Mario Dobovisek: Über 800.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren stehen zur Verfügung, wenn ab dem 1. August der Rechtsanspruch gilt. Das sei damit übererfüllt, sagt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. 100.000 Plätze fehlten weiterhin, hält der Deutsche Städtetag dagegen.
Mein Kollege Martin Zagatta sprach darüber gestern Abend mit Harald Giesecke, im Verdi-Bundesvorstand zuständig für Erzieherinnen und Erzieher. Seine erste Frage lautete: Gehen Sie davon aus, dass es zum Stichtag am 1. August genügend Erzieher geben wird?
Harald Giesecke: Wir wissen jetzt schon, dass es auf keinen Fall ausreichend Erzieherinnen geben wird. Allein wenn wir glauben, was die Regierung sagt, dass die Plätze, die avisiert worden sind, auch da sein werden, dann kann man rein rechnerisch jetzt schon sagen, dass dafür etwa 30.000 bis 40.000 zusätzliche Fachkräfte im letzten halben Jahr notwendig gewesen wären, die es de facto gar nicht gibt. Das heißt, wir wissen jetzt schon, es gibt auf jeden Fall zu wenig Fachkräfte, mindestens 20.000, die dieses Jahr auch fehlen werden.
"Die Qualität sinkt""
Martin Zagatta: Zweifeln Sie die Zahlen der Bundesregierung an oder heißt das, dass dann einfach diese Gruppen, diese Kindergruppen größer ausfallen müssen?
Giesecke: Bezüglich der Zahlen – es gibt ja erst mal 183.000 Plätze, die seit März jetzt zusätzlich zur Verfügung gestellt werden müssten. Das hieße ja, dass in den letzten fünf Monaten ein Viertel aller Zahlen zur Verfügung gestellt wird. Das ist sehr hoch gegriffen und sehr ambitioniert.
Außerdem basiert ja die Berechnung auf einem Ziel, das sagt, etwa 37 Prozent aller Kinder in den westlichen Bundesländern werden überhaupt dieses Angebot annehmen, und wir wissen, dass insbesondere in den Ballungsräumen das überhaupt nicht ausreichen wird. Das heißt, selbst wenn die Zahlen erreicht werden, wird es gar nicht genügend Plätze für alle Kinder geben können.
Und wir müssen gerade als Gewerkschaft auch fragen: Welche Qualität haben dann die Plätze? Wir wissen, dass viele Plätze dadurch geschaffen werden, dass mehr Kinder in die Gruppen kommen, dass Platz-Sharing betrieben wird. Und wer zahlt am Schluss dann den Preis, dass es genügend Plätze gibt? Das sind zum einen die Kinder und die Eltern, weil die Qualität sinkt, und das sind zum anderen natürlich die Fachkräfte, die unter erschwerteren Bedingungen arbeiten werden.
Zagatta: Aber muss man das für eine Übergangszeit nicht realistischerweise hinnehmen? Ein vielleicht nicht ganz so optimaler Krippenplatz ist wahrscheinlich immer noch besser als gar kein Krippenplatz.
Giesecke: Im Grunde brauchen wir jetzt einen gemeinsam zwischen Bund, Ländern, Kommunen und den Trägern verabredeten Plan, was zu tun ist. Wir glauben nicht, dass es realistisch ist, zum 1. August tatsächlich für alle Kinder, die einen qualitativ guten Platz haben wollen, auch einen zu erhalten. Und wir brauchen auch langfristig Fachkräfte. Das heißt, selbst wenn wir jetzt über einen kurzen Zeitraum die Gruppen vollmachen, dann wird uns das auch langfristig nicht helfen.
Wir wissen, dass neben dem Ausbau für Kinder unter drei Jahren auch die Frage der Altersstruktur kommt. Das heißt, wir werden in den nächsten Jahren sehr, sehr viele Fachkräfte insbesondere in den neuen Bundesländern altershalber verlieren.
Der Ländermonitor frühkindliche Bildung hat ja diese Woche auch gezeigt: Wir haben deutliche qualitative Unterschiede. Das heißt, wir brauchen auch mehr Fachkräfte, wenn wir auch perspektivisch die Qualität verbessern wollen. Das heißt, wenn man jetzt einen Plan macht, wie wird es perspektivisch weitergehen und wie werden insgesamt auch mehr finanzielle Mittel in diesen Bereich gesteuert, dann kann man möglicherweise über einen kurzen Zeitraum reden, der jetzt auch die Kolleginnen und Kollegen belastet.
Aber perspektivisch darf das so nicht weitergehen. Wir wissen, dass gerade die Krankheitsquote, die Ausfallquote, die Belastungsquote in den Einrichtungen für die Fachkräfte immens ist und im Moment deutlich wächst.
Zagatta: Gehen Sie denn davon aus, dass öffentliche Einrichtungen, dass Bund und Länder und auch Gemeinden dazu bereit sind, mehr Geld für zusätzliche Erzieher dann auszugeben? Die Kommunen, die ganze öffentliche Hand ist doch jetzt schon hoch verschuldet.
"Wir haben jetzt schon einen Fachkräftemangel"
Giesecke: Im Grunde gibt es dazu gar keine Alternative. Wir haben jetzt schon einen Fachkräftemangel. Wir müssen perspektivisch junge Menschen - ins Auge gefasst worden sind hier auch Männer – dafür gewinnen, in den Beruf zu gehen. Das wird nur gelingen, wenn der Beruf perspektivisch attraktiv ist. Dazu gehört neben einer angemessenen und guten Bezahlung auch die Frage der Arbeits- und Rahmenbedingungen.
Wir haben aktuell eine Teilzeitquote von 60 Prozent im Bereich der Kindertagesstätten und wir wissen, dass gerade junge Kolleginnen, die frisch beginnen, bereits am Anfang sagen, ich will nur 30 Stunden arbeiten, weil länger halte ich das gar nicht aus. Von den etwas über 20.000 Fachschulabsolventen jedes Jahr an den Fachschulen, die Erzieherinnen werden, gehen nur etwa drei Viertel in die Kitas. Ein Viertel studiert oder macht anderes, weil sie sagen, wir wollen gar nicht in den Bereich, den wir im Rahmen der Ausbildung und im Rahmen der Praktika kennengelernt haben.
Also, wenn man die Qualität in den Kitas halten will, dann wird das ohne eine Veränderung auch finanzieller Strukturen und ohne mehr finanzielle Mittel in diesen Bereich zu steuern nicht gehen.
Dobovisek: Harald Giesecke von der Gewerkschaft Verdi. Die Fragen stellte mein Kollege Martin Zagatta.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mein Kollege Martin Zagatta sprach darüber gestern Abend mit Harald Giesecke, im Verdi-Bundesvorstand zuständig für Erzieherinnen und Erzieher. Seine erste Frage lautete: Gehen Sie davon aus, dass es zum Stichtag am 1. August genügend Erzieher geben wird?
Harald Giesecke: Wir wissen jetzt schon, dass es auf keinen Fall ausreichend Erzieherinnen geben wird. Allein wenn wir glauben, was die Regierung sagt, dass die Plätze, die avisiert worden sind, auch da sein werden, dann kann man rein rechnerisch jetzt schon sagen, dass dafür etwa 30.000 bis 40.000 zusätzliche Fachkräfte im letzten halben Jahr notwendig gewesen wären, die es de facto gar nicht gibt. Das heißt, wir wissen jetzt schon, es gibt auf jeden Fall zu wenig Fachkräfte, mindestens 20.000, die dieses Jahr auch fehlen werden.
"Die Qualität sinkt""
Martin Zagatta: Zweifeln Sie die Zahlen der Bundesregierung an oder heißt das, dass dann einfach diese Gruppen, diese Kindergruppen größer ausfallen müssen?
Giesecke: Bezüglich der Zahlen – es gibt ja erst mal 183.000 Plätze, die seit März jetzt zusätzlich zur Verfügung gestellt werden müssten. Das hieße ja, dass in den letzten fünf Monaten ein Viertel aller Zahlen zur Verfügung gestellt wird. Das ist sehr hoch gegriffen und sehr ambitioniert.
Außerdem basiert ja die Berechnung auf einem Ziel, das sagt, etwa 37 Prozent aller Kinder in den westlichen Bundesländern werden überhaupt dieses Angebot annehmen, und wir wissen, dass insbesondere in den Ballungsräumen das überhaupt nicht ausreichen wird. Das heißt, selbst wenn die Zahlen erreicht werden, wird es gar nicht genügend Plätze für alle Kinder geben können.
Und wir müssen gerade als Gewerkschaft auch fragen: Welche Qualität haben dann die Plätze? Wir wissen, dass viele Plätze dadurch geschaffen werden, dass mehr Kinder in die Gruppen kommen, dass Platz-Sharing betrieben wird. Und wer zahlt am Schluss dann den Preis, dass es genügend Plätze gibt? Das sind zum einen die Kinder und die Eltern, weil die Qualität sinkt, und das sind zum anderen natürlich die Fachkräfte, die unter erschwerteren Bedingungen arbeiten werden.
Zagatta: Aber muss man das für eine Übergangszeit nicht realistischerweise hinnehmen? Ein vielleicht nicht ganz so optimaler Krippenplatz ist wahrscheinlich immer noch besser als gar kein Krippenplatz.
Giesecke: Im Grunde brauchen wir jetzt einen gemeinsam zwischen Bund, Ländern, Kommunen und den Trägern verabredeten Plan, was zu tun ist. Wir glauben nicht, dass es realistisch ist, zum 1. August tatsächlich für alle Kinder, die einen qualitativ guten Platz haben wollen, auch einen zu erhalten. Und wir brauchen auch langfristig Fachkräfte. Das heißt, selbst wenn wir jetzt über einen kurzen Zeitraum die Gruppen vollmachen, dann wird uns das auch langfristig nicht helfen.
Wir wissen, dass neben dem Ausbau für Kinder unter drei Jahren auch die Frage der Altersstruktur kommt. Das heißt, wir werden in den nächsten Jahren sehr, sehr viele Fachkräfte insbesondere in den neuen Bundesländern altershalber verlieren.
Der Ländermonitor frühkindliche Bildung hat ja diese Woche auch gezeigt: Wir haben deutliche qualitative Unterschiede. Das heißt, wir brauchen auch mehr Fachkräfte, wenn wir auch perspektivisch die Qualität verbessern wollen. Das heißt, wenn man jetzt einen Plan macht, wie wird es perspektivisch weitergehen und wie werden insgesamt auch mehr finanzielle Mittel in diesen Bereich gesteuert, dann kann man möglicherweise über einen kurzen Zeitraum reden, der jetzt auch die Kolleginnen und Kollegen belastet.
Aber perspektivisch darf das so nicht weitergehen. Wir wissen, dass gerade die Krankheitsquote, die Ausfallquote, die Belastungsquote in den Einrichtungen für die Fachkräfte immens ist und im Moment deutlich wächst.
Zagatta: Gehen Sie denn davon aus, dass öffentliche Einrichtungen, dass Bund und Länder und auch Gemeinden dazu bereit sind, mehr Geld für zusätzliche Erzieher dann auszugeben? Die Kommunen, die ganze öffentliche Hand ist doch jetzt schon hoch verschuldet.
"Wir haben jetzt schon einen Fachkräftemangel"
Giesecke: Im Grunde gibt es dazu gar keine Alternative. Wir haben jetzt schon einen Fachkräftemangel. Wir müssen perspektivisch junge Menschen - ins Auge gefasst worden sind hier auch Männer – dafür gewinnen, in den Beruf zu gehen. Das wird nur gelingen, wenn der Beruf perspektivisch attraktiv ist. Dazu gehört neben einer angemessenen und guten Bezahlung auch die Frage der Arbeits- und Rahmenbedingungen.
Wir haben aktuell eine Teilzeitquote von 60 Prozent im Bereich der Kindertagesstätten und wir wissen, dass gerade junge Kolleginnen, die frisch beginnen, bereits am Anfang sagen, ich will nur 30 Stunden arbeiten, weil länger halte ich das gar nicht aus. Von den etwas über 20.000 Fachschulabsolventen jedes Jahr an den Fachschulen, die Erzieherinnen werden, gehen nur etwa drei Viertel in die Kitas. Ein Viertel studiert oder macht anderes, weil sie sagen, wir wollen gar nicht in den Bereich, den wir im Rahmen der Ausbildung und im Rahmen der Praktika kennengelernt haben.
Also, wenn man die Qualität in den Kitas halten will, dann wird das ohne eine Veränderung auch finanzieller Strukturen und ohne mehr finanzielle Mittel in diesen Bereich zu steuern nicht gehen.
Dobovisek: Harald Giesecke von der Gewerkschaft Verdi. Die Fragen stellte mein Kollege Martin Zagatta.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.