Die Kohlekommission hat sich vor einem Jahr auf den Weg zum Ausstieg aus der Kohleverstromung geeinigt hat. Die von der Bundesregierung gerade beschlossene Umsetzung hat jetzt allerdings ehemalige Mitglieder der Kommission auf den Plan gerufen, die heftige Kritik üben und der Regierung sogar Vertrauensbruch vorwerfen - Vorwürfe, die Wirtschaftsminister Altmaier zurückweist.
Seinen Kritikern bot Altmaier im Deutschlandfunk Gespräche an - und damit auch Reiner Priggen, der als Vorsitzender des Verbandes Erneuerbare Energien in Nordrhein-Westfalen in der Kohlekommission vertreten war und jetzt zu den Kritikern gehört.
"Am Kohleausstiegsgesetz entzündet sich die Kritik"
Martin Zagatta: Haben Sie die Telefonnummer von Altmaier?
Reiner Priggen: Die habe ich nicht, aber er wird zu erreichen sein. Ein Gesprächsangebot macht ja immer Sinn, es anzunehmen. Aber ich will auch klar sagen, für die erneuerbaren Energien haben wir da keine guten Erfahrungen gemacht. Ich erinnere mich an den Windgipfel im letzten Jahr im Oktober. Danach ist nichts passiert. Die Entlassungen sind unverändert weitergegangen und der dramatische Einbruch bei der Windkraft ist überhaupt nicht gestoppt worden. Das ist ja auch einer unserer Kritikpunkte, weil das zum Kompromiss dazugehört. Der Ausbau der Erneuerbaren, da sieht es dramatisch aus, bei Sonne und bei Wind, und das passt nicht zum Ergebnis der Kommission.
Zagatta: Warum gibt es dann diese Gespräche von Ihrer Seite mit Altmaier nicht schon längst? Mussten Sie da den Weg an die Öffentlichkeit wählen? Hätten Sie diese Gespräche mit ihm nicht gleich suchen können?
Priggen: Wir haben sie immer gesucht und sie sind ja auch von uns hier immer wieder in Teilbereichen bei den Erneuerbaren bei anderen geführt worden. Die Kritik ist ja nicht unbekannt. Aber was ja jetzt auf den Tisch gelegt worden ist, ist eine Abmachung zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der vier Braunkohleländer. Diese Abmachung – das mündet in das Kohleausstiegsgesetz – ist der Kern, der uns vorliegt, und daran entzündet sich die Kritik. Das haben wir gemacht, weil aus unserer Sicht verstößt das, auf was sich die Herrschaften da geeinigt haben, gegen den klimapolitischen Teil des Kohlekompromisses.
"Windindustrie ist auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren"
Zagatta: Da sagt Altmaier – so hat er das heute Morgen auch formuliert -, alles was die Politik jetzt mache, das sei ja damals in der Kohlekommission auch so ausgehandelt worden.
Priggen: Ja, gut. Ich war die ganzen Monate über dabei, kenne die Texte gut, und wir können gerne im Detail darüber reden. Ich habe Herrn Altmaier auch gehört. Mich hat das nicht überzeugt, weil es in Teilen einfach nicht zutreffend ist und weil er ablenkt von den Punkten, wo er eben nicht die Umsetzung so macht, wie sie versprochen war. Wir können gerne anfangen mit dem Ausbau der Erneuerbaren. Die Kommission hat gesagt, wir brauchen unbedingt 65 Prozent Erneuerbare in 2030. Das ist in zehn Jahren. Und das heißt, wir müssen pro Jahr in der Größenordnung fünf, 6.000 Megawatt Wind und sechs, 7.000 Megawatt Fotovoltaik bauen. Dann braucht man eine Umsetzung.
Wir haben den PV-Deckel bei 52 Gigawatt. Wir haben die Windindustrie, die einbricht, auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren ist, und wir haben null an Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministers, wie das aufgebrochen werden soll. Da werden Leute entlassen. Wir haben doppelt so viele Menschen in der Windindustrie in den letzten zwei Jahren verloren, wie überhaupt in der Kohle in Deutschland beschäftigt sind, und da ist kein Vorschlag da.
Löwenanteil von Kraftwerken nicht erst 2028 und '29 abschalten
Zagatta: Auf der anderen Seite sagt Altmaier heute, 2019 sei der CO2-Ausstoß schon um 50 Millionen Tonnen reduziert worden. Das sei ein gutes Ergebnis. Der Hambacher Forst bleibe erhalten. Das sei ein Erfolg. Und bis 2030, so hat er bestätigt, werde die Hälfte der Kohlekraftwerke aus dem Markt genommen. Da sagt er, das sei doch ganz schön was.
Priggen: Die Reduktion der Emissionen im vergangenen Jahr – dadurch, dass wir so viele Erneuerbare hatten, vor allen Dingen ein sehr gutes Windjahr – kann uns ja alle nur erfreuen. Das nehmen wir zur Kenntnis. Aber das hat nichts damit zu tun, dass wir einen stetigen Pfad des Abbaus von Kraftwerken verabredet haben. Dann muss Herr Altmaier nicht ablenken. Wir haben sehr, sehr klar gesagt, es soll auch zwischen 2020 und 2030 eine stetige Abschaltung von Kraftwerken geben und nicht den Löwenanteil erst 2028 und '29. Und mit Verlaub: Dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das war allen Fachleuten in der Kommission bekannt, auch der Zeitpunkt, und damit sind wir auch vernünftig umgegangen, weil wir haben doch null Dissens. Wir brauchen die Versorgungssicherheit.
Wir müssen gewährleisten, dass die Menschen und auch die Betriebe ausreichend Strom haben. Das ist in der Kommission nie anders gesehen worden. Trotzdem war es aus Klimaschutzgründen notwendig, stetig Kohlekraftwerke abzuschalten und auch Mitte der 20er-Jahre noch mal zehn Millionen Tonnen einzusparen. Darauf haben wir uns verständigt und das war für uns schon ein Minimalkonsens, weil eigentlich ist nach Umsetzung des Pariser Ergebnisses viel mehr nötig. Das war aber nicht unser Auftrag in der Kommission. Also haben wir da den Kompromiss gesucht. Jetzt da darunterzugehen und weniger zu machen und vor allen Dingen später zu machen, das ist nicht fair.
"Bundesregierung muss zulegen, wenn sie Datteln ans Netz gehen lässt"
Zagatta: Umstritten ist ja auch das Kohlekraftwerk Datteln IV, dass damit ein neues Kraftwerk ans Netz gehen soll. Da sagt Altmaier, die Kommission habe damals den Auftrag ausdrücklich erteilt, Gespräche zu führen, und er meint, es sei sinnvoll, ein modernes Werk in Betrieb zu nehmen, wenn man dafür alte stilllegt. Das klingt doch logisch.
Priggen: Das heißt für mich, sage ich mal, wie ernsthaft hat der Kollege die Gespräche geführt, frage ich mich da sofort. Er hat ja recht: Die Betreiber von Datteln haben eine rechtliche Grundlage. Das ist völlig richtig. Der Auftrag der Kommission war, Gespräche zu führen mit dem Ziel, dass dieses Kraftwerk gar nicht erst ans Netz geht, weil es nicht passt, wenn wir aussteigen, dass dann noch eine große Anlage reingeht.
Jetzt ist völlig richtig: Niemand kann garantieren, dass ein Gespräch zum Erfolg führt, wenn man sich da nicht einigt, aber dann kann man nicht für 1000 MW Neuanlage 1.000 alte abschalten, so wie Herr Altmaier das vorhat. Dann müssen Sie wesentlich mehr abschalten, um das auszugleichen, und da hat die Bundesregierung bisher keine Absichten. Ich kenne den aktuellen Gesetzentwurf aus seinem Haus. Da steht drin, ein Gigawatt Datteln neu, dafür geht ein Gigawatt alt raus. Aber das alte emittiert, weil es viel weniger Stunden läuft, viel weniger. Also muss im Prinzip – und das war ja auch unsere Kritik – die Bundesregierung da deutlich zulegen, wenn sie Datteln ans Netz gehen lässt.
Zagatta: Die Bundesregierung, sagen Sie. Wir schießen uns im Moment auf Altmaier ein. Was ist denn mit der SPD? Die stellt doch die Umweltministerin.
Priggen: Ja, gut. Aber Sie haben immer nach Herrn Altmaier gefragt. Das war unser Aufhänger. Unsere Hoffnung ist ja, ehrlich gesagt, auch, dass in den weiteren Gesprächen, weil es wird jetzt einen Gesetzentwurf geben, da muss das Umweltministerium zustimmen und dann muss das in den Bundestag auch rein, durchs Kabinett, und dann gibt es ja noch einen gewissen Diskurs. Und ich glaube, dass die Kritik fundiert genug ist, dass man überlegen kann, an der einen oder anderen Stelle da noch nachzubessern und zu korrigieren, damit man näher an den Konsens herankommt. Das ist jedenfalls die Hoffnung. So soll es ja in einer Demokratie auch sein.
Priggen: Dieser Kompromiss muss auch umgesetzt werden
Zagatta: Was bleibt Ihnen denn noch als Umweltverband oder als Umweltverbände? Die Kohlekommission tagt ja nicht mehr. Ist dieser öffentliche Protest das Einzige, was Ihnen bleibt, oder haben Sie noch irgendein Druckmittel?
Priggen: Wir machen als Verbände über 40 Jahre Energiepolitik. Wir haben sehr viel Erfahrung in diesen ganzen Bereichen. Die Kohlekommission war die Chance, es in einem großen Konsens zu lösen, und alle, mit denen ich gesprochen habe, jetzt von der Umweltseite, stehen nach wie vor zu diesem Kompromiss. Dann muss er auch umgesetzt werden.
Jetzt haben wir eine Situation, dass die Landesregierungen hoch zufrieden sind, weil sie sehr, sehr viel Geld kriegen. Die Gewerkschaften sind zufrieden, weil es sozialverträglich gelöst wurde. Und die Unternehmen auch. Die Umweltseite war bei den finalen Verhandlungen nicht mehr dabei und die kriegt jetzt erzählt, es ist alles gut, aber das ist in der Sache nicht korrekt. Deswegen wird man überlegen müssen, wie man das im Weiteren macht. Es gibt verschiedene rechtliche Möglichkeiten.
Unser Ziel war ja, auch dafür zu sorgen, dass diese rechtlichen Auseinandersetzungen minimiert werden. Wenn das jetzt so gemacht wird, würde ich auch sagen, dann müssen alle diejenigen, die mit ihren Grundstücken, mit ihren Häusern betroffen sind, die jetzt noch weg sollen aus ihren Häusern, wo nicht mehr einzusehen ist, dass das noch gemacht werden muss, dann müssen sie den Gerichtsweg suchen und wir kriegen den sozialen Frieden nicht, um den wir uns ja alle bemüht haben.
"Hambacher Forst hätte längst in eine Naturschutzstiftung gehört"
Zagatta: Rechnen Sie denn da noch mit großen Protesten, oder ist das jetzt erst einmal weg, nachdem der Hambacher Forst ja gerettet ist?
Priggen: Na ja, gut. An dem Tag, an dem das Ganze verabschiedet wurde, kamen dann hier die Berichterstattungen, dass um den Hambacher Forst herum alles weggebaggert werden soll – 70, 80 Meter tief, weil RWE Abraum braucht. Das ist aber unvorstellbar! Sie schlagen die Zeitung auf und lesen das und hören dann auch, dass RWE genau das will. Ob er gerettet ist oder nicht, wird sich erst im Detail noch zeigen. Das ist ja auch meine Kritik an der NRW-Landesregierung. Wir haben ein Jahr verloren und die Landesregierung hat sich nicht darum bemüht, mit den Menschen in den Dörfern und auch rund um den Wald mit denjenigen, die da betroffen sind, dafür zu sorgen, dass man eine Lösung hat.
Der Wald hätte längst in eine Naturschutzstiftung gehört, damit man ihn entwickelt mit den anderen umliegenden Wäldern und ein Stück weit das wiederholt, was verloren worden ist. Die Landesregierung hat nichts gemacht. Und in den Dörfern: Wenn wir jetzt noch Menschen haben, die aus ihren Häusern raus müssen, dann muss ich doch im Detail begründen, warum das nun wirklich notwendig ist. Und was macht die Landesregierung zusammen mit der Bundesregierung: Mir sind acht Tagebaue in Deutschland bekannt und nur einer, Garzweiler, wird für unverzichtbar und energiepolitisch notwendig erklärt. Anstatt im Einzelnen zu reden, was muss da wirklich noch weg, auf was kann man verzichten, weil die Kohle nicht mehr nötig ist, macht man das pauschal. Das finde ich sehr unfreundlich gegenüber den Menschen, die da leben, und das wird natürlich Konsequenzen haben, dass Menschen sich weiter wehren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.