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Verbraucherschutz
USA diskutieren über schärfere Chemikaliengesetze

Insgesamt 1300 Stoffe für Kosmetika sind in Europa verboten – in den USA sind es nur 11. Die Vereinigten Staaten sind für ihren eher unbekümmerten Umgang mit giftigen Stoffen bekannt. Jetzt aber wird endlich über einen besseren Schutz - gerade auch für Verbraucher - diskutiert. Wieder einmal sind einzelne Bundesstaaten in der Vorreiterrolle.

Von Heike Wipperfürth |
    Auch Babyflaschen sind mit Bisphenol A versetzt.
    Was steckt wo drin: in den USA wird über besseren Schutz für toxische Chemikalien diskutiert. (picture alliance / dpa/ Weng lei - Imaginechina)
    Kinderspielzeug, das mit Cadmium und Arsen verseucht ist. Flammschutzmittel im Wohnzimmer, die Krebs erregen können. Ein Fluss in Colorado mit Schwermetallen verpestet: In den USA, eigentlich für seine laxen Regeln bekannt, wird jetzt über besseren Schutz vor toxischen Chemikalien diskutiert. Neuester Vorstoß: Die Erstellung eines chemischen Fußabdrucks für Unternehmen.
    "Wir fragen Unternehmen, was sie über die Chemikalien in ihren Produkten wissen. Haben sie alle hochschädlichen Stoffe identifiziert und was machen sie, um weniger bedenkliche Alternativen zu finden?"
    Sagt Mark Rossi, der Leiter von Clean Production Action. Die Firma aus dem US-Bundesstaat Massachusetts hat jüngst in einem Pilotprojekt den chemischen Fußabdruck von elf US-Unternehmen gemessen, darunter die Computerkonzerne Hewlett Packard und Seagate Technology. Als Maßstab gilt eine Liste von mehr als 2000 Schadstoffen, die der US Bundesstaat Kalifornien vor zwei Jahren zusammengestellt hat. Ein guter Anfang, sagt Martin Mulvihill, Chemieprofessor an der Universität von Kalifornien in Berkeley.
    "Es ist doch prima, einen Anreiz für Unternehmen zu schaffen, damit sie Informationen über die Chemikalien in ihren Produkten sammeln. Das allein fördert nicht unbedingt die Entwicklung grüner Chemikalien, aber so kann ein ähnliches Verfahren wie die CO2-Berichterstattung entstehen, die den Gesamtbetrag aller Kohlenstoff-Dioxid-Emissionen einer Firma misst."
    Ein Einzelfall ist das nicht. Immer mehr Verbraucherverbände und Kommunalpolitiker fordern strengere Chemikaliengesetze und weniger Giftstoffe in Produkten. Weil die Zentralregierung in Washington untätig geblieben ist, haben 50 US-Bundesstaaten in den letzten Jahren 150 Gesetze verabschiedet, die toxische Chemikalien reduzieren oder sogar verbieten. Kalifornien gibt den Vorreiter, sagt Martin Mulvihill.
    "Vor zwei Jahren hat Kalifornien ein neues Gesetz verabschiedet. Die gefährlichen Stoffe werden einer nach dem anderen geprüft. Firmen müssen sagen, ob sie die sichersten Chemikalien auf dem Markt benutzen und welche Alternativen es gibt. Außerdem will Kalifornien in die Entwicklung neuer grüner Chemikalien investieren."
    Anders als die US-Bundesstaaten machte Washington bislang um strengere Chemikalienregulierung einen großen Bogen. So blieb der "Toxic Substances Control Act", auf Deutsch "Verordnung zur Überprüfung toxischer Chemikalien" seit fast 40 Jahren unverändert. Und das, obwohl er seit seiner Verabschiedung 1976 62.000 Stoffe von der Regulierung ausnimmt, weil es sie schon vorher gab. Noch nicht einmal das in der EU nicht erlaubte stark krebserregende Asbest wurde verboten.
    Allerdings gibt es nun Bemühungen um eine Reform: Gleich zwei Gesetzentwürfe liegen in Washington vor. Über ihre Forderung, Chemikalien auf Gesundheitsrisiken zu überprüfen, soll im Herbst diskutiert und abgestimmt werden. Endlich, sagt Martin Mulvihill.
    "Die US-Umweltbehörde EPA konnte nicht genug Sicherheitsinformation sammeln und hat es nicht geschafft, die Chemikalien zu regulieren."
    Doch Mulvihill hat sich möglicherweise zu früh gefreut. Denn während er die Gesetzentwürfe preist, arbeitet der US-Kongress an der Verwässerung der Regeln. Ein Zusatz in einem der beiden Gesetzentwürfe bietet die Gelegenheit dazu. Darin heißt es: Sollte es zu einer Reform kommen, dürfen die US-Bundesstaaten keine eigenen Chemikalienregeln mehr verabschieden.
    Ron White überrascht das nicht. Die mächtige Chemiebranche wolle den Bundesstaaten ihre Vorreiterrolle in Sache Verbraucherschutz zu entziehen, sagt der Mitarbeiter beim Center for Effective Government, einer Organisation in Washington, die Regierungsentscheidungen überwacht. Europa sei da anders.
    "Die EU-Chemikalienverordnung REACH schützt Verbraucher viel besser, als wir das tun. Das ist vor allem bei neuen Chemikalien so. Hier brauchen die Firmen nur ein paar Informationen vorzulegen. Die US-Regierung hat 90 Tage, um einen Stoff abzulehnen oder seine Anwendung einzuschränken."
    Insgesamt 1.300 Stoffe für Kosmetika sind in Europa verboten – in den USA sind es nur elf. Die europäischen und US-amerikanischen Unterhändler des Freihandelsabkommens TTIP nahmen nach einem ersten Anlauf den Chemikalien-Bereich aus den Verhandlungen heraus. Zu stark waren die europäischen Proteste aus Sorge um eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Auch Ron White hat wenig Hoffnung auf strengere Zulassungsregeln in den USA:
    "In den USA bekommen wir jetzt ein neues Gesetz. Es ist ganz anders als REACH. In Europa müssen Unternehmen Informationen über das öffentliche Risiko der Chemikalien in ihren Produkten vorlegen, in den USA muss die Regierung beweisen, dass sie schädlich sind. Das wird sich nicht ändern."