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Verdi-Vorsitzender Werneke
FDP ist "Sicherheitsrisiko für Arbeitnehmerrechte"

Es bestünde das Risiko einer Umverteilung zugunsten von Wohlhabenden, sollte die FDP Teil der künftigen Regierung werden, sagte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, im Dlf. Zugleich sieht er Kompromissmöglichkeiten zwischen der FDP und den Grünen.

Frank Werneke im Gespräch mit Stephan Detjen |
Frank Werneke, Verdi-Vorsitzender, spricht in einem dpa-Interview.
Gemeinsamkeiten zwischen FDP und Grünen sieht der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke mit Blick auf die Einführung eines Klima- oder Energiegeldes (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Der Vorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, hat eine Regierungsbeteiligung der FDP als "Sicherheitsrisiko für Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte" bezeichnet. Werneke sagte im Interview der Woche im Deutschlandfunk, die bisherige Erfahrung mit Regierungsbeteiligungen der FDP zeige, dass es auch das Risiko einer Umverteilung zugunsten von Wohlhabenden und zu Lasten der breiten Bevölkerung gebe. Die Steuerpläne der Liberalen stellten eine schwierige Ausgangslage dar, sagte Werneke.
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Werneke: Gemeinsamkeiten zwischen FDP und Grünen bei Klimathemen

Gemeinsamkeiten zwischen FDP und Grünen sieht Werneke mit Blick auf die Einführung eines Klima- oder Energiegeldes, mit dem die Einnahmen aus der CO2-Steuer zurückgegeben werden könnten. "Das wäre ein starker sozialer Hebel", sagte Werneke, seit zwei Jahren Verdi-Vorsitzender und SPD-Mitglied. Er hoffe, dass FDP und Grüne die SPD davon überzeugen könnten, diesen Weg zu gehen.
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Forderung nach Änderung des Mindestlohngesetzes

Zuversichtlich zeigte sich der Verdi-Vorsitzende auch, dass es mit der FDP einen Kompromiss über die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes geben könne. Es müsse dazu in jedem Fall eine Änderung des Mindestlohngesetzes geben, durch die der Mindestlohn einmalig auf zwölf Euro erhöht werde. Danach könne die Mindestlohnkommission wieder in ihre Funktion gesetzt werden.
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Als Alternative schlug Werneke vor, gesetzliche Kriterien zu bestimmen, an denen sich die Kommission orientieren müsse. So könne vorgeschrieben werden, dass der Mindestlohn 60 Prozent des Median-Einkommens nicht unterschreiten dürfe.

Das Interview in voller Länge
Stephan Detjen: Das war ja ein wirklich ungewöhnlicher Wahlkampf, den wir da erlebt, haben. Die SPD ist aus – vermeintlich – aussichtsloser Position sozusagen im linken Abseits gestartet und dann mit Olaf Scholz an die Spitze gestürmt. Hätten sie Scholz ernsthaft eine Chance gegeben, als er im August letzten Jahres nach seiner Nominierung sagte: "Ich will Kanzler werden!"? Da lag die SPD bei zwölf Prozent.
Frank Werneke: Ich war immer beeindruckt davon, dass Olaf Scholz selbst und sein Umfeld und engstes Team in jeder Minute an den Erfolg geglaubt hat. Und ich gebe ganz ehrlich zu, noch vor der Sommerpause war ich sehr skeptisch – um das freundlich und zurückhaltend zu formulieren –, dass dieser Plan aufgeht. Und deshalb Gratulation, á la bonne heure, das ist ein großer Erfolg von ihm. Und letztendlich ist die Strategie aufgegangen, ihn als Person sehr stark in den Vordergrund zu bringen, als Garant für ein gutes Regierungshandeln. Und außerdem glaube ich, hat die SPD davon profitiert, dass die Fragen von sozialer Gerechtigkeit in der Fortdauer des Wahlkampfes an Bedeutung gewonnen haben, was ja auch eine ganze Reihe von Meinungsumfragen nochmal belegt hat. Und auch davon hat die SPD profitiert.

Scholz' konsequenter Kurs

Detjen: Jetzt ist ja das Bemerkenswerte, dass die SPD eigentlich auf einem ganz anderen Kurs war. Welche SPD ist ihnen und ihrer Gewerkschaft denn lieber: die auf dem Links-Kurs, verkörpert durch Esken, durch Kühnert? Oder die auf dem Kurs nach, sagen wir, der Mitte, des Pragmatismus mit Scholz, der ja sozusagen im Fahrwasser von Merkel mit der Raute Wahlkampf gemacht hat?
Werneke: Ein konsequentes Eintreten für Arbeiternehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte, Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, mehr Tarifbindung, eine Stabilisierung des Rentenniveaus – das ist für mich nicht per se eine rein linke Position, sondern sollte sozialdemokratisches Kernanliegen sein. Und wenn wir uns mal erinnern an die Kritik nach der letzten Bundestagswahl, da gab es ja wenige Wochen nach der letzten Bundestagswahl ein Interview von Olaf Scholz, wo er das Thema "Stabile Renten/Mindestlohn von zwölf Euro" stark gemacht hat – damals noch als Hamburger Bürgermeister. Und diesen Kurs hat er in den Jahren konsequent vertreten und damit natürlich auch die Sozialdemokratie geeint. Und das ist die Grundlage dafür oder ist die Grundlage dafür, dass die Partei im Verhältnis zu den anderen Parteien ein relativ geschlossenes Bild abgibt.
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Detjen: Ja, das Bild war geschlossen, das auf jeden Fall. Aber wie geeint die Partei wirklich ist, das werden wir ja jetzt erst sehen, wenn die Verhandlungen, Koalitionsverhandlungen, Sondierungsgespräche anstehen, wenn es dann wirklich hart um Sachpositionen geht. Gehen Sie davon aus, dass da auch innerparteilich nochmal einiges geklärt werden muss?
Werneke: Die SPD hat ja sehr stark gearbeitet an sich, an der Erneuerung auch der Programmatik. Das ist ein bisschen untergegangen, aber der Parteitag 2019 war ja von einer grundlegenden Diskussion über die Zukunft des Sozialstaates geprägt, mit einer großen Geschlossenheit auch in der Debatte. Und da gibt es ein Fundament.

SPD: Geschlossenheit zum Sozialstaatspapier

Detjen: Aber das war – wenn ich da einhaken darf, ich habe den gesehen, den Parteitag – ja ein Parteitag, der wirklich erkennbar die Partei auf einen ganz anderen Kurs bringen wollte. Da war Scholz sozusagen "altes Eisen".
Werneke: Das war ein Parteitag, wo es eine große Geschlossenheit zum Sozialstaatspapier gegeben hat. Und von daher gibt es da ein Fundament und alles andere wird sich jetzt weisen. Natürlich ist es leichter aus der Opposition heraus oder aus einer Junior-Position heraus einer Regierung Dinge zu formulieren. Aber ich gehe davon aus, dass da genügend Professionalität im Raume ist, um dann auch eine Regierung gut zu führen.
Detjen: Früher hätte man den Gewerkschaften immer automatisch die Nähe zur SPD zugeschrieben. Das ist nicht mehr so. Ich habe es eben gesagt, ihr Vorgänger, Frank Bsirske, war oder ist bei den Grünen, jetzt im Bundestag. Würden sie der neuen Regierung empfehlen, Frank Bsirske zum Arbeits- und Sozialminister zu machen?
Werneke: Ich werde mich in solche Personalfragen nicht einmischen, kann aber sagen, dass wir nicht nur im Bundestagswahlkampf, sondern auch schon seit langer Zeit Wert darauf legen, dass wir gute Kontakte zu allen demokratischen Parteien haben. Wir haben auch – vielleicht in weiser Voraussicht – immer geschaut, die FDP bei Formaten, die wir im Vorfeld der Wahl hatten, zu berücksichtigen. Es gibt gute Drähte, auch deutlich über Frank Bsirske noch hinaus, zu den Grünen. Insofern sind wir da mit allen wichtigen Akteurinnen und Akteuren jetzt im Gespräch.

Werneke: FDP wird wahrscheinlich mitregieren

Detjen: Eine der zentralen Forderungen ihrer Gewerkschaft, von Verdi, in diesem Wahlkampf war, "Die Schuldenbremse muss gelockert werden". Der Staat soll Schulden machen, um in Infrastruktur, in Daseinsvorsorge, in soziale Leistungen zu investieren. Und die Frage ist: Das soll jetzt ausgerechnet dem wahrscheinlichen künftigen Finanzminister Christian Lindner gemacht werden?
Werneke: Das Wahlergebnis ist so, wie es ist. Und von daher, mit großer Wahrscheinlichkeit, wird es eben zu einer Regierungsbeteiligung der FDP kommen. Auch von unserer Seite aus müssen wir deshalb jetzt ausloten, was möglich ist. Ich will aber klar sagen, dass mich das auch mit Sorgen umtreibt. Weil zumindest mal die bisherige Erfahrung mit FDP-Beteiligungen an der Bundesregierung ja war, dass die Regierungsbeteiligung der FDP ein permanentes Risiko ist, ein Sicherheitsrisiko für Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte. Und dass es auch ein Risiko dafür ist, dass es eine Umverteilung zugunsten von Wohlhaben zulasten der breiten Schicht der Bevölkerung gibt. Und wenn ich mir die Steuerpläne der FDP anschaue, also die Abschaffung des Solis für Reiche, zehn Milliarden Mindereinnahmen im Haushalt und nur relativ Wohlhabende profitieren davon, dann ist das eine schwierige Ausgangslage – um das mal so zu formulieren – für die Gespräche. Nichtsdestotrotz, es muss jetzt geschaut werden, was möglich ist. Und die FDP hat ja auch ein Ergebnis erreicht, was für sie ganz respektabel ist, aber das auch ganz deutlich von einer Mehrheit entfernt ist.
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Detjen: Na ja, aber trotzdem, die FDP ist wieder mit den Grünen zusammen das Zünglein an der Waage, die entscheiden jetzt faktisch. Gibt es da aus ihrer Sicht einen Punkt, wo die SPD, wo Olaf Scholz dann derjenige sein sollte, der gegebenenfalls auch rausgeht und sagt: "Lieber nicht regieren als schlecht regieren"?
Werneke: Auch die SPD steht unter einer Erwartungshaltung, und sie tut gut daran deutlich zu machen, was für sie Punkte sind, die wesentlich sind. Es ist ja auch schon einiges markiert worden – die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns gehört sicherlich dazu. Übrigens auch, weil davon zehn Millionen Menschen profitieren würden, es auch Steuereinnahmen dadurch generiert werden immerhin in der Größenordnung von ungefähr zehn Milliarden Euro jedes Jahr.

"Veränderung des Mindestlohngesetzes muss es geben"

Detjen: Erhöhung – Entschuldigung, wenn ich da fragen darf – technisch wie, in einer Situation, wo die Frage des Mindestlohns ja eigentlich einer unabhängigen Kommission zugewiesen ist?
Werneke: Es muss auf jeden Fall eine Veränderung des Mindestlohngesetzes geben. Aus meiner Sicht ist es am sinnvollsten, das klarzumachen und einen einmaligen gesetzlichen Erhöhungsschritt vorzunehmen, auf zwölf Euro, und dann die Mindestlohnkommission im Kern wieder in die Funktion zu setzen. Ein anderer Weg wäre, der Mindestlohnkommission zusätzliche Kriterien mit auf den Weg zu geben – aber auch dazu braucht es eine Gesetzesänderung. Ein Kriterium könnte sein, dass mindestens mal 60 Prozent des Median-Einkommens in Deutschland erreicht wird beim gesetzlichen Mindestlohn, so wie das derzeit auch in Europa diskutiert wird, und dann wären wir auch ungefähr wieder bei zwölf Euro. Aber das ist letztendlich Gesetzestechnik. Es braucht einen politischen Schritt über die Mindestlohnkommission hinaus, um auf die zwölf Euro zu kommen …
Detjen: … der die Rolle des Staates dann immer mehr in den Bereich reinschiebt, der bisher eben im Bereich der Tarifautonomie ist.
Werneke: Es ist nun einmal leider so, dass die Tarifautonomie in weiten Teilen nicht mehr funktioniert, weil es gar keine Arbeitgeberverbände gibt, mit denen wir als Gewerkschaften überhaupt Tarifverhandlungen abschließen können oder es Arbeitgeberverbände gibt, die keine Tarifverträge abschließen wollen. Nehmen Sie mal den Bereich der Altenpflege, da gibt es zwar Arbeitgeberverbände, aber deren einziges Ziel ist es, das Zustandekommen von Tarifverhandlungen zu vereiteln. Und von daher ist es eine Notwendigkeit, über ...
Detjen: Da sprechen Sie jetzt von der Caritas, da sprechen Sie von den kirchlichen Arbeitgeberverbänden. Die haben die Allgemeinverbindlichkeit des Pflegetarifvertrages abgelehnt.
Werneke: Die Allgemeinverbindlichkeit in der Altenpflege ist an der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas gescheitert. Aber es gibt ja darüber hinaus Arbeitgeberverbände der privaten Anbieter – Herr Brüderle, den wir alle noch kennen und an den wir uns erinnern, ist dort einer der führenden Persönlichkeiten – und die weigern sich schlicht und ergreifend einfach, Tarifverträge hier abzuschließen, haben sogar jetzt versucht, die Tariffähigkeit von ver.di in dem Feld zu beklagen. Haben da nicht obsiegt, aber da zeigt man ja und sieht man, welche Geisteshaltung da ist.
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"Mindestlohn war bei Einführung zu gering"

Detjen: Ja, aber die verweisen eben damit darauf, dass auch der Organisationsgrad der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dem Bereich extrem schlecht ist. Korrigieren sie mich, wenn es falsch ist: ich glaube, ein Fünftel der Beschäftigten in dem Bereich sind gewerkschaftlich organisiert.
Werneke: Wir sind in der Altenpflege gewerkschaftlich verankert, aber die Altenpflege ist neben anderen Bereichen einer der Felder, wo aufgrund von Arbeitgeberverhalten keine Tarifverträge zustande kommen, also braucht es den gesetzlichen Mindestlohn. Und der gesetzliche Mindestlohn war bei seiner Einführung zu gering, aufgrund von politischen Kompromissen. Er ist nicht so, dass die Menschen davon leben können und eine auskömmliche Rente entsteht auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns heute. Also braucht es einer Erhöhung. Und das ist ein wichtiger politischer Schritt, ein wichtiger Punkt auch in Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen, ich vermute übrigens auch mal einer, wo am Ende die FDP mitgehen wird können.
Detjen: Frank Werneke, Chef der Gewerkschaft Verdi, ist bei uns im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Wir haben jetzt schon über Mindestlohn gesprochen. Wir werden auch noch gleich über die anstehenden Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst sprechen. Lassen Sie uns nochmal auf Ihre Wahlkampfforderungen zurückkommen. Ich habe gesagt, Investitionen, verbunden mit Schuldenaufnahme des Staates, ist eine zentrale Forderung gewesen, aber dem steht die Schuldenbremse im Grundgesetz entgegen. Das ist eine Ausnahmereglung. Soll sich der Staat dauerhaft fiskalisch im Ausnahmezustand einrichten?
Werneke: Die Schuldenbremse hat sich über die letzten Jahre zur Investitionsbremse entwickelt. Das zeigt übrigens insbesondere die Entwicklung in den Ländern, wo notwendige Investitionen in Infrastruktur, in den Erhalt der Substanz von Krankenhäusern und Ähnliches nicht getätigt werden. Die Wahl ist so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist. Es zeichnet sich nicht ab, dass es eine verfassungsändernde Mehrheit im Deutschen Bundestag gibt, um die Schuldenbremse zu verändern. Also muss aus meiner Sicht geschaut werden, was kann stattdessen geschehen? Und es gibt natürlich Ansatzmöglichkeiten. Wenn ich mal erinnern darf: Ende 2019, im November 2019 gab es ein gemeinsames Gutachten des Instituts der Deutschen Wirtschaft, also des arbeitgebernahen Wirtschaftsinstituts und des gewerkschaftsnahmen Wirtschaftsinstituts IMK, wo gemeinsam festgestellt wurde, dass es einen Investitionsbedarf von 460 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren gibt – in digitale Infrastruktur, in Verkehrswege und andere Bereiche. Und dieses Volumen von 460 Milliarden Euro in zehn Jahren oder 45 Milliarden in einem Jahr ist möglich, ohne dass die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt wird, einfach durch Nutzung der Verschuldensspielräume, die berühmt-berüchtigte "Schwarze Null", die vorhanden ist.
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"Verschuldungsspielräume sind ja da"

Detjen: Aber sie verweisen jetzt auf ein Gutachten aus dem Jahr 2019. Das war vor der Coronazeit. Jetzt, danach, ist die Situation nochmal anders. Der Staat hat das, was er zur Verfügung hatte, in Coronahilfen gesteckt, zuletzt jetzt auch noch in Fluthilfen – die Kassen sind leer.
Werneke: Die Verschuldungsspielräume sind ja trotzdem da, und von daher ist das eine Möglichkeit, über diese Spielräume zu gehen und darüber Investitionen zu tätigen. Nicht in dem Ausmaß, wie ich mir das eigentlich wünschen würde, aber immerhin 40 bis 50 Milliarden Euro sind möglich. Und außerdem ist es auch nochmal denkbar, angesichts der enormen Strukturveränderung und Herausforderung auf dem Weg zur Klimaneutralität, die Karbonisierung nochmal über zusätzliche Fonds zu gehen. Auch das ist ein Ansatz, der aus meiner Sicht möglich ist.
Detjen: Also, Sonderhaushalte. Das ist dann eine verfassungsrechtliche Gratwanderung. Da müssen dann die Karlsruher Richter irgendwann entscheiden.
Werneke: Gut, zusätzliche Investitionshaushalte, das ist von der Ausgestaltung anspruchsvoll – dann muss man ja auch noch die Maastricht-Kriterien berücksichtigen –, aber auch nicht unmöglich. Nochmal, lieber wäre uns eine Novellierung der Schuldenbremse, ein weitgehendes Aussetzen der Schuldenbremse, aber dafür zeichnet sich leider parlamentarisch keine Mehrheit ab.
Detjen: Noch einmal die Nachfrage: Wie hat Corona, zuletzt eben auch die Flut, die Situation jetzt nochmal verändert, wo der Staat so tief in die Taschen gegriffen hat - muss man da nicht zugleich auch darüber reden, wo Ausgaben auch gekürzt werden? Die nächste Regierung wird nicht mehr viele Reserven haben. So viel ist da nicht mehr in der Kasse.
Werneke:: Die Coronahilfen – sowohl die diversen Rettungspakete für die Bundesregierung als auch das Kurzarbeitergeld, die sind ja dann in der letzten Zeit aus dem Bundeshaushalt finanziert worden, mittelbar – waren richtig und notwendig. Und es ist auch so, dass die absolut verkraftbar sind. Wir haben auch am Ende dieses Jahres eine geringere Staatsverschuldung in Deutschland, als nach der Finanzmarktkrise im Jahr 2009/2010. Und angesichts der Herausforderungen, die es gibt, gerade in Bezug auf die Klimapolitik, wäre das fatal und aus meiner Sicht übrigens auch ein Verrat an der zukünftigen Generation – und gerade Junge haben ja die FDP und die Grünen gewählt. Das ist ja bemerkenswert. Daraus entsteht aber auch eine Verantwortung: Wer heute nicht investiert, vergeht sich an der Zukunft der jungen Generation.

"Investitionen sind jetzt notwendig"

Detjen: Das ist ja interessant, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimaurteil zuletzt genau diesen Zusammenhang der Generationengerechtigkeit hergestellt hat mit Blick auf die Klimapolitik und gesagt hat: Klimapolitik heute verbraucht Freiheitsrechte künftiger Generationen. Würden sie sagen, das gilt genauso für die Fiskalpolitik, für Schuldenpolitik? Schulden, die heute gemacht werden, engen dann eben Handlungsspielräume künftiger Generationen ein?
Werneke: Investitionen, die heute nicht getätigt werden, dadurch wird sich an der zukünftigen Generation vergangen, weil ohne, dass es eine gute Verkehrsinfrastruktur gibt, eine gute digitale Infrastruktur, wo es wahnsinnige Nachholbedarfe in Deutschland gibt, ohne dass jetzt massiv investiert wird in die Möglichkeit, CO2-neutraler zu produzieren, zu wohnen und sich zu bewegen in der Mobilität, wird dieses Land keine gute Zukunft haben. Und von daher sind jetzt Investitionen notwendig. Und genauso notwendig ist aus meiner Sicht bezogen auf, wenn wir das Thema Klimawandel anschauen, dass das, was jetzt passiert in den nächsten Tagen und vor allen Dingen auch Jahren bis 2030 und dann 2040, sozial gerecht stattfindet und das nicht über steigende CO2-Preise ohne einen starken sozialen Ausgleich letztendlich so etwas wie ein Ablasshandel für Wohlhabende entsteht. Und deshalb ist der soziale Ausgleich einer solchen Veränderung aus meiner Sicht notwendig. Interessant übrigens, da gibt es Parallelen zwischen FDP und Grünen: Beide fordern – etwas unterschiedlich benannt – die Einführung eines Klimageldes, eines Energiegeldes. Das heißt, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollen an die Bevölkerung einkommensunabhängig zurückgegeben werden. Das wäre ein starker sozialer Hebel. Das begrüßen wir ausdrücklich. Und das wäre jetzt mal eine Position, wo Grüne und FDP dann hoffentlich die SPD überzeugen, dass dieser Weg gemeinsam gegangen wird.
Detjen: Das könnte einer der Ansatzpunkte sein, sehen wir in diesen Tagen schon. Wir haben jetzt über Investitionsnotwendigkeiten gesprochen – das ist ja auch weitgehend unbestritten, dass es da große Bedürfnisse gibt. Klima, auch wichtiges Thema – da werden wahrscheinlich Sofortprogramme nötig, weil in verschiedenen Sektoren die gesetzlich festgelegten Klimaziele nicht eingehalten werden. Auch das kostet dann wieder Geld. Und jetzt geht es um Gehälter. Die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst steht an, beginnt nächste Woche. Die Länder rechnen vor, dass Ihre Forderungen für Angestellte 2,4 Milliarden kosten würden und wenn das dann, wie üblich, auch noch auf Beamte übertragen wird, 7,5 Milliarden. Das Geld ist auch noch da?
Werneke: Wir reden über eine wirklich große Tarifrunde. Wenn ich mal Beamtinnen und Beamte und Versorgungempfängerinnen und Versorgungsempfänger, also pensionierte Beamte und Beamtinnen mitrechne, dann reden wir von weit über 3,5 Milliarden Menschen, die betroffen sind von dieser Tarifrunde.
Detjen: Millionen, 3,5 Millionen Menschen.
Werneke:: Sorry, ja.

"Länder sind am besten durch Corona-Situation gekommen"

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Werneke: Und jetzt kommt die Brücke dazu: Und jedes Zehntel kostet und jeder Prozentwert kostet dann Milliarden. Das ist so, das ist ein einfaches Rechenspiel. Aber natürlich reden wir auch über die Gesamtheit der Länderhaushalte, die dagegenstehen, und von daher ist das machbar. Zumal – wenn ich mir mal anschaue, Vergleich Bund / Länder / Kommunen – die Länder am besten, durch diese Corona-Situation gekommen sind. Während es deutliche Einnahmeverluste beim Bund und den Kommunen gegeben hat, sind die bei den Ländern moderat. Und wir haben jetzt schon wieder eine gut steigende Perspektive, was die Steuereinnahmen der Länder insbesondere betrifft. Von daher ist das verkraftbar. Und es geht hier zum Beispiel um die Beschäftigten in den Universitätskliniken, wo wir ja fordern, dass für alle dort Beschäftigten es 300 Euro mehr gibt. Gerade im Klinikbereich – wirklich – dampft und brodelt es, gehen Menschen aus den Berufen raus. Wenn sich dort nicht mehr tut bei der Bezahlung, übrigens auch bei der Personalausstattung, dann laufen wir da auf eine wirklich dramatische Situation zu.
Detjen: Jetzt ist das ja schwierig, sie müssen da ja ein Erwartungsmanagement auch gegenüber Ihren Mitgliedern betreiben. Einerseits sagen sie denen, völlig zu Recht, ‚Ihr habt schwierige Zeiten hinter euch, das muss sich jetzt auch in der Gehaltsentwicklung widerspiegeln‘, andererseits, an welchen Stellen müssen sie da auch selber mit vermitteln und sagen, ‚Die Haushaltslage der Länder, der Kommunen ist so angespannt, wie sie nun mal ist. Erwartete nicht zu viel‘?
Werneke: Ich mache keine Tarifpolitik nach der Haushaltslage der Länder. Da sind dann mehrere Finanzminister ...
Detjen: Aber das muss man doch! Wie kann man außerhalb der Haushaltslage von Bund und Ländern Tarifpolitik machen?
Werneke: ... am Tisch, die zelebrieren und beten das dann hoch und runter und dann wird man ein Ergebnis finden. Wir habe eine Forderung gestellt von fünf Prozent. Wenn ich mir mal anschaue, dass aktuell der letzte Monatswert für September, wir eine Preissteigerungsrate von 4,1 Prozent haben – allein schon, um die Realeinkommen für die Beschäftigten in Ländern auszugleichen, braucht es von daher eine gute prozentuale Erhöhung. Und ich will noch mal einen weiteren Punkt nennen, den wir schon auch bei der Forderungserstellung sehen: Steigende Preise. Steigende Preise im Supermarkt und an der Zapfsäule – insbesondere die Energiepreise steigen ja derzeit – treffen natürlich alle Menschen erst einmal gleich, egal, ob sie ein relativ hohes Einkommen oder ein relativ niedriges Einkommen haben. Und deshalb ist es uns so wichtig, dass insbesondere für Menschen mit normalen und eher niedrigen Einkommen im Öffentlichen Dienst der Länder, die Realeinkommen gesichert werden, und deshalb wollen wir dort über einen Mindestbetrag von mindestens 150 Euro mehr im Monat das sicherstellen. Und von daher haben wir da ein Zeichen gesetzt, wo dann auch eine Lösung liegen könnte in dieser Tarifrunde. Mal schauen, ob diese Brücke dann von den Arbeitgebern gegangen wird.

Realeinkommen sichern

Detjen: Diese Zahlen von fünf Prozent, die Sie fordern, deckt sich ja mit der Zahl, die die Volkswirte der Bundesbank auch noch für dieses Jahr als Inflationsrate, als Teuerungsrate voraussetzen. Ist das volkswirtschaftlich nicht auch gefährlich, wenn man da sozusagen im Fahrwasser von Teuerungsraten dann einfach gleich mit den Löhnen nachzieht und dann möglicherweise dann diese Spirale der Teuerungen immer weiter nach oben treibt?
Werneke: Ich sehe nicht, dass wir eine Spirale loslösen, sondern unsere Aufgabe als Gewerkschaft ist es, Realeinkommen zu sichern. Übrigens, wenn wir jetzt mal über die Daten reden: Wir haben jetzt einen Monatswert von 4,1, wir hatten am Anfang des Jahres eine niedrigere Preissteigerungsrate unter zwei Prozent. Das heißt, der Jahreswert – und der muss ja für uns Betrachtung sein – wird irgendwo so bei drei Prozent liegen, das ist unsere Prognose. Übrigens, exakt drei Prozent habe wir in anderen großen Tarifrunden in diesen Tagen in Einzelhandel abgeschlossen, in dieser Woche. Von daher ist das schon so, dass das unser Ziel sein muss. Und das erwarten auch unsere Mitglieder, dass die Realeinkommen gesichert werden, insbesondere für Menschen mit eher kleinen und mittleren Einkommen. Und dafür sind wir unterwegs.
Detjen: Die Menschen haben auch in der Coronazeit jetzt auch unter Streiks gelitten. Der Lokführerstreik, zum Beispiel, hat viele Menschen belastet. Es gibt auch im Verdi-Bereich Streiks, an diesem Wochenende zum Beispiel bei Eurowings streiken ihre Mitarbeiter – noch gibt es Warnstreiks. Müssen sich die Menschen jetzt im Zuge der beginnenden Tarifrunde auf weitere Streiks im Öffentlichen Dienst, in Kitas etwa, einstellen?
Werneke: Wir sind arbeitskampffähig im Öffentlichen Dienst, das sollten auch die Arbeitgeber wissen. Ob und, wenn ja, in welchem Maße das notwendig ist, das hängt sehr stark davon ab, wie jetzt das Verhalten am Verhandlungstisch ist. Und wenn mir diese Seitenbemerkung noch erlaubt ist: Ohne dieses völlig unsinnige Tarifeinheitsgesetz, hätte es auch nicht so lange Streiks bei der Bahn gegeben. Das hat sich letztendlich die Politik auch selbst zuzuschreiben.

Tarifeinheitsgesetz löst keine Konflikte

Detjen: Trotzdem, das war ein Streik, der hatte sehr stark innergewerkschaftliche Gründe – wie haben Sie das gesehen?
Werneke: Ja, weil dieses Tarifeinheitsgesetz eben überhaupt gar keine Konflikte zwischen Gewerkschaften löst. Also da, wo zwei Gewerkschaften konkurrierenden in einem Betrieb und einer Branche unterwegs sind, sondern zwangsläufig das Konkurrenzverhalten sogar anheizt, weil es den Kampf um jeden Kopf gibt, auf Grundlage dieses Tarifeinheitsgesetzes – ein völliges Schwachsinns-Gesetz. Und ich hoffe, die neue Bundesregierung bringt die Kraft auf, das einfach abzuschaffen.
Detjen: Zeigt aber auch, dass auch große Institutionen, wie die Gewerkschaften, im Umbruch sind. Auch Ihre Gewerkschaft verliert jedes Jahr Mitglieder. Was heißt das für die Gewerkschaften? Sie haben sich ja auch viel mit neuen sozialen Bewegungen, Protestbewegungen, mit der "Fridays for Future"-Bewegung beschäftigt. Was lernen die Gewerkschaften davon? Und heißt das, dass auch in dem Bereich möglicherweise ganz andere Organisationsformen die Zukunft sind?
Werneke: Da, wo Bewegung ist und wo Gewerkschaft erkennbar ist, wir Stärke entfalten können aufgrund einer Mitgliedschaft, da sind wir auch erfolgreich und gewinnen auch Mitglieder. Wir gewinnen ja auch jedes Jahr deutlich über 100.000 Mitglieder, haben dann vor allen Dingen altersbedingte Abgänge.
Detjen: … aber verlieren in der Summe mehr.
Werneke: Letztes Jahr ein Minus von 13.000 Mitgliedern. Die Coronasituation ist schwierig für die Mitgliedergewinnung, weil zu wenig passiert in Betrieben, auf der Straße. Aber ich bin optimistisch, dass wir auch in diesem Jahr wieder viele Mitglieder gewinnen. Schauen Sie mal, hier in Berlin haben wir gerade eine große Tarifbewegung bei den beiden größten Krankenhäusern der Stadt, der Charité – bundesweit bekannt – und Vivantes – das ist das große Landes- und Städtische Klinikum –, wo wir wirklich sehr, sehr, sehr viele Mitglieder gewonnen haben, weil es da eine ganz konkrete Auseinandersetzung gibt für mehr Pflegekräfte und eine bessere Ausstattung und erträgliche Belastungssituation.
Detjen: Auch mit Streiks.
Werneke: Auch mit Streiks. Eine große Unterstützung in der Stadt hier. Und das zeigt, dass da, wo Gewerkschaft mutig unterwegs ist, erkennbar ist, wir auch eine offensive Tarifpolitik betreiben, wir auch erfolgreich sein können. Und von daher mache ich mir mit diesen Vorzeichen um unsere Zukunft keine Sorgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.