Archiv

Verdis "Requiem" in Hamburg
Beim jüngsten Gericht geht Calixto Bieito kein Risiko ein

Giuseppe Verdis "Messa da Requiem" wurde wegen seiner Opernhaftigkeit einst viel kritisiert, heute gilt es manchen als seine "schönste Oper". Jetzt hat die Staatsoper Hamburg das Requiem dem für drastische Inszenierungen bekannten Regisseur Calixto Bieito anvertraut.

Von Elisabeth Richter |
    Verdis "Messa da Requiem" an der Hamburgischen Staatsoper, März 2018
    Verdis "Messa da Requiem" an der Hamburgischen Staatsoper, März 2018 (Staatsoper Hamburg, Foto: Brinkhoff/Mögenburg)
    Tag des Zornes, Tag der Klage, der die Welt in Asche wandelt: Furchterregend sind die Höllenvisionen in der lateinischen Totenmesse, nicht nur im mächtigen "Dies irae". Regisseur Calixto Bieito lässt die "Masse Chor" sich drohend auf das leidende Individuum stürzen, auf den Solo-Sopran. Ein berührender Moment in der Inszenierung. Bieito macht den Sopran zur immer wieder gequälten und bedrängten Hauptperson. Das ist naheliegend, denn sie hat im Stück mit die bewegendsten Solopassagen zu singen, zum Beispiel das flehende "Recordare", wo Jesus angerufen wird.
    Drastische Endzeitvisionen
    Was kommt nach dem Tod? Wo gehen wir hin? Und wo kommen wir her? Wie kann mit den Todes-Ängsten zu Lebzeiten umgegangen werden? Fragen so alt wie die Menschheit. Das katholische Requiem bietet in seiner Mischung von Extremen – den drastischen Endzeitvisionen ebenso wie den eindringlichen Bitten für die Seele des Verstorbenen – zeitlose und überkonfessionelle Assoziationsflächen.
    Verdi hat in seiner Messa da Requiem die inständigen Bitten um Gnade ebenso wie die Schrecken plastisch in Musik gesetzt. Wenn Empörung, Fluch und Rache in heißen Flammen gebüßt werden, dann rufe mich zu Dir! – so heißt es im "Confutatis Maledictis". Susanne Gschwenders Bühne zeigt als einzige Requisiten mehrere riesige offene mobile Regale mit quadratischen Fächern, sie bilden abgeteilte und freie Räume, Chor oder Solisten klettern hindurch oder hängen daran an Seilen. Am Schluss beim "Libera me" (Befreie mich) liegt eine Regalwand am Boden, der gesamte Chor ist in den Regalfächern versteckt, es ragen nur noch die flehenden Hände der Sänger heraus. Sichtbar ist nur die Solosopranistin, die nach der wilden Chorfuge "Libera me" diese Bitte um Befreiung vom jüngsten Gericht noch einmal deklamiert. Und Verdis Requiem endet leise, resigniert, zweifelnd. Das verwundert nicht, hatte der Komponist doch selbst bittere Erfahrungen mit dem Tod machen müssen. Innerhalb kurzer Zeit starben seine Frau und seine beiden Kinder.
    Szenisch brav, musikalisch ein Fest
    Calixto Bieito wird seit Jahren für seine drastischen Inszenierungen mit Blut, Schweiß, Tränen, Sex, Gewalt und mehr kontrovers aufgenommen. Wer bei Verdis Requiem erwartet hatte, dass Bieito seiner Phantasie bei den Höllenszenarien aus der Totenmesse freien Lauf lassen und packende Bilder erfinden würde, der wurde enttäuscht. Es war vorhersehbar, wann der Chor durch die Regal-Kassetten für seine zu singenden Passagen nach vorne kommen würde. Während des Singens wurde meist bewegungsarm herumgestanden, das war eine Regie ohne szenische Spannung. Nur einige wenige Bilder, wie das des gequälten von den Chormassen bedrängten Individuums bleiben im Gedächtnis. Oder: zum "Lacrimosa", dem Tag der Tränen, werden aus den unteren Regalfächern tote Kinder gezogen. Doch all das sind lose, beliebige Assoziationen, ohne klare Linie.
    So war diese Inszenierung von Verdis Requiem in erster Linie ein musikalisches Fest. Hochklassig das Solistenquartett, voran Maria Bengston mit leichter Höhe, aber auch der nötigen Dramatik in der exponierten Sopranpartie. Manchmal ein wenig flackernd, aber mit schöner Intensität der Mezzosopran von Nadezhda Karyazina, und kernig-kräftig-markant der Bass von Gábor Bretz. Kevin John Edusei sorgte für einen durchsichtig und gut balancierten Klang des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, da war jede Linie hörbar, und an musikalischer Spannung fehlte es auch nicht.