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Venezuela
Fatalismus, Widerstand - und etwas Zuversicht

Die Menschen in Venezuela leiden Hunger, die Inflation frisst das Geld weg. Das erdölreichste Land der Welt ist ökonomisch im freien Fall. Staatschef Nicolás Maduro hält das Militär noch mit Vergünstigungen bei der Stange - doch in den Armenvierteln, wo seine früheren Unterstützer leben, wächst die Wut.

Von Anne-Katrin Mellmann |
Der kleine Isaai Camacho (v.r.) wartet mit seiner Mutter am 20.06.2016 am Kinderkrankenhaus «Jorge Lizarraga» der Stadt Valencia in Venezuela (Südamerika) auf eine Behandlung.
Versorgungskrise in Valencia (dpa / picture-alliance / Georg Ismar)
In Venezuela herrschen Krise und Chaos. Der Machtkampf zwischen der sozialistischen Maduro-Regierung und ihren Gegnern ist offen ausgebrochen, seit sich der Parlamentspräsident Juan Guaidó im Januar zum Übergangspräsidenten ernannt hat. Er setzt auf Druck von innen - durch Straßenproteste – und von außen - durch die Hilfe seiner mächtigen Unterstützer. Die US-Regierung hat schmerzhafte Sanktionen verhängt. Politisch ist Maduro weitgehend isoliert. Der Machtkampf geht in eine entscheidende Phase, weil die Bevölkerung den katastrophalen Zustand nicht mehr aushält.
Der Straßenmarkt in einem der Slums von Caracas ist schlecht besucht. Zu hoch seien die Preise, klagen die wenigen Kunden und Verkäuferinnen wie Magali Méndez:
"Heutzutage muss ich sehr viel ausgeben, um sehr wenige Produkte zu bekommen. Wenn der Dollarkurs steigt, schließen die Großmärkte, alles wird neu ausgepreist. Was ich morgens gekauft habe, ist mittags schon teurer."
Zehn Millionen Prozent Inflation
Zehn Millionen Prozent könnte die Hyperinflation nach IWF-Schätzungen in diesem Jahr betragen. Offizielle Daten geben die venezolanischen Behörden seit Langem nicht mehr heraus. Am Stand von Frau Méndez kostet ein Päckchen mit zehn Babywindeln einen halben Monats-Mindestlohn, ein Kilo Maismehl einen Viertel. Die Studentin Norma Villalobos hat sich ein halbes Kilo Bananen geleistet:
"Ich habe schon seit einem Monat kein Obst gekauft, weil es viel zu teuer geworden ist. Das Geld ist nichts mehr wert. Ich versuche, trotzdem noch frisches Gemüse und Obst zu essen, kaufe aber nur noch das billigste, wie Yucca, Kartoffeln oder eben Bananen."
Bei Medikamenten ist es schwierig, billige Alternativen zu finden. Seit Jahren werden in Venezuela so gut wie keine Arzneien mehr hergestellt. Und für die wenigen Importprodukte, die es noch gibt, reicht der Lohn in der Hyperinflation nicht aus.

Auf der Kinderstation einer Krebsklinik in Caracas hoffen Ärzte, Patienten und Eltern darauf, dass endlich Hilfe von außen kommt. In staatlichen Krankenhäusern gibt es schon seit Jahren weder Medikamente für gute Chemotherapien, noch Material für Operationen, weder Morphium, noch Bestrahlungstherapie. Die Geräte sind kaputt und warten auf Reparatur. Aber der Krebs wartet nicht. Yurbi García steht am Bett ihres Sohnes und faltet die Hände:
Mauergemälde von Hugo Chávez
Mauergemälde von Hugo Chávez (AP)
"Gott ist groß und sieht, was geschieht. Wir müssen beten. Nicht nur mein Sohn, viele Kinder brauchen dringend Hilfe. Es wäre wunderbar, wenn sie ins Land kommen könnte."
Auch der Sohn von Roger Rivas hat einen Tumor, der dringend operiert werden müsste. Die Medikamente, die der Zehnjährige derzeit erhält, stammen aus inoffiziellen und eigentlich verbotenen Spenden.
"Es wäre gut, wenn das Thema Gesundheitsversorgung nicht politisch gefärbt wäre. Aber leider ist es so in unserem Land. Ich wünsche mir, dass es hier und in allen Krankenhäusern genug Medikamente gibt. Hoffentlich schaffen es beide Seiten, die Politik aus dem Spiel zu lassen, nachzugeben, damit Hilfe legal ins Land kommen kann. Auf diplomatische Art."
Juan Guaidó hat Hoffnungen geweckt
Juan Guaidó hat Hoffnungen geweckt: An der Spitze der Regierungsgegner fordert der 35-Jährige ausländische humanitäre Hilfe und präsentiert sich als Retter der notleidenden Bevölkerung. Er lässt sich vor Medikamentenpaketen ablichten, die auf heimlichen Wegen ins Land gelangt sind und ruft seine Anhänger zum Freiwilligendienst bei der Verteilung von Hilfsgütern auf, obwohl die Regierung von Nicolás Maduro weiterhin ausländische Hilfe ablehnt. Es handele sich dabei um eine Show:
"Wir sagen mit Würde: Wir sind keine Bettler, wir brauchen ihre Krümel nicht, ihr vergiftetes Essen, ihre verdorbenen Lebensmittel. Die USA haben diese humanitäre Krise erfunden, um eine militärische-humanitäre Intervention zu rechtfertigen. Wir sagen Nein, behaltet euer giftiges Essen. Unser Volk hat Würde, produziert und arbeitet, und lässt sich von niemandem zum Bettler machen."

Dass es Hunger im Land gibt, streitet Maduro ab. Studien der Zentraluniversität Venezuelas belegten schon 2016, dass 90 Prozent der Haushalte nicht ausreichend Lebensmittel kaufen können. Seit Jahren schlägt die Caritas Alarm wegen der ständig steigenden Zahl stark unterernährter Kinder: Zwölf Prozent waren es 2018, fast 300.000 Kinder könnten an den Folgen ihrer Unterernährung sterben. Wirtschaftsreformen zur Lösung der Krise hat es nicht gegeben, sagt der Ökonom Victor Álvarez. Unter Maduro-Vorgänger Hugo Chávez war er Industrie- und Handelsminister.
"Es gibt so viele Irrwege und Fehler in der Wirtschaftspolitik. Das hat perverse Anreize geschaffen. Neue Machtgruppen - auch illegale - sind entstanden und damit der Nährboden für den Schwarzmarkt. Ein Beispiel: Hier verschenkt der Staat immer noch das Benzin. Würde der Preis an den der Nachbarländer angeglichen, gäbe es auch keinen Anreiz mehr, Benzin zu schmuggeln. Aber das ginge gegen die Interessen einer Mafia, der Militärs, Regierungsfunktionäre, Zollbeamte und Unternehmer angehören. Solche perversen Anreize auszurotten, wäre ein Schlag gegen diese Akteure, auf die sich die Regierung stützt - insbesondere gegen das Militär."
Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó bei einer Rede in Caracas am 8. Februar 2019
Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó bei einer Rede in Caracas am 8. Februar 2019 (dpa / picture alliance / Marcelo Perez Del Carpio)
Militär ist mit weitreichenden Privilegien ausgestattet
Das Militär, das mit weitreichenden Privilegien ausgestattet ist, um seine Loyalität zu gewährleisten. Generäle führen Ministerien, kontrollieren die Förderung von Bodenschätzen wie Erdöl und den Schmuggel damit. Juan Guaidó versucht, Soldaten und Generäle mit einem Amnestieangebot auf seine Seite zu ziehen und macht Druck mit der Forderung nach humanitärer Hilfe. Das sei ein Druckmittel, aber nicht die Strategie der Opposition, erklärt Luis Vicente León, Chef des Meinungsforschungsinstituts Datanalisis in Caracas.
"Maduros Sorge gilt dem Erdöl, das er wegen der neuen US-Sanktionen nicht mehr verkaufen kann. Er kann seine Lebensmittelimporte nicht mehr bezahlen und nichts mehr über das US-Finanzsystem abwickeln. Die humanitäre Hilfe ist ein Medienthema. Für Maduro ist es viel wichtiger, wie er die Kontrolle über sein Land behalten kann, bei 75 Prozent weniger Deviseneinnahmen. Es ist eine klare Strategie der Guaidó-Seite, die Regierung zu schwächen, die Einheit der Streitkräfte und der dominanten Elite aufzubrechen. Angesichts dieser Probleme ist die humanitäre Hilfe so klein wie ein Moskito."
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro (EFE / MIRAFLORES PALACE)
Gleich nachdem sich Guaidó zum Interimspräsidenten ernannt hatte, verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen den staatlichen venezolanischen Erdölkonzern PDVSA. Der Wirtschaftsprofessor Luis Oliveros schätzt, dass die Erdölproduktion in dem Land mit den reichsten Vorkommen der Welt weiter dramatisch einbrechen werde. Venezuela stehe vor einer Sonderperiode, wie Kuba sie in den 1990er-Jahren erlebte, nachdem die Unterstützung aus der Sowjetunion weggefallen war.
"Sehr wahrscheinlich wird Venezuela Import-Probleme bekommen. Dann ginge das Warenangebot noch stärker zurück. Der soziale Druck auf Nicolás Maduro würde sich verstärken und möglicherweise auch der Druck der Militärs auf ihn. Es sei denn, die Regierung findet einen sicheren Hafen für den Verkauf des Erdöls und kann mit neuen Einnahmen rechnen."
USA ist entscheidender Faktor
Das US-Embargo zu umgehen, ist allerdings sehr schwierig und Investitionen in Venezuela sind in diesem Moment des Machtkampfes unwahrscheinlich. Die Anerkennung Juan Guaidós als Interimspräsident durch bereits mehr als 60 Staaten, unter anderem Deutschland, sei eine wichtige Unterstützung, aber nicht entscheidend, meint Analyst Luis Vicente León. Sie sei nur Salz und Pfeffer, das Steak aber sei ein anderer:
"Trump ist das Fleisch. Guaidó ist vollkommen davon abhängig, wie stark die US-Regierung Druck auf Maduro macht, vor allem von ihrer Strategie des totalen Zusammenbruchs. Embargo und Sanktionen sollen den Zusammenbruch herbeiführen, von dem sie annehmen, er bringe Maduro zu Fall. Die US-Regierung hat entschieden, dass so ein Zusammenbruch ihre Hilfe für Guaidó ist."
Diese Strategie werde aber nur aufgehen, wenn Guaidó es schaffe, die Soldaten auf seine Seite zu ziehen. Und danach sieht es derzeit nicht aus. Zu unklar ist sein Amnestieangebot, insbesondere für die Generäle, von denen es in Venezuela mehr als 2.000 gibt.
Dass sich wegen der schweren Krise und der Unfähigkeit der Regierung, das zu ändern, etwas an der Basis verschiebt, ist im Slum Petare auch an den Hauswänden sichtbar:
Am Straßenrand bemalt der Künstler Dagor Hauswände und Mauern, während sich überfüllte Kleinbusse und Mopeds die Straßen hochkämpfen. Dieser größte Slum Venezuelas liegt auf Hügeln oberhalb von Caracas. Dass der venezolanische Sozialismus hier seine Basis hat, ist Vergangenheit. Sonst wäre die Arbeit des Künstlers nicht möglich: Dagor übermalt Bilder von Politikern, die – ebenfalls gemalt – auf den Wänden von Venezuelas Armenvierteln prangen. Hugo Chávez, der verstorbene Begründer des Sozialismus des 21. Jahrhunderts und Vorgänger von Präsident Maduro, ist hier schon weitgehend aus dem Straßenbild verschwunden.
"Ich male abstrakt. Die Menschen sehen keine direkte Botschaft. Sie nähern sich und sagen mir, was ihre Fantasie sie sehen lässt. Die Kinder hier malen gerne. Ich erzähle ihnen, was ich mache, gebe ihnen einen Pinsel und sie malen mit. Das fördert den Zusammenhalt. Die Leute passen auf, dass niemand Müll vor die Bilder wirft. Mir geht es nicht einfach darum, ein Wandbild zu machen, ich will mit den Leuten reden, will, dass sie sich in meine Arbeit einmischen."
Eine Frau trägt in Caracas in Venezuela einen Kanister auf einem alten Einkaufskarren.
Eine Frau trägt in Caracas in Venezuela einen Kanister auf einem alten Einkaufskarren. Sie sucht eine Wasserquelle. (dpa picture alliance / Manu Quintero)
Die Politiker-Köpfe vermisst niemand, noch weniger die Müllhaufen, die sich früher vor ihnen auftürmten. Der Nebeneffekt der Sauberkeit freut die Sozialarbeiterin Katiuska Camargo von der Nichtregierungsorganisation Haciendo Ciudad – "Stadt gestalten". Die energische junge Frau hat sich die Verschönerung des Viertels ausgedacht und Künstler wie Dagor davon überzeugt, mitzumachen:
"Die Leute applaudieren und sagen uns: Kommt her, hier gibt es noch mehr Bilder zu übermalen. Die starre Ideologie auf beiden Seiten hat unsere Gesellschaft polarisiert. Nachbarn reden nicht miteinander, weil sie zu unterschiedlichen politischen Lagern gehören. Das ist meine Arbeit: gegen diese Polarisierung zu kämpfen."
Die Gräben sind nicht mehr so tief wie einst, weil gerade im Armenviertel alle eines gemeinsam haben: Sie müssen die katastrophale Versorgungslage bewältigen, Hyperinflation, Unsicherheit, und das politische Chaos.
Machtkampf verschärft sich
Der Machtkampf zwischen sozialistischer Regierung und Opposition, der sich verschärft hat, seit das Parlament Juan Guaidó zum Gegenpräsidenten machte, wird auch an Wänden ausgetragen: An einer Kirche in dem Millionen-Slum übermalen Anwohner Schmierereien gegen den regierungskritischen Priester. Darin wird er bezichtigt, er sei Terrorist und pädophil. Yalitzia Rodríguez legt den Farbroller kurz beiseite:
"Hier findet gerade eine radikale Veränderung statt: Die Leute haben die Angst hinter sich gelassen und beschlossen, dieses System zu verändern, das nur zerstört und nichts aufbaut. Den Leuten ist egal, ob man ihnen droht, keine Lebensmittelpakete mehr zu bekommen. Sie haben die vielen Lügen und leeren Versprechungen der sozialistischen Regierung satt. Sie haben es satt, sich um zwei Uhr morgens für Lebensmittel oder für einen Gas-Zylinder in eine Schlange zu stellen. Sie haben es satt, dass im öffentlichen Dienst nichts mehr funktioniert. Dem Staat ist dieses Land aus den Händen geglitten."
Die Einschüchterungsversuche durch sozialistische Funktionäre und die Colectivos, die Schlägertrupps in den Armenvierteln, ziehen nicht mehr, immer weniger auch die Kontrolle durch den Hunger und die Lebensmittelzuteilungen der Regierung.

José Garcia, wie viele andere hier früher Anhänger der Sozialisten, trägt heute selbstgemalte Transparente auf die Kundgebungen. "Mit Juan Guaidó werden Gesetz und Ordnung zurückkehren", hat der schmächtige Mann darauf geschrieben, und: Nach 20 Jahren chavistischer Zerstörung müsse das Volk Geduld aufbringen:
Ein Demonstrant auf der Francisco de Paula Santander Brücke in Urena, Venezuela, an der Grenze zu Kolumbien, nach der von Präsident Nicolas Maduro angeordneten Schließung der Grenze 
Ein Demonstrant in Urena, Venezuela, an der Grenze zu Kolumbien (RAUL ARBOLEDA / AFP)
"Wenn es einen Regierungswechsel gibt, wird es lange dauern, bis sich Venezuela erholt. Jetzt ist humanitäre Hilfe am dringendsten, wegen der Unterernährung. Ich habe schon acht Kilo abgenommen. Ich war mal Chavist und glaubte an das Produkt, das uns Präsident Chávez verkaufen wollte: ein Venezuela ohne Korruption, mit Wohlstand. Er sprach vom "Neuen Menschen", aber heute ist dieser "Neue Mensch" rachitisch und sucht im Müll nach Essen."
Täglicher Kampf ums Essen
Nicht nur in diesem - in allen Slums Venezuelas kämpfen die Einwohner täglich um Essen, um Leitungswasser, Sicherheit und Transportmittel. Ein Wirtschaftskrieg sei für die katastrophale Lage verantwortlich, behauptet Präsident Maduro seit Jahren und lässt es an Hauswände pinseln. Von ihm abgewandt hat sich Gustavo Márquez. Unter Maduros Vorgänger Chávez war er Minister für Industrie und Handel:
"Mit dem Wirtschaftskrieg rechtfertigt die Regierung ihre Unfähigkeit, der Krise zu begegnen, die Korruption zu bekämpfen und Fehlentscheidungen rückgängig zu machen. Alles wird auf den Wirtschaftskrieg geschoben. Sie hat den Wirtschaftskrieg als Vorwand benutzt, die Institutionen zu zerstören, die Bürgerrechte nicht mehr zu achten. Mit diesem Argument rechtfertig sie ihre autoritäre Herrschaft und dass sie per Dekret regiert. Das Regime hat alles niedergerissen."
Leider sei das Projekt, das Chávez 1999 begonnen hat, vom Weg abgekommen: Statt mehr Demokratie gebe es heute noch weniger. Es regierten Klientelismus und Korruption. Der enttäuschte Chávist Gustavo Márquez hat sich der Plattform zum Schutz der Verfassung angeschlossen. Aus der sozialistischen Partei ist er schon vor drei Jahren ausgetreten. Die Oppositionsstrategie, Juan Guaidó zum Übergangspräsidenten zu erklären und damit einen offenen Machtkampf auszulösen, sieht er allerdings kritisch:
"Wir dürfen nie den Weg des Dialogs und der Verhandlungen verlassen. Es geht darum, einen Krieg zu vermeiden. Nach einem Krieg hätten wir kein Land mehr. Es ist absurd, wie besessen Maduro an der Macht festhält und damit noch mehr Gewalt schafft. Es ist aber auch absurd, dass Guaidó und seine Unterstützer in Washington einen Dialog ablehnen und darauf bestehen, dass Maduro zurücktritt. Wir von der Plattform für den Schutz der Verfassung fordern ein Referendum, damit das Volk entscheidet, ob alle Gewalten neu gewählt werden. Das Volk wird ja sagen."
Alle Gewalten, damit meint er vor allem das Oberste Gericht, den Wahlrat und die Verfassunggebende Versammlung, die von Sozialisten besetzt sind und ausschließlich im Sinne Maduros agieren.
Hoffnung auf Veränderung
Im Slum Petare hoffen die Menschen, dass der tägliche Albtraum endet – durch welche Politiker, ist ihnen fast schon egal. Sozialarbeiterin Katiuska Camargo misstraut allen politischen Lagern. In den vergangenen Jahren stand sie weder auf Regierungs- noch auf Oppositionsseite. Trotzdem hofft sie, dass dieses Mal ein Regierungswechsel klappe:
"Viele von uns sehen sich heute als Teil der Zivilgesellschaft und nicht mehr als das Volk, das unterdrückt und unterworfen ist. Dieses Volk rebelliert jetzt gegen Misshandlungen und Gewalt. Hier im Petare hat uns der Schmerz vereint. Auch die, die sich als Chavisten bezeichneten, leben in der schwierigen Situation. Sie erleben, dass das revolutionäre, sozialistische Regierungsmodell nicht funktioniert. Hier liegt unsere Stärke, denn selbst überzeugte Chavisten haben sich abgewandt, weil sie merkten, dass diese Politik alle umbringt - egal, welcher Ideologie oder politischer Position sie folgen."
Der Künstler Dagor ist Ende 20 und kennt deshalb keine andere Regierung, als die, die sich sozialistisch nennt. Ruhig und gelassen übermalt er ihre Köpfe und Parolen mit geometrischen Formen.
"Bis jetzt hat es niemand erneut übermalt. Das bedeutet, dass die Leute meine Kunst schätzen. Ich habe wenig Hoffnung, dass es schnell zu einem Wandel kommt, aber wir müssen weiterkämpfen. Ich bin nicht so optimistisch wie viele andere im Moment, eher realistisch und arbeite weiter, irgendwann wird der Moment schon kommen. Ich habe keine Erwartungen, also kann ich auch nicht enttäuscht werden."
Die Polit-Propaganda verschwindet allmählich und schafft Raum für Neues, von dem in Venezuela noch niemand sagen kann, was es sein wird. Denn die Vorstellung von der Zukunft ist so abstrakt wie die Kunst von Dagor.