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Verbindliche Lohnuntergrenze mit möglichen Ausnahmen

Hermann Gröhe sieht nach dem Beschluss seiner Partei zum Thema Mindestlohn die Tarifpartner in der Pflicht. Die Christdemokraten wollten keine Vorschriften machen, sondern eine Lohnuntergrenze festlegen, erklärte Gröhe. Die Tarifparteien hätten dann die Möglichkeit, Differenzierungen vorzunehmen.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Anne Raith | 15.11.2011
    Anne Raith: Die Kritik war harsch, auch und vielleicht vor allem aus den eigenen Reihen. Der frühere brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm hat gleich ein ganzes Buch geschrieben mit dem Titel "Schluss mit dem Ausverkauf: Der traurige Niedergang der Union", und darin beklagt er, die Partei wird stromlinienförmig und inhaltsleer. Auch deshalb waren sich die Berichterstatter noch vor wenigen Tagen einig, der CDU-Parteitag wird konfliktreich, das wird ein Aufstand der Nörgler. Tatsächlich aber kam es alles in allem anders. Angela Merkel hat mutige Reformen gefordert auf dem Parteitag und vor wenigen Minuten habe ich mit CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gesprochen und ihn gefragt, warum dann wichtige Themen wie das Betreuungsgeld vertagt wurden und die CDU beim Thema Mindestlohn nicht einfach mal mutig war.

    Hermann Gröhe: Es geht um Mut, es geht aber vor allen Dingen um sachgerechte Lösungen, und wir haben beim Thema Lohnuntergrenze einen großen Schritt hin zu einer gemeinsamen Positionierung gemacht und sind als Partei der Sozialen Marktwirtschaft stolz darauf, einen Vorschlag zu machen, der einerseits ein Problem angeht, in tariffreien Bezirken ins Bergfreie fallende Löhne in Teilbereichen zu lösen, und das gleichzeitig nicht zu tun, indem wir nach dem Staat rufen, sondern indem wir die Sozialpartner, Gewerkschaften und Arbeitgeber, in die Pflicht nehmen. Insofern haben wir ein Problem angepackt und eine, zur CDU als Volkspartei gut passende Lösung erarbeitet und in großer Geschlossenheit dann auch zu ihr in Beschlussfassung gestanden.

    Raith: Herr Gröhe, hat die CDU versäumt, sich da klarer zu positionieren, eben weil sie es allen ein bisschen recht machen wollte?

    Gröhe: Überhaupt nicht, denn die, die da schön tönen, wie Rote und Grüne, die haben in ihrer Regierungszeit nicht einen einzigen Branchenmindestlohn, geschweige denn den jetzt geforderten gesetzlichen Mindestlohn, jetzt von Rot und Grün geforderten gesetzlichen Mindestlohn durchgesetzt. Nein, die Union hat in der Regierungszeit von Helmut Kohl mit branchenspezifischen, also tarifvertraglich verabredeten Mindestlöhnen begonnen, diese Politik ist unter Angela Merkel fortgesetzt worden, und jetzt soll es eine Lösung geben, die verhindert, dass weiße Flecken auf der Tarifvertragslandkarte die Möglichkeit bieten, dass dort unanständig niedrige Löhne gezahlt werden, und das ist eine klare Ansage und eine mutige Entscheidung.

    Raith: Aber so klar, Herr Gröhe, kann die Ansage nicht gewesen sein, wenn jetzt jeder aus dem Kompromiss liest, was er lesen möchte, wenn auf der einen Seite Unions-Fraktionsvize Fuchs sagt, er ist zufrieden, weil es eben keine bundesweiten flächendeckenden Lohnuntergrenzen gibt, auf der anderen Seite aber Karl-Josef Laumann sagt, dass er genau deswegen zufrieden ist, weil es diese Lohnuntergrenze gibt. Wer hat da recht oder wer hat was nicht verstanden?

    Gröhe: Der Text ist sehr eindeutig. Wir lehnen einen politischen Mindestlohn, gefunden im Parteienstreit im Parlament, ab. Wir nehmen die Sozialpartner in die Pflicht, sagen, weiße Flecken darf es nicht geben. Wir wollen eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze, das betont zurecht Karl-Josef Laumann. Aber auch er hat eingewilligt, dass es die Möglichkeit geben soll, dass es Einzelheiten und auch Differenzierungen als Ausnahmen von der einen verbindlichen Grenze geben kann, nicht muss, aber geben kann, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam der Meinung sind, dass dies beispielsweise für eine besondere Gruppe, vielleicht für jugendliche Langzeitarbeitslose ohne Ausbildungsabschluss, oder in einer Region mit dramatisch hoher Arbeitslosigkeit notwendig ist, aber da machen wir keine Vorschriften. Und klar ist: Es gibt sozusagen ein Regelausnahmeverhältnis, eine Lohnuntergrenze, und der Kommission die Freiheit, Differenzierungen vorzunehmen, wenn sie beide für angezeigt halten.

    Raith: Eine Lohnuntergrenze, sagen Sie, mit vielen Ausnahmen.

    Gröhe: Nein, nicht mit vielen Ausnahmen.

    Raith: Mit möglichen Ausnahmen.

    Gröhe: Und über die Ausnahmen entscheiden nicht wir. Unsere Politik ist gekennzeichnet davon, dass wir glauben, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammen sozialverträgliche und wirtschaftlich vernünftige Lösungen finden können. Die hervorragend funktionierende Sozialpartnerschaft bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise stärkt uns darin. Und vom Arbeitnehmerflügel bis zum Wirtschaftsflügel in der CDU setzt man nicht auf den Ruf nach dem Staat, Einheitslohn, gefunden im Parlament, sondern darauf, dass die Tarifparteien richtig handeln, und ob und wie sie differenzieren, ist dann ihre Sache.

    Raith: Herr Gröhe, heute steht das ursprüngliche Parteitagsthema auf der Agenda: Thema Bildung. Geplant war auch da, wenn man Angela Merkel bemühen möchte, eine mutige Reform, nämlich das Aus der Hauptschule. Aber auch dieser Vorstoß wurde ja vorher abgeschwächt.

    Gröhe: Dass wir Hauptschulen akzeptieren, wo sie dem Willen der Eltern entsprechen, lebensfähig sind von der Schüleranmeldezahl, das stand bereits im Ursprungstext. Da waren die Überschriften zum Teil jenseits dessen, was in den Texten stand. Richtig ist, dass wir unser System fortentwickeln wollen. Wir stehen für ein leistungsgerechtes differenziertes Schulsystem. Wir haben aber dramatisch sinkende Schülerzahlen. Wir wollen das Gymnasium und wir wollen neben dem Gymnasium ein starkes Bildungsangebot, das der Berufsvorbereitung dient, und deswegen sagen wir, neben Haupt- und Realschulen – und wir sehen natürlich bei Hauptschulen eine deutlich niedrigere Nachfrage, wenn ich so sagen darf, elterlicher Entscheidungen – soll es auch weiterhin und verstärkt Angebote geben, wo Haupt- und Realschulabschluss, die fortbestehen, unter einem Dach angeboten werden. Das findet zurzeit in ganz vielen Bundesländern statt und es geht darum, diesen Prozess zu stärken, damit es die wirkliche Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung durch einen guten berufsvorbereitenden Bereich in der Schule gibt.

    Raith: Mit der Oberschule wollte die CDU eine klare Antwort geben. Nun ist die neue Oberschule aber nur wünschenswert, was nicht besonders klar ist.

    Gröhe: Wir betonen, dass es eine gute Antwort ist, diese beiden Schulabschlüsse und Bildungsgänge unter einem Dach anzubieten. Uns geht es um Folgendes, dass die Bundesländer sich für diese Schulform, die es im Augenblick in der Entwicklungsphase in ganz vielen Bundesländern gibt, dass die nicht in jedem Bundesland auf eine andere Bezeichnung hört, Stadtteilschule, Mittelschule, Mittelpunktschule, Sekundarschule, sondern sich die Länder auf eine Bezeichnung verständigen, so wie jeder weiß, was Haupt-, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule in den unterschiedlichen Bundesländern heißt, und da haben wir, angelehnt an den sehr erfolgreichen Start dieser Schulform, den Begriff Oberschule vorgeschlagen. Aber wichtiger als die Frage, wie die Schule heißt, ist, dass es ein gutes, ein starkes Standbein im gegliederten Schulsystem hier gibt, und es wäre wünschenswert in der Tat, dass es dann auch eine gemeinsame Bezeichnung in den Bundesländern gibt.

    Raith: Wünschenswert wäre es, Sie sagen es. – Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit dem CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. – Herr Gröhe, auf dem Parteitag war gestern auch die Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU Thema, ebenso wie ein NPD-Verbot. Berichtet wurde darüber bereits. Dennoch habe ich Erklärungsbedarf. Die CDU hat sich lange gegen die Forderung der SPD ausgesprochen, die NPD verbieten zu lassen. Warum soll ein Verbot jetzt plötzlich helfen?

    Gröhe: Es geht nicht um ein "plötzlich helfen", sondern es geht um eine sicher in unserem Land und darüber hinaus festzustellende allgemeine Erschütterung über das Ausmaß an rechtsterroristischer Gewalt, das hier offenbar geworden ist. Das verlangt nach einer scharfen Verurteilung, nach entschiedenem staatlichen Handeln, ja und auch nach der Bereitschaft zu prüfen, ob neuere Erkenntnisse dazu führen müssen, dass man neue Sachverhalte neu bewertet. Wir machen jetzt keinen Überbietungswettlauf in Ankündigungen, denn eines ist auch klar: Das erste Verbotsverfahren ist gescheitert. Man sollte nur ein Erneutes einleiten, wenn es Aussicht auf Erfolg hat. Wenn aber es Hinweise gibt, dass es zwischen rechtsextremistischen Parteien und rechtsterroristischer Gewalt Verbindungen gibt, dann müssen darauf auch Ermittlungen konzentriert werden, und sollte im Laufe von Ermittlungen eine solche Verbindung dargelegt werden können in einer auch dann gerichtsfesten Art und Weise, dann wäre das eine neue Situation, und deswegen ist es klug zu sagen, wir müssen im Lichte der Ermittlungsergebnisse, auf deren baldiges Herausfinden wir drängen, auch die Frage eines Verbotsverfahrens neu prüfen. Noch einmal: Es macht nur Sinn, wenn wir es dann auch schaffen.

    Raith: Sie sagen, es muss ein Signal geben. Aber ist das das richtige Signal, oder spielt schon allein die Diskussion der NPD in die Hände?

    Gröhe: Also das wichtigste Signal ist, dass diese gesamte deutsche Gesellschaft, dass alle Demokraten aufstehen und sagen, brauner Terror ist eine Schande für dieses Land, wir werden ihn mit allen demokratischen Mitteln bekämpfen. Und da ist es klug, nicht über Pressekonferenzen und Interviews, sondern im Gespräch der Landesinnenminister, in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die es zum Thema NPD-Verbot gibt, zu prüfen, was möglich ist. Noch einmal: Es ist niemandem damit geholfen, wenn man überstürzt in ein Verfahren geht und erneut unterliegt. Deswegen ist es klug, ermitteln, prüfen, entscheiden, durchsetzen. Das ist die richtige Reihenfolge. Im Übrigen muss es eine konzertierte Aktion aller Kräfte im Bereich der Sicherheit, der Polizei geben, die jetzt mit Tatkraft allen neuen Erkenntnissen zur rechtsterroristischen Bedrohung nachgeht. Dieser braune Terror verlangt harte Antworten.

    Raith: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe heute Morgen im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.