Die neue Strategie der Pharmakonzerne heißt Direktwerbung beim Patienten. Laut Gesetz ist das für verschreibungspflichtige Arzneien verboten, aber man lässt sich etwas einfallen. Wie die Konzerne den Patienten ins Visier nehmen, das haben die ARD-Journalisten Caroline Walter und Alexander Kobylinski in einer zweijährigen investigativen Recherche erforscht. Sie gründeten zum Schein eine eigene Pharmafirma und ließen sich dann auf Patiententage, zu Fachkonferenzen und Messen einladen. Besonders aufschlussreich waren die Auftritte als potenzielle Kunden bei den einschlägigen PR-Agenturen. So erfährt der Leser alles über illegale Direktwerbung, über erste und zweite Veröffentlichungswellen, Ballungsraumaktionen und Roadshows mit prominenten Medienvertretern. Journalistisch anmutende PR-Texte in bekannten Publikumszeitschriften gehören genauso zum Repertoire wie Aktionen in der Internetwelt. PR-Agenturen mischen sich anonym in Diskussionsforen von Betroffenen oder betreiben die Internetseiten mit dem Touch sozialer Netzwerke gleich selbst. Dies alles ist Direktwerbung beim Patienten und aus guten Gründen verboten:
Pharmafirmen müssen sich vom Patienten fernhalten, sie dürfen ihn nicht direkt ansprechen, um für ein Medikament zu werben. Das soll den Bürger vor den Manipulationen der Industrie schützen, gerade weil es bei verschreibungspflichtigen Medikamenten immer auch um ernstere Erkrankungen und um Risiken durch Nebenwirkungen geht. Die gesetzliche Lage ist klar.
Unklar ist dagegen der Sachverhalt der verdeckten Werbung. Der Ratsuchende erkennt sie nur schwer. Umso größer ist deshalb die Gefahr, unfreiwillig zum Erfüllungsgehilfen der Industrie zu werden. Denn sobald ein Patient glaubt, seine Interessen am besten zu wahren, indem er beim Arzt die neuesten Medikamente verlangt, klingeln bei den Konzernen die Kassen. Neu eingeführte Medikamente sind meist wesentlich teurer als die vorhandenen und überbieten sogar noch die in diesem Industriezweig üblichen 25 bis 30 Prozent Rendite.
Der Patient trägt ein zusätzliches Risiko, weil die Mittel meist nicht ausreichend erprobt sind. Besonders dramatisch erscheint den Autoren, wie skrupellos der psychologische Notstand bei unheilbar Kranken ausgenutzt wird. Sie haben verfolgt, wie eine Multiplesklerose-Patientin bei ihrer Suche nach Informationen immer wieder auf manipulierte Hilfsangebote stößt. Besonders lukrativ sind die Zielgruppen Krebskranke sowie Altersdemente. Allein Krebsmedikamente erbringen einen Umsatz von 53 Milliarden Dollar. Da können sich die Konzerne ihre Lobbyarbeit etwas kosten lassen. In den weltweit größten Krebskongress in Chicago lassen sie laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung zwischen 50 und 100 Millionen Dollar fließen, jährlich. Nach den Erkenntnissen der Rechercheure ist es für die Pharmakonzerne ein leichtes, die Ärzte zu beeinflussen – der kritische Umgang mit der Pharmaindustrie steht nirgends in den Semesterplänen der Mediziner, währen die Konzerne hochambitionierte PR-Strategien umsetzen. In Europa hat die Pharmalobby jetzt die Politik im Visier:
Seit über einem Jahr findet in Brüssel ein besonderer Angriff der Lobbyisten statt, den hierzulande nur wenige mitbekommen. Das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente soll gelockert werden. Die Pharmaindustrie probt einen Vorstoß in dieser Sache. Die EU-Kommission hat dazu einen Vorschlag gemacht, Hauptakteur in diesem Spiel ist Günther Verheugen, zu diesem Zeitpunkt zuständig für Industriepolitik in der EU-Kommission.
Effektiv "in diesem sogenannten Spiel" seien auch Seitenwechsler wie die ehemalige Grünenpolitikerin Andrea Fischer. Als Lobbyistin habe sie ein besonderes Kapital: den Titel Gesundheitsministerin a.D.. Kritische Institutionen wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft haben dagegen in Brüssel nicht so viel zu sagen. Dementsprechend sei den aktuellen politischen Entscheidern die Brisanz des Problems gar nicht bekannt. Das ist bedenklich, denn eine Neuregelung des Gesetzes zum Direktwerbeverbot steht in Brüssel schon im September auf der Tagesordnung. Gerade weil in diesem Bereich ein diffuses Halbwissen herrscht, könnte dieses Buch eine praktische Handreichung für alle Beteiligten sein. Für Politiker, für alle, die im medizinischen Sektor arbeiten, für Kranke und deren Angehörige, aber auch für Journalisten. Die vielfältigen Strategien der Beeinflussung werden nachvollziehbar aufgedeckt, die Autoren geben aber auch Hinweise auf, wie sie schreiben, Lichtblicke im Informationssumpf: etwa auf die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), wenn es um Behandlungsfehler oder medizinische Unterlagen geht; auf das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), das objektiv über Krankheiten und Therapien informiert und auf die Internetseite gutepillen-schlechtepillen, die unter anderem auf versteckte Werbung der Pharmafirmen verweist.
Weil wir selbst Journalisten sind, fällt uns der nächste Rat nicht leicht. Doch wir müssen genauso vor einigen Berichten über Gesundheitsthemen in den Medien, besonders in Zeitschriften warnen. Nicht jeder dieser Artikel ist von einem Journalisten geschrieben, so mancher ist nur eine umformulierte Pressemitteilung einer Firma oder PR-Agentur. Wird von einem Durchbruch bei einer Arznei gesprochen oder unter Nebenwirkungen nur wenig und gut verträglich angegeben, ist Skepsis angebracht.
Caroline Walter und Alexander Kobylinski sind selbst freie Mitarbeiter bei der ARD-Sendung "Kontraste" und gehören dem Netzwerk Recherche an. Man darf ihnen den ethischen Anspruch also abnehmen – auch weil sie durchaus selbstkritisch darauf hinweisen, dass die Kontrollinstanzen bei den Sendern ebenso überfordert sind wie die Verbraucherschützer, die versuchen, im Internet für Transparenz zu sorgen. Dem Buch wäre noch ein Anhang zu wünschen mit ausgewählten Quellen zum Thema und ein Register relevanter Institutionen. Auch ein Hinweis darauf, dass die meisten Namen nicht echt sind. Ansprechend sind der nüchterne Sprachduktus sowie der Wechsel zwischen subjektiven Erfahrungsberichten, der Schilderung des Rechercheprozesses und der Darstellung der Ergebnisse. Das trägt sehr dazu bei, dass die Informationen für sich selbst sprechen und man Entscheidendes über die Manipulationen der Pharmabranche erfährt.
Patient im Visier. Die neue Strategie der Pharmakonzerne. Das Buch von Caroline Walter und Alexander Kobylinski ist bei Hoffmann und Campe erschienen, hat 240 Seiten und kostet 17 Euro, ISBN 978-3-455-50151-3. Unser Rezensent war Martin Zähringer.
Pharmafirmen müssen sich vom Patienten fernhalten, sie dürfen ihn nicht direkt ansprechen, um für ein Medikament zu werben. Das soll den Bürger vor den Manipulationen der Industrie schützen, gerade weil es bei verschreibungspflichtigen Medikamenten immer auch um ernstere Erkrankungen und um Risiken durch Nebenwirkungen geht. Die gesetzliche Lage ist klar.
Unklar ist dagegen der Sachverhalt der verdeckten Werbung. Der Ratsuchende erkennt sie nur schwer. Umso größer ist deshalb die Gefahr, unfreiwillig zum Erfüllungsgehilfen der Industrie zu werden. Denn sobald ein Patient glaubt, seine Interessen am besten zu wahren, indem er beim Arzt die neuesten Medikamente verlangt, klingeln bei den Konzernen die Kassen. Neu eingeführte Medikamente sind meist wesentlich teurer als die vorhandenen und überbieten sogar noch die in diesem Industriezweig üblichen 25 bis 30 Prozent Rendite.
Der Patient trägt ein zusätzliches Risiko, weil die Mittel meist nicht ausreichend erprobt sind. Besonders dramatisch erscheint den Autoren, wie skrupellos der psychologische Notstand bei unheilbar Kranken ausgenutzt wird. Sie haben verfolgt, wie eine Multiplesklerose-Patientin bei ihrer Suche nach Informationen immer wieder auf manipulierte Hilfsangebote stößt. Besonders lukrativ sind die Zielgruppen Krebskranke sowie Altersdemente. Allein Krebsmedikamente erbringen einen Umsatz von 53 Milliarden Dollar. Da können sich die Konzerne ihre Lobbyarbeit etwas kosten lassen. In den weltweit größten Krebskongress in Chicago lassen sie laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung zwischen 50 und 100 Millionen Dollar fließen, jährlich. Nach den Erkenntnissen der Rechercheure ist es für die Pharmakonzerne ein leichtes, die Ärzte zu beeinflussen – der kritische Umgang mit der Pharmaindustrie steht nirgends in den Semesterplänen der Mediziner, währen die Konzerne hochambitionierte PR-Strategien umsetzen. In Europa hat die Pharmalobby jetzt die Politik im Visier:
Seit über einem Jahr findet in Brüssel ein besonderer Angriff der Lobbyisten statt, den hierzulande nur wenige mitbekommen. Das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente soll gelockert werden. Die Pharmaindustrie probt einen Vorstoß in dieser Sache. Die EU-Kommission hat dazu einen Vorschlag gemacht, Hauptakteur in diesem Spiel ist Günther Verheugen, zu diesem Zeitpunkt zuständig für Industriepolitik in der EU-Kommission.
Effektiv "in diesem sogenannten Spiel" seien auch Seitenwechsler wie die ehemalige Grünenpolitikerin Andrea Fischer. Als Lobbyistin habe sie ein besonderes Kapital: den Titel Gesundheitsministerin a.D.. Kritische Institutionen wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft haben dagegen in Brüssel nicht so viel zu sagen. Dementsprechend sei den aktuellen politischen Entscheidern die Brisanz des Problems gar nicht bekannt. Das ist bedenklich, denn eine Neuregelung des Gesetzes zum Direktwerbeverbot steht in Brüssel schon im September auf der Tagesordnung. Gerade weil in diesem Bereich ein diffuses Halbwissen herrscht, könnte dieses Buch eine praktische Handreichung für alle Beteiligten sein. Für Politiker, für alle, die im medizinischen Sektor arbeiten, für Kranke und deren Angehörige, aber auch für Journalisten. Die vielfältigen Strategien der Beeinflussung werden nachvollziehbar aufgedeckt, die Autoren geben aber auch Hinweise auf, wie sie schreiben, Lichtblicke im Informationssumpf: etwa auf die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), wenn es um Behandlungsfehler oder medizinische Unterlagen geht; auf das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), das objektiv über Krankheiten und Therapien informiert und auf die Internetseite gutepillen-schlechtepillen, die unter anderem auf versteckte Werbung der Pharmafirmen verweist.
Weil wir selbst Journalisten sind, fällt uns der nächste Rat nicht leicht. Doch wir müssen genauso vor einigen Berichten über Gesundheitsthemen in den Medien, besonders in Zeitschriften warnen. Nicht jeder dieser Artikel ist von einem Journalisten geschrieben, so mancher ist nur eine umformulierte Pressemitteilung einer Firma oder PR-Agentur. Wird von einem Durchbruch bei einer Arznei gesprochen oder unter Nebenwirkungen nur wenig und gut verträglich angegeben, ist Skepsis angebracht.
Caroline Walter und Alexander Kobylinski sind selbst freie Mitarbeiter bei der ARD-Sendung "Kontraste" und gehören dem Netzwerk Recherche an. Man darf ihnen den ethischen Anspruch also abnehmen – auch weil sie durchaus selbstkritisch darauf hinweisen, dass die Kontrollinstanzen bei den Sendern ebenso überfordert sind wie die Verbraucherschützer, die versuchen, im Internet für Transparenz zu sorgen. Dem Buch wäre noch ein Anhang zu wünschen mit ausgewählten Quellen zum Thema und ein Register relevanter Institutionen. Auch ein Hinweis darauf, dass die meisten Namen nicht echt sind. Ansprechend sind der nüchterne Sprachduktus sowie der Wechsel zwischen subjektiven Erfahrungsberichten, der Schilderung des Rechercheprozesses und der Darstellung der Ergebnisse. Das trägt sehr dazu bei, dass die Informationen für sich selbst sprechen und man Entscheidendes über die Manipulationen der Pharmabranche erfährt.
Patient im Visier. Die neue Strategie der Pharmakonzerne. Das Buch von Caroline Walter und Alexander Kobylinski ist bei Hoffmann und Campe erschienen, hat 240 Seiten und kostet 17 Euro, ISBN 978-3-455-50151-3. Unser Rezensent war Martin Zähringer.