Wenn ein Atomreaktor heruntergefahren wird, um die Brennstäbe auszuwechseln, dann schlägt ihre Stunde: zu Hunderten reisen die sogenannten Nuklear-Nomaden aus allen Himmelsrichtungen Frankreichs an, wie derzeit zum AKW Nogent-sur-Seine, 100 Kilometer südöstlich von Paris. Richard Morel ist einer dieser Dekontaminierer. Am Parkplatz vor dem AKW zeigt er auf Dutzende Wohnwagen:
"Wir bekommen Tagesdiäten zwischen 58 und 75 Euro für Übernachtung und drei Mahlzeiten. Was machen die Leute also? Sie nehmen die Parkplätze hier in Beschlag, bringen sich Wasser mit und wohnen hier. Sie arbeiten in einem AKW, in einer völlig isolierten Umgebung, unter zum Teil extremen Arbeitsbedingungen, in Schichtarbeit, manchmal 15 Stunden am Tag und wenn sie aus dem AKW rauskommen gehen sie direkt in ihren Campingcar auf dem Parkplatz davor – da sagt man sich doch, das ist kein Leben mehr."
Mehr als 20.000 dieser Leiharbeiter machen in Frankreichs Atomkraftwerken die Drecksarbeit, reinigen die Abkühlbecken oder tauchen in den Primärkreislauf des Kühlwassers ab, um Lecks zu flicken. Pro Jahr legen sie zwischen 40.000 und 70.000 Kilometer für ihre Arbeit zurück und verdienen dabei selbst nach 20 Jahren nicht mehr als 1400 Euro im Monat. Sie arbeiten unter immer stärkerem Zeitdruck: früher blieb ein Reaktor für das Wechseln der Brennstäbe zwei Monate abgeschaltet, heute nur noch vier Wochen. Dazu kommt: ständig schwebt das Damoklesschwert der zu hohen Strahlendosis über den Nuklear-Nomaden. Wer die Maximaldosis von 20.000 Millisievert erreicht hat, verliert für immer seinen Job:
"Ich habe es schon in den 80er und 90-er Jahren erlebt, dass Kollegen ihr Strahlenmessgerät einfach abgelegt haben, damit sie nicht die Jahresdosis überschreiten und rausfliegen. Wir haben extrem, extrem starke Strahlungen abbekommen, manchmal in einer Stunde die zulässige für sechs Monate."
Morels Kollege Yvon Laurent fügt hinzu:
"Der Stromkonzern EDF gibt diese Wartungsarbeiten an Subfirmen ab, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Gibt es ein Problem, sagt EDF: Das waren nicht wir, sondern die Subfirma. Und in Sachen Gesundheit ist es dasselbe. Sie können sagen: Krebserkrankungen betreffen uns nicht, es sind ja nicht unsere Angestellten."
Vor zwei Jahren haben die Gewerkschaften in der französischen Atomindustrie in mehreren AKWs wochenlang gestreikt mit der Forderung, die Leiharbeiter sollten vom AKWBetreiber EDF fest angestellt werden – ohne Erfolg. José Andrade, ein Gewerkschafter der seit Jahren die Arbeitsbedingungen der Nuklear-Nomaden und das damit verbundene Sicherheitsrisiko anprangert, sagt:
"Es sind Leute, die sogar in ihren Autos schlafen, die sich oft nur von Sandwiches ernähren, meist zwei, drei Monate lang weit weg von Familie und Freunden leben – und solche Leute steckt man in Atomkraftwerke - das sind doch richtiggehende Zeitbomben."
Selbst die französische Atomsicherheitsbehörde – nicht gerade für ihre Unabhängigkeit und Strenge bekannt – hat in ihren letzten Berichten die Leiharbeit kritisiert und gefragt, ob die persönliche Situation dieser Arbeiter nicht Fehler begünstige.
Die Soziologin Annie Thebaud Mony hat die Arbeitsbedingungen der Nuklear-Nomaden über mehrere Jahre hinweg untersucht:
"Die Leiharbeiter haben zum Beispiel nicht das Recht, wie andere die Arbeit niederzulegen, wenn die Situation zu gefährlich wird. Tun sie es, führt das zu Entlassungen, ich kenne viele solche Fälle. Dabei wird praktisch die gesamte Arbeit unter Strahleneinwirkung in den Atomkraftwerken von ihnen gemacht, der Unterschied zu den fest angestellten Arbeitern von EDF ist enorm. Die Leiharbeiter bekommen über 80 Prozent der gesamten Strahlung ab."
Laut einer jüngsten Untersuchung würden 90 Prozent der Nuklear-Nomaden ihre Arbeit in den AKWs aufgeben, wenn sie die Wahl hätten. Doch die Atomenergie ist ihr Broterwerb. Insgesamt 200.000 Jobs hängen in Frankreich von der Atomindustrie ab. Diese Menschen begrüßen es, dass Präsident Sarkozy auch nach Fukushima weiter an seiner Pro-Atompolitik festhält. In der übrigen Bevölkerung sieht die Stimmung etwas anders aus. Eine aktuelle Meinungsumfrage zeigt: 60 Prozent der Franzosen wünschen sich einen Ausstieg aus der Atomenergie. Und auch in die politische Diskussion ist ein wenig Bewegung gekommen: Erstmals überhaupt denken Vertreter der sozialistischen Partei laut über einen Ausstieg nach - zu ihnen gehört auch die Parteivorsitzende und mögliche Präsidentschaftskandidatin, Martine Aubry.
"Wir bekommen Tagesdiäten zwischen 58 und 75 Euro für Übernachtung und drei Mahlzeiten. Was machen die Leute also? Sie nehmen die Parkplätze hier in Beschlag, bringen sich Wasser mit und wohnen hier. Sie arbeiten in einem AKW, in einer völlig isolierten Umgebung, unter zum Teil extremen Arbeitsbedingungen, in Schichtarbeit, manchmal 15 Stunden am Tag und wenn sie aus dem AKW rauskommen gehen sie direkt in ihren Campingcar auf dem Parkplatz davor – da sagt man sich doch, das ist kein Leben mehr."
Mehr als 20.000 dieser Leiharbeiter machen in Frankreichs Atomkraftwerken die Drecksarbeit, reinigen die Abkühlbecken oder tauchen in den Primärkreislauf des Kühlwassers ab, um Lecks zu flicken. Pro Jahr legen sie zwischen 40.000 und 70.000 Kilometer für ihre Arbeit zurück und verdienen dabei selbst nach 20 Jahren nicht mehr als 1400 Euro im Monat. Sie arbeiten unter immer stärkerem Zeitdruck: früher blieb ein Reaktor für das Wechseln der Brennstäbe zwei Monate abgeschaltet, heute nur noch vier Wochen. Dazu kommt: ständig schwebt das Damoklesschwert der zu hohen Strahlendosis über den Nuklear-Nomaden. Wer die Maximaldosis von 20.000 Millisievert erreicht hat, verliert für immer seinen Job:
"Ich habe es schon in den 80er und 90-er Jahren erlebt, dass Kollegen ihr Strahlenmessgerät einfach abgelegt haben, damit sie nicht die Jahresdosis überschreiten und rausfliegen. Wir haben extrem, extrem starke Strahlungen abbekommen, manchmal in einer Stunde die zulässige für sechs Monate."
Morels Kollege Yvon Laurent fügt hinzu:
"Der Stromkonzern EDF gibt diese Wartungsarbeiten an Subfirmen ab, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Gibt es ein Problem, sagt EDF: Das waren nicht wir, sondern die Subfirma. Und in Sachen Gesundheit ist es dasselbe. Sie können sagen: Krebserkrankungen betreffen uns nicht, es sind ja nicht unsere Angestellten."
Vor zwei Jahren haben die Gewerkschaften in der französischen Atomindustrie in mehreren AKWs wochenlang gestreikt mit der Forderung, die Leiharbeiter sollten vom AKWBetreiber EDF fest angestellt werden – ohne Erfolg. José Andrade, ein Gewerkschafter der seit Jahren die Arbeitsbedingungen der Nuklear-Nomaden und das damit verbundene Sicherheitsrisiko anprangert, sagt:
"Es sind Leute, die sogar in ihren Autos schlafen, die sich oft nur von Sandwiches ernähren, meist zwei, drei Monate lang weit weg von Familie und Freunden leben – und solche Leute steckt man in Atomkraftwerke - das sind doch richtiggehende Zeitbomben."
Selbst die französische Atomsicherheitsbehörde – nicht gerade für ihre Unabhängigkeit und Strenge bekannt – hat in ihren letzten Berichten die Leiharbeit kritisiert und gefragt, ob die persönliche Situation dieser Arbeiter nicht Fehler begünstige.
Die Soziologin Annie Thebaud Mony hat die Arbeitsbedingungen der Nuklear-Nomaden über mehrere Jahre hinweg untersucht:
"Die Leiharbeiter haben zum Beispiel nicht das Recht, wie andere die Arbeit niederzulegen, wenn die Situation zu gefährlich wird. Tun sie es, führt das zu Entlassungen, ich kenne viele solche Fälle. Dabei wird praktisch die gesamte Arbeit unter Strahleneinwirkung in den Atomkraftwerken von ihnen gemacht, der Unterschied zu den fest angestellten Arbeitern von EDF ist enorm. Die Leiharbeiter bekommen über 80 Prozent der gesamten Strahlung ab."
Laut einer jüngsten Untersuchung würden 90 Prozent der Nuklear-Nomaden ihre Arbeit in den AKWs aufgeben, wenn sie die Wahl hätten. Doch die Atomenergie ist ihr Broterwerb. Insgesamt 200.000 Jobs hängen in Frankreich von der Atomindustrie ab. Diese Menschen begrüßen es, dass Präsident Sarkozy auch nach Fukushima weiter an seiner Pro-Atompolitik festhält. In der übrigen Bevölkerung sieht die Stimmung etwas anders aus. Eine aktuelle Meinungsumfrage zeigt: 60 Prozent der Franzosen wünschen sich einen Ausstieg aus der Atomenergie. Und auch in die politische Diskussion ist ein wenig Bewegung gekommen: Erstmals überhaupt denken Vertreter der sozialistischen Partei laut über einen Ausstieg nach - zu ihnen gehört auch die Parteivorsitzende und mögliche Präsidentschaftskandidatin, Martine Aubry.