Karin Fischer: Wenn drei große Theaterschauspieler, Lars Eidinger, Corinna Harfouch und Ernst Stötzner, in einem Film von Hans-Christian Schmid zusammenkommen, dann kann eigentlich nicht viel schiefgehen. Die Frage ist nur, welche Abgründe an Psychologie, welche Verstocktheiten, welche Verletzungen in einem neuen Kammerspiel des Tiefbohrers des deutschen Films zu Tage befördert werden. In "Was bleibt" geht es um eine depressive Mutter und ihre mehr oder weniger erfolgreichen Söhne – Betonung liegt auf weniger -, das Setting: ein moderner, schicker Bungalow in der Nähe von Bonn. - Frage an Rüdiger Suchsland: Schon ein Haus kann ja viel aussagen, nicht nur über die Bewohner, sondern auch über eine Epoche?
Rüdiger Suchsland: Ja, das ist tatsächlich so. Dieses Haus, das könnte auch in den 70er- oder 80er-Jahren stehen und die Geschichte dort spielen, denn es ist so eine explizit westdeutsche Szenerie. Dazu ist es auch dann eine großbürgerliche Szenerie. Hans-Christian Schmid erzählt, wenn man so will, von Klassenverhältnissen, von den Verhältnissen in einer gut situierten wohlhabenden Mittelstandsfamilie: Die Kinder gehen aufs Gymnasium, der Vater hat ein großes Bücherregal mit ganz vielen auch schönen alten Bänden, man hat einen IMS-Stuhl, also materiell mangelt es an nichts und auf den ersten Blick mangelt es auch sonst an nichts, denn die Familie, die versteht sich ganz gut miteinander.
Es geht hier schon um die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Figuren in dieser Familie: Vater, Mutter, zwei Söhne, die dazugehörigen Lebenspartner, im einen Fall auch ein Enkelkind. Diese Verhältnisse, die werden so ganz allmählich freigelegt, fast archäologisch geht Schmid da vor, dass er Schicht um Schicht herunterreißt und man dann merkt, was eigentlich unten drunter liegt. Und was unten drunter liegt: Aus den feinen Haarrissen, da werden dann wirklich so tiefe Gräben und teilweise Schluchten emotionaler Art, denn, was dann rauskommt, ist, dass die Mutter seit Jahren depressiv ist.
Das haben wir vorher als Zuschauer gar nicht so erfahren, wir konnten es höchstens ahnen. Was auch rauskommt, ist, dass die beiden Söhne in unterschiedlicher Form sich ihren Eltern entfremdet haben und aus Sicht der Eltern zumindest Versager sind, und man verinnerlicht das dann ja auch immer, also sie sind mit sich selber auch nicht so ganz im reinen. Auch der Vater hat seine Geheimnisse, also ein klassisches Familiendrama.
Fischer: Indem, wenn ich das richtig verstehe, viel auch nicht gesagt wird.
Suchsland: Ja. Das Ungesagte spielt eine wichtige Rolle, und tatsächlich ist Hans-Christian Schmid, finde ich, ja nicht nur einer der humansten Regisseure, die wir haben, Filmregisseure; er ist auch einer, der sehr genau mit Psychologie umgeht, auch hier so in den kleinen Gesten. Ich finde, er führt die Schauspieler auch sehr gut. Die sind natürlich sowieso auch sehr gut, also brauchen ihn vielleicht nicht, aber er macht das dann schon auch von der Inszenierung, von der Kamera toll.
Es wird da deutlich gemacht im Grunde an kleinen Gesten, was in dieser Familie los ist, und das Ganze wirkt am Anfang vor allem gar nicht, finde ich, so wie ein typisch deutscher Film. Mich hat es eher an französisches Kino erinnert, wo ja auch die Familien gerne mal sich am Wochenende treffen, dann manchmal in Ferienhäusern oder in diesem Fall halt im Elternhaus. Dann isst man miteinander und erhält sich erst mal über belanglose Dinge, und schon in der Art, wie man sich unterhält und wie die Belanglosigkeiten da passieren, wie der Topf gereicht wird, da wird schon extrem viel deutlich. Es ist ein Film, wo man gar nicht so genau hingucken muss, das teilt sich einem dann schon auch mit, wenn man einfach nur im Kino sitzt und mal schaut, was da so passiert.
Fischer: Hans-Christian Schmid ist der Regisseur von "Requiem"; er hat "Sturm" gemacht, da geht es um die späten Folgen des Krieges in Jugoslawien; er war Produzent von einem Film wie "Am Ende kommen Touristen". Also es geht irgendwie immer auch um so eine Art Spurensuche, in der die offizielle Geschichte nur Abdrücke hinterlässt sozusagen in den Seelen der Menschen. Ist "Was bleibt" auch so ein Drama? Sagt es was über unsere Mentalität heute aus?
Suchsland: Ja, das scheint mir ein sehr zeitgemäßer Film zu sein. Vor allem ist für mich Hans-Christian Schmid immer auch ein Regisseur, der sich für Generationenporträts interessiert und der in diesem Fall auch wirklich seine eigene Generation porträtiert. Die Hauptfigur des Films ist der von Lars Eidinger gespielte ältere Sohn, der aus Berlin anreist und jetzt übers Wochenende nachhause kommt. Und was man da dann sieht, das ist schon erst mal ihn selber, wie es dem geht, bevor er überhaupt angekommen ist, und dann bekommt man alles auch so ein bisschen aus seiner Sicht erzählt. Und das ist, glaube ich, hier schon ein deutlicher Blick auch von dem Regisseur Hans-Christian Schmid und seinem Drehbuchautor, dem ungefähr gleich alten Bernd Lange, auf die Generation von deren Eltern. Das sind insofern auch die Eltern, die im Grunde genommen den Wohlstand der Bundesrepublik aufgebaut haben, aber nicht als Erwachsene, sondern als Kinder, von Anfang an, klassisch Westdeutsche, und die jetzt in Rente gehen. Ich denke, dass es um diese Generation ziemlich stark geht, um den Blick der Kinder, die, wenn man so will, die Früchte des Wohlstands geerntet haben, aber gar nicht so genau wissen, was sie damit jetzt tun könnten und tun sollen. Es geht also, wenn man so will, auch um ein Defizit an Werten, an Idealen hinter dem Materiellen.
Fischer: Vielen Dank, Rüdiger Suchsland, für diese Filmkritik. Hans-Christian Schmids "Was bleibt" ist ab heute im Kino.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rüdiger Suchsland: Ja, das ist tatsächlich so. Dieses Haus, das könnte auch in den 70er- oder 80er-Jahren stehen und die Geschichte dort spielen, denn es ist so eine explizit westdeutsche Szenerie. Dazu ist es auch dann eine großbürgerliche Szenerie. Hans-Christian Schmid erzählt, wenn man so will, von Klassenverhältnissen, von den Verhältnissen in einer gut situierten wohlhabenden Mittelstandsfamilie: Die Kinder gehen aufs Gymnasium, der Vater hat ein großes Bücherregal mit ganz vielen auch schönen alten Bänden, man hat einen IMS-Stuhl, also materiell mangelt es an nichts und auf den ersten Blick mangelt es auch sonst an nichts, denn die Familie, die versteht sich ganz gut miteinander.
Es geht hier schon um die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Figuren in dieser Familie: Vater, Mutter, zwei Söhne, die dazugehörigen Lebenspartner, im einen Fall auch ein Enkelkind. Diese Verhältnisse, die werden so ganz allmählich freigelegt, fast archäologisch geht Schmid da vor, dass er Schicht um Schicht herunterreißt und man dann merkt, was eigentlich unten drunter liegt. Und was unten drunter liegt: Aus den feinen Haarrissen, da werden dann wirklich so tiefe Gräben und teilweise Schluchten emotionaler Art, denn, was dann rauskommt, ist, dass die Mutter seit Jahren depressiv ist.
Das haben wir vorher als Zuschauer gar nicht so erfahren, wir konnten es höchstens ahnen. Was auch rauskommt, ist, dass die beiden Söhne in unterschiedlicher Form sich ihren Eltern entfremdet haben und aus Sicht der Eltern zumindest Versager sind, und man verinnerlicht das dann ja auch immer, also sie sind mit sich selber auch nicht so ganz im reinen. Auch der Vater hat seine Geheimnisse, also ein klassisches Familiendrama.
Fischer: Indem, wenn ich das richtig verstehe, viel auch nicht gesagt wird.
Suchsland: Ja. Das Ungesagte spielt eine wichtige Rolle, und tatsächlich ist Hans-Christian Schmid, finde ich, ja nicht nur einer der humansten Regisseure, die wir haben, Filmregisseure; er ist auch einer, der sehr genau mit Psychologie umgeht, auch hier so in den kleinen Gesten. Ich finde, er führt die Schauspieler auch sehr gut. Die sind natürlich sowieso auch sehr gut, also brauchen ihn vielleicht nicht, aber er macht das dann schon auch von der Inszenierung, von der Kamera toll.
Es wird da deutlich gemacht im Grunde an kleinen Gesten, was in dieser Familie los ist, und das Ganze wirkt am Anfang vor allem gar nicht, finde ich, so wie ein typisch deutscher Film. Mich hat es eher an französisches Kino erinnert, wo ja auch die Familien gerne mal sich am Wochenende treffen, dann manchmal in Ferienhäusern oder in diesem Fall halt im Elternhaus. Dann isst man miteinander und erhält sich erst mal über belanglose Dinge, und schon in der Art, wie man sich unterhält und wie die Belanglosigkeiten da passieren, wie der Topf gereicht wird, da wird schon extrem viel deutlich. Es ist ein Film, wo man gar nicht so genau hingucken muss, das teilt sich einem dann schon auch mit, wenn man einfach nur im Kino sitzt und mal schaut, was da so passiert.
Fischer: Hans-Christian Schmid ist der Regisseur von "Requiem"; er hat "Sturm" gemacht, da geht es um die späten Folgen des Krieges in Jugoslawien; er war Produzent von einem Film wie "Am Ende kommen Touristen". Also es geht irgendwie immer auch um so eine Art Spurensuche, in der die offizielle Geschichte nur Abdrücke hinterlässt sozusagen in den Seelen der Menschen. Ist "Was bleibt" auch so ein Drama? Sagt es was über unsere Mentalität heute aus?
Suchsland: Ja, das scheint mir ein sehr zeitgemäßer Film zu sein. Vor allem ist für mich Hans-Christian Schmid immer auch ein Regisseur, der sich für Generationenporträts interessiert und der in diesem Fall auch wirklich seine eigene Generation porträtiert. Die Hauptfigur des Films ist der von Lars Eidinger gespielte ältere Sohn, der aus Berlin anreist und jetzt übers Wochenende nachhause kommt. Und was man da dann sieht, das ist schon erst mal ihn selber, wie es dem geht, bevor er überhaupt angekommen ist, und dann bekommt man alles auch so ein bisschen aus seiner Sicht erzählt. Und das ist, glaube ich, hier schon ein deutlicher Blick auch von dem Regisseur Hans-Christian Schmid und seinem Drehbuchautor, dem ungefähr gleich alten Bernd Lange, auf die Generation von deren Eltern. Das sind insofern auch die Eltern, die im Grunde genommen den Wohlstand der Bundesrepublik aufgebaut haben, aber nicht als Erwachsene, sondern als Kinder, von Anfang an, klassisch Westdeutsche, und die jetzt in Rente gehen. Ich denke, dass es um diese Generation ziemlich stark geht, um den Blick der Kinder, die, wenn man so will, die Früchte des Wohlstands geerntet haben, aber gar nicht so genau wissen, was sie damit jetzt tun könnten und tun sollen. Es geht also, wenn man so will, auch um ein Defizit an Werten, an Idealen hinter dem Materiellen.
Fischer: Vielen Dank, Rüdiger Suchsland, für diese Filmkritik. Hans-Christian Schmids "Was bleibt" ist ab heute im Kino.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.