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Verbraucherschützerin zu VW-Skandal
"Schwelle für Schadenersatzansprüche absenken"

Auf rund zwei Milliarden Euro beziffert VW die wirtschaftlichen Risiken des Abgas- und CO2-Skandals - und bezieht sich dabei wahrscheinlich auch auf zukünftige Schadenersatzansprüche. Bei der hohen Anzahl der Betroffenen sollte die Voraussetzung für diese gesenkt werden, forderte Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband im DLF.

Marion Jungbluth im Gespräch mit Ursula Mense |
    ein schwarzer Audi steht vor einem Autohaus
    Jungbluth forderte Bundesverkehrsminister Dobrindt im Deutschlandfunk auf, seine Untersuchungsergebnisse im VW-Skandal komplett zu veröffentlichen: Laut Dobrindt seien in Deutschland 200.000 Auto von den falschen CO2-Werten betroffen. (dpa/PictureAlliance/John G. Mabanglo )
    Ursula Mense: Dass Autohersteller die Angaben über den Spritverbrauch, sagen wir mal, beschönigen, das weiß man schon lange. Wie sie es mit der Wahrheit bei den CO2-Emissionen halten, hat nun durch Volkswagen einen neuen Drive erhalten. 800.000 Autos sollen betroffen sein, davon 98.000 Benzinfahrzeuge, sagt der Verkehrsminister.
    Die damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken hat der Konzern mit zwei Milliarden Euro beziffert - eine neue Größenordnung auch in dieser Hinsicht. Der Grund für die hohe Zahl könnte darin liegen, dass VW nun mit noch mehr Schadenersatzansprüchen rechnet.
    Ich bin jetzt verbunden mit Marion Jungbluth, Leiterin des Teams Energie und Mobilität im Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, und ich möchte sie gleich fragen, Frau Jungbluth: Besitzer der betroffenen Autos haben doch jetzt ein Rückgaberecht, oder?
    Marion Jungbluth: Man wird ja eigentlich vollkommen verwirrt von diesen täglichen Informationen, welche Autos jetzt aus welchen Gründen zurückgerufen werden. Und tatsächlich: Bei den gestrigen Informationen, dass auch die Verbrauchswerte geschönt worden sind, haben wir zu wenig Informationen, um eine ganz konkrete Rechtsaussage machen zu können oder die Ansprüche zu definieren.
    Wir wissen ja im Moment noch nicht mal genau, welche Baujahre es betrifft und wie hoch denn überhaupt die Abweichungen in den Verbrauchangaben zum realen Verbrauch sind. Bis jetzt gibt es nur eine richterliche Aussage zu einem erheblichen Mangel, den man braucht, um Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Da hieß es, man braucht eine zehnprozentige Abweichung zu dem angegebenen Kraftstoffverbrauch. Das ist schon eine ganze Menge. Wir halten es für angemessen, dass man jetzt bei dieser Anzahl der vielen Betroffenen diese Schwelle auch etwas absenken könnte.
    Mense: Sie plädieren dafür, dass das dann auch bei weniger als zehn Prozent der Fall sein müsste?
    Jungbluth: Genau.
    Mense: Gilt das auch für die CO2-Emissionen dann?
    Jungbluth: Genau. Die hängen ja direkt an dem Kraftstoffverbrauch dran.
    Informationspolitik von VW ist "empörend und peinlich"
    Mense: Wenn Sie sagen, es fehlen noch so viele Angaben, was müsste VW denn jetzt tun, damit Verbraucher ihr Recht wahrnehmen können?
    Jungbluth: Ich bin wirklich etwas erstaunt und empört auch über die Informationspolitik des Volkswagen-Konzerns. Wenn man sich die Website anguckt, wird der Verbraucher wirklich irgendwie kaum über aktuelle Sachen informiert. Auf der Startseite findet sich keine Entschuldigung. Und dass heute sogar der Bundesverkehrsminister einen Weltkonzern auffordern muss, mal Verbraucher-Service-Center einzurichten, finde ich, ehrlich gesagt, peinlich.
    Mense: Das heißt, Sie brauchten jetzt erst mal eine Offenlegung kompletter Angaben?
    Jungbluth: Genau. Man müsste genau wissen, an welchen Autos was geändert worden ist, wie die Auswirkungen sind. Es müssen alle Fakten auf den Tisch. Und auch wenn Herr Dobrindt mit seinen Testergebnissen - er testet ja selber derzeit auch Autos, nicht nur VW, sondern auch andere Hersteller -, wenn die Ergebnisse vorliegen, muss er die auch alle komplett veröffentlichen, sodass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, da einzusehen und das zu überprüfen und auch anzuwenden für mögliche gerichtliche Auseinandersetzungen.
    Mense: Das heißt, Sie gehen schon davon aus, dass VW auch über die tatsächlichen Werte informiert ist?
    Jungbluth: Wer jetzt da genau alles weiß - das mit den CO2-Werten ist ja wohl durch einen Whistleblower aufgedeckt worden -, das kann man natürlich nicht so genau sagen. Aber ich vermute mal, dass da irgendwie an allen Ecken und Enden und zu jeder Stunde neue Informationen eingehen und dann geguckt wird, was man wirklich der Öffentlichkeit preisgibt. Aber es scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Da wird noch mehr kommen und wahrscheinlich auch andere Hersteller.
    Mense: Vielleicht noch kurz: Für Autos mit geringem Schadstoffausstoß gibt es ja auch steuerliche Vorteile. Könnte jetzt das Finanzamt auf die Idee kommen, da was zurückzuverlangen?
    Jungbluth: Tatsächlich wird ja die Kfz-Steuer falsch berechnet worden sein und es könnte eine Nachzahlung erforderlich sein. Aber Herr Dobrindt hat schon mal Anfang Oktober vor der Presse und auch heute im Bundestag gesagt, dass er Nachforderungen jedenfalls an Verbraucher für abwegig hält. Er hat auch heute gesagt, dass das Geld sich der Staat natürlich schon zurückholt, aber da soll sich Herr Schäuble direkt an VW wenden.
    Mense: Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin - vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.