Morgens in einem gut besuchten Café in Buenos Aires: Der zwanzigjährige Alejandro arbeitet hier als Kellner und serviert das typisch argentinische Frühstück: Café con Leche, Milchkaffee, mit Medialunas, einem Croissant-ähnlichen Gebäck. Alejandro spricht Spanisch mit einem Akzent, der in Argentinien in letzter Zeit häufig zu hören ist: dem venezolanischen. Zehntausende von Menschen, die vor dem Maduro-Regime geflüchtet sind, haben vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires Jobs in der Gastronomie, in Betrieben und Geschäften gefunden.
"Hier angekommen bin ich am 1. Juli vergangenen Jahres. In Venezuela hatte ich das Gefühl, dass alles immer schlimmer wurde, und inzwischen muss man von einem zerstörten Land sprechen."
Erzählt Alejandro, nachdem er seine achtstündige Schicht beendet hat. Sechs Tage pro Woche arbeitet er im Café. Und wenn andere den Feierabend genießen, fährt er mit dem Motorrad oft noch Essen aus. Der junge Immigrant muss nicht nur den eigenen Lebensunterhalt in der teuren Metropole Buenos Aires bestreiten, sondern schickt auch jeden Monat Geld an seine Mutter, die in Venezuelas Hauptstadt Caracas als Schulrektorin arbeitet.
Mein Bruder und ich unterstützen sie, damit sie Lebensmittel und Hygieneartikel kaufen kann. Denn ihr Monatslohn reicht höchstens für zwei Kilo Hackfleisch.
"Keine Zukunft für junge Leute in Venezuela"
Auch Alejandros ebenfalls venezolanische Arbeitskollegin hilft mittlerweile ihrer Familie in der Heimat. Dabei war Fabiana 2013 zunächst auf Kosten der Eltern nach Buenos Aires gekommen. Aber nach zwei Jahren funktionierte der Mechanismus nicht mehr, der es den Eltern im hyperinflationären Venezuela erlaubt hatte, der Tochter das Studium in Argentinien zu finanzieren.
"Ich habe damals die Uni abgebrochen und mir einen Job gesucht. Nach Venezuela wollte ich nicht zurück, weil abzusehen war, dass es dort keine Zukunft für junge Leute wie mich gibt."
Obwohl der Traum vom Fotografie-Studium geplatzt ist und Fabiana seit drei Jahren als Serviererin arbeitet, ist die 23jährige nicht unglücklich:
"Argentinien empfängt uns mit offenen Armen. Ich habe mich hier nie als Ausländerin gefühlt, habe keinerlei Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit erlebt. Von den Ländern, in die Venezolaner emigrieren, ist dieses besonders gastfreundlich. Und man hat hier viele Möglichkeiten."
Einigen Venezolanern ergeht es besonders gut in Argentinien - vor allem Ingenieuren, von denen keiner lange arbeitslos bleibt. Auch viele Ärzte finden rasch einen Job. Aber längst nicht alle Immigranten aus Venezuela haben das Glück, ihren Beruf in Argentinien ausüben zu können, und manch ein Akademiker arbeitet notgedrungen als Uber-Fahrer oder Pizza-Bote.
Noch schleppt Fabiana vollbeladene Tabletts durch das Café, in dem sie und Alejandro bei den Stammgästen wegen ihrer Freundlichkeit sehr beliebt sind. Aber die junge Frau hat Pläne: Sie absolviert Fotokurse übers Internet und möchte sich mit ihrer Schwester, einer Modedesignerin, selbständig machen. Alejandro träumt ebenfalls von der Selbständigkeit, will aber auch studieren. Beide sind besorgt wegen der Krisenstimmung, die gerade in Argentinien herrscht: Die Währung ist eingebrochen, die Wirtschaft steckt in einer Rezession, es gibt Entlassungen und die Inflation bleibt hoch.
"Es macht mich traurig, dass Argentinien in dieser Situation ist. Außerdem habe ich so ein Déja Vu-Gefühl: Nein, nicht schon wieder! Da ist die Angst, wieder gegen eine Wand zu prallen, die Angst, dass sich die Geschichte wiederholen könnte."
Flüchtlinge in der argentinischen Wirtschaftskrise
Sagt Alejandro, der die Mega-Krise in seinem Land hinter sich gelassen hat, aber auch weiß, dass seine Wahlheimat schon diverse Krisen durchgemacht hat. Wie die Einheimischen selbst leiden die Venezolaner in Argentinien unter dem Verlust ihrer Kaufkraft, und weil der Peso so stark an Wert verloren hat, müssen sie höhere Beträge überweisen, um ihren Familien zu helfen. Außerdem ist wegen der Krise Kritik laut geworden, dass sich viele Venezolaner ausbeuten ließen, was zu einer Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt beitrage. Dieser Tage wetterte der bekannte Sozialaktivist Gustavo Vera im argentinischen Fernsehen:
"Tausende von Venezolanern nehmen in ihrer Verzweiflung Jobs in Parkhäusern, Tankstellen oder Supermärkten an, und zwar zu schlechteren Bedingungen, als sie der Tarifvertrag festlegt."
Kellnerin Fabiana fühlt sich persönlich nicht betroffen, leugnet das Problem aber nicht.
"Wo wir arbeiten, bekommen Venezolaner den gleichen Lohn wie Argentinier. Aber ich vermute, dass viele meiner Landsleute tatsächlich so dringend Arbeit brauchen, dass sie sich ausbeuten lassen. Natürlich ist es nicht gut, wenn Immigranten schlechter bezahlt werden, und wenn Argentinier dadurch weniger Beschäftigungschancen haben."
Dennoch: Die Venezolaner würden von den Argentiniern weiterhin mit einem Lächeln empfangen, sagt Fabiana - und lächelt dabei selbst.