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Verbraucherschutz per Gerichtsurteil
Der lange Weg zur Sammelklage

Milliardenzahlungen und Gefängnisstrafen für VW-Manager: In den USA hat der Dieselskandal für Volkswagen heftige Folgen gehabt. In Deutschland hat der Konzern nicht viel zu befürchten. Das liegt auch daran, dass es keine Sammelklagen gibt. Politik und Wirtschaft haben das bisher verhindert.

Von Gerhard Schröder |
    VW-Fahrzeuge stehen auf einem Autohof in Freiburg.
    In Deutschland muss VW bislang keine Entschädigungszahlungen für die betroffenen 2,4 Millionen VW-Kunden leisten. Ein Grund dafür: In Deutschland kann man bisher keine Sammelklagen einreichen. (imago)
    Das Landgericht Braunschweig, Anfang November. Ein grauer Reisebus fährt vor. 40 überwiegend ältere Männer und Frauen steigen aus, VW-Kunden, die dabei sein wollen, wenn an diesem Tag Klage gegen den Volkswagen-Konzern eingereicht wird, wegen des Dieselabgasskandals.
    "Was Sie hier sehen ist die Klage, das sind 2.000 Seiten."
    "Deutsche Kunden sind nicht Kunden zweiter Klasse"
    Christopher Rother steht vor der geöffneten Gepäckklappe, vor sich drei leuchtend rote Kartons. "Erste VW-Sammelklage" steht darauf in grauen Lettern. Rother öffnet die Kisten, blickt auf die Aktenordner und eine Festplatte. Darauf abgespeichert: die Daten von 15.374 VW-Kunden und die 2.000 Seiten starke Klageschrift.
    "Eine ganz klare Message an Volkswagen: Deutsche Kunden sind nicht Kunden zweiter Klasse."
    Christopher Rother ist der Chef des Berliner Büros der US-Kanzlei Hausfeld. Neben ihm steht Björn Körbelin, ein 59-jähriger Seemann mit eisgrauem Bart und schütterem Haar. Körbelin nickt, auch er will ein Zeichen setzen.
    "Ich fühle mich von VW betrogen, weil das Auto nicht dieser Typgenehmigung entspricht. Und was mich richtig ärgert, ist, dass VW sich einfach hinstellt und sagt: Die deutschen Kunden bekommen nichts, die deutschen Kunden haben kein Recht, wir sitzen das aus, mal gucken, was passiert. Das ärgert mich richtig."
    Körbelin hat vor vier Jahren einen gebrauchten VW Tiguan gekauft, einen der Diesel-Wagen mit verbotener Abschalteinrichtung. Das heißt: Die Abgasreinigung funktioniert nur auf dem Prüfstand, im Verkehr dagegen werden die giftigen Gase weitgehend ungefiltert in die Luft geblasen.
    "Eigentlich ist der Wagen im Moment unverkäuflich, ich könnte ihn fast verschenken, sehr hoher Wertverlust."
    Der Mitgründer und Geschäftsführer des Justiz-Dienstleisters myRight, Sven Bode (l-r), die Senior Associate der Kanzlei Hausfeld, Lene Kohl, der Mitgründer und Geschäftsführer von myRight, Jan-Eike Andresen, und der Senior Associate der Kanzlei Hausfeld, Fabian Beulke halten am 03.01.2017 während einer Pk in Braunschweig (Niedersachsen) für ein Foto die Klageakten in der Hand. 
    Der Mitgründer und Geschäftsführer des Justiz-Dienstleisters myRight, Sven Bode (l-r), die Senior Associate der Kanzlei Hausfeld, Lene Kohl, der Mitgründer und Geschäftsführer von myRight, Jan-Eike Andresen, und der Senior Associate der Kanzlei Hausfeld, (dpa/ picture alliance / Peter Steffen)
    Björn Körbelin blickt zu Jan Eike Andresen, er ist der Chef von MyRight, eine Art Sammelstelle von Opfern des VW-Dieselskandals. Ein jugendlicher Typ, randlose Brille, zur Seite gescheiteltes Haar.
    "Heute ist ein großartiger Tag, MyRight hat geliefert, aber auch großartiger Tag für 15.374 Autofahrer, die endlich das bekommen, worauf sie Anspruch haben, nämlich: einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor einem anständigem Gericht, das ihre Sorgen und Ansprüche ernst nimmt und das ist ein großartiger Tag."
    MyRight übernimmt alle Risiken, bezahlt Rechtsanwälte, Prozesskosten und Gutachter. Kunden wie Björn Körbelin müssen - auch wenn die Klage scheitert - nichts bezahlen. Im Erfolgsfall allerdings müssen sie ein Drittel der Schadenssumme abgeben, an MyRight, Hausfeld und den amerikanischen Prozessfinanzierer Burford Capital.
    Aufklärung in den USA deutlich entschiedener
    Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit das US-Justizministerium am 19. September 2015 den VW-Dieselskandal publik machte. Angeblich hat vorher keiner etwas gewusst, keiner etwas geahnt. Nicht Martin Winterkorn, der damalige VW-Vorstandschef:
    "Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Antworten auf alle Fragen. Aber wir sind dabei, die Hintergründe schonungslos aufzuklären."
    Nicht Stefan Weil, niedersächsischer Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied:
    "Mir haben keinerlei Informationen über Dieselgate vorgelegen."
    Nicht Alexander Dobrindt, der Bundesverkehrsminister:
    "Der Bundesregierung liegen hierzu keinerlei Erkenntnisse vor."
    Während die Aufklärung in Deutschland nur schleppend in Gang kommt, greifen die US-Behörden entschlossen durch. Fahrzeuge werden stillgelegt, VW-Manager verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt, drakonische Strafzahlungen verhängt. Großkanzleien wie Hausfeld klagen hohe Schadensersatzzahlungen für amerikanische VW-Fahrer ein. Insgesamt muss VW in den USA über 20 Milliarden Dollar für die Manipulation der Abgaswerte bezahlen.
    In Deutschland dagegen kommt Volkswagen bislang ungeschoren davon. Keine Strafen für den Abgasbetrug. Und bislang auch keine Entschädigungszahlungen für die betroffenen 2,4 Millionen VW-Kunden.
    Sammelklage in den USA schon etabliert
    Ein Grund dafür: In Deutschland kann man bisher keine Sammelklagen einreichen. Ein Rechtsmittel, das vor über 50 Jahren in den USA eingeführt wurde, um Verbraucher besser zu schützen. Das Prinzip ist einfach: Einige wenige klagen, das Urteil gilt für alle. So musste die US-Tabakindustrie in den neunziger Jahren Milliardenschwere Entschädigungen an Raucher zahlen, Angehörige der Opfer des Flugzeugabsturzes bei Lockerbie bekamen Geld, NS-Zwangsarbeiter wurden für erlittenes Unrecht im Nationalsozialismus entschädigt.
    "Es kann sein, dass Sie Anspruch auf eine Entschädigung haben. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, mit Asbestose diagnostiziert wurde, dann sollte Ihre Stimme gehört werden. Wir helfen Asbest-Opfern seit fast einem Jahrzehnt. Handeln Sie jetzt!"
    Verbraucherschützer sehen Sammelklagen als Chance
    Inzwischen hat sich eine regelrechte Klägerindustrie entwickelt, die per Zeitungsannonce und Werbespot nach geschädigten Verbrauchern sucht, um Sammelklagen einzureichen. Das ruft Kritiker auf den Plan, nicht nur in den USA.
    "Wir als Wirtschaft sind selbstverständlich der Meinung, dass Schäden ersetzt werden müssen", sagt Stefan Wernicke, er ist der Chefjustiziar des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, DIHK. "Was wir ablehnen sind Geschäftsmodelle für Anwälte, bei denen nur diejenigen profitieren, die vermeintlich im Namen der Geschädigten auftreten, aber an ihren eigenen Geldbeutel denken."
    Das Rechtssystem, so Wernicke, dürfe nicht zum Spielfeld für Großinvestoren werden, die nur die Rendite im Blick hätten. Verbraucherschützer sehen das anders. Christoph Hermann von der Stiftung Warentest hat das Modell Hausfeld geprüft. Sein Urteil: für Verbraucher empfehlenswert.
    "Der große Vorteil ist, dass es für Verbraucher eine echte Chance gibt, Forderungen gegen große Unternehmen ohne jedes Prozesskostenrisiko geltend zu machen. Von ganz unwahrscheinlichen Randbedingungen mal abgesehen."
    Weil es in Deutschland bislang keine Sammelklage gebe, sei das Modell Hausfeld für viele Verbraucher die einzige Möglichkeit, ihre Rechte geltend zu machen, sagt Ottmar Lell von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Er schränkt allerdings ein:
    "Das ist eben limitiert auf Großschadensfälle, wo es um viel, viel Geld geht. Nur dafür ist es eine Lösung. Für andere Fälle haben wir dann eben in Deutschland nach wie vor weiterhin den Einzelanwalt und die Situation, dass am Ende die Verbraucher überhaupt nicht zu ihrem Recht kommen."
    "Deutschland hat einen großen Rechtsmarkt"
    Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm 218. Eine der vornehmsten und teuersten Adressen in Berlin. Eine breite Außentreppe führt in das stuckverzierte Treppenhaus. Im vierten Stock residiert die Kanzlei Hausfeld, drei großformatige Uhren am Empfang zeigen die Uhrzeit in New York, London und Berlin. Hier wird global gedacht.
    "Als wir hier angefangen haben im Januar 2016, waren wir drei Anwälte, ein Büroleiter. Wir sind jetzt Ende 2017 22 Festangestellte, davon 18 Anwälte. Daran sieht man das sprunghafte Wachstum, das wir hier hatten."
    Drei Klage-Akten des Justiz-Dienstleisters MyRight gegen den VW-Konzern stehen auf einem Tisch.
    Die Forderungen von VW-Besitzern gegen Volkswagen sind nur der Anfang: Die US-amerikanische Kanzlei Hausfled hat den deutschen Markt im Visier. (picture alliance / Peter Steffen/dpa)
    Christopher Rother leitet die Expansionspläne von Hausfeld in Deutschland, ein kleiner, energiegeladener Mann, dunkelblauer Anzug, streichholzkurze Haare. Er hat jahrelang die Kartellrechtsabteilung der Deutschen Bahn geleitet. Vor zwei Jahren hat der 53-Jährige noch einmal umgesattelt auf Verbraucheranwalt.
    Beim Start vor zwei Jahren hatte die US-Kanzlei 30 Millionen Euro im Gepäck, bereitgestellt von Burford Capital, einem der weltweit größten Prozessfinanzierer. 10 Millionen davon allein für den Prozess gegen VW. Eine Starthilfe, die den Klägern das nötige Durchhaltevermögen geben soll im Kampf mit dem Großkonzern, sagt Jan Eike Andresen von MyRight:
    "Nichts ist schlimmer, als wenn die Gegenseite sieht, die können wir am langen Ast verhungern lassen, weil dann die Finanzierung nicht mehr da ist. Das ist tödlich in so einem Verfahren. Und genau das haben wir hier Gott sei dank nicht, weil wir ja hier einen sehr soliden Finanzierer haben."
    Burford arbeitet mit Hausfeld schon seit langem in den USA zusammen. Gemeinsam nehmen sie jetzt den deutschen Markt ins Visier. Burford-Manager Craig Arnott:
    "Deutschland soll ein ganz wichtiger Teil unseres Geschäfts werden. Deutschland ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Deutschland hat einen großen Rechtsmarkt. Und deshalb haben wir gesagt: Wir müssen in Deutschland investieren."
    Gerichtsverfahren werden zum Investitionsobjekt
    Das Geld, das Burford investiert, kommt von den Aktionären - die Wertpapiere sind an der Londoner Börse notiert. Rendite, Portfolio, Risikostreuung - das Kalkül der Investoren hält Einzug auf dem Rechtsmarkt. Gerichtsverfahren werden zum Investitionsobjekt wie Wertpapiere an der Börse.
    "Der Vorteil von Burford ist, dass wir finanziell sehr gut ausgestattet sind. Wir müssen nicht auf den kurzfristigen Erfolg schauen, wir haben eine langfristige Perspektive. Und das ist auch nötig, weil die Verfahren oft sehr lange dauern. Und wir sichern unseren Kunden zu: Wir haben die nötige Feuerkraft, um lange Strecken zu gehen. Wir wollen langfristig Erfolg haben."
    358 Millionen Euro Schadensersatz fordert Hausfeld in der Dieselaffäre von VW, zwei Drittel davon sollen an die betroffenen Autofahrer fließen, ein Drittel, das wären immerhin 120 Millionen Euro, an das Kläger-Konsortium.
    Sammelklage gegen LKW-Kartell
    Noch wichtiger für Hausfeld ist aber ein anderer Fall, die geplante Sammelklage gegen die führenden Lkw-Hersteller:
    "Die EU-Kommission hat eine Rekordstrafe in Höhe von drei Milliarden Euro gegen die führenden Lkw-Hersteller verhängt, die ein verbotenes Kartell gebildet haben. Betroffen sind MAN, Daimler, DAF, Iveco, Volvo Renault. Diese Hersteller liefern 90 Prozent der in Europa verkauften Lastwagen." EU-Kommissarin Margrethe Vestager am 19. Juli 2016.
    14 Jahre lang, so hat die Brüsseler Behörde herausgefunden, haben die führenden Lkw-Hersteller die Preise abgesprochen. Leidtragende dieser Absprachen waren die Speditionen, die vermutlich jahrelang zu hohe Preise bezahlt haben. Und das will sich die Branche nicht mehr gefallen lassen.
    Das Parkhotel Kronsberg in Hannover, ein nüchterner Konferenzraum, weiße Holzstühle mit blauen Polstern, grauer Teppich. Der Bundesverband Logistik hat zu einer Informationsveranstaltung geladen. Das Thema: Sammelklage gegen das Lkw-Kartell.
    "Ziel ist, unseren Unternehmern Recht zu verschaffen", sagt Guido Belger vom Spediteursverband BGL. Er vertritt kleine und mittlere Transportunternehmen. Firmen, denen Zeit, Geld und Nerven für einen aufwendigen Prozess gegen einen übermächtigen Gegner fehlen. Jetzt soll die Kanzlei Hausfeld helfen:
    "Wenn man nicht auf diese Zahl von 2.000 Lkw kommt, dann macht es wirtschaftlich keinen Sinn, allein vorzugehen."
    LKW-Fertigungsstätte von Daimler in Naberezhnye Chelny, Russland.
    Auch mit einer Sammelklage von Spediteuren gegen Lkw-Hersteller ist die Kanzlei Hausfeld beauftragt (dpa / picture alliance / Nasyrov Alexei)
    Alex Petrasincu, der Kartellrechtsexperte der Kanzlei Hausfeld, steht vor den Spediteuren. Kahler Kopf, dunkle Hornbrille, in der einen Hand ein Mikrofon, die andere lässig in der Hosentasche. Petrasincu erklärt den Unternehmern das Modell Hausfeld, ein Rundum-Sorglos-Paket mit großen Gewinnchancen und praktisch keinen Risiken.
    "Das Fahrzeug, das gerade vom Hof gefahren ist, ist ein sogenanntes Kühlfahrzeug."
    Die Spedition Kobernuss im niedersächsischen Uelzen. Firmenchef Hubertus Kobernuss steht vor dem Kühllager, in der Ferne ragen die weißen Türme von Nordzucker in den Himmel, das ist der wichtigste Kunde von Kobernuss:
    "Also überwiegend transportieren wir Zucker und Stärke, Mehle und weniger palettierte Ware."
    Im Schnitt 20 Prozent höhere Preise
    Zwischen 1997 und 2011, in der Zeit also, in der die Hersteller die Preise absprachen, hat Kobernuss 300 Lastwagen gekauft. Die EU-Kommission hat berechnet, dass Preiskartelle im Schnitt zu 20 Prozent höheren Preise führen.
    "Wenn man einfach mal die Zahlen hochrechnet und das ist ja einfacher Dreisatz, dann kommen da Summen heraus, die ganz schnell mal ein Viertel oder die Hälfte des Jahresumsatzes eines mittelständischen Unternehmers betragen können."
    10 Millionen Lastwagen hat das LKW-Kartell in den 14 Jahren seines Bestehens in Europa verkauft, schätzen Experten. Aber haben sie tatsächlich zu hohe Preise dafür verlangt? Und wenn ja: Wie viel dürfen die Abnehmer zurückfordern?
    "Wir halten die Klagen für unbegründet und werden uns daher dagegen verteidigen."
    Mehr als diesen einen dürren Satz will der Mercedes-Jurist Jan Komossa nicht zum Thema sagen. Der Stuttgarter Konzern setzt, wie auch die anderen Kartellanten, ganz auf Defensive und gibt zu, was nicht zu leugnen ist: die Kartellabsprachen. Ja, die seien ein Fehler gewesen, deshalb habe man die Strafgelder ja auch akzeptiert. Aber zu hohe Preise, nein, da habe man keine Auffälligkeiten festgestellt, heißt es in der Stuttgarter Zentrale.
    "Dass Kartellanten sagen, es ist kein Schaden entstanden, ist nichts Besonderes, das ist in jedem Kartellschadensersatzverfahren der Fall. Der Nachweis wird letztlich durch ein ökonomisches Gutachten geführt werden müssen. Aber da sind wir gut aufgestellt", meint Alex Petrasincu, der Kartellrechtsexperte von Hausfeld.
    VW will deutschen Kunden keine Entschädigungen zahlen
    Auch in dem Verfahren gegen VW sieht sich Hausfeld gut aufgestellt, hat hier aber einen ersten, empfindlichen Rückschlag hinnehmen müssen.
    30. August 2017, Landgericht Braunschweig. Auf der linken Seite sitzt Hans-Patrick Schröder, Partner der Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, mit seinem Team. Er vertritt VW in der Dieselabgasaffäre. Ihm gegenüber: Hausfeld-Anwalt Christopher Rother und seine Mannschaft. Eine erste Kraftprobe, die die VW-Anwälte für sich entscheiden. Gerichtssprecherin Rike Werner:
    "Es ist so, dass die Richter zu dem Ergebnis gelangt sind, dass tatsächlich unerlaubte Abschalteinrichtung eingebaut wurde in das Fahrzeug. Sie sind aber nicht zu dem Schluss gekommen, dass sich daraus ein Schadensersatzanspruch ergibt."
    Freshfields-Anwalt Hans-Patrick Schröder lächelt zufrieden:
    "Das deutsche Recht definiert einen Schaden als einen konkreten Schaden, es muss sich irgendwie ein monetärer Minderwert manifestieren. Und es ist unsere Auffassung - und das haben bislang auch die meisten Gerichte bestätigt -, dass ein solcher Schaden hier nicht vorliegt."
    Das Bild zeigt ein VW-Logo auf einem Auto. Es ist voller Regentropfen.
    Deutsche Kunden lässt VW bezüglich Schadensforderungen im Regen stehen (dpa-bildfunk / AP / Michael Probst)
    Die Großkanzlei Freshfields ist so etwas wie das juristische Sondereinsatzkommando von VW, bundesweit sind über 50 Anwälte für den Konzern im Einsatz. Schröder leitet ein zehnköpfiges Team, das sich allein um die knapp 600 Klagen in Braunschweig kümmert. Die Marschroute ist klar: Anders als in den USA will Volkswagen den Kunden in Deutschland keine Entschädigungen zahlen.
    "Die VW AG vertritt die Auffassung, dass die Fahrzeuge vollständig, sicher, betriebsbereit sind und auch allen anderen Anforderungen entsprechen. Der Kunde kann das Fahrzeug so nutzen, wie er sich das vorgestellt hat. Er kann damit fahren, das Fahrzeug ist sicher, es gibt keinerlei Einschränkungen im Gebrauch."
    Die Verjährungsfristen rücken näher
    Die Strategie scheint aufzugehen. Drei Viertel der Klagen gegen VW haben die Gerichte nach Angaben von Volkswagen in erster Instanz zurück gewiesen. Und selbst wenn die Berufungsgerichte zugunsten der Kläger entscheiden sollten, dürfte der Schaden für VW überschaubar bleiben. Denn die Verjährungsfristen rücken näher. Und bislang hat nur ein Bruchteil der betroffenen Kunden geklagt.
    "Hier in Deutschland werden Schädiger privilegiert und das ist politisch gewollt. Die deutschen Regierungen seit über 20 Jahren sind die größten Bremser einer europäischen Sammelklage."
    Sammelklagen könnten helfen, die Rechte der Verbraucher zu stärken, sagt Rechtsanwalt Andreas Tilp. Er setzt sich dafür ein, Sammelklagen hierzulande generell zuzulassen.
    Der Fall VW hat inzwischen auch die Bundesregierung aufgeschreckt.
    "Wir werden sicher gleich zur Musterfeststellungsklage kommen, dass man auch Sammelklagen machen kann, wofür ich im Grundsatz bin", so Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang September im TV-Duell mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
    Für viele war das überraschend, denn einen Entwurf für eine Musterfeststellungsklage - das wäre das deutsche Äquivalent zur amerikanischen Sammelklage - gab es längst, vorgelegt von Justizminister Heiko Maas, SPD. Gestoppt von der Bundeskanzlerin. Gerd Billen, Staatssekretär im Justizministerium:
    "Der Widerstand in der Koalition war jedenfalls so groß, dass es auch keine vertiefte fachliche Diskussion gegeben hat und geben konnte. Deswegen ist es in der abgelaufenen Legislaturperiode auch zu keinem Ergebnis gekommen."
    Die Wirtschaftsverbände hatten Druck gemacht. Sie fürchten, dass eine Klagewelle droht, wenn den Verbrauchern mehr Rechte gewährt werden.
    Angst vor "Klageindustrie"
    Verhältnisse wie in den USA, wo eine regelrechte Klageindustrie entstanden sei, könne niemand wollen, sagt Niels Lau. Er ist Abteilungsleiter Recht und Verbraucherpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie.
    "In den USA wird gesagt, dass pro Jahr 245 Milliarden Dollar aufgewandt werden für das Betreiben des Verfahrens, also gar nicht im Sinne des Schadensersatzes. Das ist eine volkswirtschaftliche Größe, die auf die USA bezogen nicht unerheblich ist. Also man muss mit hohem Kostenaufwand, hohem Zeitaufwand und hohem bürokratischem Aufwand rechnen. Das ist die Befürchtung, dass da ein Geschäftsmodell sich entwickelt, das im Grunde genommen nicht durchdacht ist und allen einen Riesenaufwand erzeugt, ohne viel zu bringen."
    Der Anlegeranwalt Andreas Tilp kontert:
    "Schauen Sie sich Volkswagen an: Glauben Sie ernsthaft, das ist ein Beispiel für die böse US-Klägerindustrie? Volkswagen hat die Leute doch betrogen, so einfach ist der Fall. Sie haben es in den USA auch eingeräumt."
    Das sei schwer erträglich, meint Gerd Billen, der Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Er glaubt, dass es auch den Unternehmen nutze, wenn sich Verbraucher besser zur Wehr setzen könnten.
    "Die größte Gefährdung am Markt geht von den Unternehmen aus, die sich nicht an die Regeln halten und die Verbraucher betrügen, die ihnen Produkte verkaufen, die nichts taugen, die nichts wert sind. Deshalb ist das eine sehr scheinheilige Argumentation. Es geht ja nicht darum, dass Verbraucher neue Rechte kriegen, sondern dass sie überhaupt erst Möglichkeiten kriegen, in einem Gruppenklageverfahren ihre Rechte durchzusetzen."