Auf dem Rasen vor dem tropenmedizinischen Institut von Caracas campiert eine Gruppe Malariakranker: Der Anwalt Samuel Martínez reiste anderthalb Tage hierher und hofft, dass er das Medikament erhält, das ihm hilft.
"Da wo ich wohne, gibt es überhaupt keine Medikamente. Der Staat müsste seinen Bürgern die Gesundheitsversorgung garantieren, aber er gibt dafür kein Geld mehr aus. In den Kliniken im Land gibt es kaum Hilfe. Der Gesundheitssektor bricht zusammen. Malaria breitet sich aus, weil es keine Vorsorge oder Behandlung gibt. Für uns Kranke ist das hart. Schließlich kann Malaria tödlich sein."
Das einst bedeutendste Institut für Malariaforschung in Lateinamerika in der Universität bekomme vom sozialistisch regierten Staat nicht einmal mehr genug Geld für Toilettenpapier, erzählt der Direktor Oscar Noya. Weil er Unterstützung von Hilfsorganisationen annehme, mache er sich sogar strafbar:
"Um kein schlechtes Bild abzugeben und um die humanitäre Krise im Land nicht zuzugeben, steckt die Regierung Ärzte ins Gefängnis, wenn sie Medikamentenspenden annehmen und sie Patienten gratis verabreichen. Laut dieser Regierung bin ich ein Verbrecher."
Malaria galt bereits als ausgerottet
Noya alarmiert: In Venezuela gebe es längst eine Malaria-Epidemie: Dabei galt die von Moskitos übertragene Krankheit bereits als ausgerottet, in diesem Jahr könnten es anderthalb Millionen Fälle werden. Dass der Direktor offen darüber spricht, bringt seiner renommierten Forschungseinrichtung große Probleme: 50 Mal wurde das Institut in zwei Jahren überfallen, ausgeraubt und schwer beschädigt.
"Was die Einbrecher nicht mitnehmen, zerstören sie. Als sie das letzte Mal kamen, stahlen sie 20 Käfige mit infizierten Ratten. Zehntausende Krankenakten sind weg. Sie haben alle Computer mitgenommen. Es kann sein, dass sie einiges davon verkaufen, aber es geht ihnen nicht um Geld, sondern darum, uns einzuschüchtern, damit wir den Mund halten. Aber wir werden nicht schweigen!"
Verantwortlich für die Überfälle seien "Colectivos" - die bewaffneten paramilitärischen Gruppen der Regierung. Noya kennt die Drahtzieher mit Namen und Adresse, hat mehrfach Anzeige erstattet, aber weil der Staat der Auftraggeber sei, passiere nichts. Die Behörden schweigen die humanitäre Krise schon seit Jahren tot. Als die Gesundheitsministerin trotzdem Zahlen zum Anstieg der Malariafälle und zur Kindersterblichkeit veröffentlichte, erhielt sie sofort die Kündigung. Fakten sind im venezolanischen Sozialismus unerwünscht.
"Wir stehen vielen Krankheiten machtlos gegenüber: Dengue, Zika, Chikungunya. Zurückgekehrt sind viele, gegen die früher geimpft wurde und die schon ausgerottet waren, wie Masern und Diphterie. Dieser Rückschritt begann vor etwa fünf Jahren und hat mit dem Preisverfall für Öl zu tun. Weil unser Staat nicht mehr so viel einnimmt wie früher, hat er aufgehört in die Gesundheit, Bildung und Forschung zu investieren. Die Programme zur Überwachung solcher Krankheiten sind am Boden."
Es werde nicht gezählt, wie viele Venezolaner im Jahr an Malaria sterben. Noya kann nur schätzen. Schuld an der humanitären Krise, die Ärzte und die wenigen Hilfsorganisationen im Land seit Jahren anprangern, ist die schwere Wirtschaftskrise. Der 66-jährige Arzt und Universitätsprofessor meint, so dramatisch sei die Lage noch nie gewesen. Die Malaria-Epidemie sieht er im direkten Zusammenhang:
"Die Wirtschaftskrise zwingt viele Männer dazu, in Gold- und Diamantenminen zu arbeiten. Viele junge Frauen gehen dorthin, um sich zu prostituieren."
Ansteckung schreitet durch den Bergbau voran
Die Minen befinden sich im Dschungel und an den weitverzweigten Flüssen des Bundesstaats Bolívar. Weil es dort immer Malaria gegeben hat, schreitet die Ansteckung durch den boomenden Bergbau schneller voran. Malaria breitet sich ungehindert im ganzen Land aus.
Samuel Martínez stammt aus dem Bundesstaat Bolívar. Er berichtet von vielen Todesfällen wegen Malaria und vom Hunger: Lebensmittel sind in der Provinz noch schwerer zu bekommen als in der Hauptstadt.
"Es ist alles immer schlimmer geworden und kein Ausweg in Sicht. Wir stehen am Abgrund. Die Verzweiflung ist so groß, dass sich manche das Leben nehmen."
Heute hat er Glück: Oscar Noya persönlich empfängt ihn und kann ihm Medikamente geben – eigentlich illegal, denn sie sind gespendet von einer internationalen Hilfsorganisation.