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Venezuela
An der "Constituyente" scheiden sich die Geister

Heute soll das Verfassungsgremium, die Constituyente, in Venezuela ihre Arbeit aufnehmen. Die Machtprobe zwischen Präsident Maduro und der Opposition des arg gebeutelten Landes steuert damit auf einen neuen Höhepunkt zu. Das Volk ist gespalten - nicht nur in Caracas.

Von Burkhard Birke |
    Ein Demonstrant mit Sonnenbrille und Nationalfahne im Rücken
    Ein Demonstrant mit Sonnenbrille und Nationalfahne im Rücken (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    "Ich erwarte, dass die Verfassungsversammlung dafür sorgt, dass die Blockaden aufhören, es wieder mehr zu kaufen, Medikamente gibt." Deshalb hat Epiphania mit Ja gestimmt. Ihre Erwartungen an die Verfassungsversammlung sind hoch. Im Gegensatz zu denen von Carlos Ramirez:
    "Was die in 15 Jahren an der Regierung nicht geschafft haben, kann die Verfassungsversammlung auch nicht richten. Der Präsident hat doch alle Macht und nichts zustande gebracht."
    Eierlegende Wollmilch-Sau für die einen - Instrument zum Machterhalt mit pseudodemokratischer Fassade für die anderen: An der Constituyente, wie die Venezolaner die Verfassungsversammlung nennen, scheiden sich die Geister. Sie steht über allen anderen Institutionen des Staates, kann Gesetze erlassen und theoretisch in alle Bereiche hineinregieren.
    Für gerechte und regulierte Preise sorgen
    545 Vertreter wurden bestellt, unter ihnen Frau und Sohn des Präsidenten und Diosdado Cabello, Gallionsfigur des Chavismus. Zu finden sind aber auch einfache Leute wie Osvaldo Saavedra aus dem Bundesstaat Carabobo. "Als aller erstes müssen wir für gerechte Preise, regulierte Preise sorgen, damit sich die Menschen wieder versorgen können und zweitens für Frieden und Gerechtigkeit."
    Nur was Frieden und Gerechtigkeit bedeuten: Auch daran scheiden sich die Geister in Venezuela ebenso wie an der Legitimität der Wahl. 8,1 Millionen haben nach Angaben der Wahlbehörde gewählt. Die Opposition behauptet es waren höchstens zwei bis drei Millionen. Die Staatsanwaltschaft hat die Annullierung der heutigen konstituierenden Sitzung und der Versammlung beantragt: Da selbst die Firma, die die Wahlmaschinen geliefert hat, von Manipulation spricht.
    "Es gab keine Kontrolle durch Beobachter oder Leute, die nicht zur Wahlaufsicht gehören. Ich muss Rechenschaft abliefern", sagt Generalstaatsanwältin Luisa Ortega. "Dieses Verfassungsgremium hat aufgrund seiner unbegrenzten Machtfülle enorme Folgen für unser Land: Es gibt keine Regeln, sie können machen, was sie wollen."
    Generalstaatsanwältin Ortega im Fokus
    Die Tage von Luisa Ortega scheinen gezählt: "Zuerst müssen wir die Generalstaatsanwältin ersetzen, die dem Volk den Rücken gekehrt und keinen von denjenigen angeklagt hat, die Personen an lebendigem Leib verbrannt und unsere Straßen versperrt haben", fordert der Delegierte Osvaldo Saavedra. Auch Präsident Maduro hat Andeutungen in diese Richtung gemacht und zudem erklärt, die Immunität von Abgeordneten könne aufgehoben werden.
    Unwahrscheinlich, dass Nicolas Maduro jetzt nachgibt. Er hat das Gremium zum demokratisch legitimierten Debattenforum der Aussöhnung erklärt, will dem internationalen Druck und den Sanktionen trotzen. Bei einem ersten Treffen bat er die Vertreter dieser "großen souveränen nationalen bolivarischen Versammlung" um Unterstützung:
    "Um in der Welt das Recht auf Ruhe, Frieden, Souveränität und Unabhängigkeit unseres geliebten Venezuelas zu verteidigen."
    Die Opposition hat zum Protestmarsch aufgerufen. Erstmalig könnten Anhänger und Gegner der Regierung am gleichen Tag marschieren. Es riecht förmlich nach Konfrontation und Zusammenstößen.