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Verblüffende Helfer im Gehirn

Medizin. - Neurowissenschaftler wissen heute, dass Nervenzellen, ihre Rezeptoren und ihre Botenstoffe durchaus nicht allein agieren. So sprechen auch Sexualhormone ein gewichtiges Wörtchen bei unserer Gesundheit mit. Selbst das Immunsystem kann sich dem orchestralen Zusammenspiel nicht entziehen.

Von Kristin Raabe |
    Bei der Multiplen Sklerose richtet sich praktisch das gesamte Arsenal der Immunabwehr gegen das Nervensystem. Und das hat fatale Folgen: Entzündungsprozesse zerstören die Isolierung der Nervenfasern und dadurch leiden MS-Patienten mit den Jahren an immer mehr Ausfällen. Die Sehfähigkeit lässt nach und Bewegungen fallen immer schwerer. Dass sich die Attacke des Immunsystems auch aufhalten lässt, beweist eine Beobachtung, die Mediziner schon vor Jahrzehnten machten.

    "Man weiß seit langer Zeit, dass Frauen während einer Schwangerschaft, wenn die Hormone sehr hoch sind, kaum MS-Schübe bekommen, und die Vermutung lag schon lange nahe, dass die erhöhten Östrogen- und Progesteron-Spiegel während der Schwangerschaft Schübe bei MS verhindert bei Frauen."

    Schon seit etlichen Jahren untersucht Cordian Beyer an der Universität Aachen, wie die Sexualhormone Östrogen und Progesteron in Entzündungsprozesse eingreifen. Entzündungen sind häufig das Hauptproblem, wenn im zentralen Nervensystem Zellen zugrunde gehen. Das gilt beispielsweise auch für Parkinson, Alzheimer und für den Schlaganfall:

    "Wenn man sich den Schlaganfall einmal vorstellt, dann weiß man, dass innerhalb weniger Stunden hochentzündliche Prozesse ablaufen, die sehr komplex sind. Und man weiß, dass Östrogen in diese inflammatorischen Prozesse eingreift und zwar nicht direkt an Nervenzellen, das ist das Spannende, sondern an den Gliazellen."

    Gliazellen sind die Stützzellen des Nervensystems. Sie versorgen die Nervenzellen mit allem, was sie zum Leben brauchen. Außerdem bilden sie die Isolierung der Nerven und sorgen so dafür, dass Nervenimpulse besser weitergeleitet werden. Bestimmte Arten von Gliazellen haben allerdings auch bei den gefährlichen Entzündungen im Nervensystem eine wichtige Rolle. Bei einer Verletzung beispielsweise produzieren sie entzündungsfördernde Substanzen. Cordian Beyer hat deshalb untersucht, ob Östrogen und Progesteron diesen Prozess verhindern können.

    "Wir haben zeigen können, dass Östrogen diese Immunantwort unterdrückt, diese primäre Antwort unterdrückt. Und zwar sehr massiv."

    Letztlich dienen alle Experimente aber dazu, neue Therapien für Krankheiten wie Multiple Sklerose, Alzheimer, Parkinson und Schlaganfall zu finden. Dabei ist das Hauptproblem allerdings, dass diese Sexualhormone überall im Körper wirken können. Deswegen untersucht Cordian Beyer zurzeit an Tiermodellen, ob sich Östrogen und Progesteron etwa bei einem Schlaganfall über eine Pumpe direkt in die Verletzungsstelle geben lässt. Und die Experimente verlaufen vielversprechend.

    "Ich denke, wenn man sehr gezielt an bestimmte Erkrankungen herangeht und die Fragestellung sehr genau definiert, haben beide Hormone eine Zukunft in der therapeutischen Medizin."