Archiv

Vatikanische Museen
Der Mann mit der Schlüsselgewalt

Die Vatikanischen Museen sind die ältesten öffentlich zugänglichen Kunstsammlungen der Welt. Sie werden jährlich von rund 25 Millionen Menschen besucht. Sie sind eine modern organisierte Museumsmaschine. Aber einige anachronistisch anmutende Kuriositäten sind geblieben: etwa der sogenannte "Clavigero", der Herr aller 3.000 Museumsschlüssel.

Von Thomas Migge |
    Innenansicht der sixtinischen Kapelle mit den Fresken Michelangelos.
    Innenansicht der Sixtinischen Kapelle mit den Fresken Michelangelos (picture alliance / dpa / Musei Vaticani / Ansa / Claudio)
    Gianni Crea steigt eine breite Marmor-Treppe empor. In seiner linken Hand hält der 45-Jährige zwei Schlüsselbunde. An jedem sind etwa 30 einzelne Schlüssel verschiedener Größe befestigt. Gianni Crea ist der so genannte "Clavigero", der Herr über die Schlüssel der Vatikanischen Museen.
    Weiter geht es durch einen großen Saal mit monumentalen Sarkophagen aus dunkelrotem Porphyr-Marmor. In einem davon wurde Kontantia beigesetzt, die Tochter von Kaiser Konstantin dem Großen. Vor einem riesigen verschlossenen Portal bleibt Crea stehen:
    "Das hier ist eines der historischen Portale der Museen."
    "Wir Clavigeri haben 2.797 Schlüssel"
    Mit einem besonders großen und dicken Schlüssel schließt Crea das Portal auf. Ein schweres Portal. Der Clavigero kann es nur langsam bewegen.
    "Und jetzt sind wir im Museum Pio Clementino."
    Es ist menschenleer, das Museum Pio Clementino. Es ist das größte Museum der Vatikanischen Sammlungen. Es wurde 1771 von Papst Klemenz XIV. gegründet. Dort, wo sich sonst täglich bis zu 30.000 Besucher an antiken Skulpturen und Mosaiken, an Brunnen und Büsten vorbeischieben, wo es ziemlich laut zugeht, ist es abends so still, dass nur die dumpfen Geräusche des schweren Portals Sekunden durch die Leere hallen - und auch die Stimme des vatikanischen Clavigero. Gianni Crea ist der Chef aller Schlüssel-Verantwortlichen in den Museen:
    "Wir sind elf Clavigeri. Fünf schließen alle Türen ab, und fünf schließen sie wieder auf. Und ich koordiniere sie. Wir Clavigeri haben 2.797 Schlüssel - für alle Türen in den Vatikanischen Museen."
    Die 'Sala da Rotunda' im Museo Pio-Clementino, eines der vatikanischen Museen. In der Mitte zu sehen ist ein rundes monolithisches Porphyrbecken.
    Die 'Sala da Rotunda' im Museo Pio-Clementino, eines der vatikanischen Museen. In der Mitte zu sehen ist ein rundes monolithisches Porphyrbecken. (imago / imagebroker)
    Diese Schlüssel werden in einem eigens für sie geschaffenen Raum aufbewahrt, erklärt Gianni Crea:
    "Die Schlüssel, die gerade nicht genutzt werden, sind in einem Bunker untergebracht, dem Schlüsselbunker. Jede Woche probieren wir alle Schlüssel aus, um festzustellen, ob sie auch wirklich noch funktionieren."
    Manche Schlüssel kommen in den Schlüsselbunker
    Auch wenn Crea zehn Kollegen hat, es ist doch eine Herkulesaufgabe: Sie müssen nicht nur Türen aller Art und Größe schließen und wieder öffnen, sondern auch sämtliche Fenster. Aneinander gereiht sind die diversen Sammlungen der Vatikanischen Museen mehr als sieben Kilometer lang. Um drei Schlüssel kümmert sich ausschließlich der Chef-Clavigero.
    "Auch wenn alle wichtig sind, kommt diesen drei Schlüsseln eine besondere, eine historische Bedeutung zu. Die Nummer Eins öffnet das Hauptportal der gesamten Museen. Die Nummer 401 öffnet hier dieses Museum, das Pio Clementino. Und dann haben wir den Schlüssel der Sixtinischen Kapelle. Das ist der wichtigste Schlüssel von allen."
    Dieser Schlüssel hat keine Nummer, denn er, so Gianni Crea, öffnet das Zentrum der Museen, jenen Ort, an dem die Kardinäle den neuen Papst wählen. Deswegen muss Gianni Crea besondere Sicherheitsmaßnahmen beachten.
    "Dieser Schlüssel wird im Schlüsselbunker in einem versiegelten Umschlag aufbewahrt. Dieses Siegel darf nur zu besonderen Anlässen aufgebrochen werden, zur Papstwahl etwa. Jedes Mal wenn es passiert, wird in ein Buch eingetragen, wann und warum dieser Schlüssel benutzt wurde."
    Einen Clavigero, einen Hüter der Schlüssel, gibt es, seit es die Vatikanischen Museen gibt. Es war der kunstsinnige und Kunst sammelnden Papst Julius II., der im 16. Jahrhundert die Kernzelle dieser Museen schuf.
    Manche Türen bleiben verschlossen
    Die Arbeitszeiten des Clavigeros sind anstrengend. Wer morgens alle Türen und Portale aufzuschließen hat, muss spätestens um 5.30 Uhr erscheinen. Die Spätschicht kommt nicht vor 21.30 Uhr aus den Museen.
    Vom Museo Pio Celemtino führt Gianni Crea durch schier endlose Korridore, der längste ist fast einen Kilometer lang, durch schmale Gänge und über kleine Treppen in die Sixtinische Kapelle. Der Besucher betritt sie durch eine kleine Tür. Der hohe Raum mit Fresken von Michelangelo - das ist der Ort, an dem sich der Chef-Schlüsselhüter am liebsten aufhält. Und es ist auch der Ort, wo selbst der Mann mit der Schlüsselgewalt an seine Grenzen stößt. Für die Pforte gegenüber von Michelangelos Jüngstem Gericht hat Gianni Crea keinen Schlüssel:
    "Das ist das Portal zur Sala Regia, dem Ehrensaal des Papstpalastes. Durch dieses Portal schreiten während des Konklaves die wahlberechtigten Kardinäle in die Sixtinische Kapelle."
    Die 'Sala Regia', Ehrensaal des Papstpalastes. Papst Franziskus sitzt mit Gästen während der Zeremonie zur Verleihung des Internationalen Karlspreises der Stadt Aachen in der Sala Regia im Apostolischen Palast des Vatikans.
    Die 'Sala Regia', Ehrensaal des Papstpalastes. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Den Schlüssel zum Portal, das die Sixtinische Kapelle mit der Sala Regia verbindet, verwahrt der Verwalter des Palastes. Das gilt auch für eine weitere Tür links vom Altar, an der Wand mit Michelangelos Jüngstem Gericht. Auch für diese Tür hat Gianni Crea keinen Schlüssel. Die Tür führt in die "Stanza delle lacrime", das Zimmer der Tränen. Hier, in der Sakristei, wird der frisch gewählte Papst eingekleidet – und nicht wenige neue Päpste sollen hier geweint haben: Vor Freude aber auch aus Furcht vor der neuen großen Aufgabe.