Der frühere Parlamentspräsident Diosdado Cabello steht in Kampfanzug und kugelsicherer Weste auf einer Bühne in Caracas. Am dritten Todestag von Präsident Hugo Chávez versucht er vor dessen Anhängern den Geist der bolivarischen Revolution heraufzubeschwören. Gebetsmühlenartig wettern Funktionäre der sozialistischen Partei - wie Cabello - gegen die Opposition. "Lasst uns die Revolution verteidigen gegenüber denen, die versuchen unsere Verfassung zu ändern, die dem Vaterland damit eine Ohrfeige geben wollen. Sie glauben, dass sie alles zunichte machen können, nachdem wir 17 Jahre erfolgreich waren. Sie glauben das, weil sie der Imperialismus unterstützt. Der kriegerische Geist unseres Kommandanten Hugo Chávez wird sich jeden Tag kraftvoller erheben. Sollen sie uns doch die Schuld an Allem geben. Das ist uns absolut egal. Wir haben uns für die Freiheit entschieden, und wenn wir dafür unser Leben geben müssen, tun wir das mit Freude und Stolz."
Ein martialischer Auftritt, der verdeutlicht, wie stark polarisiert Venezuela ist. Die Niederlage bei der Parlamentswahl im Dezember ist für die sozialistische Partei PSUV nicht einfach ein politischer Misserfolg, aus dem sie Konsequenzen zieht, wie: Erneuerung des Führungspersonals oder Dialog mit der Opposition. Nein, es wirkt wie eine Niederlage auf dem Schlachtfeld. Die PSUV kommt ihrem politischen Feind, der erstmals seit 17 Jahren die Mehrheit im Parlament hat, keinen Millimeter entgegen. Sie blockiert, schmettert mit der Rückendeckung des Obersten Gerichts jede Gesetzesinitiative, jeden Reformversuch ab. Konsens ist bislang nicht zustande gekommen. Parlamentssitzungen verlaufen chaotisch.
Beide Seiten behindern sich gegenseitig
Henry Allup, der neue Parlamentspräsident des Oppositionsbündnisses Tisch der demokratischen Einheit (MUD) bricht die Sitzung ab und lässt das Parlament räumen. Die Opposition hat ihr Gesetz zur Produktion im Land vorgestellt. Wirtschaftskrise, Inflation und der extreme Mangel an Produkten sind derzeit die größten Probleme. Dinge des täglichen Bedarfs fehlen, es gibt weder Milch noch Toilettenpapier, lebenswichtige Medikamente und Verhütungsmittel sind knapp. Der MUD will die Probleme unter anderem durch eine Reprivatisierung enteigneter Unternehmen lösen. Das soll die brachliegende Produktion wieder ankurbeln. Für die PSUV ist das Konterrevolution. Sie bezichtigt seit Jahren die Oberschicht, einen Wirtschaftskrieg gegen das Volk zu führen. Nun muss sie sich mit den Argumenten der Opposition im Parlament auseinander setzen, etwa von Julio Borges: "Der Regierung gehört die Lebensmittelproduktion. Aber es wird nichts produziert, alles kommt aus dem Ausland. Der Wirtschaftskrieg ist euer Versagen. Ihr kontrolliert ja das, was ausgesät wird, die Verteilung und Einlagerung, die Fabriken, Märkte, die US-Dollar. Darum ist es eure Schuld, dass es nichts zum Essen gibt. Akzeptiert doch endlich, dass euer Modell gescheitert ist."
Die Regierung von Präsident Nicolas Maduro wollte vor Kurzem den Wirtschaftsnotstand ausrufen, die Opposition verweigerte jedoch ihre Zustimmung. Das chavistisch dominierte Oberste Gericht befand daraufhin, das Parlament habe Fristen nicht eingehalten. Beide Seiten behindern sich gegenseitig so sehr, dass im Moment alles stillsteht. Neben der Wirtschaftskrise erlebe das Land nun auch noch eine institutionelle Krise, so der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Caracas Benjamin Reichenbach im Web-Interview: "Aus der Perspektive des Chavismus entsprechen die letzten 17 Jahre einem historischen Projekt. Insofern besteht die Befürchtung, dass die Opposition versucht sein könnte, damit ein schnelles Ende zu machen, und dass die Opposition versuchen könnte, das alte System vor Chávez wiederherzustellen. Dazu tragen Aktionen der Opposition bei: Der neue Parlamentspräsident hat als erste Amtshandlung die Bilder von Hugo Chávez aus dem Parlament heraustragen lassen und das mit Verachtung kommentiert. Das heißt: Es gibt keinerlei Vertrauen zwischen den politischen Akteuren und in der Folge schließt sich die Regierung immer stärker ein, anstatt sich einem Dialog nach außen zu öffnen, zieht sie sich zurück."
Der Druck auf Maduro ist hoch
Als Konsequenz daraus spielt die Opposition ihren höchsten Trumpf: das Referendum zur Abwahl des Präsidenten. Schon kurz nach der Wahl drohte sie damit, jetzt ist es soweit. Nach der Hälfte von Maduros Amtszeit kann es, das ist im April. Wenn die fast vier Millionen nötigen Unterschriften zusammen kommen, könnte im Spätsommer eine Präsidentenwahl stattfinden. Benjamin Reichenbach bezweifelt, dass es dazu kommt: "Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob der Chavismus überhaupt ein Interesse daran hat, in ein Referendum hineinzugehen, das man nach hoher Wahrscheinlichkeit verlieren würde. Oder ob man nicht schon vorher nach Möglichkeiten sucht, einen Übergang nach eigenen Vorstellungen einzuleiten."
Der Druck auf Maduro ist seit der Wahlniederlage im Dezember hoch und könnte durch Proteste auf den Straßen weiter steigen. Die Opposition will den Chavismus ersticken. Ihm haben bei der Parlamentswahl jedoch immer noch 40 Prozent der Wähler ihre Stimme gegeben - Wirtschaftskrise und Mangelwirtschaft zum Trotz. Schon bald droht der Staatsbankrott, denn der Preis, den der Großexporteur Venezuela für sein Öl bekommt, bleibt niedrig. Das Land bewegt sich weiterhin nur in eine Richtung: an den Abgrund.