Sarah Zerback: Der heutige Dieselgipfel soll so einiges klären: ob Autos und Luft in Zukunft sauberer werden, und wenn, dann wie, und wer am Ende dafür zahlen muss. Für Dieselfahrer eine besonders spannende Frage. Schließlich haben sie für teures Geld angeblich moderne Autos gekauft, denen dann wegen der Abgastricksereien jetzt sogar Fahrverbote drohen. Ihre Interessenvertreter sitzen allerdings beim Berliner Treffen gar nicht mit am Tisch. Dazu begrüße ich jetzt den obersten Verbraucherschützer des Landes am Telefon: Klaus Müller leitet den Verbraucherzentrale Bundesverband und war bis 2005 Umweltminister in Schleswig-Holstein. Guten Morgen, Herr Müller!
Klaus Müller: Guten Morgen!
Zerback: Haben Verbraucher da heute eine ausreichend große Lobby in Berlin?
Müller: Nein, das haben sie leider nicht, und die Vergangenheit der letzten Jahre zeigt ja, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Autoherstellern und Politik vielleicht ein Teil des Problems gewesen ist, zum Beispiel, wenn ich mir die Rolle des Kraftfahrbundesamtes angucke. Darum wäre es gut gewesen, wenn die Politik auch Verbraucherverbände eingeladen hätte.
Transparenz, Entschädigung, Klagerecht
Zerback: Wann wäre denn der Dieselgipfel aus Ihrer Sicht für Verbraucher ein Erfolg?
Müller: Da gibt es drei Messlatten: Das Erste wäre wirklich vollständige Transparenz, aber auch das Vermeiden von Fahrverboten. Das ist das Erste. Das Zweite ist, viele Verbraucher sind nach wie vor verunsichert. Sie fragen, wer sorgt eigentlich für wirklich die sauberen Autos, reicht ein Softwareupdate? Ich habe da große Zweifel. Ich glaube, dass das nicht reichen wird. Was ist mit Garantien, wenn ich mich auf so ein Update einlassen würde. Was ist mit der Entschädigung für Wertverlust? Und das Dritte ist natürlich eine längerfristige Perspektive: Was ist eigentlich mit meinen Klagerechten? Jetzt ist ja selbst der bayrische Ministerpräsident für eine Musterfeststellungsklage, und was ist eigentlich mit einer [..., Leitung unterbrochen] Kraftfahrbundesamtes. Das wären Maßnahmen, die dringend nötig wären, und bisher sieht es ja nicht danach aus.
Zerback: Dann lassen Sie uns das mal durchdeklinieren: Sie haben gerade die Sammelklagen, die sogenannten, angesprochen. Wer stand denn da bisher auf der Bremse, dass es die bislang noch nicht gab?
Müller: Das können wir relativ klar identifizieren, weil Bundesjustiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas hat dieses vorgeschlagen, und seine Kollegen, nicht zuletzt Herr Dobrindt, aber, soweit wir hören, auch weitere christdemokratische Kollegen waren davon bisher nicht begeistert beziehungsweise haben das verhindert. Jetzt kann jeder klüger werden. Wir freuen uns über jeden Saulus, der zum Paulus wird, aber es wäre eine Chance, heute in der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause, dieses tatsächlich zu beschließen, um zu sagen, wir wollen, dass das auf den Weg gebracht wird. Also wir brauchen einfach mehr Taten statt Worte. Nur von freundlichen und manchmal auch lauwarmen Worten wird das Vertrauen in Politik und Automobilindustrie nicht wiederhergestellt.
"Wie kriegen Hunderttausende von deutschen Autobesitzern ihr Recht durchgesetzt?"
Zerback: Ja, nun finden ja aber Kabinettsitzung und Dieselgipfel quasi zeitgleich statt in Berlin. Haben Sie da wirklich Hoffnung, dass da bis zur Bundestagswahl noch was passiert?
Müller: Also ich bin von Berufs wegen Optimist, sonst könnte man nicht für Verbraucherinteressen streiten, aber gleichzeitig ist man Realist. Ich habe da im Moment weniger Hoffnung, aber die Messlatte ist ja die, wie stelle ich wieder Vertrauen her, wie sorge ich auch wieder für eine saubere Umwelt, und wie kriegen Hunderttausende von deutschen Autobesitzern ihr Recht durchgesetzt, und das geschieht nicht durch Nichtstun. Das geschieht nicht durch ein reines Softwareupdate, wo man Zweifel haben kann, oder aber auch durch einen sicherlich immer nicht verkehrten großen, milliardenschweren Fonds, sondern es geht um ganz konkrete Entschädigung, um konkrete Rechte für Verbraucher und Autobesitzer. Das ist die Messlatte für die Bundesregierung.
Zerback: Gleichzeitig ist das für die Verbraucher doch aber auch mit mehr Aufwand verbunden, wenn jetzt nicht nur die Software upgedatet wird, sondern auch die Hardware. Kann das in ihrem Interesse sein?
Müller: Na ja, erst mal ist im Interesse der Verbraucher, dass es nicht zu den Fahrverboten kommt, und das Interessante ist ja, dass das nicht die Politik entscheidet, sondern die Gerichte, und die Gerichte sind hier eben nicht leicht zu beeindrucken durch tolle Gipfel, sondern nur dadurch, dass die Stickoxidemissionen wirklich runtergehen.
Wir hören von vielen Automobilexperten, dass das Softwareupdate das alleine nicht kann. Darum müssen wir über ein Hardwareupdate reden, oder wenn das aber technisch nicht geht tatsächlich, ein Austausch der Fahrzeuge. Konkret: Wenn ich einen manipulierten Diesel fahre und das nicht möglich ist, ein Fahrverbot anders abzuwehren, dann muss mir mein Autohersteller ein vergleichbares Auto hinstellen, was tatsächlich von Fahrverboten nicht betroffen ist. Das wird teuer, aber das ist die einzige Möglichkeit, dass ich von Fahrverboten dann nicht betroffen bin.
Dieselgate und auch die Diskussion über Autokartelle haben die Autohersteller verbockt
Zerback: Jetzt bleibt die Frage, wenn die Hardwarelösung, so sie denn stattfinden sollte, die sind ja komplex, und die sind eben auch nicht für alle Autos machbar. Was ist denn mit den Wagen, die gar nicht mehr nachgerüstet werden können?
Müller: Dann ist unsere Forderung ganz, ganz klar: Dann steht die Automobilindustrie in der Verantwortung, dieses Auto auszutauschen. Da werde ich sicherlich kein fabrikneues Auto bekommen, wenn mein Diesel schon ein paar Jahre alt ist, aber im Klartext: Dann muss mir der Autohersteller ein anderes Auto vor die Tür stellen.
Zerback: Und im Gegenzug, da fordern jetzt die Hersteller der Autos, dass ein staatlicher Fonds ins Leben gerufen werden soll zur Förderung von Elektroautos. Jetzt mag ich mal den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet zitieren: Ist heute der Tag, an dem der Staat Forderungen der Autoindustrie entgegennehmen sollte?
Müller: Nein, definitiv nicht, und wir können nur ganz, ganz klar appellieren, das Verursacherprinzip hier hochzuhalten und dann nicht irgendwie den Sirenensängen nachzugeben und zu sagen, der Steuerzahler soll jetzt das richten.
Nein, man muss sauber zwei Dinge trennen: Dieselgate und auch die Diskussion über Autokartelle haben die Autohersteller verbockt und verbrochen, und darum muss man ganz klar sagen, hier hat Steuergeld nichts zu suchen. Dass man darüber hinaus über ökologisch gerechte Mobilität nachdenken kann und dass es da [..., Leitung unterbrochen] Struktur braucht, das ist sicherlich eine zweite Aufgabe. Ich rate dringend dazu, das nicht miteinander zu vermischen, auch nicht in einem großen Fonds alles irgendwie unterzurühren. Das schürt Misstrauen. Das ist ein ganz schlechtes Anzeichen für die Automobilindustrie, dass es so weitergehen könnte wie in den letzten Jahren, und diese Vermischung zwischen Staat und Autoherstellern hat ja genau mit zu der Malaise geführt, unter der jetzt alle leiden.
Unabhängige Kontrolle notwenig
Zerback: Dass es da nicht zu einer Wiederholung solcher Krisen kommt, dafür sind ja Kontrollen da, und zwar in Form bisher des Kraftfahrtbundesamtes. Das ist aber nun - Sie haben es selber angesprochen - in der Dieselaffäre selbst ins Visier geraten. Ist das Kraftfahrtbundesamt denn in Ihren Augen jetzt Komplize oder Kontrolleur?
Müller: Also bisher ist es definitiv kein Kontrolleur, kein unabhängiger Kontrolleur, so wie wir das ja nach leidvollen Erfahrungen in anderen Bereichen eingerichtet haben. Ich nehme das Beispiel der Banken: Auch die Banken haben in einer Mischung aus wirklich gravierenden Fehlentscheidungen, Gier und vielleicht auch dazu [..., Leitung unterbrochen] Politik ja Entscheidungen getroffen, unter denen wir alle gelitten haben. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat unter einem starken Präsidenten mit einem starken gesetzlichen Verbraucherschutzmandat jetzt eine Rolle als Kontrolleur gefunden. Davon profitieren wir alle.
Das tut erst mal weh, wie manchmal auch eine gute Medizin, aber die Automobilindustrie, das Kraftfahrbundesamt braucht genau diese harte, starke Medizin, nämlich ein unabhängiges Kraftfahrbundesamt, vielleicht eben auch mit einer Neuaufstellung, sicherlich definitiv mit einem Verbraucherschutzmandat, einem gesetzlichen Mandat, und nicht nur - wobei es nie verkehrt ist, Beiräte einzurichten - mit irgendwelcher Kosmetik.
Zerback: Also, wie es die Bundesumweltministerin vorschlägt, entweder dem Umweltministerium oder dem Verbraucherschutzministerium unterstellt.
Müller: Das wäre zum Beispiel eine Variante, aber auf jeden Fall mit einer gesetzlichen Grundlage, wo vollkommen klar ist, ich als Kraftfahrbundesamt kann mich dann auf dieses gesetzliche unabhängige Mandat berufen, und ich bin nicht mehr willfährig oder ich muss mir nicht [..., Leitung unterbrochen] machen, was die Automobilindustrie möchte.
"Das Urteil von Stuttgart ist ein Meilenstein"
Zerback: Ja, das wäre jetzt meine Frage gewesen, Herr Müller: Wenn Sie vermuten, das KBA arbeite nicht unabhängig, von wem hängt denn dann deren Arbeit ab?
Müller: Na ja, wie wir jetzt gemerkt haben, wenn Briefe mit "industriefreundlichen Grüßen" unterschrieben werden, wenn es die Möglichkeit gibt, hier tatsächlich in Texte, Untersuchungsberichte hineinzuredigieren, wenn es dann heißt, das war international üblich, dann kann ich nur sagen, liegt der Fehler genau dort im System, nämlich einer zu großen Nähe mit der Automobilindustrie, und die Erfahrung im Finanzbereich war ja eine ähnliche. Auch da gab es in der Vergangenheit zu viel Nähe, und das hat man mit einem klaren gesetzlichen Auftrag und eben auch einer personellen Neuaufstellung besser regeln können, und ich glaube, wir werden auch beim Kraftfahrtbundesamt über genau diese Dinge zu reden haben.
Zerback: Jetzt sieht es danach aus, als müsste auf einmal alles ganz schnell gehen. Heute ist der Dieselgipfel, bald haben wir Wahl, da muss noch einiges passieren. Schnelle Beschlüsse, die dürften Ihnen ja entgegenkommen, die stoppen ja zumindest den Wertverlust, den Autoexperten ja jetzt schon beobachten. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass sie das Stickstoffproblem so nicht unbedingt in den Griff bekommen. Geht da Ihrer Meinung nach Schnelligkeit vor Gesundheit?
Müller: Nein, das wäre ganz fatal, das zu tun. Man muss tatsächlich zwei Dinge im Blick behalten: Die Gesundheit, auch die Umweltbelastung, ist ja der Anlass, warum Gerichte gesagt haben, nein, Politik, so geht das nicht weiter. Das Urteil vom vergangenen Freitag in Stuttgart ist ja wirklich ein Meilenstein, und wenn es eben auch heute zu billigen und zu einfachen Kompromissen kommt, ist ja auch davon auszugehen, dass dieses weitergeht.
Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher muss zum einen eben diese Stickoxidbelastung reduziert werden, und wenn das ein Softwareupdate alleine nicht hinkriegt, dann, wie gesagt, Hardwarelösung oder der Austausch von Fahrzeugen, weil wir natürlich das Fahrverbot vermeiden wollen. Das ist für Pendler, für Familien, für Gewerbetreibende, die auf ihre Autos angewiesen sind, ein zu starker Einschnitt, und insofern ist es richtig, das muss man vermeiden, aber nicht durch lauwarme Erklärungen von Gipfelteilnehmern am Ende, sondern nur durch einschneidenden Maßnahmen.
Und das Zweite ist - da lassen wir die Automobilindustrie auch nicht raus -, das ist die Diskussion über Entschädigung, weil tatsächlich, die Autobesitzer haben den Wertverlust und nicht die Autobosse.
Zerback: Herr Müller, zum Schluss: Macht es denn dann Sinn unter diesen Umständen, den Diesel weiter am Leben zu erhalten?
Müller: Das ist sicherlich eine sehr, sehr gute Frage, und wenn wir uns angucken, dass europäische Nachbarn von uns, mit Frankreich, mit England, aber auch die Märkte in den USA und China, andere Richtungen einschlagen, dann wäre es ganz fatal, wenn Deutschland als wichtiger Autoproduzent, als Exporteur, so einer Entwicklung hinterherlaufen würde. Das Mindeste ist, nicht neue steuerliche Subventionen für die Dieseltechnologie auf den Weg zu bringen - das ist ein Gebot der Klugheit und Sparsamkeit -, und dann mit klaren Grenzwerten der Automobilindustrie aufzuzeigen, ihr müsst euch ändern. Ich habe große Zweifel, dass das mit dem bisherigen Weg weitergeht.
Zerback: Sagt Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Für die schlechte Telefonleitung, lieber Hörerinnen und Hörer, da möchten wir uns entschuldigen, und bei Ihnen, Herr Müller, da bedanke ich mich für das Gespräch!
Müller: Danke schön!
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