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Verbale Entgleisung oder geistige Brandstiftung?

Der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner hat mit seinen Äußerungen über "entartete Kultur" Empörung ausgelöst. Der Kunsthistoriker Christoph Zuschlag glaubt dabei nicht an einen Ausrutscher. Meisners Statement sei gerade deshalb schlimm, weil es sich um eine bewusste Wortwahl handele, sagte Zuschlag.

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich | 16.09.2007
    Burkhard Müller-Ullrich: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner wurde im selben Jahr geboren, in dem Hitler an die Macht kam. Er hat den Holocaust immer wieder aufgegriffen und Politik damit gemacht. Zum Beispiel 1998, als er die Anwendung der Abtreibungspille mit der Ermordung der Juden in Europa während der Nazizeit verglich, oder in der Dreikönigs-Predigt 2005, als er die gleiche Parallele wieder zog. Jetzt sprach er im Zusammenhang mit Kunst das Wort "entartet" aus und die öffentliche Reaktion ließ keinen Augenblick auf sich warten, im Gegenteil. Fast scheint es, als hätten alle auf diesen Augenblick gewartet, denn seit dem Kölner-Domfenster-Streit vor zwei Wochen war die Atmosphäre gewissermaßen vorgeladen. Nun ist es problemlos möglich, auf vielerlei Arten von der richtigen Art zu reden. Man fordert artgerechte Haltung und auch wenn es etwas ausartet, ist das zumindest sprachlich nicht schlimm, bloß die Entartung, Christoph Zuschlag, Sie als Kunsthistoriker wissen das, die Entartung ist ein schlimmer Begriff, weil ihn die Nazis erfunden haben.

    Christoph Zuschlag: Das kann man so auch nicht sagen, dass die Nazis das erfunden hätten. Der Begriff der Entartung ist, wie Sie richtig sagen, ja aus anderen Bereichen, etwa der Medizin, absolut üblich und auch in keiner Weise belastet. Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts auf die Kunst übertragen. Das war ein Kulturtheoretiker namens Max Nordau, der von der "Entartung der Kunst" sprach und bereits 1892 gibt es eine Schrift der Entartung der Münchener Kunst. Das heißt, die Nazis haben es nicht erfunden, aber sie haben es eben als Hauptslogan für ihre Diffamierungskampagne gegen die moderne Kunst verwandt und seither ist eigentlich der Begriff, ich würde sagen, unaufhebbar mit der Nazikunstpolitik verbunden. Und daher ist es für mich auch unbegreiflich, das Kardinal Meisner diesen Begriff "entartet" im Zusammenhang mit Kultur verwendet.

    Müller-Ullrich: Bleiben wir noch einmal kurz bei den Nazis. Es ist ja nun genau 70 Jahre her, dass die berühmte Ausstellung in München stattgefunden hat. Eine Diffamierungsausstellung, ebenso war es gemeint, entartete Kunst. Aber was genau bezeichnete dieses Konzept, falls es überhaupt Umrisse des Konzepts gibt?

    Zuschlag: Es war eigentlich kein theoretisches Konzept dahinter, sondern es war ein Pauschalbegriff um die gesamte moderne Kunst im Grunde seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu verdammen, zu diskreditieren. Es war der Expressionismus damit gemeint, der Dadaismus, auch die abstrakte Kunst. Also es war ein Pauschalnegativurteil. Die gesamte Moderne sollte damit abgewertet werden, also die Kunst, die sich mit den NS-Vorstellungen von Kunst nicht vereinbaren ließ. Da ging es zum Beispiel um das Menschenbild. Wenn Sie sich expressionistische Bilder vorstellen mit ihrem im expressiv deformierten Menschenbild, so lässt sich dies nicht in Einklang bringen mit dem verherrlichten Körper der Nazikunst wie etwa von Arno Breker, die uns überliefert sind.

    Müller-Ullrich: Wenn man aber jetzt diesen Text des Kardinals liest, besonders die entzündliche Stelle, dann hat man Mühe das eine auf das andere überhaupt zu beziehen. War das eine verbale Entgleisung, ein Ausrutscher, eine Sprachohnmacht?

    Zuschlag: Also bei Kardinal Meisner kann ich mir nicht vorstellen, dass das eine verbale Entgleisung, ein Ausrutscher gewesen ist. Ich denke schon - und das macht natürlich die Sache eigentlich schlimm, und ich halte sie für schlimm -, das war eine bewusste Wortwahl. Also dieser Begriff ist eigentlich, gerade weil wir, wie Sie zu Recht sagen, in diesen Tagen die 70-jährige Wiederkehr dieser Naziausstellung haben, dieser Begriff ist so eigentlich in aller Munde und ein Intellektueller wie Meisner muss sich eigentlich der Tragweite des Begriffes bewusst sein. Er möchte damit ganz offensichtlich etwas sagen, und darin liegt für mich der Sprengstoff der Sache.

    Müller-Ullrich: Und was er sagen will, ist ja im Grunde, weil er die Sache sofort an die göttliche Mitte ankoppelt, dass Kunst einen transzendenten Hintergrund braucht. Eine Diskussion, die man ja führen kann.

    Zuschlag: Absolut! Also er hat, das ist ja auch bei einem Kardinal nicht wirklich überraschend, ein normatives Weltbild und in diesem weist er der Kunst allein die Funktion zu, ich zitiere jetzt aus seiner Rede, "die Schöpfungsgedanken Gottes in der Welt aufzuspüren und ihnen erneut Gestalt zu geben und die Mitmenschen daran zu erinnern, ist der Sinn von Kunst." Das heißt also, er sagt ganz eindeutig, Kunst hat im Dienste der Verkündung des Wortes Gottes zu stehen und den Schöpfungsgedanken eben zu verbildlichen. Das ist Sinn der Kunst. Und da wo sie das nicht tut, da entartet sie.

    Und Sie weisen zu Recht auf den nächsten Satz hin. Der eigentliche Skandalsatz lautet ja: "Dort wo die Kultur vom Kultus von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet." Der nächste Satz lautet: "Sie verliert ihre Mitte." Und damit nimmt er eigentlich explizit Bezug auf eine der ganz wesentlichen kunsttheoretischen Schriften der Nachkriegszeit, nämlich des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr "Verlust der Mitte". Die hatte Sedlmayr in den Kriegsjahren geschrieben und 1948 veröffentlicht, und im Grunde ist das dort schon der Gedanke, den hier auch Meisner äußert, dass nämlich die moderne Kunst chaotisch sei, dass sie nicht mehr in der Lage sei, ein Menschenbild zu konkretisieren.

    Müller-Ullrich: Ein Gedanke, den ein Bischoff ja durchaus vertreten darf. Denn wer soll es denn tun, wenn nicht er? Aber eben nicht mit einer so belasteten Wortwahl. Soweit das Gespräch mit dem Kunsthistoriker Christoph Zuschlag. Danke für die Erläuterungen.