Stefan Römermann: Viele Verbraucher bekommen schon beim Wort ein ungutes Gefühl: Bonitätsprüfung. Früher musste man dafür häufig bei seiner Bank oder bei seinem Vermieter seine Gehaltsabrechnung vorlegen - und dann wurde individuell geschaut: Kann sich dieser Mensch tatsächlich die Wohnung oder diesen Kredit leisten? Heute wird so etwas immer häufiger automatisch abgewickelt. Statt einer individuellen Prüfung gibt es seltsame, statistische Verfahren - und am Ende steht dann eine Zahl: Der Scorewert.
Er entscheidet dann unter Umständen darüber, ob ich einen Kredit bekomme und wie viel Zinsen ich bezahlen muss. Oder auch, ob ich im Internet Waren auf Rechnung bestellen kann oder ob ich nur per Vorkasse beliefert werde - oder ob ich einen Mobilfunkvertrag bekomme. Mit dem Thema Scoring hat sich jetzt auch ein Beratergremium der Bundesregierung beschäftigt: der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen - und er fordert in einem Gutachten deutlich mehr Transparenz.
Darüber spreche ich mit Gerd Gigerenzer, Leiter des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates. Herr Gigerenzer, wann wurden Sie denn das letzte Mal "gescort". Könnten Sie das jetzt so aus dem Stehgreif sagen?
Gerd Gigerenzer: Nun, wir alle werden ständig gescort: Wenn Sie ins Internet gehen, werden Sie gescort, ihre Kreditwürdigkeit wird gescort, wenn Sie bei Ihrer Krankenkasse in ein Bonusprogramm reingehen, werden Sie gescort. Sie werden überall gescort heute.
Römermann: Aber wo das bei Ihnen das letzte Mal war, könnten Sie jetzt nicht sagen, Internetbestellungen, oder…
Gigerenzer: Das interessante ist ja, dass Sie das meist gar nicht bemerken.
Scoring muss verständlicher werden
Römermann: Inwiefern müsste das denn allein schon transparenter werden, dass ich da irgendwo berechnet werde, in eine Zahl umgewandelt werde?
Gigerenzer: Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen setzt sich dafür ein, das diese Scoring für Verbraucher verständlicher wird. Und viele Menschen wissen ja gar nicht, dass sie ständig bewertet werden. Auf der anderen Seite sind viele auch bereit, die anderen ständig zu bewerten, zum Beispiel bei AirBnB oder in anderen Ländern bei Uber oder einfach nur Restaurantbewertungen. Und der Sachverständigenrat fordert, dass die Anbieter von Scoring, zum Beispiel Kreditwürdigkeits- oder Bonitätsscoring nicht nur das, was sie tun gegenüber den Aufsichtsbehörden offenlegen sondern auch den Verbrauchern. Und wir empfehlen spezifisch, dass die Regierung die Gesetzesgrundlage schafft, dass die Verbraucher die Merkmale und deren Gewichtung, also was ist wichtiger, was nicht, auch erfahren und eine Untergruppe des Sachverständigenrats, zu der ich gehöre, fordert, dass die Verbraucher alle Merkmale und nicht nur einige erfahren dürfen.
Gigerenzer: Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen setzt sich dafür ein, das diese Scoring für Verbraucher verständlicher wird. Und viele Menschen wissen ja gar nicht, dass sie ständig bewertet werden. Auf der anderen Seite sind viele auch bereit, die anderen ständig zu bewerten, zum Beispiel bei AirBnB oder in anderen Ländern bei Uber oder einfach nur Restaurantbewertungen. Und der Sachverständigenrat fordert, dass die Anbieter von Scoring, zum Beispiel Kreditwürdigkeits- oder Bonitätsscoring nicht nur das, was sie tun gegenüber den Aufsichtsbehörden offenlegen sondern auch den Verbrauchern. Und wir empfehlen spezifisch, dass die Regierung die Gesetzesgrundlage schafft, dass die Verbraucher die Merkmale und deren Gewichtung, also was ist wichtiger, was nicht, auch erfahren und eine Untergruppe des Sachverständigenrats, zu der ich gehöre, fordert, dass die Verbraucher alle Merkmale und nicht nur einige erfahren dürfen.
Bonusprogramme bei Krankenkassen als Vorbild
Römermann: Ja, aber bisher versteckt sich ja beispielsweise die Schufa hinter Geschäftsgeheimnissen – sagt, ja wir schicken ja regelmäßig diese Briefe raus, wenn die Leute sie anfordern. Aber der genaue Mechanismus, wie diese Werte zustande kommen, das ist alles streng geheim, kann das eigentlich so sein?
Gigerenzer: Ich persönlich bin der Meinung: Ja, das kann man ändern. Schauen Sie, es gibt ja auch Anbieter bei sogenannten Bonusprogrammen in Krankenkassen, wo alles transparent ist. Sie erfahren genau wie viele Bonuspunkte Sie für welches Verhalten bekommen. Und da spielt das Geschäftsgeheimnis plötzlich keine Rolle. Genau das gleiche gilt bei Telematik-Anbietern, wenn Sie also einen Kfz-Vertrag haben, wo eine Blackbox im Auto ist, die alles aufzeichnet…
Römermann: …die dann das Fahrverhalten aufzeichnet.
Gigerenzer: Ja, hier spielen die Geschäftsgeheimnisse plötzlich keine Rolle. Ich bin auch der Meinung, dass wir in einer Gesellschaft, die eine Demokratie ist, Verbraucherinteressen über Geschäftsgeheimnisse setzen können. Und in diesem Fall geht es ja nur darum, dass man den Verbrauchern klar macht, was sind denn Merkmale.
Scoring-Merkmale sollten transparent sein
Römermann: Aber was sollte man den Verbrauchern dann tatsächlich offen legen? Ich meine, der Mechanismus, mit dem das ausgerechnet wird, das sind komplizierte Formeln, die vermutlich kein Verbraucher und selbst Verbraucherschützer nicht verstehen.
Gigerenzer: Nein, darum geht es gar nicht. Sondern die Verbraucher sollen das Recht haben, die Merkmale zu erfahren. Also, wird zum Beispiel mein Alter oder mein Geschlecht oder mein Beruf, mein Vermögen, mein Kreditvertrag oder auch Geoscoring gemacht – also, das heißt, dass ich danach bewertet werde, wie kreditwürdig die anderen im gleichen Haus sind oder in der gleichen Straße – um das geht es. Und das Geschäftsgeheimnis kann immer noch in Bezug auf den Sourcecode oder die speziellen Berechnungen da sein. Soweit sind wir noch nicht
Römermann: Wenn wir es auf den Punkt bringen: Was ist die wichtigste Forderung, was die Politik umsetzen sollte?
Gigerenzer: Also, das ist einmal die Transparenz, verständlich machen, dann auch die Qualität der Scores zu leisten. Wir haben beobachtet, dass zum Beispiel bei den Gesundheits-Score-Programmen – da ist der gesetzliche Auftrag die Gesundheit zu fördern - aber viele von diesen Bonusprogrammen - auch bei den privaten Krankenkassen - , da hat man nicht den Eindruck, dass es darum geht, sondern dass es um erster Linie um andere Dinge geht – wie Kundenbindung oder Kundenwerbung. Das sieht man zum Beispiel daran, dass von 45 Programm, die wir untersucht haben, das Gesundheitsverhalten, was unser Leben am meisten verlängern könnte, nämlich nicht zu rauchen, nur von sechs bewertet wird. Die anderen haben das überhaupt nicht im Blick, aber Maßnahmen, von denen wir keinen Nachweis haben, dass sie die Gesundheit verbessern und oft auch schaden, die werden von fast allen angeboten.
Superscoring - Gesetzgeber ist gefordert
Römermann: In China wird mit einem sogenannten Superscorewert bewertet, wo dann das gesamte Sozialverhalten mit einbezogen wird. Sie warnen vor solchen Entwicklungen auch hier, aber eigentlich fordert das doch niemand, oder?
Gigerenzer: Nun, in Deutschland ist es auch nicht wahrscheinlich, dass eine staatliche totale digitale Überwachung kommt. Aber, was in Deutschland durchaus wahrscheinlich ist, dass die Industrie, also die sogenannten "Data Broker", die schon jetzt Daten für uns alle sammeln, irgendwann die Technologie haben, diese zu deanonymisieren und dann unsere Gesundheitsdaten, unsere Kreditwürdigkeitsdaten, unsere Punkte in Flensburg, unser ganzes digitales Verhalten und auch das Verhalten unserer Freunde und Familie zusammenführen in einen Wert und das anbieten. Und hier ist der Gesetzgeber gefordert, darüber nachzudenken, ob die derzeitigen Regeln überhaupt ausreichen, so etwas zu verhindern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.