Susanne Kuhlmann: Was die Schutzgebiete in Nord- und Ostsee vom umgebenden Meer unterscheidet, ist lediglich der Name. Vor acht Jahren sind sie ausgewiesen worden und umfassen jetzt fast die Hälfte beider Meere, ohne dass sich beispielsweise an den Fischfangmethoden dort Wesentliches verändert hätte. Heute hat der Deutsche Naturschutzring beim Verwaltungsgericht in Köln eine Klage gegen das Bundesamt für Naturschutz eingelegt, um zu erreichen, dass umweltschädigende Fischereimethoden in Meeresschutzgebieten künftig unterbleiben. Der Deutsche Naturschutzring vertritt eine Allianz großer Umweltverbände, zu denen auch der World Wide Fund For Nature zählt, der WWF.
- Dessen Meeresschutzexperten Stephan Lutter begrüße ich in Hamburg. Guten Tag, Herr Lutter.
Stephan Lutter: Moin Moin aus Hamburg!
Kuhlmann: Was sind die Hintergründe für Ihre Klage?
Lutter: Was der WWF und die sechs anderen Organisationen hier im wahrsten Sinne des Wortes beklagen, ist der unhaltbare Zustand, dass seit 2007 rund 30 Prozent unserer offenen Gewässer in Nord- und Ostsee, also in der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone, unter Schutz stehen, aber wirklich nur auf dem Papier. Es sind keinerlei Maßnahmen eingeleitet worden. Nach EU-Recht, der sogenannten FFH-Richtlinie, wäre das auch binnen sechs Jahren nötig gewesen. Und der Hauptstreitpunkt hier sind die Fischereien, die mit Stellnetzen und auch Bodenfischerei Lebensräume bedrohen und gerade bei den Stellnetzen zu Beifang von Seevögeln und Schweinswalen führen.
Kuhlmann: Um welche Gebiete geht es konkret und was wissen Sie genau über Fische, Seevögel, Sandbänke und auch Riffe dort?
Lutter: Es geht um die sogenannten Schutzgüter, unter Wasser liegende Sandbänke wie die Doggerbank in der Nordsee und die Oderbank in der Ostsee. Es geht um Riffgebiete wie das Sylter Außenriff, westlich des Nationalparks Wattenmeer. Und auch Vogelschutzgebiete in der östlichen Deutschen Bucht und in der Pommerschen Bucht. Die Bestandsaufnahme gerade in Deutschland ist sehr genau gemacht worden von den Behörden. Es ist ja auch nicht so, dass es keine Ideen für Maßnahmen in der Fischerei gäbe. Das Bundesamt für Naturschutz und das Institut für Fischerei, die beiden Fachbehörden, haben solche Maßnahmen längst vorgeschlagen. Doch seit 2011 liegen sie auf ministerieller und Bundesregierungsebene auf Eis. Und da sehen wir die Klage jetzt als letzten möglichen Schritt, den wir einleiten müssen, um voranzukommen.
Kuhlmann: Die ausgewiesenen Gebiete sollen ja den Schutz von Arten, Lebensräumen und auch Naturprozessen gewährleisten. Was bedeutet das für die Fischerei, aber auch für die Offshore-Windenergie-Branche oder auch den Abbau von Sand und Kies? Sie sprachen gerade davon, dass Maßnahmen, Ideen dafür zumindest vorliegen.
Lutter: Parallel EU-Beschwerde
Lutter: Maßnahmen, um die Fischerei in den Schutzgebieten zu regulieren, liegen seit 2011 vor. Es ist leider immer noch möglich, Sand und Kies abzubauen in einigen Gebieten, auch wenn es zurzeit nicht praktiziert wird, und auch Öl und Gas potenziell. Es gibt keinen Konflikt im größeren Maßstab mit den Windfarmen, denn das schließt sich in deutschen Gewässern überwiegend aus. Es gibt Vorranggebiete für Windfarmen und solche für die Natur. Der Schutz der Natur ist einfach durch die FFH-Richtlinie und Vogelschutz-Richtlinie der EU vorgeschrieben. Den guten Erhaltungszustand der Tiere und Lebensräume in diesen Gebieten zu sichern oder wiederherzustellen. Und genau darum geht es und da werden wir auch EU-Beschwerde einreichen in Kürze, parallel zu dem deutschen Klageverfahren.
Kuhlmann: Was müssten die Fischer konkret anders machen?
Lutter: Die Vorschläge, die es von behördlicher Seite bereits gibt, und auch Alternativvorschläge oder unterstützende Vorschläge von den Umweltorganisationen, sehen bestimmte Zonierungen vor, in denen Gebiete für Bodenschleppnetze geschlossen sind, wo eben empfindliche Sandboden-Lebensgemeinschaften oder Riffe da sind. Oder für Stellnetze in bestimmten Jahreszeiten geschlossen sind, um die Schweinswale und Seevögel nicht zu bedrohen. Wir schließen die Fischerei nicht aus den Schutzgebieten aus, das ist nicht unser Vorschlag, sondern wir möchten, dass sanfte Fischereitechnologien und passive Methoden dort natürlich weiter existieren können. Trotzdem muss aber auch ein Meeresschutzgebiet zu etwa der Hälfte für extraktive Nutzungen jeder Art geschlossen sein, damit das Ökosystem wieder ins Gleichgewicht kommt.
Kuhlmann: Also es soll nichts entnommen werden. - Meeresschutz steht bisher nur auf dem Papier, selbst in den extra dafür ausgewiesenen Gebieten von Nord- und Ostsee. Erläuterungen zur Klage der Naturschutzverbände waren das von Stephan Lutter, dem Meeresexperten vom WWF. Ihnen danke dafür nach Hamburg.
Lutter: Bitte schön!
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