Vegan oder paleo? Die Frage, welchem Lebensmitteltrend die Zuhörerschaft angehört, lässt sich bereits am Getränkestand ablesen. Paleo-Anhänger ernähren sich wie die Menschen in der Steinzeit – Kaffee ist da noch nicht erfunden. Veganer meiden Milch. Und das, obwohl sich die niedersächsische Milchwirtschaft mit ihrem weiß-orange marmorierten Getränk "Body and Soul" alle Mühe gibt, Milch mit Lifestyle in Verbindung zu bringen.
"Buttermilch, Pfirsichnektar, das im Anteil 1:1 und ein bisschen Grenadine, Sirup vom Granatapfel. Wir merken einfach, die Leute mögen etwas Gemixtes."
Neues ausprobieren - auch eine wichtige Eigenschaft von sogenannten "Foodies". Sie lassen sich gern von Kochtrends inspirieren, kombinieren ungewöhnliche Lebensmittel miteinander und tauschen Rezepte aus. Eine Bewegung, die sich in den 1980er-Jahren von Amerika aus nach Europa verbreitete. In Deutschland gehören ihr inzwischen zehn Prozent der Bevölkerung an, sagt Anke Zühlsdorf, Dozentin im Bereich Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Universität Göttingen und Mitautorin der Foodie-Studie:
"Foodies sind eine ganz spannende gesellschaftliche Zielgruppe, weil sie als Multiplikatoren wirken. Sie sind die Teile der Gesellschaft, die so eine gewisse Leitbildfunktion für Lebensmittelproduzenten vielleicht auch haben, die das Thema Ernährung und Kochen trendy machen. Es hat nichts Hausbackenes an sich, es sind jüngere Leute vertreten. Das ermöglicht einen anderen Zugang zu Ernährung, das ist ein bisschen entspannter geworden."
Repräsentativen Online-Befragung
Sechs Gruppen haben die Forscher aus Göttingen mithilfe einer repräsentativen Online-Befragung in ihrem Foodie-Index voneinander abgegrenzt. Die eine Hälfte schenkt Lebensmitteln und Kochen wenig Bedeutung, setzt sich aus Kochmuffeln und Gewohnheitsköchen zusammen. Die andere Hälfte ist an Ernährung interessiert, weist gewisse oder bei jedem Zehnten Befragten alle Foodie-Eigenschaften auf: einen hohen Qualitätsanspruch etwa, höhere Ausgaben für Lebensmittel und die stärkere Vernetzung und Selbstdarstellung im Internet. Ernährung als Ausdruck des eigenen Lebensstils. Und als Halt, wenn Werte wie die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder zur Familie schwächer werden, sagt Thomas Ellrott vom Institut für Ernährungspsychologie der Universität Göttingen:
"Familien werden kleiner, Familienstrukturen werden offener und die Zahl der Menschen, die sich in den Kirchen engagieren, dort Mitglieder sind, die sinkt stetig. Und wir können aber nicht leben, ohne dass wir in ein gewisses Stabilitäts- oder Halt- und Ordnungssystem eingebunden sind. Und weil wir so eben nicht leben können, sind wir auf der Suche nach anderen Dingen, die uns Stabilität im Leben geben."
Digitale Tattoos: Selbstbild-Postings zum Thema Essen
Wie man sich ernährt, das vermittelt nicht nur eine Haltung, man kann damit auch Teil einer Gruppe Gleichgesinnter werden und sich zum gemeinsamen Essen verabreden. Früher war es vielleicht wichtig, in welchem Verein wir sind oder welches Auto wir fahren. Heute wird soziale Zugehörigkeit auch durch sogenannte digitale Tattoos angezeigt, Selbstbilder, die mithilfe der sozialen Medien im Internet gepostet werden. Essen eignet sich für all das besonders gut, weil es in so viele Lebensbereiche abstrahlt, sagt Thomas Ellrott.
"Es ist nicht nur wichtig, weil es notwendige Kalorien liefert, Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, sondern es geht auch um soziale Bindungen. Und diese Bindungen zu anderen Menschen sind für die Überlebenswahrscheinlichkeit unglaublich hilfreich. Das heißt, Menschen, die ein sehr starkes soziales Netzwerk haben, die leben auch länger und die bleiben auch länger gesund."
Nahrungsmittelkonzerne fokussieren "Gesundheit"
Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé scheinen das erkannt zu haben, wenn sie ankündigen, ihre Geschäftspolitik stärker auf das Thema Gesundheit fokussieren zu wollen. Dass dies zu einer gesünderen Ernährung führt, kann Anke Zühlsdorf allerdings nur hoffen.
"Die Gefahr besteht, dass da eine Mode daraus kreiert wird, die sich von den Produkten entfernt. Wenn allerdings dieser Trend zum Anlass genommen wird, wirklich Rezepturen zu reformulieren, das heißt, vielleicht weniger Salz, weniger Fett, weniger Zucker einzusetzen, dann ist das schon eine Entwicklung, die man aus ernährungswissenschaftlicher Sicht begrüßen kann."
Mehr Anhänger der Foodie-Bewegung werden nicht die Ernährungsberatungen ersetzen. Die Studie macht aber deutlich, dass Deutschland bei Kochleidenschaft und Genuss im internationalen Vergleich aufgeholt hat. Der Geiz-ist-geil-Trend ist gebrochen, deutsche Verbraucher lernen kulinarisch dazu.