dass das so eine Art Ausweichstrategie ist: Franziskus gibt den Laien, und damit auch den Frauen, in begrenztem Maß mehr Einflussmöglichkeiten – und damit ist er die lästige Debatte um die Priesterweihe für Frauen beispielsweise erstmal los.
    Schüller: Ja, das ist eine gute Beobachtung. Der Papst sendet da sehr verschiedene Signale. Einerseits sagt er beim Rückflug vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro, die Tür ist zu für die Weihe von Frauen zu Priesterinnen, andererseits eröffnet er wieder die Diskussion um Diakoninnen. Aber er eröffnet eine dritte Ebene, nämlich in der Kurie Leitungsämter zu übernehmen. Man wird aber fairerweise sagen können, der päpstliche Rat für Laien ist wichtig – auch jetzt in seiner neuen Zusammensetzung. Aber wir sind ja noch an den Rändern des Machtzentrums in Rom. Ich wäre erst zufrieden, wenn zum ersten Mal eine Theologieprofessorin Präfektin der Glaubenskongregation wird und Kardinal Müller ihr Untersekretär wäre. Dann wäre wirklich Emanzipation und gleich Beteiligung von Frauen und Männern, die nicht ordiniert sind, an der Leitung der Kirche gewährleistet.
    Dittrich: Sie haben es grad angesprochen – es geht um die Randbereiche. Drei Ressorts werden zusammengefasst: Laien, Familie und Lebensschutz. Das klingt ein bisschen nach "Familie und Gedöns". Ist diese Behörde überhaupt wichtig?
    Schüller: Die ist wichtig, weil sie natürlich den allergrößten Teil der Gläubigen – nämlich die Laien – repräsentiert. Also 99,99 Prozent aller Gläubigen. Normalerweise haben Räte keine Leitungsgewalt, sondern das Wort "Rat" sagt es ja schon, die raten, sie beraten – aber eher unverbindlich. Aber gerade im päpstlichen Rat für die Laien gibt es rechtliche Zuständigkeiten. Zum Beispiel werden internationale katholische Verbände und Vereinigungen dort genehmigt – die Satzungen. Also ganz unbedeutend ist dieser Rat nicht. Er organisiert zum Beispiel den Weltjugendtag, der jetzt bald wieder in Krakau stattfindet. Dennoch sind wir nicht im Zentrum der Macht. Das wäre das Staatssekretariat, das wäre die Glaubenskongregation oder die Bischofskongregation, von wo ja die neuen Bischöfe kreiert werden.
    Dittrich: Herr Schüller, aus der Sicht des Kirchenrechtlers: Wo überall könnten Laien in der katholischen Kirche noch Verantwortung übernehmen?
    Schüller: Also – es gibt in der Kirchengeschichte und auch in der Rechtsgeschichte – mein Kollege Hubert Wolf hat ja auch gerade in einem Buch dokumentiert – viele Belege dafür, dass Frauen wie Männer, die nicht ordiniert waren, Leitungsgewalt ausüben können. Die berühmten Äbtissinnen, die die Bischöfe regiert haben, bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Ich habe auf dem Katholikentag in Leipzig gesagt, es ist theologisch abgeleitet kirchenrechtlich absolut nachvollziehbar und möglich, dass Frauen Kardinälinnen werden, weil über lange Zeit Kardinäle keine Priester waren, sondern weltliche säkulare Herren. Von daher ist das ein spannender Punkt. Man sollte sich vielleicht nicht an der Weihe abarbeiten. Da gibt es eine definitive Entscheidung von Johannes Paul II. Aber die Möglichkeit, Leitungsgewalt auszuüben, die gibt es. Zum Beispiel nenne ich eine Möglichkeit, die jetzt schon real ist. Es gibt jetzt schon die Möglichkeit, dass Frauen Richterinnen in der Kirche werden. Das sind ausschließlich natürlich Frauen, die Jurisdiktionsgewalt ausüben, Leitungsgewalt ausüben. Also es gäbe Möglichkeiten, sie müssen nur tat- und kräftig genutzt werden – und vor allem müssen Kleriker Macht abgeben.
    Dittrich: Papst Franziskus hat im Zuge dieser Entscheidung noch etwas anderes verfügt, dass nämlich Bischöfe und Äbte ihr Amt verlieren können, wenn sie Missbrauchsfälle vertuschen. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
    Schüller: Ja – das ist eine Konkretion einer Entscheidung, die schon im Kirchenrecht steht, dass, wann man sein Amt nicht sachgerecht ausübt, dass man amtsenthoben werden kann. Jetzt präzisiert er es mit einem neuen Gesetz, nicht nur übrigens bei sexuellem Missbrauch, bei Nachlässigkeit, Sorgfaltsverletzung, sondern auch bei anderen Punkten - da heißt es spirituell, finanziell, geistlich. Dann besteht die Möglichkeit für die entsprechenden Fachbehörden in Rom, Untersuchungen anzustellen und am Ende dem Papst die Amtsenthebung vorzuschlagen. Hier nimmt also der Papst die Bischöfe in die Pflicht, nicht wie Feudalherren zu herrschen, sondern wirklich ihr Amt ernst zu nehmen. Und wenn sie dem nicht nachkommen – finanziell – im Kontext von angezeigtem sexuellem Missbrauch, können sie ihr bedeutendes Amt verlieren. Ich habe eine Sorge – ich sehe das positiv, aber ich habe eine Sorge, wenn man das Gesetz dann genauer liest, dass natürlich das auch Tür und Tor öffnet für Denunziationen. Ich habe ja lange ein Bischofssekretariat geleitet einen sehr profilierten Bischofs – Franz Kamphaus. Da kam jeden Tag von rechter und linker Seite Denunziationen, der Bischof würde sein Amt nicht sachgerecht ausüben. Also da müssen wir mal abwarten, wie das geht. Es kann nicht sein, dass jetzt ein Bischofsbashing beginnt und jeder, der irgendwo mal nur einen Fehler macht, seines Amtes enthoben wird. Das wäre fatal.
    Dittrich: Und Franziskus bekommt damit mehr Macht, weil er über Wohl und Wehe der Bischöfe entscheiden kann, oder?
    Schüller: Das sollte man mal deutlich sagen. Sympathisch, wie Papst Franziskus rüberkommt - und das ist gut für die Kirche, damit da kein falscher Zungenschlag reinkommt – aber er regiert zum ersten Mal wirklich mit der Gewalt, die er hat - seit 1870, seit dem ersten Vatikanum. Er regiert wie ein absolutistischer Herr – das muss man so deutlich sagen. Die Macht hat er. Stärker und strenger noch als seine bedeutenden Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Von daher – so freundlich, jesuitisch er rüberkommt, so entschieden ist er und auch sehr klar in der Ausschöpfung seiner Machtfülle.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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