Im vollgestopften Linienbus in einem Armenviertel von Caracas liest Andrea Quintero Nachrichten. Eine Kommilitonin hält ihr dabei einen Fernseh-Rahmen aus Pappe vor das Gesicht. Bus-TV ist eine Initiative von Kommunikationsstudenten gegen Falschinformation. Top-News heute: Die ausländische humanitäre Hilfe, die nicht zur notleidenden Bevölkerung gelangt, weil die sozialistische Regierung das ablehnt.
Das Rote Kreuz und die katholische Kirche seien bereit, die Hilfsgüter zu verteilen, wenn sie ankommen.
Die Krankenschwester Marjorie Garcia hört aufmerksam zu. Darüber habe sie am Morgen im Radio etwas anderes gehört:
"Ich wusste nur, dass es Demonstrationen gegen die humanitäre Hilfe geben soll. Die Anhänger von Nicolas Maduro wollten ihrem Präsidenten den Rücken stärken und gegen die Hilfslieferungen protestieren."
"Die Leute kommen nicht mehr an Informationen"
Der Moderatorin von Bus-TV Andrea Quintero macht der Freiwilligendienst im öffentlichen Verkehrsmittel in diesen politisch aufregenden Tagen besonders viel Spaß. Sie schreibt ihre Abschlussarbeit über die Desinformation in Venezuela.
"Die Leute kommen nicht mehr an Informationen. In den ärmeren Stadtteilen nutzen sie vor allem Radio und Fernsehen, und die werden von der Regierung am stärksten zensiert. Das größte Problem dabei ist, dass Menschen ohne Zugang zu Information ihre Bürgerrechte nicht wahrnehmen können. Wenn man nicht weiß, was geschieht, kann man auch keine Entscheidungen treffen."
Zum Beispiel auf wessen Seite man sich im venezolanischen Machtkampf stellt. Seit sich Parlamentspräsident Juan Guaidó am 23. Januar zum Übergangspräsidenten ernannt hat, verschärft die sozialistische Regierung die Pressezensur. Beide Seiten nutzen das Thema Hilfslieferungen für politische Zwecke. Laut Staatspropaganda habe die Forderung Guaidós, humanitäre Hilfe aus dem Ausland zuzulassen, in Wahrheit nur eine militärische Intervention zum Ziel.
NGOs genervt über Behinderung ihrer Hilfsarbeit
Der Streit nervt Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die sich seit Jahren um Hilfsgüter für die notleidende Bevölkerung mühen und den Zustand des Gesundheitssystems kennen. Der Betrieb der staatlichen Krankenhäuser sei längst zusammengebrochen, sagt Feliciano Reyna von der "Solidarischen Aktion". Die Maduro-Regierung wisse, dass Hilfe nötig ist.
"Das Problem ist der Begriff 'humanitär', den sie ablehnt. Die Organisationen, die hier arbeiten, sprechen von Kooperation oder von einer Stärkung der Sozialprogramme. Das hat ideologische Gründe. Eine humanitäre Notlage einzugestehen, hieße, dass die Regierung versagt, und das würde die Tür für eine militärische Intervention öffnen. Außerdem würde sie damit eingestehen, dass es keine 'sozialen Errungenschaften' gibt, sondern das Gegenteil: Zerstörung, Armut, hohe Lebenshaltungskosten, kein Transport, kein Wasser."
Statt um die Lieferungen zu ringen, die an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze bereitstehen, solle man lieber andere Wege gehen. Die Vereinten Nationen könnten Hilfe für Venezuela fordern und fördern, meint Reyna.
Während die Kranken auf schnelle Hilfe hoffen, sendet das Staatsfernsehen unermüdlich Erklärungen des Präsidenten Maduro: Es gebe keine humanitäre Krise, das sei eine Erfindung der US-Regierung.