Christian Eichenberger ist Geschäftsführer des international tätigen Eventausstatter-Unternehmens Party Rent. Im Interview mit dem Dlf gab er zu bedenken, dass die Veranstaltungsbranche - anders als zum Beispiel Friseure – einen größeren Vorlauf für ihre Planung brauchen: "Wenn man aber morgen anfängt, wieder Veranstaltungen zu erlauben, dann hat nach sechs Monaten bis zwölf Monaten erst wieder die Veranstaltungswirtschaft begonnen, Veranstaltungen umzusetzen." Daher seien auch weiter finanzielle Hilfen nötig, so Eichenberger.
Nach Angaben des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungsbranche beschäftigt dieser Wirtschaftszweig rund eine Million Menschen und machte rund 130 Milliarden Euro Umsatz – vor der Coronakrise.
Das berichtet Dlf-Korrespondent Mischa Erhardt
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Die Novemberhilfen seien bisher aber nur zum Teil bei den betroffenen Unternehmen angekommen, berichtet Eichenberger. Und Soloselbstständige aus der Branche müssten zurzeit unter dem Existenzminimum leben. Eichenberger und die Initiative "Alarmstufe Rot" fordern darum weitere Hilfen und verlässliche Konzepte und Zeitpunkte für Öffnungen. Dabei schlägt Eichenberger vor, auf ein gutes Testkonzept mit Schnelltests zu setzen.
Stefan Heinlein: Herr Eichenberger, Sie sind im Hauptberuf Geschäftsführer von Party Rent, über 1.000 Mitarbeiter an 24 Standorten. Herr Eichenberger, wann haben Sie zuletzt einen Stehtisch vermietet?
Christian Eichenberger: Das war vermutlich letztes Jahr im Sommer zu einem kleinen Teil der Veranstaltungen. Aber eigentlich seit 28. Februar letzten Jahres. Wir haben ja im Jahr über 100.000 Veranstaltungen ausgeliefert und seitdem ist eigentlich fast gar nichts mehr.
Heinlein: Wie kommen Sie über die Runden, ohne Umsatz zu machen?
Eichenberger: Ohne Hilfen kommt man damit nicht über die Runden. Das ist natürlich extrem hart und extrem getroffen, weil wir über 92 bis 93 Prozent Umsatzeinbruch in den Spitzen, in den schlimmsten Monaten, und in den nicht ganz so schlimmen nur 87 Prozent hatten. Damit kann man nicht überleben.
"Wir verlieren etwa einen Jahresertrag pro Monat"
Heinlein: Spare bei Zeiten, dann hast Du in der Not. Warum funktioniert diese Tugend einer schwäbischen Hausfrau offenbar nicht bei Ihnen und bei Ihnen in der Branche insgesamt?
Eichenberger: Weil die Verluste über elf bis zwölf Monate so gigantisch sind. Wir verlieren ja etwa einen Jahresertrag pro Monat. Das heißt, man müsste zehn Jahreserträge zurückgelegt haben. So viele Jahreserträge kann man gar nicht zurücklegen. Da müsste man 20 Jahre lang mit Steuerabzug und so weiter keinen einzigen Euro aus dem Unternehmen reinvestiert haben. Das funktioniert kaufmännisch gar nicht. Das geht mal für drei Monate, dafür braucht man natürlich Rücklagen. Aber für zwölf Monate? Das ist zu viel.
"Wir warten mittlerweile seit 90 Tagen auf die Novemberhilfe"
Heinlein: Finanzminister Scholz hat ja – dieses Bild hat man im Kopf – eine Bazooka versprochen. Wieviel von dieser Bazooka ist denn bei Ihnen angekommen? Sind Sie überhaupt schon getroffen worden?
Eichenberger: Wir haben einerseits Branchenumfragen gemacht, dass etwa 70 Prozent der beantragten Hilfsmittel aus dem November bisher die Betriebe überhaupt noch nicht komplett bekommen haben. Abschlagszahlungen ja. Unsere Betriebe – wir sind neun Betriebe in Deutschland, davon hat ein einziger Betrieb bisher die komplette Novemberhilfe bekommen. Das heißt, wir warten, obwohl wir ganz früh beantragt haben, mittlerweile seit 90 Tagen auf die Novemberhilfe.
Und man muss wissen: Auch viele Soloselbständige, die jetzt die Neustarthilfe seit einer Woche beantragen können, haben ja auch letztes Jahr die Soforthilfe als letzte bekommen. Das heißt, die warten seit über sechs Monaten auf überhaupt weitere Hilfe, weil Soloselbständige gar keine Kosten nachweisen können. Das heißt, wir sitzen eigentlich hier seit fast zwölf Monaten ohne nennenswerte Hilfe, weil vorher die Programme so limitiert waren, dass da keine ausreichende Hilfe möglich war.
"Wir verlieren dabei unsere Existenzen"
Heinlein: Das Geld kommt bei Ihnen nicht an, sagen Sie, Herr Eichenberger. Wenn Sie dann hören von den vielen Milliarden für die Lufthansa oder die TUI, was denken Sie dann?
Eichenberger: Es ist natürlich wichtig, dass solche Schlüsselbranchen und Betriebe auch in so einer Pandemie geschützt werden, weil im Endeffekt diese Betriebe ja nichts dafür können, dass sie zum Schutz der Gesellschaft zurückstehen. Das heißt, es ist wichtig, dass auch wir – wir stehen ja auch hinter den Schutzmaßnahmen der Regierung und stehen seit zwölf Monaten zurück.
Aber wir verlieren dabei unsere Existenzen und das kann es nicht sein, dass ein Betrieb, der zum Schutz der Gesellschaft zurücksteht, damit es allen in der Gesellschaft bessergeht, dass diese dann ohne Ausgleichszahlungen in irgendeiner Art und Weise nicht überlebensfähig sind. Damit erbringen diese Betriebe ein großes Opfer für die Gesellschaft und das muss in irgendeiner Art und Weise einigermaßen ausgeglichen werden.
"Die Relevanz der Veranstaltungswirtschaft ist nicht klar gewesen"
Heinlein: Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Branche ein wenig von der Politik vergessen wird? Ihnen fehlt ja ein schlagkräftiger Lobbyverband.
Eichenberger: Richtig. Wir haben ja kein strukturelles Problem bei uns in der Branche. Wir hatten viele Jahre immer sehr, sehr gute Wachstumszahlen und jetzt merken wir, dass wir nicht so eine starke geschlossene politische Interessensvertretung hatten. Zweitens merken wir natürlich auch, dass die Relevanz der Veranstaltungswirtschaft nach außen hin gar nicht so klar gewesen ist. Wir haben über eine Million Beschäftigte, wie Sie gerade gesagt haben. Wir sind die drittwichtigste Veranstaltungsdestination weltweit.
Wir sind die wichtigste Leitmessenation weltweit. Wir haben jährlich über 420 Millionen Besucher zu Veranstaltungen. Das belebt Innenstädte einerseits, aber es ist auch so, dass der Exportweltmeister Deutschland die Veranstaltungswirtschaft braucht, um seine Produkte zu präsentieren. Wir sind sehr relevant in allen Bereichen, unter anderem auch 50 Prozent aller Geschäftsreisen nach Deutschland sind wegen Veranstaltungen. Wir können so viel Geld in die Rettung der Luftfahrt stecken wie wir möchten. Wenn wir den Veranstaltungsbereich, die Veranstaltungswirtschaft nicht retten, dann werden sehr viele Bereiche von Innenstädten, von Kulturleben oder auch von wirtschaftsbezogenen Produktpräsentationen mittelfristig sehr hart davon betroffen sein.
"Diese Künstler gehen aus der Branche heraus"
Heinlein: Stichwort Kulturleben, Herr Eichenberger. Wird das kulturelle Leben grauer werden durch die Pandemie, weil möglicherweise viele aus Ihrem Bereich, Musiker, Toningenieure, Lichttechniker etc., weil dieser ganze kulturelle Bereich verschwindet und sich andere Überlebenstechniken, andere Berufe wird suchen müssen?
Eichenberger: Wir sind eine Kulturnation. Wir sind das Land der Dichter und Denker. Das ist auf jeden Fall so. Wenn diese Menschen keine Bühnen mehr haben – und das passiert jetzt schon – und auch die Menschen, die die Bühnen aufbauen, dann orientieren die sich in andere Branchen. Die müssen ja in irgendeiner Art und Weise überleben können, weil wie ich gerade schon gesagt habe, die Soforthilfe letztes Jahr ist für viele die letzte Hilfe gewesen, die sie im Sommer bekommen haben. Jetzt kriegen sie die Neustarthilfe und das ist für die letzten sechs Monate 7500 Euro und soll für die nächsten sechs Monate 7500 Euro sein, insgesamt für zwölf Monate 7500 Euro. Das ist unter 700 Euro pro Monat. Welcher Mensch – das ist unterm Existenzminimum – soll davon überleben können?
Diese Menschen gehen natürlich aus der Branche heraus. Diese Künstler gehen aus der Branche heraus. Wir sind aber, wie ich auch schon gesagt habe, eine Spitzenbranche. Wir sind die bestausgebildetste Branche weltweit. Da sind die Olympischen Spiele, der Weltwirtschaftsgipfel, das Weltwirtschaftsforum. Das sind alles Veranstaltungen, die von deutschen Unternehmen beliefert werden. Und auch kulturell sind wir weltweit absolut Spitze. Wenn diese Menschen uns jetzt verlassen, dann werden wir, nachdem die alle überlebt haben, ein sehr großes Problem haben, weil die nicht mehr so einfach zurückkommen können.
"Nicht mit einer Inzidenz von 35"
Heinlein: Man hört Ihre Betroffenheit, Herr Eichenberger. Welche Erwartungen haben Sie an das heutige Bund-Länder-Treffen? Wie müsste für Sie eine vernünftige Öffnungsstrategie, eine Perspektive insgesamt aussehen?
Eichenberger: Wir haben ja letztes Jahr schon angefangen, Musterveranstaltungen mit sehr guten Hygienekonzepten mit ins Leben zu rufen und darauf aufmerksam zu machen. Wir haben damals angefangen mit Schnelltests. Heute stehen Schnelltests sehr viel mehr zur Verfügung und auch die Impfungen schreiten weiter voran. Wir brauchen jetzt eine valide Diskussion darüber, ab wann Veranstaltungen wieder möglich sind, und zwar planbar und verlässlich, weil wenn morgen oder übermorgen die Friseure alle wieder geöffnet haben, dann sind übermorgen diese Läden gefüllt. Wenn man aber morgen anfängt, wieder Veranstaltungen zu erlauben, dann hat nach sechs Monaten bis zwölf Monaten danach erst wieder die Veranstaltungswirtschaft begonnen, Veranstaltungen umzusetzen.
Wir haben einen sehr viel längeren Vorlauf, brauchen dafür einerseits weiterhin finanzielle Hilfe, nicht nur bis in den Juni, sondern danach brauchen wir dieses Überbrückungsprogramm, dass das weiter ausgeweitet wird. Das muss einmal ein klares Signal sein, Bundesregierung, hilf uns weiterhin, dass wir überlebensfähig sind.
Zweitens: Wenn wir heute die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz sehen, dann muss klar angedeutet werden, ab wann Veranstaltungen wieder möglich sind, und zwar nicht mit einer Inzidenz von 35. Das endet in einer Katastrophe, weil dann werden wir im August noch nicht mal aufmachen.
"Testen ist ein sehr, sehr gutes Mittel"
Heinlein: Sie haben es selber erwähnt, Herr Eichenberger. Schnell- und Selbsttests, das scheint jetzt tatsächlich sehr, sehr wichtig zu werden für die Zukunft. Können Sie sich vorstellen, künftig jeden Teilnehmer vor einer Veranstaltung, vor einem Kongress, vor einer Tagung testen zu lassen, damit Sie überhaupt wieder arbeiten können?
Eichenberger: Absolut! Das ist ein sehr, sehr gutes Mittel, das Testen. Wir könnten zum Beispiel, bevor ein Gast zu einer Veranstaltung reist, einen Eigentest machen, dann auf der Veranstaltung ihn selber testen und damit eine Doppeltestung sogar fahren. Ich befürchte, wenn wir jetzt nicht sagen, dass das eine sehr sichere Möglichkeit ist für Menschen, die Veranstaltungen wieder stattfinden zu lassen, dass wir uns hier anfangen zu verrennen, weil wenn man überlegt, wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mensch sich falsch negativ getestet hat, dann ist das ja irgendwo, sage ich mal, der schlechteste Test 91 Prozent. Und wenn wir jetzt gut tausend Gäste auf so einer Veranstaltung haben, …
Heinlein: Herr Eichenberger, ich muss Sie unterbrechen. Die Nachrichten kommen.
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