Archiv


Verband der Heimkehrer

Etwa elf Millionen Kriegsheimkehrer mussten nach dem Zweiten Weltkrieg in die demokratische Gesellschaft Deutschlands integriert werden. Diese Personengruppe galt als besonders gefährlich für die Demokratie, hatte sie doch in der Weimarer Republik zu deren erbittersten Gegnern gehört.

Von Elke Kimmel |
    Im Zentrum der Untersuchung von Birgit Schwelling steht der mitgliederstarke und einflussreiche Verband der Heimkehrer - kurz VdH. Schwelling analysiert, wie der 1950 gegründete Verband nach außen und gegenüber seinen Mitgliedern auftrat und wie sich seine Stellung innerhalb der Gesellschaft von den 1950er-Jahren bis zu seiner Auflösung 2006 veränderte. Bis Mitte der 50er-Jahre nahm die deutsche Bevölkerung großen Anteil am Schicksal der Heimkehrer, wie auch Bundeskanzler Konrad Adenauer am 2. Januar 1954 bei einem Empfang von Heimkehrern in Friedland konstatierte:

    "Ich bringe Euch den Gruß des gesamten deutschen Volkes, ohne Unterschied der Parteien, ohne Unterschied der Konfessionen. Seid überzeugt davon, dass wir alle Euch mit ganz warmem Herzen empfangen, und dass wir alles tun werden, um Euch die Eingliederung in diese ganz neuen Verhältnisse, die ihr hier vorfinden werdet, zu erleichtern."
    Dem VdH indes ging es stets um mehr als einen herzlichen Empfang für die Heimkehrer. Besonders in den ersten Jahren seines Bestehens setzte er sich massiv für die finanzielle Entschädigung der Veteranen ein. Dabei nutzte er nicht nur die emotionale Anteilnahme, die die Bevölkerung den Heimkehrern entgegen brachte, sondern er drohte auch implizit damit, dass im Falle einer ausbleibenden Wiedergutmachung eine dauerhafte Entfremdung der Kriegsgefangenen von der Gesellschaft eintreten könne, mit ähnlichen Folgen wie in der Weimarer Republik. Schwelling charakterisiert diese Mitglieder:

    "Es waren ehemalige Soldaten der Wehrmacht - also einer Armee, die an einem verbrecherischen Krieg beteiligt waren - und es waren ehemalige Kriegsgefangene. Das heißt, der Krieg hat sich für diesen Personenkreis zum Teil noch bis in die Jahre 1955/56 hingezogen. Jemand, der 1940 zur Wehrmacht einzog und 1955 aus einem sowjetischen Lager zurückkehrte, hatte 15 Jahre in diesem Ausnahmezustand verbracht."
    Die Verbandsführung wurde nie müde zu betonen, dass sie die angeblich staatsgefährdenden Veteranen im demokratischen Sinne bändige. Ein Erfolg der VdH-Politik war, dass am 30. Januar 1954 ein Entschädigungsgesetz für Kriegsgefangene in Kraft trat. Ansehen erwuchs dem VdH jedoch gerade daraus, dass er sich nicht auf eine rein materielle Klientelpolitik beschränkte. Mit den Mehlemer Diskussionswochen förderte er aktiv die kontroverse Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. Darüber hinaus organisierte er öffentlichkeitswirksame Kriegsgefangenen-Gedenkwochen, initiierte den Aufbau von Denkmälern und präsentierte eigene Ausstellungen. In den 50er-Jahren behauptete der VdH so glaubhaft eine Expertenrolle für Fragen zum Kontext Kriegs- und Nachkriegszeit und darüber hinaus:

    "Die Deutung, dass die Kriegsgefangenen an der Lagererfahrung gereift waren, und seitdem einen privilegierten Blick auf wichtige Fragen der Gegenwart hatten, wurde vom VdH in Richtung Demokratie ausgeweitet und auch mit spezifischen Problemlagen des Nachkriegs in der Bundesrepublik verknüpft. Der VdH bezeichnete die Kriegsgefangenen zum Beispiel als die wahren Experten des Ostens, die den Kommunismus am eigenen Leib erfahren hatten, und seine Gefahren daher besonders gut einzuschätzen wüssten."
    Schwelling weist überzeugend nach, wie der Heimkehrer-Verband für die Stabilisierung der Bundesrepublik eintrat. Dennoch verschweigt sie weder dessen heute eher befremdend anmutendes Pathos noch sein Geltungsbedürfnis, das schon der zweite Kanzler Ludwig Erhard zurückwies. Er besaß damit ein gutes Gespür für den Zeitgeist, dessen Interesse an den Heimkehrern nachgelassen hatte. Und auch politische Prominenz war bei den VdH-Veranstaltungen nur noch eher selten anzutreffen. Birgit Schwelling:

    "Meine Analyse hat ergeben, dass der VdH im Grunde seinen in den 50er-Jahren etablierten Deutungsmustern bis zu seiner Auflösung im Jahr 2006 treu geblieben ist. Aufgrund dieser Beharrlichkeit in den Deutungsmustern wiesen sie mit fortschreitender Zeit denn auch immer weniger Überschneidungen mit den gesellschaftlichen Diskursen auf. Zurückzuführen war diese Beharrlichkeit vor allem auf den ausgebliebenen Generationenwechsel im Verband."
    Im Gegensatz zu den Vertriebenenverbänden betrachtete sich der VdH als Erfahrungsgemeinschaft der Heimkehrer und betrieb keine Nachwuchsarbeit. Besonders gravierend fiel die ausbleibende Modernisierung in der öffentlichen Diskussion von Themen auf, bei denen der VdH weiterhin eine Deutungshoheit gegenüber Konkurrenten für sich beanspruchte - gerade auch gegenüber Wissenschaftlern, wie etwa in der Auseinandersetzung über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Dass der Verband dennoch noch einmal an Bedeutung zulegen konnte, verdankte er vor allem dem Fall der Mauer.

    "Obwohl der Zweite Weltkrieg zu diesem Zeitpunkt ja schon über 40 Jahre zurücklag, gab es aufseiten der ostdeutschen ehemaligen Kriegsgefangenen ein enormes Interesse am Verband und auch an einer Mitgliedschaft im Verband. Ursache für dieses Interesse war zum einen, dass die ehemaligen Bürger der DDR auf diesem Weg natürlich Anschluss an die sozialpolitischen Leistungen der Bundesrepublik zu erhalten suchten. Aber zum anderen - und das ist vielleicht fast wichtiger - lassen sich diese späten Beitritte zum VdH auch als Suche und Hoffnung auf eine späte Anerkennung dieses Lebensabschnitts interpretieren."

    In der DDR hatten die Kriegsheimkehrer - wie auch die beschönigend "Umsiedler" genannten Vertriebenen - nie über ihre Erlebnisse sprechen können und griffen deshalb nach 1990 auf die Angebote des VdH zurück. Es spricht für die Autorin, dass sie, obwohl sie die Schattenseiten der Verbandspropaganda nicht verschweigt, sich ihrem Forschungsobjekt dennoch mit einiger Sympathie nähert und seine Leistungen respektiert. Sie widersteht konsequent der bequemen Versuchung, Verbandspolitik und Mitglieder als ewig gestrig abzutun. Beiläufig gelingt es ihr dabei zu zeigen, wie spannend und kontrovers die gesellschaftlichen Debatten in der Bundesrepublik der 50er-Jahre waren.

    Elke Kimmel rezensierte: Birgit Schwelling: Heimkehr – Erinnerung – Integration. Der Verband der Heimkehrer, die ehemaligen Kriegsgefangenen und die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft. Im Ferdinand Schöningh Verlag, 326 Seiten zum Preis von 44 Euro und 90 Cent (ISBN: 978-3-506-76921-3).