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Verbrechen an Herero und Nama als Völkermord anerkannt
"Das Abkommen mit Namibia kann nur ein Start sein"

Deutschland erkennt seine Kolonialverbrechen an den Herero und Nama in Namibia als Völkermord an. Für den deutsch-namibischen Grünen-Politiker Ottmar von Holtz war das überfällig und nur ein erster Schritt. Nun müsse sich Deutschland für eine gerechte Verteilung der Entschädigungszahlungen einsetzen, sagte er im Dlf.

Ottmar von Holtz im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Gebeine von Opfern des Völkermords an den Herero und Nama im damaligen "Deutsch-Südwestafrika" liegen am 29.08.2018 in Vitrinen in Berlin
2018 gab Deutschland die Gebeine von Opfern des Völkermords an den Herero und Nama im damaligen "Deutsch-Südwestafrika" nach langem Streit zurück (IMAGO / IPON)
Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich Namibia und Deutschland geeinigt: Berlin erkennt die Verbrechen der Deutschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Herero und Nama als Völkermord an. Für die von Kolonialtruppen zwischen 1904 und 1908 begangenen Gräueltaten werde die Bundesregierung bei Namibia um Vergebung bitten. Namibia, damals "Deutsch-Südwestafrika", war zwischen 1884 und 1915 deutsche Kolonie.

Nicht alle Stimmen gehört?

Deutschland kündigte an, auch finanzielle Entschädigungen leisten zu wollen. Ein deutsches Hilfsprogramm in Höhe von 1,1 Milliarden Euro soll vor allem den besonders vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften zugutekommen.
Die Akzeptanz der Einigung könnte dadurch erhöht werden, dass die Betroffenen bei der Verteilung der finanziellen Mittel und der Auswahl von Projekten spürbar etwas mitbekämen, sagte Ottmar von Holtz. Der Grünenpolitiker ist in in Namibia geboren und Obmann seiner Partei im Ausschuss für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Insgesamt begrüßte er die Entscheidung, die Anerkennung der Gräueltaten als Völkermord sei genauso wichtig wie die Tatsache, dass hochrangige Vertreter der Regierung um Entschuldigung bäten. Vielleicht habe man bei den Verhandlungen aber den Fehler gemacht, dass nicht alle Stimmen gehört worden seien. Nun müssten weitere Schritte folgen.
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Über den Genozid deutscher Kolonialtruppen an den Herero und Nama verhandeln Deutschland und Namibia seit 2015. Beide Staaten bemühen sich um eine Aussöhnung. Aber nicht alle Nachfahren der Opfer fühlen sich gut vertreten.

Das Interview zum Nachlesen:

Jörg Münchenberg: Herr von Holtz, fünf Jahre haben diese Gespräche gedauert. Warum so lange?
von Holtz: Na ja, es ist natürlich ein Thema, wo beide Seiten auch mit einverstanden sein müssen, wenn es am Ende zu einem Abkommen kommt. Und die Frage über die Entschädigungszahlung ist dann auch eine, wo man wirklich lange verhandelt. Aber ich hätte mir tatsächlich auch ein schnelleres Ergebnis gewünscht, weil so ein Abkommen ja nur ein Start sein kann für eine neue Zeit, wo noch viel zu tun sein wird, und das sehen wir ja jetzt auch nach diesem Abkommen.

"Akzeptanz des Abkommens erhöhen"

Münchenberg: Trotzdem steht jetzt die Einigung. Die Gräueltaten werden als Völkermord anerkannt. Dazu gibt es eine milliardenschwere finanzielle Unterstützung. Das ist doch eigentlich schon mehr als nur ein erster Schritt.
von Holtz: Ich finde es in allererster Linie richtig, dass wir jetzt endlich diesen Schritt tun. Die Anerkennung, dass die Gräueltaten Völkermord waren, ist genauso wichtig wie die Tatsache, dass auch hochrangige Vertreter oder Vertreterinnen der Bundesrepublik in Namibia um Entschuldigung bitten. Das ist etwas, worauf ich die ganze Legislatur gewartet habe, dass wir endlich diesen Schritt auch tun können. Insofern ist das schon ein ganz wichtiger Schritt.
Aber wie gesagt: Wenn man ins Kleingedruckte geht, auch was die Beteiligung von allen betroffenen Gruppen in Namibia in diesem Prozess angeht, haben wir noch viel zu tun.
Gerhard Ziegefuß, pensionierter Biologielehrer, mit einem Schädel aus Namibia - geerbt von seinem Großonkel, einem Missionar in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.
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Münchenberg: Sie sprechen diese Gruppen in Namibia an. Da gibt es wohl einige Vertreter, die gesagt haben, das wäre eine Art PR-Coup, eine Art Reklameveranstaltung. Von Ihrem Wissen her: Wie geschlossen stehen die Betroffenen jetzt hinter dieser Vereinbarung?
von Holtz: Diese Nachrichten darüber, dass es viele betroffene Vertreter gibt, die das so bezeichnen, beunruhigen mich schon. Ich glaube, dass man im gesamten Verhandlungsprozess vielleicht auf beiden Seiten, auf deutscher wie auf namibischer Regierungsseite den Fehler gemacht hat, nicht von vornherein dafür zu sorgen, dass alle Stimmen gehört werden.
Im weiteren Prozess wird es vor allen Dingen darauf ankommen, dass beim Einsatz der Zahlungen, der Geldleistungen, bei der Auswahl der Projekte, wenn es um die Regionen geht oder um einzelne Projekte geht, dass dann auch die betroffenen Regionen spürbar etwas von diesen Geldleistungen und Projekten mitbekommen. Nur so kann man dann auch die Akzeptanz eines solchen Abkommens erhöhen.

Verteilung der Entschädigungszahlung

Münchenberg: Sie selbst kennen ja Namibia sehr gut, sind dort geboren. Wie groß ist Ihre Sorge, dass das gerade, wenn es um die Verteilung der Gelder geht, am Ende doch schwierig werden könnte?
von Holtz: Ich glaube, dass wir auch seitens der Bundesrepublik da mitreden sollten, wie die institutionelle Ausgestaltung der Versorgung der Regionen mit diesen Geldern aussieht, dass wir dafür sorgen, dass alle Betroffenen auch mitreden können, mit an den Tisch kommen können, und dass wir die Regionen dabei dann auch konkret in den Blick nehmen seitens der deutschen Seite. Namibia ist natürlich ein souveräner Staat, es ist eine demokratisch gewählte Regierung, und da ist es schwierig, wie weit man geht mit den Vorgaben, die man einer solchen Regierung dann macht.
Da es sich aber hier um einen direkten Zusammenhang mit dem Völkermord an den Herero und den Nama handelt, glaube ich, dass schon die deutsche Seite auch da Ansprüche anmelden sollte und sagen muss, wir wollen, dass beispielsweise im Süden Namibias, der sehr abgehängt ist, der sehr abgehängt ist auch von der Wirtschaftspolitik, eine sehr trockene Region, dass dort auch viel Geld reinfließt, damit die Menschen was spüren und auch merken, hier ist was passiert und die Deutschen übernehmen hier auch Verantwortung für ihre Vergangenheit.
Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama (etwas 1904-1907) im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhoek. Die Inschrift laut übersetzt etwa: „Ihr Blut nährt unsere Freiheit“.
In der namibischen Hauptstadt Windhoek erinnert ein Denkmal an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama (dpa/Jürgen Bätz)
Münchenberg: Noch eine Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Die Rede ist jetzt von 1,1 Milliarden Euro, die an Unterstützung gezahlt werden sollen. Reicht das aus Ihrer Sicht aus?
von Holtz: Das ist eine ganz, ganz schwierige Frage. Deswegen haben ja die Verhandlungen auch so lange gedauert. Das ist erst mal auf den ersten Blick sehr viel Geld. Natürlich ein sehr langer Zeitraum, 30 Jahre. Das heißt, 33 Millionen pro Jahr. Da kann man viel mit machen. Aber ich befürchte, dass das noch mehr Anstrengungen braucht, damit auch die Menschen spüren, dass sie nicht an den Rand gedrängt werden in Namibia.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.