Panajotis Gavrilis: Guten Tag Herr Müller.
Klaus Müller: Guten Tag.
Gavrilis:Herr Müller, es drohen Fahrverbote für Städte wegen zu hoher Stickoxid-Belastung durch Dieselfahrzeuge - Fahrverbote für immer mehr Städte. Die Große Koalition hat Eckpunkte vorgelegt, wie sie die Städte sauberer machen will, wie sie Fahrverbote vermeiden will, um die individuelle Mobilität nicht zu beschränken, heißt es, zumindest für die 14 Städte mit besonders dreckiger Luft. Umtauschprämien für alte Dieselautos gegen Neuwagen oder einen jungen Gebrauchten sollen helfen oder Hardware-Nachrüstung, wobei hier nicht klar ist, wer das eigentlich bezahlen soll. Und das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das soll auch geändert werden. Wie genau das funktionieren soll, ist unklar. Sind Sie zufrieden als oberster Verbraucherschützer? Können Verbraucher und Autofahrerinnen und Autofahrer aufatmen?
Müller: Nein, ich bin nicht zufrieden. Und das wichtigste Stichwort haben Sie gerade in Ihrer Frage schon untergebracht, nämlich die Formulierung "nicht klar". Das größte Dilemma von dem, was die Bundesregierung und die Koalitionsparteien auf den Weg gebracht haben, ist dass für viele Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin Ungewissheit gilt. Sie wissen eben nicht genau: Sind die "Rabatte" eigentlich das "alter Wein in neuen Schläuchen". Kein Autokäufer zahlt den Listenpreis. Dann hätte er sehr, sehr schlecht verhandelt. Es gab vorher die Umweltprämie. Jetzt gibt es eine andere Prämie. Ist das wirklich ein neuer Kaufanreiz oder nichts anderes als ein großes Konjunkturprogramm für die Autoindustrie, die uns das ja eingebrockt hat?
Zweiter Kontext: Hardware-Nachrüstung. Die Bundeskanzlerin hat diese Woche noch mal darauf hingewiesen, dass sie unzufrieden sei mit der Autoindustrie. Nur mit einer unzufriedenen Kanzlerin kann sich der einzelne betroffene Dieselfahrer schlicht nichts kaufen. Das heißt, man weiß nicht: Ist diese Hardwarenachrüstung wirklich bezahlbar von der Autoindustrie? Tut sie das? Übernimmt sie die Kosten? Was ist mit den Garantien, die dahinterliegen müssten? Wer übernimmt die eigentlich? Also, unter dem Strich: Es ist viel zu viel unklar in dem Paket, was die Bundesregierung uns anbietet.
"Die letzten drei Jahre zu viele Lippenbekenntnisse"
Gavrilis:Die Bundeskanzlerin hat aber auch gesagt: "Wir stehen an der Seite der Besitzer von Dieselfahrzeugen." Ist dieser Kurs für Sie authentisch?
Müller: Ich glaube der Bundeskanzlerin, dass sie nicht möchte, dass es irgendeinem Dieselfahrer schlechter geht. Nur, das hilft nichts. Ich glaube, dass wir die letzten drei Jahre zu viele Lippenbekenntnisse erlebt haben und zu wenig Handlung und zu wenig Taten. Und insofern wäre es gut gewesen, wenn die Bundesregierung nicht mit großem Pomp irgendwelche Verkündigung tut, sondern das mit der Autoindustrie abgesprochen hätte - notfalls auch die Daumenschrauben anzieht und deutlich macht: So geht das einfach nicht weiter.
Gavrilis:Aber sie kann die Autoindustrie, sie kann die Hersteller ja auch zu nichts zwingen. Was sollte sie tun?
Müller: Das ist rechtlich umstritten. Und dankenswerterweise haben einige journalistische Kollegen mal recherchiert. Es gibt auch im Bundesverkehrsministerium die Auffassung, dass Bußgelder pro geschädigtem Auto von bis zu 5.000 Euro möglich wären. Nur, diesen Weg hat die Bundesregierung bisher nicht gehen wollen. Sie hat immer versucht, mit der Autoindustrie zu verhandeln. Leider ist ihnen die Autoindustrie nicht wirklich entgegengekommen an der Stelle. Und darum muss ich sagen: Ja, die Bundesregierung hätte Zähne, die sie hier nutzen und zeigen könnte, sie will es aber nicht. Und das ist ein Teil des Problems.
"Wenn ich betrüge, dann werde ich nicht hart rangenommen"
Gavrilis:Was glauben Sie, warum tut sich da die Politik so schwer, sich auf die Seite der Verbraucher zu stellen?
Müller: Also, wenn ich ehrlich bin, ich bin da ein Stück weit ratlos, weil ich glaube, es wäre für alle handelnden Akteure, alle Parteien, den Verkehrsminister, die Bundesumweltministerin, die Bundeskanzlerin, wirklich richtig und wichtig zu sagen: Hier gibt es einen klaren Verursacher, der wird auch nicht geschont und wir sind auf der Seite der Autofahrer, der Dieselfahrer und derjenigen, die auch die Luft einatmen müssen. Um die geht es ja letztendlich. Ich kann mir nur hier falsche Rücksichtnahme vorstellen, weil es wird ja auch ein ganz furchtbares Beispiel und Signal gesendet. Nämlich, wenn ich betrüge, dann werde ich nicht hart rangenommen. Das kann es eigentlich nicht sein.
"Mehrzahl der Bevölkerung empfindet das leider als Hohn"
Gavrilis:Wobei es ja auch bei vielen Dieselfahrzeugen ja auch um Dieselfahrzeuge geht, wo nicht betrogen wurde. Das muss man dazusagen. Und Volkswagen bietet ja auch seit Kurzem - Sie haben es auch erwähnt - sogenannte Umtauschprämien an. Bis zu 7.000 Euro sind das für Euro 1 bis Euro 5-Diesel für Menschen in den 14 am meisten betroffenen Städten. Das ist doch eigentlich ein großzügiges Entgegenkommen, könnte man auch sagen.
Müller: Könnte man, aber ich glaube, dann würden sie dem Marketing des Unternehmens auf den Leim gehen. Ich glaube, jeder Mensch, der in den letzten Jahren ein Auto gekauft hat, direkt beim Händler, weiß, er zahlt nicht den Listenpreis. Es gibt immer einen gewissen Spielraum für sogenannte Rabatte. Ob dieser Rabatt jetzt Umtauschprämie, Umweltprämie oder Kuckucksheim-Prämie heißt: Das kommt gar nicht darauf an. Aber das, was zählt, ist die Frage: Wer kann sich das leisten? Und ich gönne diese Rabatte jedem Menschen. Und jeder Mensch freut sich auch darüber, der jetzt sowieso ein Neues oder einen jungen Gebrauchten kaufen wollte. Wir wissen aber von ganz vielen Dieselbesitzern, dass sie langfristig investiert haben, dass sie eben nicht in einem Zyklus sind, der alle zwei, drei Jahre ein neues Auto vorsieht. Das ist nicht real. Und insofern ist das eine Option, die ist gut für die begüterten Menschen, die sich das leisten können. Da mag das klasse sein, aber für die große Mehrzahl der Bevölkerung, die empfinden das leider als Hohn. Die wollen nicht noch mal ein Auto kaufen -selbst, wenn es ein bisschen rabattiert ist.
Bußgelder könnten Automobilindustrie gefügig machen
Gavrilis:Noch mal ganz konkret, was fordern Sie denn an dieser Stelle als Verbraucherzentrale Bundesverband, als dessen Vorstand?
Müller: Die Bundesregierung muss aufhören, nett zu lächeln, sondern endlich Butter bei die Fische zu geben. Das heißt konkret: Mit der Androhung eines Bußgeldes könnte die Automobilindustrie gefügig gemacht werden. Konkret bedeutet das, dass Hardware-Nachrüstungen komplett von der Industrie zu finanzieren sind, inklusive einer Garantie -zumindest für die nächsten fünf Jahre. Und für die Menschen, die sagen, ich möchte ein neues Auto kaufen, das wird dann rabattiert, das ist in Ordnung, für die muss es allerdings eine Mobilitätsgarantie geben. Weil wir wissen ja auch, dass die Gebrauchten, jungen Gebrauchten Euro 5 und selbst einige Euro 6-Fahrzeuge nicht so sauber sind, dass sie dauerhaft von Fahrverboten ausgenommen werden. Das sind nur die wirklich neuen Euro 6d-TEMP. Das heißt, hier brauchen wir eine Mobilitätsgarantie. Das heißt, der Autohersteller muss ganz klar zusagen, wenn das jetzt neu verkaufte Auto in den nächsten fünf Jahren von Fahrverboten betroffen wäre, dann wird das noch mal kostenlos ausgetauscht.
Je mehr Fahrverbote, desto realistischer die vzbz-Forderungen
Gavrilis:Jetzt könnte man sagen, wenn man sich zurückbesinnt, was in den letzten drei Jahren passiert ist, da scheinen Ihre Forderungen wenig realistisch zu sein.
Müller: Wir stellen fest, dass ganz lange tatsächlich kein Druck im Kessel war, und dass die Bundesregierung es ja lange versucht hat auszusetzen. Noch mal Stichwort Hardware-Nachrüstung: Die Zulassungsverfahren sind jetzt erst auf den Weg gebracht worden. Viel zu spät. Da ist drei Jahre Zeit verloren worden. Erst mit den Fahrverboten, die durch die Gerichtsentscheidung kommen, ist plötzlich die Kanzlerin, sind die Ministerpräsidenten engagiert. Und je mehr Fahrverbote in je mehr Städten es gibt, desto realistischer werden leider unsere Forderungen.
Menschen können sich in ein Klageregister eintragen
Gavrilis:Herr Müller, knapp über drei Jahre sind seit dem sogenannten Dieselskandal um den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen vergangen. Viel wurde über die Verantwortung des VW-Konzerns diskutiert. Passiert ist für viele Autofahrer nichts. Das soll sich nun ändern mit der sogenannten Musterfeststellungsklage. Der Kern dieser neuen Klagemöglichkeit -ich fasse es mal kurz zusammen -ein Verband klagt stellvertretend für geschädigte Verbraucherinnen und Verbraucher gegen ein Unternehmen. Musterfeststellungsklage - ein kompliziertes Wort. Und es mag so manchen verunsicherten Verbraucher auch vergraulen. Was soll dieses neue Klageinstrument bringen?
Müller: In der Tat, die Namensgebung war vielleicht nicht der größte Glücksgriff. Darum sprechen einige von der Verbraucherklage, die "Eine-für-alle-Klage". Aber worum geht es im Kern? Im Kern geht es darum, dass heute schon viele Tausend Dieselgeschädigte mit Anwälten individuell klagen. Das ist dann gut, wenn sie eine Rechtsschutzversicherung haben, wenn sie sich damit vielleicht auch ein bisschen auskennen, wenn sie kämpferisch drauf sind und einen langen Atem haben, weil sie durch drei Instanzen durch müssen. Aber wir wissen, dass die große Mehrzahl der Menschen, die betroffen sind, nicht den Klageweg einschreiten. Und wenn wir nachfragen, dann hören wir: "Ja, das ist zu teuer. Es gibt ein Kostenrisiko. Ich weiß nicht, wie das ausgeht. Ich fremdele mit so was wie Klageerhebung." Und das finde ich auch total legitim und normal. Darum hat der Gesetzgeber jetzt zum 1.11. ein neues Gesetz verabschiedet und auf den Weg gebracht, wo anerkannte Verbraucherverbände, zum Beispiel der Verbraucherzentrale Bundesverband, klagebefugt sind. Das heißt, wir finanzieren die Klage, wir reichen sie ein, wir tragen das Risiko, was damit verbunden ist. Aber es können sich Menschen in ein Register eintragen, sobald es eröffnet ist. Das bedeutet, sie profitieren von der Klage im Erfolgsfall. Sie profitieren vor allem davon, dass die sogenannte Verjährung gehemmt wird. Weil für alle Menschen, die nicht bis Ende des Jahres aktiv werden, ist schlicht Schluss. Dann sind drei Jahre vorbei, dann ist Volkswagen aus dem Schneider. Und darum ist die Klageverhemmung einer der ganz, ganz entscheidenden Punkte.
Kernforderung: Erstattung des Diesel-Kaufpreises
Gavrilis:Machen wir es ganz konkret. Sie wollen am 1. November Klage einreichen gemeinsam mit dem ADAC gegen VW. Sie reichen beim Oberlandesgericht Braunschweig Ihre Musterfeststellungsklage ein. Was erhoffen Sie sich dadurch? Was soll am Ende stehen?
Müller: Erst mal kurz ein wichtiges Stichwort, haben Sie gerade vorweggenommen: nämlich das Oberlandesgericht. Das heißt, wir können eine Instanz überspringen. Das ist eines der wichtigen Dinge des Gesetzes, dass wir etwas schneller sein werden als der normale Instanzenweg. Was will der Verbraucherzentrale Bundesverband erreichen? Wir wollen erreichen, dass das Gericht feststellt -wahrscheinlich erst höchstrichterlich –, dass Volkswagen betrogen hat, und dass deshalb eine Entschädigung fällig ist. Und wir sagen, wenn man dann konsequent ist, muss der Kaufpreis zurückerstattet werden. Das Gericht muss klären, ob es einen Nutzungsabzug gibt, weil ich natürlich mit dem Auto in den letzten Jahren gefahren bin. Aber im Kern wollen wir, dass die Diesel-Geschädigten den Kaufpreis zurückerstattet bekommen.
"Chance für die, die bisher nicht klagen konnten"
Gavrilis:Vorausgesetzt Ihre Klage wird zugelassen, dann muss man sich ja jetzt -Sie haben es auch angesprochen -als potenziell Betroffener in ein sogenanntes Klageregister eintragen, damit mögliche Ansprüche nicht verjähren. Danach muss man warten, monatelang, jahrelang. Es kann auch in die nächsthöhere Distanz gehen zum Beispiel, also Bundesgerichtshof. Das ist ja nach wie vor möglich. Also, konkret kann es auch mal vier Jahre lang dauern. Und am Ende steht ein Vergleich oder ein Urteil. Seinen eigenen konkreten Schaden, den wird der Betroffene auch danach noch selbst durchsetzen müssen. Also, in einem weiteren Verfahren wieder warten, wieder Stress. Warum sollte ich mich auf so etwas einlassen?
Müller: Ich glaube, Sie sprechen vielen Menschen aus dem Herzen, für die es frustrierend ist, wie lange Rechtsstaat braucht. Das ist aber nun mal so. Und wichtig ist, wenn ich eben individuell klagen würde, würde es höchstwahrscheinlich noch länger dauern, weil ich auch dann mich durch die verschiedenen Instanzen durchkämpfen muss. Aber ich erspare mir einfach Kosten und auch Stress, den ich damit habe, wenn ich mich in ein solches Register eintragen kann, um letztendlich dann tatsächlich in Ruhe abwarten zu müssen, was letztendlich passiert an der Stelle. Und insofern glaube ich, ist es eine Chance für diejenigen Menschen, die bisher nicht klagen konnten oder wollten. Alle anderen können natürlich nach wie vor den Weg über einen Rechtsanwalt gehen mit dem damit verbundenen Aufwand oder Kosten an der Stelle. Aber die Alternative dazu ist es, resigniert, frustriert die Hände in den Schoß zu legen. Das, glaube ich, ist weder angemessen, noch fair, noch notwendig. Und darum ist diese Musterfeststellungsklage die Möglichkeit, sich ohne Kostenrisiko - allerdings mit Bindungswirkung, das muss man deutlich sagen - an so einer Klage zu beteiligen. Sobald die Klage zugestellt und zugelassen ist, wird das Bundesamt für Justiz dieses Register führen und da muss man sich dann nur noch eintragen.
Musterfeststellungsklage: Union "hat sich sehr schwer getan"
Gavrilis:Aber noch mal, warum braucht man diese Zweistufigkeit, also einmal die Musterfeststellungsklage und dann den individuellen Klageweg? Warum konnte man nicht sich darauf einigen im Gesetzgebungsverfahren, wir machen eine Sache daraus?
Müller: Wenn Sie den Verbraucherschützer in mir fragen, der hätte sehr gut auch mit einer Leistungskomponente, einer Leistungsklage leben können. Man hätte das kombinieren können. Interessanterweise gibt es jetzt solche Vorstellungen aus Europa, die das in den nächsten Jahren tatsächlich noch mal forcieren würden. Das Problem war, im Deutschen Bundestag gibt es Mehrheitsverhältnisse. Für diese Mehrheitsverhältnisse war schon die Musterfeststellungsklage eine große Herausforderung. Die Union hat sich sehr, sehr schwer damit getan. Sie hat jetzt diesem ersten Schritt zugestimmt. Das ist schon ein Meilenstein. Das ist gut so. Aber ja, wir werden sehen, dass diese Zweistufigkeit für viele Menschen frustrierend ist. Und darum wird der Verbraucherzentrale Bundesverband dann auch dafür werben, diese Klage noch mal zu verbessern.
"Wir wissen nicht, wie letztendlich die Gerichte entscheiden"
Gavrilis:Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes.
Herr Müller, wir bleiben noch mal ganz kurz bei der Musterfeststellungsklage. Sie wurde als eines der ersten Projekte der aktuellen Bundesregierung möglichst schnell auf den Weg gebracht, damit mögliche Ansprüche geschädigter VW-Kunden nicht verjähren. Wir haben es angesprochen. Sie sind ein wenig als vzbv fast schon verdammt zu gewinnen, um nach außen auch zu zeigen: Ja, jeder Verbraucher hat auch eine Chance, gegen vermeintlich übermächtige Konzerne zu gewinnen. Wie hoch ist der Druck, der tatsächliche Druck, diese Klage gewinnen zu müssen?
Wenn diese Klage, die erste Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen scheitert, dann könnte man sagen, ist die Musterfeststellungsklage eigentlich nichts wert.
Müller: Also, man muss, glaube ich, deutlich trennen zwischen dem Fall Volkswagen und vergleichbaren Konstellationen, für die diese Musterfeststellungsklage oder im Volksmund eine Sammelklage eigentlich mal konzipiert wurde. Volkswagen ist schon ein sehr, sehr spezieller Fall und ich glaube, das war jetzt auch der Auslöser, warum es letztendlich im Deutschen Bundestag diese Entscheidung gegeben hat. Tatsächlich ist Volkswagen ein komplizierter Fall und wir sagen deutlich, wir wissen nicht, wie letztendlich die Gerichte entscheiden. Und Sie haben eben schon das Stichwort Bundesgerichtshof erwähnt. Ich gehe fest davon aus, dass, wenn wir in der ersten Runde unterliegen, dass wir dann die nächste Instanz, die höchstrichterliche anrufen und Volkswagen wird das ganz genauso tun und das ist auch legitim bei der Bedeutung dieses Falles. Eigentlich ist die Musterfeststellungsklage gedacht für überhöhte Stromgebühren, für zu hohe Gasrechnungen, für Telefonabrechnungen, wo ich der Meinung bin, dass ich hier von dem Tarifmodell betrogen wurde. Es kann um Reise-, Fluggastrechte und ähnliche Themen gehen. Eigentlich ist die Musterfeststellungsklage für geringe Schadensbeiträge, die aber viele Menschen betreffen. 50 Euro, 100 Euro, 200 Euro -für solche Summen klagt eigentlich keiner individuell. Aber wenn sie hundert-, tausend-, zehntausendfach vorkommen, ist der Schaden für die Menschen trotzdem groß, der Vorteil für das betrügende Unternehmen beträchtlich und insofern ist eigentlich die Musterfeststellungsklage für andere Fälle als Volkswagen konstruiert. Und ich bin ganz sicher, es wird in den nächsten Monaten auch weitere Musterfeststellungsklagen geben. Und dann muss man letztendlich das Urteil fällen. Ist das wirklich ein Vorteil für die Verbraucher? Erreichen wir damit was? Ich glaube, man kann das nicht nur an der Causa Volkswagen -so wichtig sie ist, messen.
"Sammelklage letztendlich wesentlich kostengünstiger"
Gavrilis:Stichwort Schaden -wenn Sie verlieren, müssen Sie auch die Prozesskosten zahlen. Die Verbraucherzentralen sind steuerfinanziert zum überwiegenden Teil. Das heißt, am Ende zahlt auch der Steuerzahler.
Müller: Das ist richtig, aber es gibt eine Prozesskostendeckelung. Das heißt, im Rahmen der Musterfeststellungsklage, es ist teuer und es ist ja auch ein Anreiz, nicht Gott und die Welt zu verklagen, das finde ich auch richtig und legitim. Und das Prinzip, dass derjenige, der verliert, auch die Kosten tragen muss, ist, glaube ich, wichtig für unseren Rechtsstaat. Was wäre die Alternative? Die Alternative ist, dass noch mehr Menschen individuell klagen. Damit entstehen dem Steuerzahler noch mehr Kosten über die Gerichtskosten, die anfallen. Es legt ja heute schon viele Gerichtskammern in Deutschland lahm, weil es eben so viele individuelle Klagen gibt an der Stelle. Und darum glaube ich, dass jetzt aus rein fiskalischer Sicht eine Musterfeststellungsklage, eine Sammelklage letztendlich wesentlich kostengünstiger, effizienter, übrigens auch für das Unternehmen, ist. Volkswagen muss jetzt sich in vielen, vielen tausend Fällen erwehren. Das ist auch nicht im Sinne, sage ich mal, des Unternehmens. Und darum ist eine Klage für alle, die das letztendlich klärt, glaube ich, der effizientere, schlankere und somit auch bessere Weg.
Zielmarke: Automatisierte Erstattung von Entschädigungen
Gavrilis:Herr Müller, Sie haben mal in einem Gastbeitrag -gehen wir mal von der Musterfeststellungsklage und Diesel und Fahrverbote mal etwas ins Allgemeinere. Sie haben in einem Gastbeitrag in der ZEIT geschrieben, es gäbe nicht nur eine Spaltung zwischen arm und reich, sondern auch zwischen denen, die Verbraucherrechte haben und denen, die sie tatsächlich durchsetzen könnten. Was bringen also Verbraucherrechte überhaupt, wenn sich nicht alle gleich darauf berufen können?
Müller: Damit legen Sie leider einen Finger in die Wunde, dass wir in Deutschland, auch international gesehen, schon ein beachtliches Niveau an Verbraucherschutzrechten haben. Und ich glaube auch, dass die meisten Menschen das wertschätzen und wissen. Gleichwohl kommt das in ihrer Lebensrealität nicht an. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, was jetzt mal nicht mit Volkswagen und Diesel zu tun hat. Ich glaube, dass viele Fluggastreisende und auch Bahnreisende einen Sommer des Grauens hinter sich hatten. Die Verspätungsrekorde waren unglaublich. Sicherlich gibt es einzelne Unternehmen, die die angemessene Entschädigung dann auch auszahlen, aber für viele Menschen ist das eine Tortur. Sie müssen sich durch Formulare wählen, wahnsinnig viel Geduld und Zeit aufbringen oder aber auch einen Dienstleister beauftragen, der natürlich dann auch wiederum die Hand aufhält. Das heißt, hier könnten wir zu einer Vereinfachung des Verbraucherlebens kommen. Das wäre die Möglichkeit Entschädigungen automatisiert zu erstatten. Das könnten Unternehmen von sich aus auf den Weg bringen. Der Gesetzgeber könnte sie auch dazu zwingen. Das würde aber dazu führen, dass die Rechte, die auf dem Papier stehen, auch wirklich bei mir etwas auslösen -im Zweifelsfall eine Befriedigung, eine Entschuldigung oder aber auch in Euro, in Cent, nämlich der Beitrag, der mit zusteht.
Unterstützung von Bund und Landesregierungen wichtig
Gavrilis:Und vielleicht könnten Sie mehr tun in punkto Öffentlichkeitsarbeit. Oder inwiefern gibt es da Baustellen? Sind die Menschen schuld, dass sie nicht wissen, was ihre Rechte sind oder vielleicht auch die Verbraucherzentrale, die das nicht gut vermittelt nach außen hin?
Müller: Also, ich bin immer offen für Selbstkritik, aber ich glaube, wenn Sie das Informationsangebot der Verbraucherzentralen sehen, wenn Sie Angebote der Stiftung Warentest oder anderer Kolleginnen und Kollegen sehen: Ich glaube, es gibt gute und auch sehr verständliche Informationen. Richtig ist aber, dass die Rechtslage in vielen Fällen zu kompliziert ist. Und insofern muss ich sagen, den Ball gebe ich gerne weiter. Und wir werben dafür, dass Politik das Leben der Menschen vereinfacht, indem sie dafür sorgt, dass gute Informationen zur Verfügung gestellt werden. Ganz anderes Beispiel: Für viele Menschen ist es wichtig: Wie sind die Tiere gehalten, die sie nachher auf ihrem Teller essen. Wir arbeiten seit Jahren daran, dass wir eine sogenannte Tierwohl-Kennzeichnung erleben, wo man sehen kann: Wie ging es denn dem Schwein, dem Rind oder anderen Tieren? Es gibt viele weitere Fälle, wo wir sagen, hier ist das Leben deutlich zu kompliziert. Und dann kommen auch noch Unternehmen dazu, die Grenzen austesten, wo der König eben nicht Kunde ist, wo man versucht, Menschen in Telefonwarteschlangen verhungern zu lassen und dafür zu sorgen, dass sie einfach nicht zu ihrem Recht kommen. All das gibt es. Ich glaube, dass die Verbraucherzentralen hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Beste tun können. Wir können immer noch mehr tun, in dem Moment, wo uns die Bundesregierung, die Landesregierung dieses ermöglichen.
Datenschutzgrundverordnung kann Firmen "ernsthaft wehtun"
Gavrilis:Wenn ich Sie noch kurz zitieren darf. Sie haben aber auch gesagt, sinngemäß: Verbraucherschutz sorgt für mehr Sicherheit, für mehr Vertrauen in den Rechtsstaat. Sie haben gesagt, Rechtsstaat, das dauert eben lange, bis wir wirklich Urteile haben, am Ende vielleicht auch verbraucherfreundliche Urteile. Sie sind mehrmals gegen Facebook zum Beispiel vorgegangen. Das hat jahrelang gedauert. In der Zwischenzeit kann Facebook seine allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern und dann ist das eigentlich vom Tisch. Geht so moderner Verbraucherschutz, dass man jahrelang wartet, bis eine Entscheidung getroffen wird, bis ein Urteil gefällt wird? Ich als Verbraucher, ich möchte vielleicht nicht fünf, sechs, sieben Jahre lang warten. Also, was sagen Sie den Menschen?
Müller: Die Frustration in Ihrer Frage -und die erleben wir ja auch hunderttausendfach durch unsere sogenannte Marktbeobachtung, die Marktwächter -die kann ich sehr, sehr gut nachvollziehen. Und es gibt Fälle, wo es auch schneller geht, wo einzelne, positive Unternehmen sagen: Oh, wir haben einen Fehler gemacht und da versuchen wir, den zu beheben. Das will ich auch sagen. Aber, ja, wir reden über die schwarzen Schafe, über diejenigen, die den Ruf von Branchen kaputtmachen. Über Banken mit überhöhten Kontoentgelten, über Stromversorger, die Senkungen der Strompreise nicht weitergeben, sondern versuchen, sie am Markt durchzusetzen. All das ist ja auch die Realität. Ja, Facebook ist ein gutes Beispiel. Wir haben mehrfach gegen Facebook geklagt. Wir haben mehrfach gegen Facebook gewonnen. Das höchste war mal ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Euro. Ich behaupte mal etwas salopp, das hat Facebook nicht wirklich gejuckt. Darum gibt es ein neues Gesetz auf europäischer Ebene, die sogenannte Datenschutzgrundverordnung, die plötzlich ernsthaft wehtun kann.
Erfolge durch höchstrichterliche Urteile
Gavrilis:Aber bisher gab es noch wenig bis gar keine Sanktionen.
Müller: Genau, richtig. Das war in der Vergangenheit der Fall. Seit Mai haben wir jetzt die Datenschutzgrundverordnung. Neue Abmahnungen und Prozesse, die wir jetzt anstoßen werden -letzte Woche hat gerade die Kollegin der Verbraucherzentrale Sachsen Facebook erneut verklagt -die laufen jetzt unter einem neuen Regime. Das ändert leider nichts daran, dass es nach wie vor so lange dauert, weil das Unternehmen sich natürlich dagegen wehren wird an der Stelle. Und in einem Rechtsstaat ist das auch legitim. Aber jetzt plötzlich kann es richtig teuer werden für Unternehmen, die gegen Gesetze verstoßen. Und darum muss ich sagen, mit all der Geduld -sonst können Sie leider, glaube ich, kein guter Verbraucherschützer sein -muss man diese Themen angehen. Aber es gibt am Ende Erfolge, es gibt höchstrichterliche Urteile, wo sich dann Banken, Telefonkonzerne und auch Facebook dran halten müssen.
"Daten sind heutzutage extrem viel wert"
Gavrilis:Sie haben die Datenschutzgrundverordnung angesprochen. Sie soll ja den Datenschutz in Europa regeln, vereinheitlichen und stärken. Der Effekt, den man sieht, ist eher ein Einwilligungs-Bürokratie-Effekt. Hat sich diese Datenschutzgrundverordnung aus Ihrer Sicht, hat sich diese Regelung bewährt?
Müller: Also, was wir erlebt haben, war erst mal ein Aufräumen, ein Frühlingsputz. In der Tat, viele Unternehmen mussten jetzt Verbraucher noch mal nachfragen oder zumindest darüber informieren, wo sie denn Newsletter-Einwilligungen oder Ähnliches haben. Und ich habe von vielen Menschen gehört: "Wow, jetzt bin ich wirklich mal gefragt worden." Bei einigen hat man zugestimmt und bei anderen hat man einfach gesagt: "Nö, ich will diesen Werbemüll, diese Informationsflut gar nicht mehr haben." Das war sozusagen eine Art Frühlingsputz. Das ist manchmal lästig und anstrengend, aber danach ist es umso schöner. Richtig ist, dass es nach wie vor viel Verwirrung gibt, und dass auch der eine oder andere hier dieses ausnutzt. Also, vor einigen Tagen hieß es: Dürfen es noch Klingelschilder mit Namen geben? All das ist Bullshit -auf gut Deutsch. Das heißt, das sind Unternehmen, auch Interessensgruppen, die es vielleicht mit dem Datenschutz gar nicht so ernst nehmen wollen, die die Datenschutzgrundverordnung nutzen, um hier Datenschutz zu diskreditieren. Die Bundesdatenschutzbeauftragte hat vollkommen klargestellt, dass das Mumpitz ist an der Stelle. Richtig ist, dass Daten heutzutage extrem viel wert sind. Und ich glaube, es gibt kaum jemanden, der sein Portemonnaie irgendwie offen auf der Straße herumwedelt, um zu sagen: Greift doch mal rein, nehmt die Euros und Cent raus. Daten sind inzwischen ähnlich viel wert. Und darum glaube ich, ist es richtig, dass wir uns daran gewöhnen, dass Daten geschützt werden, dass ich gerade im Gesundheitswesen auf meine Daten besonders aufpasse, weil es kann Konsequenzen haben. Versicherungen sind interessiert an meinen Daten und könnten auf die Idee kommen, hier Beiträge entsprechend anzupassen oder auch Leistungen davon abhängig zu machen. Wir wissen, dass viele andere Maßnahmen, Kredit-Scoring zum Beispiel von Daten abhängt. Bekomme ich einen Kredit? Bekomme ich ihn nicht? Das heißt, Daten sind schon sehr, sehr wichtig. Und auf Daten aufzupassen ist deshalb eine sehr, sehr gute Idee.
"Viele Firmen wollen wildwestmäßig machen, was sie wollen"
Gavrilis:Die Datenschutzgrundverordnung ist das eine. Es soll ja noch als Ergänzung dazu eine E-Privacy-Verordnung geben. Mit dieser will die EU-Kommission den Datenschutz und die Vertraulichkeit in der elektronischen Kommunikation verbessern. Also, wenn ich Dienste wie WhatsApp, Googlemail oder Skype nutze. Braucht es diese zusätzliche Verordnung überhaupt, die ja eigentlich mit der Datenschutzgrundverordnung auch kommen sollte, aber eben. es verzögert sich.
Müller: Es gibt zurzeit einen ganz harten Lobbykampf - den haben wir übrigens bei der Datenschutzgrundverordnung auch erlebt -von vielen Unternehmen, die einfach diese Regulierung nicht wollen. Die wollen wildwestmäßig nach wie vor machen und tun, was sie wollen und nicht im Interesse des Verbrauchers.
Das Beispiel, was Sie gerade erwähnt haben, mit eben den sogenannten WhatsApp-Diensten, ist ein gutes Beispiel. Viele Menschen, junge Menschen, aber auch mit ihren Eltern oder Großeltern kommunizieren inzwischen über WhatsApp und sie denken, diese Telekommunikation ist genau so gut geschützt, wie, wenn ich zum klassischen, alten Telefonhörer greife. Das ist aber schlicht nicht der Fall. Sie sind wesentlich schlechter bis gar nicht geschützt, wenn sie diese neuen, modernen Dienstleistungen nutzen. Das heißt, es geht eigentlich um Wettbewerbsgleichheit. Es geht darum, dass vergleichbare Dienste einem gleichen Schutzniveau unterliegen und ich vollkommen unbeschwert WhatsApp, Skype oder Ähnliches nutzen kann und ich hier eben nicht meiner Daten beraubt werde an der Stelle. Und darum ist die E-Privacy-Verordnung moderner Verbraucherschutz, moderne Digitalpolitik. Und es wäre so gut, wenn wir das mal im Vorfeld lösen würden und nicht erst nach einem großen Skandal, wenn beispielsweise Millionen von WhatsApp-Nachrichten von Kindern missbraucht, ausgelesen würden für irgendwelche Maßnahmen, über die wir uns nachher ärgern.
Gavrilis:Klaus Müller, herzlichen Dank für das Gespräch.
Müller: Danke Ihnen.