Sandra Schulz: Die Situation in Tibet bleibt weiter unübersichtlich. Die Nachrichtenagentur meldet, die chinesische Regierung zeige inzwischen eine verstärkte Truppenpräsenz. Aber sichere Angaben fehlen noch immer, und eine Deeskalation ist nicht in Sicht - trotz internationaler Appelle für ein Ende der Auseinandersetzungen. Zu Wort gemeldet hat sich gestern auch Papst Benedikt XVI. Bei seiner wöchentlichen Audienz im Vatikan sagte er, Gewalt löse keine Konflikte, sondern verstärke sie nur.
Unter anderem darüber möchte ich nun sprechen mit seiner Eminenz, mit dem Kurienkardinal Paul Josef Cordes. Guten Morgen!
Paul Josef Cordes: Guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Kardinal Cordes, in den italienischen Medien hatte in den vergangenen Tagen ja ein Rätselraten richtiggehend darüber eingesetzt, so berichten es unsere Korrespondenten, warum der Papst so lange geschwiegen hat. Erst am Wochenende hatte er einen Appell lanciert für ein Ende der Gewalt, im Irak allerdings. Warum das lange Schweigen?
Cordes: Zunächst muss man ja feststellen, dass der Vatikan keine Presseagentur ist, die unmittelbar Stellung nimmt. Es geht immer darum, zunächst einmal sensibel die Situation zu analysieren. Und es ist schwierig unter Umständen, das korrekt zu tun, zu intervenieren ohne genaue Kenntnis der Umstände. Dazu kommt gewiss auch, dass China nicht kalkulierbar ist, dass man auch immer bedenken muss, dass es dort über zwei Millionen Christen gibt und dass sich jedwede Intervention des Vatikans in irgendeiner Weise auch für deren Sicherheit niederschlagen wird.
Schulz: Kardinal Cordes, Sie sind Präsident des Hilfswerks Cor Unum, man könnte sagen, der Caritas des Papstes. Welche Krisen beobachten Sie zurzeit mit der größten Sorge?
Cordes: Es bleibt natürlich Afrika. Wir brauchen nur das Stichwort Darfur zu nennen. Dann weiß jeder, dass es sehr viel Not gibt in der Welt, aber es gibt auch eine Menge Aufruhr. Wir hatten jetzt gerade die Probleme in Kenia. Darüber hinaus gibt es die üblichen Katastrophen mit Überschwemmungen und Erdbeben und so weiter und so weiter, wo wir zu intervenieren versuchen.
Schulz: Welche Art von Hilfe können Sie leisten?
Cordes: Zunächst geht es natürlich um materielle Unterstützung. Wenn irgendwo in der Welt etwas Besonderes passiert, dann wenden sich unter Umständen die Bischöfe oder auch die Hilfsorganisationen an uns und erbitten eine materielle Unterstützung, wobei also das wahrscheinlich nicht die wichtigere Unterstützung ist. Die wichtigere ist die, ich würde mal sagen, emotional-personelle Unterstützung. Ich muss dann sehr oft auch in die Länder fahren. Ich weiß nicht, ob es sich lohnt, einmal Ihnen zu nennen, wo ich überall gewesen bin in den letzten Jahren. Das ist eine ganze Liste von Problemfeldern: in Ruanda, im Irak, in Kolumbien, in Mexiko, in Mosambik, in Taiwan, dann in den Ländern Mittelamerikas, in Albanien, Skopje und so weiter und so weiter. Was ich sagen möchte ist, dass diese materielle Unterstützung, die natürlich stärker ins Auge fällt, nicht alles ist und vielleicht auch nicht das Wichtigere, insofern ich in diesen Reisen spüre: Die Leute, die dort leiden, wollen nicht nur Materielles, sondern sie wollen emotionale Zuwendung, sie wollen ein Gesicht sehen. Man kann Geld mit der Bank überweisen, aber das, was sie brauchen, sind Menschen, die ihnen Hoffnung versprechen und die auch vielleicht, wenn ich dahin komme, eine ganze Welt ihnen repräsentieren, dass beispielsweise dahinter der Papst steht, die katholische Kirche. Dann gibt es eine neue Aktion, wenn ich dort gewesen bin und kann ein bisschen was in der Presse los werden.
All diese Dinge spielen eine große Rolle, und ich bete dann auch immer mit den Menschen. Wir feiern Gottesdienst dort. Ich erinnere mich: In Ruanda nach dem Genozid kamen die Witwen alle, die ihre Männer verloren hatten, und dann habe ich gedacht, jetzt muss ich was sagen. Oder auch im Gefängnis dort bin ich gewesen. Das ist ein Beispiel dafür, dass die materielle Hilfe wichtig ist, aber darüber hinaus eben doch Anteilnahme wichtig ist im heutigen Leben.
Schulz: Und auf die materielle Hilfe würde ich mit Ihnen gerne noch mal blicken, auf eine Initiative katholischer Bischöfe aus dem letzten Jahr. Die sind auf die G8-Staaten zugegangen und haben an die Zusagen bei der Entwicklungshilfe erinnert. Warum muss eigentlich an diese Zusagen immer wieder erinnert werden?
Cordes: Die Regierungen wollen einerseits den Eindruck erwecken, dass sie sich der bedürftigen Länder, der bedürftigen Zonen der Erde, annehmen, weil sie wissen, die Wähler schätzen das. Andererseits ist das Budget immer knapp und es gibt sozusagen für diese Länder kaum eine Lobby, so dass dann niemand da ist, der das einklagt. Es gibt also immer neue Versprechen der Regierungen auch, das Budget zu erhöhen. Und wenn man da etwas genauer hinschaut, dann ist es, wenn überhaupt, minimalst. Insofern braucht die notleidende Welt eine Lobby. Die besteht natürlich nicht nur jetzt in Cor Unum oder in anderen Hilfsorganisationen, sondern in sehr, sehr vielen auch weltlichen Institutionen, aber man muss die Stimme erheben, um die Repräsentanten der Regierungen daran zu erinnern.
Schulz: Und mit welchen Argumenten kann die Kirche auf diese Staaten zugehen?
Cordes: Das ist inzwischen eigentlich eine sehr gute Sache, denn es gehört zur westlichen Kultur dazu, die Notleidenden nicht im Stich zu lassen. Das ist, ich glaube, ein Ergebnis, über das wir uns alle freuen müssen. Der Samariter des Evangeliums ist eine Gestalt geworden, von der wir alle gelernt haben. Insofern ist es in der Theorie unbestritten, dass man da etwas tun muss. Die Praxis sieht dann natürlich manchmal noch etwas anders aus. Wenn ich meinen Geldbeutel öffne und sehe, wie viel darin ist, dann fällt es mir manchmal schwer, da noch ein paar Euro herauszunehmen, aber im Prinzip ist die Theorie, wie ich sagte, unbestritten. Daran knüpfen diese Institutionen an. Es ist wohl ein christliches Erbe, aber das ist ein Element unserer Kultur geworden, das unbestreitbar geworden ist. Davon zehren in diesem Sinne die hilfsbedürftigen Menschen.
Schulz: Kardinal Cordes, ich möchte mit Ihnen noch einen Blick auf das kommende Osterwochenende richten und auf den Streit, der sich rankt um die neu formulierte Karfreitagsfürbitte von Papst Benedikt XVI. Darin heißt es, man bitte für die Juden, damit Gott sie erleuchte und sie Jesus Christus als Retter aller Menschen erkennen. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Korn, sprach gegenüber der "Frankfurter Rundschau" von einem Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Verstehen Sie die Kritik?
Cordes: Ja, einerseits verstehe ich es, dass die Menschen, die Juden in Deutschland immer wieder Gelegenheit nehmen, nehmen müssen, auf sich aufmerksam zu machen und die vergangene Geschichte wieder ins Licht zu rücken, dass man nicht vergessen darf, was sie erlitten haben, und dass man, sagen wir mal, auch die Spannungen, die zwischen den Juden und der Gesellschaft sind oder sein können, anspricht. Wenn man jetzt mal gerade von der Reise der Bundeskanzlerin absieht, ist es ja nicht überall in der Gesellschaft so, dass die jüdischen Menschen, die bei uns leben, akzeptiert sind. Und ich verstehe von daher die Tatsache, dass zum Beispiel eben der Leiter des Zentralrats wieder auf sich aufmerksam macht und auf das Problem der Juden.
Andererseits verstehe ich es also nicht, denn, wenn Christus gekommen ist, um den Menschen Heil zu bringen - und es gibt ja interessanterweise auch im Judentum eine messianische Bewegung, die dahin zielt, Christus anzuerkennen -, dann, meine ich, darf man es uns Christen nicht vorwerfen, dass wir für eine Zuwendung der Juden zu Jesus Christus beten.
Schulz: Kardinal Paul Josef Cordes. Vielen Dank für dieses Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk.
Cordes: Guten Morgen, Frau Schulz.
Unter anderem darüber möchte ich nun sprechen mit seiner Eminenz, mit dem Kurienkardinal Paul Josef Cordes. Guten Morgen!
Paul Josef Cordes: Guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Kardinal Cordes, in den italienischen Medien hatte in den vergangenen Tagen ja ein Rätselraten richtiggehend darüber eingesetzt, so berichten es unsere Korrespondenten, warum der Papst so lange geschwiegen hat. Erst am Wochenende hatte er einen Appell lanciert für ein Ende der Gewalt, im Irak allerdings. Warum das lange Schweigen?
Cordes: Zunächst muss man ja feststellen, dass der Vatikan keine Presseagentur ist, die unmittelbar Stellung nimmt. Es geht immer darum, zunächst einmal sensibel die Situation zu analysieren. Und es ist schwierig unter Umständen, das korrekt zu tun, zu intervenieren ohne genaue Kenntnis der Umstände. Dazu kommt gewiss auch, dass China nicht kalkulierbar ist, dass man auch immer bedenken muss, dass es dort über zwei Millionen Christen gibt und dass sich jedwede Intervention des Vatikans in irgendeiner Weise auch für deren Sicherheit niederschlagen wird.
Schulz: Kardinal Cordes, Sie sind Präsident des Hilfswerks Cor Unum, man könnte sagen, der Caritas des Papstes. Welche Krisen beobachten Sie zurzeit mit der größten Sorge?
Cordes: Es bleibt natürlich Afrika. Wir brauchen nur das Stichwort Darfur zu nennen. Dann weiß jeder, dass es sehr viel Not gibt in der Welt, aber es gibt auch eine Menge Aufruhr. Wir hatten jetzt gerade die Probleme in Kenia. Darüber hinaus gibt es die üblichen Katastrophen mit Überschwemmungen und Erdbeben und so weiter und so weiter, wo wir zu intervenieren versuchen.
Schulz: Welche Art von Hilfe können Sie leisten?
Cordes: Zunächst geht es natürlich um materielle Unterstützung. Wenn irgendwo in der Welt etwas Besonderes passiert, dann wenden sich unter Umständen die Bischöfe oder auch die Hilfsorganisationen an uns und erbitten eine materielle Unterstützung, wobei also das wahrscheinlich nicht die wichtigere Unterstützung ist. Die wichtigere ist die, ich würde mal sagen, emotional-personelle Unterstützung. Ich muss dann sehr oft auch in die Länder fahren. Ich weiß nicht, ob es sich lohnt, einmal Ihnen zu nennen, wo ich überall gewesen bin in den letzten Jahren. Das ist eine ganze Liste von Problemfeldern: in Ruanda, im Irak, in Kolumbien, in Mexiko, in Mosambik, in Taiwan, dann in den Ländern Mittelamerikas, in Albanien, Skopje und so weiter und so weiter. Was ich sagen möchte ist, dass diese materielle Unterstützung, die natürlich stärker ins Auge fällt, nicht alles ist und vielleicht auch nicht das Wichtigere, insofern ich in diesen Reisen spüre: Die Leute, die dort leiden, wollen nicht nur Materielles, sondern sie wollen emotionale Zuwendung, sie wollen ein Gesicht sehen. Man kann Geld mit der Bank überweisen, aber das, was sie brauchen, sind Menschen, die ihnen Hoffnung versprechen und die auch vielleicht, wenn ich dahin komme, eine ganze Welt ihnen repräsentieren, dass beispielsweise dahinter der Papst steht, die katholische Kirche. Dann gibt es eine neue Aktion, wenn ich dort gewesen bin und kann ein bisschen was in der Presse los werden.
All diese Dinge spielen eine große Rolle, und ich bete dann auch immer mit den Menschen. Wir feiern Gottesdienst dort. Ich erinnere mich: In Ruanda nach dem Genozid kamen die Witwen alle, die ihre Männer verloren hatten, und dann habe ich gedacht, jetzt muss ich was sagen. Oder auch im Gefängnis dort bin ich gewesen. Das ist ein Beispiel dafür, dass die materielle Hilfe wichtig ist, aber darüber hinaus eben doch Anteilnahme wichtig ist im heutigen Leben.
Schulz: Und auf die materielle Hilfe würde ich mit Ihnen gerne noch mal blicken, auf eine Initiative katholischer Bischöfe aus dem letzten Jahr. Die sind auf die G8-Staaten zugegangen und haben an die Zusagen bei der Entwicklungshilfe erinnert. Warum muss eigentlich an diese Zusagen immer wieder erinnert werden?
Cordes: Die Regierungen wollen einerseits den Eindruck erwecken, dass sie sich der bedürftigen Länder, der bedürftigen Zonen der Erde, annehmen, weil sie wissen, die Wähler schätzen das. Andererseits ist das Budget immer knapp und es gibt sozusagen für diese Länder kaum eine Lobby, so dass dann niemand da ist, der das einklagt. Es gibt also immer neue Versprechen der Regierungen auch, das Budget zu erhöhen. Und wenn man da etwas genauer hinschaut, dann ist es, wenn überhaupt, minimalst. Insofern braucht die notleidende Welt eine Lobby. Die besteht natürlich nicht nur jetzt in Cor Unum oder in anderen Hilfsorganisationen, sondern in sehr, sehr vielen auch weltlichen Institutionen, aber man muss die Stimme erheben, um die Repräsentanten der Regierungen daran zu erinnern.
Schulz: Und mit welchen Argumenten kann die Kirche auf diese Staaten zugehen?
Cordes: Das ist inzwischen eigentlich eine sehr gute Sache, denn es gehört zur westlichen Kultur dazu, die Notleidenden nicht im Stich zu lassen. Das ist, ich glaube, ein Ergebnis, über das wir uns alle freuen müssen. Der Samariter des Evangeliums ist eine Gestalt geworden, von der wir alle gelernt haben. Insofern ist es in der Theorie unbestritten, dass man da etwas tun muss. Die Praxis sieht dann natürlich manchmal noch etwas anders aus. Wenn ich meinen Geldbeutel öffne und sehe, wie viel darin ist, dann fällt es mir manchmal schwer, da noch ein paar Euro herauszunehmen, aber im Prinzip ist die Theorie, wie ich sagte, unbestritten. Daran knüpfen diese Institutionen an. Es ist wohl ein christliches Erbe, aber das ist ein Element unserer Kultur geworden, das unbestreitbar geworden ist. Davon zehren in diesem Sinne die hilfsbedürftigen Menschen.
Schulz: Kardinal Cordes, ich möchte mit Ihnen noch einen Blick auf das kommende Osterwochenende richten und auf den Streit, der sich rankt um die neu formulierte Karfreitagsfürbitte von Papst Benedikt XVI. Darin heißt es, man bitte für die Juden, damit Gott sie erleuchte und sie Jesus Christus als Retter aller Menschen erkennen. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Korn, sprach gegenüber der "Frankfurter Rundschau" von einem Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Verstehen Sie die Kritik?
Cordes: Ja, einerseits verstehe ich es, dass die Menschen, die Juden in Deutschland immer wieder Gelegenheit nehmen, nehmen müssen, auf sich aufmerksam zu machen und die vergangene Geschichte wieder ins Licht zu rücken, dass man nicht vergessen darf, was sie erlitten haben, und dass man, sagen wir mal, auch die Spannungen, die zwischen den Juden und der Gesellschaft sind oder sein können, anspricht. Wenn man jetzt mal gerade von der Reise der Bundeskanzlerin absieht, ist es ja nicht überall in der Gesellschaft so, dass die jüdischen Menschen, die bei uns leben, akzeptiert sind. Und ich verstehe von daher die Tatsache, dass zum Beispiel eben der Leiter des Zentralrats wieder auf sich aufmerksam macht und auf das Problem der Juden.
Andererseits verstehe ich es also nicht, denn, wenn Christus gekommen ist, um den Menschen Heil zu bringen - und es gibt ja interessanterweise auch im Judentum eine messianische Bewegung, die dahin zielt, Christus anzuerkennen -, dann, meine ich, darf man es uns Christen nicht vorwerfen, dass wir für eine Zuwendung der Juden zu Jesus Christus beten.
Schulz: Kardinal Paul Josef Cordes. Vielen Dank für dieses Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk.
Cordes: Guten Morgen, Frau Schulz.