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Venezuela
Krise verschärft sich

Venezuela steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Staatspräsident Maduro macht abwechselnd Saboteure und den Lieblingsfeind USA dafür verantwortlich. Die Vereinigten Staaten würden den Ölpreis künstlich durch ihr Fracking drücken, um Venezuela zu schaden. Venezuelas Sozialisten haben die fatale Abhängigkeit des Landes von dem Rohstoff eher noch vergrößert. Das rächt sich jetzt.

Von Martin Polansky, ARD-Studio Mexiko |
    Ölsand-Abbau in Kanada.
    Die weltweit bedeutendsten Ölsand-Vorkommen befinden sich in Kanada und Venezuela. (Imago/Larry MacDougal)
    Vor einem Supermarkt in Caracas – in der langen Schlange bricht ein Streit aus:
    "Eigentlich will ich Seife und Zucker kaufen. Das kann doch nicht wahr sein. Wir haben genug."
    "Ach, hören Sie doch auf. Ich habe nicht genug. Ich liebe es. Es lebe die Revolution."
    Ideologisch gefestigt in der Warteschlange. In Venezuela werden die Waren immer knapper: Speiseöl, Shampoo, Milchpulver, Windeln. Ein Sozialismus der leeren Regale.
    Die heimische Währung Bolivar verliert ständig an Wert
    Venezuela ist reich an Öl – und fast alle Deviseneinnahmen stammen aus dem Verkauf des Rohstoffs. Als der Preis pro Barrel noch bei mehr als 100 US-Dollar lag, hatte Venezuela bereits Probleme, seine Rechnungen zu begleichen. Die meisten Waren werden importiert, die Devisen sind staatlich kontrolliert und waren schon vor Jahren knapp. Die heimische Währung Bolivar dagegen verliert durch mehr als 60 Prozent Inflation ständig an Wert.
    Jetzt hat sich der Ölpreis mehr als halbiert. Die Einnahmen brechen weg. Und Angst vor der Staatspleite macht sich breit. Der sozialistische Präsident Nicolas Maduro, der noch vor Monaten vollmundig verkündete, das er genug Geld habe, spricht inzwischen selber von Problemen:
    "Wir haben ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wir alle sind verpflichtet, diesen Problemen zu begegnen. Um die Sozialpolitik aufrechtzuerhalten, das Bildungs- und Gesundheitssystem, die Zahl der Arbeitsplätze."
    Maduro macht abwechselnd Saboteure und den Lieblingsfeind USA für die Krise verantwortlich. Die Vereinigten Staaten würden den Ölpreis künstlich durch ihr Fracking drücken, um Venezuela und anderen zu schaden. Aber Ölpreiseinbrüche hat es schon früher gegeben und Venezuelas Sozialisten haben in mehr als 15 Jahren an der Macht die fatale Abhängigkeit des Landes von dem Rohstoff eher noch vergrößert. Das rächt sich jetzt.
    Die Opposition wittert ihre Chance
    Venezuelas Opposition sieht nun wieder mal ihre Stunde gekommen. Der gemäßigte frühere Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles ruft zu Demonstrationen auf:
    "Das ist der Moment der Mobilisierung. Wir müssen sagen, was wir denken. Druck machen für einen Wechsel. Die Regierung irrt sich, wenn sie denkt, dass die Leute resigniert sind und sich nur in die Schlange stellen."
    Aber erst im vergangenen Frühjahr war eine wochenlange Protestwelle gegen die Regierung erfolglos versandet – nach gewaltsamen Zusammenstößen mit mehr als 40 Toten auf beiden Seiten.
    Das Land ist politisch tief gespalten, die bürgerliche Opposition gilt für die meisten Anhänger der Sozialisten als unwählbar und führende Oppositionspolitiker sind zerstritten. Leopoldo Lopez, einem radikalen Regierungsgegner, wird zudem gerade der Prozess gemacht.
    Gefährlich wird es für die regierenden Sozialisten wohl erst, falls die wirtschaftliche Krise vollends außer Kontrolle gerät und die eigene Anhängerschaft wegbricht. Die hatte in der Vergangenheit stark von der Umverteilung der Öleinnahmen profitiert. Verbilligte Lebensmittel, eine neue Wohnung, ein Job im öffentlichen Sektor. Diese Leistungen kann Maduro nicht drastisch reduzieren, ohne seine eigene Basis zu verlieren.
    Das Land ist tief gespalten
    Fraglich ist inzwischen aber auch, ob die sozialistische Führung noch geschlossen hinter Maduro steht. Der verstorbene Präsident Hugo Chavez galt immer als unangefochtener Revolutionsführer. Maduro gelte dagegen als schwach, meint der deutsche Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich. Er war lange politischer Weggefährte von Hugo Chavez, hat den Begriff vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt:
    "Wer Maduro kennt, weiß, dass er nicht das Profil hat, um ein modernes Land in dieser schwierigen Situation zu regieren. Außerdem sitzt der Feind im eigenen Haus: Diosdado Cabello, der Präsident der Nationalversammlung, ist ein skrupelloser Typ mit viel Macht und der dritte in der Troika, der Vizepräsident Jorge Arreaza, ist absolut unfähig. Also ein Führungsteam, das jede Wirtschaft ruiniert. Das ist, als würde man Nieten ans Steuer eines Sportwagens setzen. Die fahren den Wagen in fünf Minuten an die Wand. So ist die Situation von Venezuela."
    Aber vorläufig steuern die Sozialisten um Maduro weiter, hoffen über die Zeit zu kommen, auf dass der Ölpreis bald wieder steige. Nicolas Maduro war gerade erst auf einer ausgedehnten Reise vor allem nach Asien – in der Hoffnung, frisches Geld zu bekommen. Mit ein paar vagen Kredit- und Investitionszusagen aus Katar und China ist er nach Caracas zurückgekehrt. Im Frühjahr muss Venezuela Kredite bedienen. Ob das Geld dafür noch reicht, bezweifeln an den Finanzmärkten inzwischen manche.