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Verdi: Karstadt-Eigner Berggruen soll Managementfehler beheben

Karstadt wolle die Beschäftigten wieder zur Kasse bitten, sagt Stephanie Nutzenberger von der Gewerkschaft Verdi. Es sei ein falscher Weg, dass Beschäftigte Strategien und mögliche Managementfehler finanzieren sollten.

Stephanie Nutzenberger im Gespräch mit Birgid Becker |
    Birgid Becker: Im Streit um eine sogenannte Tarifpause für die Karstadt-Beschäftigten wird der Ton deutlich rauer. Nicolas Berggruen, 2010 als Retter der insolventen Kaufhauskette gefeiert, rechtfertigt in Zeitungsinterviews heute den Ausstieg aus der Tarifbindung als notwendigen Schritt. Die Gewerkschaft Verdi mobilisiert unterdessen zu Protesten der Beschäftigten. Heute kam es zu einem Besuch Berggruens in der Essener Karstadt-Zentrale, der ausdrücklich nur ein Arbeitsbesuch sein sollte, kein Krisentreffen.

    Wir bleiben beim Thema mit einem Blick zurück auf das Jahr 2010, als Nicolas Berggruen den insolventen Karstadt-Konzern übernahm und das, was jetzt im Konflikt verläuft, damals noch eine ganz wundersame Rettungsgeschichte zu sein schien.

    Mit Stephanie Nutzenberger, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand, habe ich kurz vor der Sendung gesprochen und sie gefragt, was aus Sicht von Verdi vom Retterbild von damals geblieben ist und was konkret sie nun vom Karstadt-Investor erwartet. Was soll Berggruen jetzt tun?

    Stephanie Nutzenberger: Nicolas Berggruen sollte sich die Strategie anschauen, dem Management die Freiräume lassen, gegebenenfalls Fehler, die gemacht wurden, zu korrigieren. Das Zweite: Wenn es Probleme gibt, dann sind das aus meiner Sicht keine Kostenprobleme im Vordergrund, sondern Umsatzprobleme. Das heißt, es muss Geld in die Kasse. Dazu braucht es eine gute Strategie und es braucht die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und dazu gehört die Tarifbindung und keine Tarifflucht.

    Becker: Was konkret hätte denn das Karstadt-Management nach Ihrer Einschätzung besser machen können bislang?

    Nutzenberger: Das Management muss aus meiner Sicht die Beschäftigten, die Kompetenz und die Erfahrung der Kolleginnen und Kollegen bei Karstadt besser einbinden. Wenn man am Markt sich platzieren will, wenn man wissen will und man will nah am Kunden sein, dann braucht man die Menschen, die auf der Fläche sind, muss mit ihnen reden, muss sie motivieren, muss sie gut führen und muss ihnen vor allen Dingen zuhören.

    Becker: Wir haben es eben im Bericht aus Essen gehört, es ist auch nachlesbar in den Interviews heute, die Nicolas Berggruen gegeben hat, und in denen gibt es zwei Hauptbotschaften. Erstens: Er sagt, er habe nicht gewusst, wie schlecht es um Karstadt steht, und erst die Hälfte der Sanierungsstrecke sei zurückgelegt. Und, zweite Botschaft: Berggruen sagt, das Verhalten der Gewerkschaften im Konflikt um die sogenannte Tarifpause sei nicht in Ordnung, sie kämpften nur um ihre eigene Macht. Was halten Sie dagegen?

    Nutzenberger: Wir sind Interessenvertretung und wir sagen, ein Investor muss investieren. Das halte ich auch für eine Wahrheit. Und wenn diese Wahrheit, der Investor muss investieren, bei Herrn Berggruen nicht auf Freude stößt, dann muss ich das zur Kenntnis nehmen, und trotzdem ist es richtig, dass er derjenige ist, der die Strategie mit bestimmt und auch entsprechend Investitionen vornimmt, damit sie umgesetzt werden kann.

    Becker: Müsste denn Berggruen investieren? Haben Sie sich in ihm getäuscht? Sie haben seinen Einstieg in Karstadt ja nun sehr positiv begleitet. Hat er Sie jetzt als Investor enttäuscht?

    Nutzenberger: Mir persönlich und der Gewerkschaft liegen die Interessen der Beschäftigten vor allen Dingen am Herzen und die sind der Maßstab. Das heißt, es braucht Tarifbindung und es braucht eine Zukunft für Karstadt. Tarifverträge heißt, existenzsichernde Mindeststandards. Daran haben wir den Investor damals gemessen und daran messen wir ihn heute.

    Becker: Berggruen führt nun an, die Gehälter bei Karstadt seien nun wieder auf dem Niveau vor der Sanierung, und tatsächlich geht es ja bei der sogenannten Tarifpause "nur" um künftige Tarifsteigerungen, die für die Karstadt-Beschäftigten wegfallen sollen.

    Nutzenberger: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben alle Schicksalsschläge des Unternehmens in den letzten Jahren mitgemacht, mit ziemlich viel persönlichem Einsatz und vor allen Dingen mit sehr viel Geld, mit über 650 Millionen Euro. Und es geht jetzt darum, dass die Beschäftigten wieder zur Kasse gebeten werden, und das ist aus meiner Sicht der falsche Weg, denn es bedeutet, dass wieder die Beschäftigten die Strategie finanzieren, mögliche Management-Fehler finanzieren, und dazu sage ich Tarifflucht. Damit sagen wir Tarifflucht und deswegen ist Tarifbindung für die Beschäftigten elementar wichtig und auch für die Zukunft von Karstadt.

    Becker: Was man natürlich organisationspolitisch für Verdi in Rechnung stellen muss, das ist, dass die Tarifbindung im Handel ja deutlich zurückgeht. Es sind immer mehr Unternehmen, die sich von den Tarifverträgen lösen. Deshalb noch einmal die Frage: Wird da nicht doch am Beispiel Karstadt eine Art Stellvertreterkonflikt geführt, bei Karstadt kämpfen und womöglich andere Tarifflüchtlinge meinen?

    Nutzenberger: Tarifflucht hat immer Nachteile für die Beschäftigten und Tarifverträge sind existenzsichernde Mindeststandards für die Beschäftigten in der Branche und auch für die Beschäftigten bei Karstadt. Und es gibt keine Stellvertretung, sondern das gilt für die Karstadt-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass Tarifbindung elementar ist, und es gilt selbstverständlich auch für die Branche.

    Becker: Ist die Situation nun so, dass es zu einem offenen Bruch gekommen ist zwischen Gewerkschaft und dem Karstadt-Retter von damals? Wie haben wir die Situation jetzt einzuordnen?

    Nutzenberger: Die Beschäftigten, die Mitglieder bei Karstadt sind für mich, für uns das Entscheidende, und dazu gehört, dass wir mit dem Investor über Tarifbindung reden, und dazu gehört, dass wir mit dem Investor über die Zukunft von Karstadt reden. Das war die ganze Zeit so und das wird auch in Zukunft so sein.

    Becker: Sind Sie trotz des Protestes weiter im Gespräch?

    Nutzenberger: Von unserer Seite werden wir immer das Gespräch suchen, wenn es im Interesse der Beschäftigten von Karstadt ist. Die Frage ist, glaube ich, an die Tarifpause. Wir haben, ich glaube, die letzten drei Sanierungstarifverträge neun Jahre lang immer wieder gesagt bekommen, ja, es gilt der Tarifvertrag. Auch Berggruen hat gesagt, es gilt der Tarifvertrag. Und jetzt: Ein halbes Jahr gilt er, und jetzt sind sie ausgetreten, und da ist die Frage, warum soll ich heute glauben, was die letzten Jahre versprochen wurde.

    Becker: Stephanie Nutzenberger war das, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.